RE:Hagesandros
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Bildhauer von Rhodos: Laokoongruppe mit Polydoros und Athenodoros | |||
Band VII,2 (1912) S. 2199–2204 | |||
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Hagesandros von Rhodos wird von Plin. n. h. XXXVI 37 zusammen mit Polydoros und Athenodoros als Meister der Laokoongruppe genannt. Eine in ihrer Gesamtheit erdrückende Fülle von Wahrscheinlichkeitsgründen zwingt dazu, ihn gleichzusetzen mit H., Sohn des H. von Rhodos, Vater oder Bruder des Bildhauers Athanodoros, dessen Lebenszeit ganz ins 1. Jhdt. v. Chr. fällt. Die glückliche Ergänzung der rhodischen Künstlerinschriften durch die dänischen Ausgrabungen in Lindos hat Blinkenberg und Kinch ermöglicht, den Stammbaum einer Familie, in welcher die Namen H. und Athanodoros immer wiederkehren, durch vier Generationen in zwei Jahrhunderten zu verfolgen. Die Gleichsetzung des letzten Athanodoros, Sohnes des H., mit dem gleichnamigen Bildhauer, dessen Künstlerinschrift aus dem J. 42 v. Chr. stammt, darf als sicher gelten (Bull. de l'acad. de Danemark 1905, 79). Die weitere Gleichsetzung dieses Athanodoros und seines Vaters oder Bruders H. mit den beiden Bildhauern dieses Namens bei Plinius beruht auf folgenden Gründen (vgl. besonders Förster 40. Philol.-Versamml. 76ff.; Arch. Jahrb. VI 191ff. XXIff. Amelung Skulpt. d. vatik. Mus. II 184ff.).
1. Plinius muß von Künstlern einer früheren Zeit sprechen; denn erstens schließt er seine Ausführungen über den allerhand Zufällen unterworfenen Ruhm der Künstler, in welchen die Meister des Laokoon an erster Stelle eines der letzten Abschnitte stehen, mit folgenden Worten: haec sint dicta de marmoris scalptoribus summaque claritate artificum, quo in tractatu subit mentem, non fuisse tum auctoritatem maculoso marmori (XXXVII 44); zweitens rühmt er die Laokoongruppe in den stärksten Ausdrücken, während er sonst über die ganze Kunst seiner Zeit – sehr mit Unrecht – scharf aburteilt (XXXIV 5. XXXV 5; nur der Nerokoloß des Zenodoros, den er bei der Arbeit sah, hat ihm imponiert: XXXIV 46); drittens führt er die rhodischen Bildhauer als Beispiel dafür an, daß gemeinsame Arbeit mehrerer Künstler an einem Werk dem Ruhme jedes einzelnen nachteilig sei; er stellt also ein Mißverhältnis zwischen dem Werk und dem Ruhm der Meister fest, was angesichts seines hohen Lobes bei Zeitgenossen widersinnig wäre.
2. Dion von Prusa sagt in seinem unter Titus geschriebenen Rhodiakos (v. Arnim Leben und Werke des Dio von Prusa 210f.) kein Wort von einer glänzenden Kunstblüte in Rhodos, bezeugt vielmehr mittelbar das Gegenteil, wenn er die Rhodier ob der üblen Gewohnheit tadelt, ältere Ehrenstatuen auf neue Namen umzuschreiben. Eine glänzende und einflußreiche Künstlerschaft, wie sie durch die Inschriften für das 1. Jhdt. v. Chr. bezeugt ist, würde gegen eine solche Schädigung sicher politische Mittel gefunden haben; vergleichbar ist die Gewohnheit, die Strafgelder für Wiederbenutzung alter Gräber der Steinmetzengilde [2200] zuzuweisen (z. B. Dumont Inscript. et mon. fig. de la Thrace nr. 65). Die Kunstblüte von Rhodos liegt also auch für Dion in der Vergangenheit.
3. Werke eines Athanodoros (Athenodoros) sind in Italien inschriftlich und literarisch bezeugt. Die Inschriften nennen den Vatersnamen H. nebst Ethnikon und stimmen paläographisch in allem Wesentlichen mit den datierten rhodischen Inschriften überein. Die in Italien gefundenen Sockelsteine, auf welchen die Inschriften stehen, sind durchweg farbig und mit einer Ausnahme klein. Furtwängler Bonn. Jahrb. XCIII 1892, 60 vermutet daher, daß wenigstens auf den kleinen Sockeln auch farbige Skulpturen gestanden haben, wie solche in Kleinasien anscheinend bereits im 2. Jhdt. vorkamen; neben der großen Sockelplatte ist ein Gewandrest aus weißem Marmor gefunden worden (Löwy Inschr. griech. Bildh. nr. 203). Es versteht sich, daß die Tatsache so wenig wie die Vermutung mit den obigen Worten des Plinius vom marmor maculosum zu einem Gegengrunde irgendwelcher Art verbunden werden darf.
4. Der Stil der Laokoongruppe ist der späthellenistische Barockstil, dessen Anfänge frühestens an das Ende des 3. Jhdts v. Chr. zu setzen sind. Da er sich im Gegensatz zum Klassizismus zu einer Art asianischer Koine entwickelt hat, reichen seine Ausläufer bis zur Erstarrung der spätantiken Kunst; im 2. und selbst im 3. Jhdt. n. Chr. ist er noch sehr verbreitet und lebendig. Die Laokoongruppe ist jedoch ein Werk von so außerordentlicher Durchbildung aller Darstellungsmittel, daß sich ihre entwicklungsgeschichtliche Stellung innerhalb des Stiles bestimmen läßt. Auf diesem Wege kann man, ohne schematisch zu verfahren, die Mitte des 2. Jhdts. v. Chr. als obere Grenze für die Entstehung der Gruppe feststellen. Eine untere Grenze ist aus der Geschichte des Barockstils allein nicht zu gewinnen, sehr wohl jedoch aus der allgemeinen Kunstgeschichte durch Ausschließung derjenigen Epochen, deren Stile, Stilstufen und technische Gewohnheiten in Rom und im Reich eine Einordnung der Laokoongruppe nicht gestatten. Man wird auf diese Weise den Anfang des 1. Jhdts. n. Chr. als untere Grenze für ein Nachleben des individuellen Stils der Gruppe bestimmen können. Der Beweis kann hier umsoweniger im einzelnen geführt werden, als die Entwicklungsgeschichte der Stile in der Kaiserzeit noch keine zusammenhängende Darstellung erfahren hat und nur einem kleinen Kreise von Forschern in den Grundzügen bekannt ist. Auch Wickhoffs berühmte Charakteristiken sind viel zu einseitig, um richtig zu sein. Folgende Andeutungen mögen wenigstens den Weg weisen.
Da die Bewegungsmotive keine genaue Datierung innerhalb des Barockstils gestatten, ist von der Formbehandlung auszugehen. Bei dieser ist im allgemeinen zwischen der architektonischen Grundlage und der Oberflächenbildung zu scheiden. Die Grenze zwischen beiden beginnt sich im Barockstil in der Weise zu verschieben, daß die Bewegung der Oberfläche besondere an den Köpfen immer mehr in die Tiefe greift: das Knochengerüst wird teils verschleiert, teils scheint [2201] es sogar die Bewegung der Weichteile mitzumachen. Diese von Skopas vorbereitete Entwicklung beginnt mit den Gruppen des Attalischen Weihgeschenkes in Athen, die aus verschiedenen Gründen nicht wohl von einem anderen als von Attalos I. gestiftet sein können, also ans Ende des 3. Jhdts. zu setzen sind. Die erhaltenen Figuren sind keineswegs einheitlich im Stil. Einige zeigen den aus Lysipps Schule hervorgegangenen frühhellenistischen Stil der großen Gallier noch rein, andere stehen dem Barockstil des großen Altars ganz nahe, wieder andere vermengen beide Stile (z. B. v. Bienkowski Darstell. d. Gallier 45f.): die übliche Scheidung einer 1. und 2. pergamenischen Schule erweist sich daher als irrig. Dem Laokoon ähnelt am meisten der tote bärtige Gigant, nicht nur im Kopfe, sondern auch im Gesamtmotiv und in der Wölbung der Brust und der Einziehung des Leibes, die auch bei anderen Figuren des Weihgeschenkes vorkommen. Die tektonischen Formen des Kopfes sind bewegt, aber klar und nicht durch überreiches Ornament von Einzelformen verschleiert. An den pathetischen Köpfen des großen Altars greift die Bewegung der reicher gegliederten Oberfläche bereits tiefer: das feste Gerüst scheint mitzuschwingen, ohne jedoch seine tektonische Funktion ganz zu verlieren. Beim Laokoon ist kein Gerüst mehr kenntlich: wie flache Gewässer sich bei Sturm in steilen Grundseen gleichsam mit ganzem Leibe aufbäumen, so hat die ursprüngliche Bewegung der Oberfläche hier alle Formen aufgewühlt; man hat mit Recht von einer kautschukartigen Verschiebung gesprochen. Wäre diese Entwicklungsstufe, die ein Äußerstes an Ausdruck ermöglicht, vor der Mitte des 2. Jhdts. erreicht worden, so müßte sie in der pergamenischen Kunst nachzuweisen sein. Auch die Entwicklung der Oberflächenbildung allein führt auf eine ähnliche obere Grenze. Sie läßt sich mittelst datierbarer Porträts in ununterbrochener Folge von Lysipp über den Demosthenes des Polyeuktos von 280 und den Chrysippos des älteren Eubulides aus dem Ende des 3. Jhdts. bis zu dem sehr viel weiter entwickelten Homer verfolgen. Diesen mit dem Homereion von Smyrna zu verbinden und in dessen von Sauer erschlossene Glanzzeit um die Mitte des 2. Jhdts. zu setzen, liegt sehr nahe; wenigstens empfiehlt kein datierbares Werk eine frühere Ansetzung (Sauer 47. Philol.-Versamml. 21; Arch. Anz. XVIII 1903, 201). Im Laokoon ist der Stil des Homer mit dem pergamenischen Barock verschmolzen und beides in der Mischung gesteigert; ferner zeigt der originale Laokoon mehr Routine und weniger Frische als die Kopien des Homer (vgl. besonders Furtwängler-Urlichs Denkmäler griech. u. röm. Skulpt.² 168f.). Es liegt daher nahe, ihn nicht zu dicht an die obere Zeitgrenze heranzurücken. Wenn als untere Grenze der Beginn des 1. Jhdts. n. Chr. bezeichnet worden ist, so beruht dies nicht auf dem Vorhandensein verwandter Werke in dieser Zeit, sondern auf dem Fehlen entscheidender Gegeninstanzen; die verschiedenen Ströme des Späthellenismus hatten damals noch nicht alle eine neue Färbung angenommen. In der Zeit von Claudius bis Domitian hätte jedoch ein Werk von der allgemeinen Anlage des Laokoonkopfes [2202] sich unmöglich der ganz anderen Auffassung solcher Formen entziehen können, die nach Ausweis der Porträts damals nicht nur in Rom herrschte. Ein Vergleich des Laokoon mit dem herrlichen Vespasiankopf des Thermenmuseums zeigt am eindringlichsten, daß zuviel Verwandtschaft vorliegt, als daß gleichzeitig so viel Verschiedenheit möglich wäre. Die trockene, bestimmte Formgebung, die Träger des Ausdrucks am Laokoon ist, kann nicht gleichzeitig sein mit dem leicht dahingleitenden Spiel von Licht und Schatten, um dessentwillen diese Zeit solche Auflösung der Formen suchte – ein Kunstwollen, das allgemein, auch in Architektur und Ornamentik herrschte und bis in den Osten drang. Wenn Klein Gesch. d. griech. Kunst III 322 am Laokoon eine ,illusionistische Formensprache‘ findet, so ist das fast ebenso falsch wie seine Behauptung, das dem Laokoon am nächsten stehende Werk sei – die Nike von Samothrake! Auch die Formanalyse legt also die Gleichsetzung der Künstler bei Plinius mit den inschriftlich bezeugten Rhodiern nahe.
Eine allgemeine Bestätigung endlich bietet nach Amelung Röm. Mitt. XX 221f., das wenige, was wir von der Gruppenkomposition des Barockstils wissen: die streng geschlossene Reliefkomposition des Laokoon steht im Gegensatz zu der unplastischen Auflösung, die sich für einige Gruppen der späteren pergamenischen Kunst nachweisen läßt, und deren Extrem Alkiphron schildert: die freie Verteilung von Figuren auf bepflanzten Felsen (frg. 5, Meineke 80; vgl. Dilthey Arch. Zeit. XXXVI 48). Das Kompositionsprinzip des Laokoon scheint demgegenüber, selbst wenn man einen gewissen Zwang des Aufstellungsortes annimmt, bewußt klassizistisch zu sein und daher auch hinauszugehen über den pergamenischen Altarfries, an welchem weniger Klassizismus als Typentradition der Flächenkunst vorliegt. Das Kriterium verliert jedoch dadurch an Wert, daß auch die Laokoongruppe in einer Typentradition steht, die sich nicht nur an Einzelmotiven über den von Alexander durchbohrten Perser auf dem Mosaikbilde bis zu den Kämpfertypen des 5. Jhdts. (Milchhöfer Prometheus 39. Brunn Kleine Schriften II 465f.) und selbst zu der chalkidischen Vase mit dem Kampf um Achills Leiche (Mon. d. Inst. I Taf. 51) zurückverfolgen läßt, sondern sich bereits in klassischer Zeit zu dreifigurigen Laokoongruppen verdichtet hatte, wie ein etruskischer Skarabäus lehrt (Furtwängler Gemmen I Taf. 64, 30. Förster Arch. Jahrb. XXI 1906, 14 Abb. 6). Wenn man sich daher die Laokoongruppe von einem älteren hellenistischen Bilde abhängig denkt (Milchhöfer a. a. O. Furtwängler-Urlichs a. a. O. 120. Rodenwaldt Komposition d. pomp. Wandgemälde 264ff.), so darf man diesem Bilde keine wesentlich höhere Originalität der allgemeinen Erfindung als der Gruppe zuschreiben. Diese echt griechische Typentradition in der bildenden Kunst wie in der Dichtung (Furtwängler Gemmen III 206. 450. Förster a. a. O. 13ff. Studniczka Arch. Jahrb. XXII 138ff.) läßt auch den alten Streit um das Verhältnis zwischen der Laokoongruppe und Vergil als zwecklos erscheinen. Datierungsmerkmale sind daraus vollends nicht zu gewinnen. [2203]
Ob einem von den drei Bildhauern ein wesentlich höherer Anteil an dem Werke zukommt als den beiden anderen, läßt sich nicht sagen; denn selbst wenn H., der bei Plinius in nicht alphabetischer Aufzählung an erster Stelle steht, der Vater seiner Mitarbeiter war, braucht er nicht mehr und Besseres als diese beigetragen, geschweige denn die ganze Komposition, wie sie jetzt vor uns steht, auf einen Wurf gefunden zu haben. Umgekehrt ist es nicht berechtigt, den Athanodoros deshalb für den Bedeutendsten zu erklären, weil wir zufällig von besonderen Ehrungen durch seine Mitbürger wissen und ein paar vermutlich auf ihn bezügliche Nachrichten (Isis Athenodoria, vgl. Förster Arch. Jahrb. VI 195f.; feminas nobiles, Plin. XXXIV 86, s. u.) sowie zwei oder drei Signaturen von ihm aus Italien besitzen; zwei andere Signaturen lassen sich ebensogut in Polydoros ergänzen (Amelung Skulpt. d. vatik. Mus. II 193f.). Wir kommen über die Gemeinsamkeit der Arbeit nicht hinaus, und daß die Worte des Plinius: de consilii sententia fecere summi artifices sich darauf beziehen, versteht sich für jeden Unbefangenen von selbst und geht überdies aus dem Zusammenhange deutlich genug hervor (Förster Arch. Jahrb. XXI 13). Es ist befremdlich, daß Lachmanns übel angebrachte Gelehrsamkeit ganze Generationen dazu veranlassen konnte, den Wald vor Bäumen nicht zu sehen und von dem gar nicht vorhandenen geheimen Rate des Titus bis zur Bule von Rhodos herumzuraten – welch letzteres W. Klein den Stoff zu einer artigen Novelle geliefert hat (Gesch. d. griech. Kunst III 319f.). Glücklicher ist Kekulés Gedanke, der Ausdruck des Plinius stamme vielleicht aus einem Epigramm, das nach Amelungs Vermutung am Sockel der Gruppe gestanden haben könnte (Kekulé Zur Deutung und Zeitbestimmung des Laokoon 16. Amelung a. a. O. 158).
Eine Polemik gegen frühere Irrtümer erübrigt sich durch die obigen Ausführungen und durch den Hinweis auf Försters ungemein verdienstvolle Untersuchungen; nur eins wäre im Hinblick auf Roberts Bemerkungen o. Bd. II S. 2047. Bd. IV S. 2079 hervorzuheben: Damophon von Messene ist jetzt fest in die erste Hälfte des 2. Jhdts. v. Chr. datiert, wohin der Stil seiner Skulpturen in Lykosura ihn von jeher verwies (Dickins Annual of the Brit. School at Athens XII 109ff. XIII 356ff.).
Daß das Werk des H. und seiner Mitarbeiter in Form und Ausdruck ein Äußerstes und Letztes in der geradlinigen Entwicklung der griechischen Kunst darstellt, ist bei aller Verschiedenheit der Datierung und Bewertung im Grunde stets empfunden worden, nicht zum wenigsten von Brunn und Furtwängler, die den Laokoon für faktisch oder doch entwicklungsgeschichtlich älter als den pergamenischen Altarfries hielten. Die letzte zusammenfassende Behandlung von Amelung a. a. O. schließt mit dem Befremden darüber, daß in dieser Epoche genauester Naturkenntnis, die so viele vollendete Kinderbilder geschaffen hat, die Söhne dennoch wie verkleinerte Jünglinge proportioniert sind; Analogien seien keine Erklärung. Eine historische Erklärung ist vielleicht auf folgende Weise möglich. An Sorglosigkeit [2204] gegenüber den relativen Größenverhältnissen ihrer Figuren hat sich die griechische Kunst von Anfang an gewöhnt: aus gegenständlichen Gründen wurden kleine Adoranten großen Göttern und Heroen gegenübergestellt, aus formalen Gründen Isokephalie oder auch bei ungleichen Raumhöhen Anisokephalie durchgeführt. Gerade im Späthellenismus sah man an zahllosen Grabreliefs und sicher auch an den ganz gleichartigen Statuengruppen der Heroa verschwindend kleine Diener neben ihren heroisierten Herren; selbst zwei- oder dreijährige Kinder werden viel größer gebildet als Diener, deren Proportionen auf ein bedeutend höheres Alter weisen (z. B. Arch. Jahrb. XX 1905 Taf. 4 S. 78 Abb. 15). Der Laokoon ist nun bei allem Naturalismus in Einzelzügen durchaus ein Idealwerk. Auch im Hellenismus sind aber die besonders unharmonischen Formen halbwüchsiger Knaben von der Idealkunst abgelehnt worden, obwohl Ansätze zu ihrer Übernahme gemacht waren (vgl. den ,Agon‘ von Tunis, Hauser bei Furtwängler-Reichhold III 2, 2. L. Curtius Arch. Anz. XXIV 207f.). Es ist das ein Rest des klassischen Empfindens, demgemäß Aristoteles, etwas verspätet – wenn man will, klassizistisch – Kinder als zwergenhaft unproportioniert und daher häßlich bezeichnet. All diese Momente dürften zusammengewirkt haben, und das klassizistische Moment ist daher nicht im gewöhnlichen Wortsinn als reaktionär, sondern als traditionell zu bezeichnen. – Was endlich die Ergänzung des rechten Armes des Laokoon betrifft, so ist Studniczkas Warnung gegen vorschnelles Vertrauen auf den Pollackschen Arm zu beherzigen (Arch. Jahrb. XXII 140f.): der um 1/9 kleinere Maßstab und der offenbare Stilunterschied machen es äußerst fraglich, ob er von einer Replik der Gruppe stammt. Die verschiedenen Ergänzungsversuche sind kritisch behandelt von Amelung a. a. O., wo auch die Literatur bis 1906 zusammengestellt ist; nachzutragen ist als wichtig nur Furtwängler Bonn. Jahrb. XCIII 58ff.; Denkm. griech. und röm. Skulptur² 120; Gemmen a. a. O., als neu Klein Gesch. d. griech. Kunst III 226. 305ff.
Daß H. auch Grab- und Ehrenstatuen in den üblichen späthellenistischen Typen verfertigt hat, darf an sich angenommen werden (vgl. Brunn Gesch. d. griech. Künstler I 474) und wird durch die Standspuren zweier Bronzefiguren auf einem Sockel des Athanodoros noch besonders empfohlen (Bull. de l'acad. de Danemark 1905, 82): ein Mann und eine Frau in gegensätzlichem Rhythmos, wie so oft auf Grabreliefs (z. B. Arch. Jahrb. XX 53, dazu 66). Es liegt deshalb auch näher, die erwähnte Angabe des Plinius XXXIV 86: Athenodorus feminas nobiles fecit, auf den Rhodier als auf den gleichnamigen Schüler Polyklets oder gar auf den archaischen Athanodoros zu beziehen (vgl. o. Bd. II S. 2046. 2048).