RE:Athenodoros 19
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Stoiker im 1. Jh. v. Chr., aus Tarsos, Lehrer von Octavian | |||
Band II,2 (1896) S. 2045 | |||
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19) Sohn des Sandon, aus Kana bei Tarsos, Stoiker, Strab. XIV 674. Er war, mit Areios zusammen, Lehrer des Augustus in der Philosophie und stand bei demselben in grossem Ansehen; vgl. ausser Strab. a. a. O. Ps.-Luc. macrob. 21. Dio Chrys. 33 p. 24 R. Plut. Poplic. 17. Aelian. v. h. XII 25. Dio Cass. LII 36. LVI 4. Zosim. hist. I 6. In der Epit. Diog. wird er zwischen Poseidonios und Antipatros von Tyros aufgeführt, war also wohl ein Schüler des ersteren. Identisch mit ihm ist wohl Athenodoros Calvus, welcher dem Cicero für die Ausarbeitung der Bücher de officiis ein bellum ὑπόμνημα verfertigte nach Cic. ad Att. XVI 11, 4. 14, 4. Nachdem er lange in Rom gelebt hatte, kehrte er in seine Vaterstadt Tarsos zurück. Über seine politische Thätigkeit daselbst vgl. Strab. a. a. O. Er erreichte das Alter von 82 Jahren. Von Schriften unseres A. kennen wir mehrere Titel, die indes, wo der Beiname im Citat nicht genannt wird, auch dem Athenodoros Kordylion zugeschrieben werden können. Nur von der Schrift πρὸς Ὀκταουίαν (Schwester des Augustus) steht es durch ausdrückliches Zeugnis Plutarchs (Poplic. 17) fest, dass sie dem Sohn des Sandon gehört. Auf ihn beziehen sich ferner die Citate Strabons I 6. 55. III 173 (über Fragen der physikalischen Geographie), der ihn XVI 779 ἀνὴρ φιλόσοφος καὶ ἡμῖν ἑταῖρος nennt, und des Seneca, der de tranq. animi 3, 1–8 eine längere Auseinandersetzung über das Verhältnis des Weisen zur Politik und ebd. 7, 2; epist. 10, 5 kurze moralische Sentenzen ihm entnimmt. Dagegen bleibt es zweifelhaft, ob die Schrift πρὸς τὰς Ἀριστοτέλους κατηγορίας, welche von den Aristotelescommentatoren mehrfach berücksichtigt wird, die Schrift περὶ σπουδῆς καὶ παιδιᾶς (Athen. XII 519 B) und die Schrift περὶ Ταρσοῦ (Steph. Byz. s. Ἀγχιάλη) ihn zum Verfasser haben. Fragmente FHG III 485.
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Band S V (1931) S. 47–55 (EL) | |||
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- S. 2045 zum Art. Athenodoros Nr. 19:
v. Arnims Artikel über A., Sohn des Sandon, ist ergänzungsfähig und bei der Bedeutung des Mannes auch bedürftig.
I. Leben. Strabon (XIV c. 14 p. 674) zählt ihn unter den Stoikern aus Tarsos auf (Ταρσεὺς Στωικός Ps.-Lukian. Μακρόβ. 223 und 226; Tarsensis philosophus physicus [Stoicus?] Euseb. [arm.] chron. II p. 146 Sch.; Tarsensis Stoicus philosophus Hieronym. ebd. 147; Ταρσεύς Synkell. 602, 8ff.). Καὶ Κανανίτην φασὶν ἀπὸ κώμης τινός fügt Strabon hinzu. Zum Unterschiede von Ἀθηνόδωρος Κορδυλίων, einem anderen Stoiker aus Tarsos, nennt er ihn ὁ τοῦ Σάνδωνος (ebenso Ps.-Luk. a. a. O. und Plut. Poplic. c. 17f.). Unser A. stammte also aus einem Dorfe (Kana?) bei Tarsos und war der Sohn eines Sandon. Nun lesen wir bei Suidas: Σάνδων Ἑλλανίκου, φιλόσοφος. Ἔγραψε Ὑποθέσεις εἰς Ὀρφέα βιβλίον α’. Schuster De vet. orph. Theog. iud. (1869) 80–100 vermutet unter diesem Sandon den Vater unseres A., der also auch schon ein Philosoph und wahrscheinlich ein stoischer gewesen sei. Zeller (Phil. d. Gr. I⁷ 128, 6) stimmt ihm insoweit zu. Dagegen hält Susemihl (Gesch. d. Alexandr.-Lit. I 376, 6) diese Nachricht wie die sog. Theogonie des Hellanikos für eine Fälschung auf den Namen des alten Historikers. Gerade Suidas lege diesem einen Sohn Σκάμων bei; Σάνδων könne eine Verwechslung mit ihm sein (vgl. auch Kern Orph. Fragm. S. 73, 241f).Strabon (673, 13) rühmt Tarsos, weil es in der Pflege der Philosophie und höheren Bildung alle anderen Städte, selbst Athen und Alexandreia übertreffe. Unter den Philosophen verschiedener Schulen, die er als Tarsier aufführt, ragen an Zahl die Stoiker hervor. Diese werden also dort eine vielbesuchte Schule besessen haben, die auch A. besucht hat. Strabon hebt aber als Eigentümlichkeit der tarsischen Weisheitsbeflissenen hervor, daß sie ihre Ausbildung in der Fremde vollenden und dann weiter auswärts bleiben, nur wenige kehrten in die Heimat zurück. Da er (XVI 779) A. ἡμῖν ἑταῖρος nennt, also seinen Lebensgang kannte, wird er unter diesen wenigen an A. gedacht haben, der, wie er selbst erzählt, im Alter nach Tarsos zurückkam. Aber von ihm wird auch gelten, daß er es schon früh verließ, um seine Ausbildung in der stoischen Philosophie zu vollenden.
Es spricht viel dafür, daß er sich nach Rhodos zu Poseidonios begab. Für dessen Schüler hält ihn v. Arnim, der auf den Stoikerindex des Diog. Laert. verweist, wo er nach Poseidonios aufgeführt wird; ebenso Zeller (III a⁴ S. 607 Anm.) und Susemihl (II 249,65). Hinweise darauf, aber auch auf eine gewisse Selbständigkeit werden sich noch ergeben.
Sonst läßt sich über seinen Lebensgang bis zu seinem Aufenthalt in Rom nichts ermitteln. Die erste Andeutung von diesem scheint Cicero in einem Briefe (ad fam. III 7) an seinen Amtsvorgänger Appius Claudius Pulcher zu geben. Er schreibt ungefähr am 13. Febr. 50 von Laodikeia nach Rom und wirft ihm Adelstolz vor: Tu si aliter existimas, nihil errabis, si paulo diligentius, ut, quid sit εὐγενεία, quid sit nobilitas, intellegas, Athenodoros Sandonis filius quid [48] de his rebus dicat, attenderis (§ 5). Cichorius, der in seinen Römischen Studien A. ein besonderes Kapitel (279ff.) gewidmet hat, denkt an ein Buch A.s Περὶ εὐγενείας. Das dicat kann aber auch auf mündliche Äußerung gehen; Appius soll sich bei dem Stoiker nach dem wahren Begriff des Adels erkundigen. Dann befand sich A. zur Zeit in Rom und war beiden Römern bekannt. Sie werden sich bei dem Tarsier vor ihrem Abgang in die Provinz nach den Verhältnissen in Kilikien erkundigt haben; vielleicht gehörte er zu dem Gefolge des Appius. Dieser hatte kurz vorher ein Buch über das Auguralwesen herausgegeben (ebd. 4, 1) und arbeitet an dessen Fortsetzung (9, 3). Darin vertrat er den Standpunkt der Gläubigkeit, wie Poseidonios. A., dessen vermutlicher Schüler, konnte ihm dafür die philosophischen Beweise liefern.
Aber noch eine zweite Schrift des A. zeugt für seine Anwesenheit in Rom vor dem Bürgerkriege. Seneca teilt in de tranq. an. c 3 eine längere Stelle aus dem Vortrage eines Athenodorus (über die Euthymie, wie wir sehen werden) mit, in der (§ 1) jungen römischen Adligen (vobis animum ad rerum civilium certamen parantibus) empfohlen wird, sich bei der herrschenden Verderbtheit des politischen Getriebes (in hac tam insana hominum ambitione usw. § 2) der öffentlichen Tätigkeit zu enthalten. Daß wir es hier mit unserem A. zu tun haben, wird allgemein angenommen (Zeller III a⁴ 607 Anm.: ,in jener Zeit doch wohl der bekannteste Mann dieses Namens‘, Susemihl II 250, 72f.). Seine Abmahnung lag aber weder im Sinne seines späteren Zöglings Octavian noch Caesars und des Pompeius. Der Vortrag gehört also der Zeit vor den Bürgerkriegen an, zu der auch die Charakteristik der politischen Zustände paßt.
Diese geißelt dann das Treiben der Nobilität. A. wird sich demgemäß in den folgenden Jahren neutral gehalten haben im Unterschiede zu seinem Heimats- und Schulgenossen A. Kordylion. So ist es erklärlich, daß Caesar ihn zum Lehrer seines Großneffen machte. Denn daß er das wurde, bezeugen sein Freund und Schulgenosse Strabon (674 Καίσαρος [d. h. Octavian] καθηγήσατο) und Lukian (223 διδάσκαλος ἐγένετο Καίσαρος σεβαστοῦ θεοῦ und 226 Ἀπολλόδωρος ... σὺν Ἀθηνοδώρῳ τῷ Ταρσεῖ παιδεύσας αὐτόν [Καίσαρα σεβαστόν], vgl. Zeller 607 und Susemihl 249, 66). Daß er wie der Rhetor Apollonios seinen Zögling nach Apollonia begleitete, wird nirgends erwähnt (Suet. div. Aug. c. 89). Dieser hat ihn aber, wie Strabon ausdrücklich bezeugt und das Folgende zeigen wird, immer in großer Ehre gehalten.
Daß A. im J. 44 nach der Ermordung Caesars und der Rückkehr Octavians von Apollonia in Rom war, beweisen zwei Briefe Ciceros von seinem Puteolanum an Atticus, der in Rom weilt. Im ersten (XVI 11, 4) schreibt jener (am 5. Nov. 44): ad Athenodorum Calvum scripsi, ut ad me τὰ κεφάλαια mitteret; quae exspecto. Quem velim cohortere et roges, ut quam primum. Danach muß auch A. in Rom gewesen sein. Aber schon Mitte desselben Monates meldet Cicero von Arpinum (a. a. O. Br. 14, 4): Athenodorum nihil est quod hortere. Misit enim satis bellum ὑπόμνημα. Octavian hatte sich damals Cicero politisch genähert. [49] Das war vielleicht der Grund, warum A. so schnell und gut den Wunsch Ciceros erfüllte. Denn daß hier unser A. gemeint ist, ergibt sich schon aus der Zeit (A. Kordylion war tot) und wird allgemein angenommen (Zeller, Susemihl, v. Arnim). Auffallend ist nur der Beiname Calvus. Aber eine Anspielung auf ihn und den Anlaß (die Kahlköpfigkeit seines Trägers) enthält nach Cichorius’ sogleich zu erwähnender Vermutung das Apophthegma Octavians bei Plutarch II 207 C nr. 7. Vielleicht verdankt A. ihm die Verleihung des römischen Bürgerrechts durch den Großoheim seines Schülers.
Ebenfalls nur auf Vermutungen beruhen die folgenden Zeitansätze. Plutarch bemerkt im Leben des Poplicola c. 17f.: Τοῦτον τὸν ἄνδρα Μούκιον ὁμοῦ τι πάντων καὶ Σκαιόλαν καλούντων Ἀ. ὁ Σάνδωνος ἐν τῷ πρὸς Ὀκταυίαν τὴν Καίσαρος ἀδελφὴν καὶ Ὀψίγονον ὠνομάσθαι φησίν. Cichorius a. a. O. vermutet eine Trostschrift an Octavia beim Tode des Marcellus im J. 23. Aber ich glaube, daß A. damals nicht mehr in Rom war, und Cichorius selbst kann die Beziehung des Ὀψίγονος auf Marcellus nicht erklären. Nun starb kurz vor 40 C. Claudius Marcellus, der erste Gemahl der Octavia (Drumann I² 309, 3 und II 336, 7) und nach Cass. Dio XLVIII 3, 3 hinterließ er sie schwanger. Der Gedanke an das noch ungeborene Kind mag die Trauer der edlen Frau vermehrt haben. So erinnert der Tröster sie an Mucius Scaevola, der auch ein Nachgeborener gewesen und doch ein trefflicher Mensch geworden sei. Jedenfalls erscheint er hier als der Seelenarzt der Familie Octavians. Später nahm bekanntlich sein Schulgenosse Areios Didymos diese Stellung ein (Diels Doxogr. Gr. 81ff.). Wie hoch diesen Octavian schätzte, geht aus den Ehrenbezeigungen hervor, die er ihm bei seinem Einzug in Alexandreia erwies. Die Freundschaft muß danach schon einige Jahre bestanden haben. Aber sie wird später fallen als die mit A. Dieser ist beträchtlich älter als Areios, der etwas vor 70 geboren zu sein scheint (Susemihl II 252, 99), während A.s Geburt wohl vor das J. 90 fällt (s. o.). Nach Sueton, Augustus 89 trat er erst nach dessen Aufenthalt in Apollonia (deinde) zu Octavian in Beziehung. Sein Lehrer im Sinne des Erziehers war er nach dieser Stelle nicht. Octavian hat vielleicht dem milderen Eklektizismus des Areios (s. Diels 83) den Vorzug vor der größeren Wissenschaftlichkeit A.s gegeben. Daß er trotzdem seinen Lehrer bis zuletzt in hohen Ehren hielt, ist verschiedentlich bezeugt und wird noch belegt werden.
Trotzdem bestand wohl eine gewisse Nebenbuhlerschaft zwischen den beiden Männern. Plutarch bringt II 207 B folgendes Apophthegma (5) des Kaisers Augustus: Ἐν δὲ Σικελίᾳ Ἄρειον ἀντὶ Θεοδώρου κατέστησε διοικητήν· ἐπιδόντος δέ τινος αὐτῷ βιβλίον, ἐν ᾧ γεγραμμένον ἦν ,φαλακρὸς ἢ κλέπτης Θεόδωρος ὁ Ταρσεύς· τί σοι δοκεῖ‘. Cichorius nimmt mit Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf φαλακρός und ὁ Ταρσεύς an, daß Θεόδωρος beidemal für Ἀθηνόδωρος verschrieben, sei und erklärt das δοκεῖ als eine witzige Ablehnung der Frage. Mir scheint aber die Überlieferung auch sonst fraglich. Statt τί erwartet man πότερον. Die Gegenüberstellung [50] von ,kahl‘ und ,Dieb‘ erscheint sinn- und witzlos. Außerdem läßt der Ambrosianus φαλακρὸς ἢ fort. Nun bedeutet das Zeitwort calvi ,betrügen‘, ursprünglich ,kahl machen‘, im Griechischen φαλακράω ,kahl sein‘, φαλακρόω ,kahl machen‘. Vielleicht stand also im Texte: φαλακρῶν Ἀ.; τί σοι δοκεῖ; dazu am Rand das Glossem φαλακρὸς ἢ κλέπτης, das dann ganz oder z. T. das (φαλακρῶν verdrängte. Dann ist alles in Ordnung. Die Antwort bleibt ebenso zweideutig wie die Frage [noch fraglicher als bei diesem Apophthegma ist die Überlieferung bei der Frage, die nach Plut. quaest. conv. II 13 (634 F) der boshafte Timagenes an A. richtete: εἰ μουσικὴ ἡ προστας* φιλοστοργία (so die Hs.). Die Ausgaben schreiben φυσική und πρὸς τὰ ἔκγονα. Das ist recht gewaltsam und gibt keinen erkennbaren Witz. Vielleicht προστάτου (ist die zärtliche Liebe zu einem princeps eines Philosophen würdig?) oder noch schärfer προστάδος (= Vorzimmer und Frauenzimmer)].
Wir sehen daraus, daß Octavian A. zum Verwalter seines oder eines Krongutes in Sizilien gemacht hat, gewiß erst nach Besiegung des Sextus Pompeius im J. 36. Wann er ihn durch Areios ersetzt hat, wissen wir nicht, wahrscheinlich erst nach dem J. 30. Auch den Grund kennen wir nicht. Unehrlichkeit halte ich für ausgeschlossen. Cass. Dio LII 36, 4 läßt Mäzen zum Kaiser sagen: καὶ Ἀρείου καὶ Ἀθηνοδώρου καλῶν καὶ ἀγαθῶν ἀνδρῶν πεπείρασαι. Folgende Vermutung könnte Zeit und Anlaß aufklären.
Strabon berichtet XVI 21ff. von den Nabatäern in Arabien und setzt hinzu: Γενόμενος γοῦν παρὰ τοῖς Πετραίοις (Petra war der Sitz der Nabatäerkönige) Ἀ., ἀνὴρ φιλόσοφος καὶ ἡμῖν ἑταῖρος, διηγεῖτο κτλ. Das folgende hat also A. seinem Freunde mündlich berichtet, und zwar nach dem J. 29, in dem Strabon nach Rom kam (Christ Gr. Lit. II⁵ 314). Dieser hat sich wohl bei ihm nach Arabien erkundigt, weil er am Zuge des Aelius Gallus gegen dieses Land teilnehmen wollte. Nun berichtet er a. a. O., daß der Minister des Nabatäerfürsten, Syllaios, selbst mit 1000 Kriegern sich dem Zuge anschloß und wohl auch die Kamele mit den Wasserschläuchen stellte. Ich vermute also, daß A., der nach obigem in Petra war, dorthin geschickt wurde, um Verträge darüber mit dem Syllaios zu schließen und Erkundigungen über Land und Leute einzuziehen. Als Geograph war er dazu geeignet. Das hätte etwas vor dem Zuge, also vor dem J. 25, geschehen müssen. So würde sich seine Abberufung von Sizilien erklären. Es wäre ein Vertrauensbeweis des Kaisers gewesen.
Einen solchen enthält auch die von Cass. Dio LVI 43 erzählte Anekdote. A. ließ sich einmal in einer geschlossenen Sänfte wie eine Frau zum Schlafgemach des Kaisers tragen, sprang mit einem Schwerte gerüstet heraus und sagte zu ihm: ,Fürchtest Du nicht, daß einer, der so bei Dir eintritt, Dich töten könnte?‘ Der Kaiser habe ihm keineswegs gezürnt, sondern sogar Dank gewußt.
Trotzdem mußte sich A. neben Areios überflüssig fühlen. Damit möchte ich die Erzählung in Plutarchs siebenten Apophthegma des Augustus (207 C) in Verbindung bringen. Als A. (den Kaiser) bat, ihn wegen seines Alters in die Heimat [51] zu entlassen, gewährte er es ihm. Beim Abschiedsbesuche sagte nun A.: ,Wenn Du in Zorn gerätst, o Kaiser, sage und tue nichts, bevor Du die 24 Buchstaben des Alphabetes bei Dir durchgegangen bist!‘ Da ergriff dieser seine Hand und rief: ,Ich habe Dich noch nötig!‘ (Dieselbe Anekdote, leise abgewandelt, in den Excerpta Planudea [Dindorf Cass. Dio V 234].) Und er behielt ihn noch ein ganzes Jahr bei sich, indem er hinzufügte: Ἔστι καὶ σιγῆς ἀκίνδυνον γῆρας. Der von A. erteilte Rat kann kein abgedroschener gewesen sein; sonst hätte er keinen Eindruck gemacht. [In den Diatriben über den Zorn findet er sich nicht. Aber er gehört zu dem Topos des Zeitnehmens (vgl. Ringeltaube Quaest. ad vet. philos. de effect. doctr. pertinentes, Götting. Diss. 1913, 90).] Er setzt voraus, daß Augustus über das Abschiedsgesuch in Zorn geriet; dieser sah wohl mit Recht in der Berufung auf das Alter nur einen Vorwand und erkannte den wahren Beweggrund. Aber bei seinem Jähzorn doch leicht versöhnlich (s. das Planudesexzerpt!), wurde er schnell durch die Weisheit des Mannes versöhnt. Wenn er seiner ehrenvollen Bitte den Simonidesvers hinzufügt, so soll das heißen: Du hast die wichtigste Tugend eines kaiserlichen Vertrauten bewährt, die Verschwiegenheit.
Bekanntlich zitiert Horaz in der zweiten Römerode (v. 25) denselben Vers und in ähnlichem Zusammenhang. Nach den Mahnungen an Jugend und Mannesalter wendet er sich an die bejahrten Ratgeber des Kaisers: Est et fideli tuta silentio merces. Das sieht wie eine Anspielung auf die dem Dichter sicher bekannte Szene zwischen Augustus und A. aus. Jeder, der von ihr wußte, mußte an sie bei der Dichterstelle denken. So war das Zitat eine Mahnung im Sinne des Kaisers und zugleich eine Huldigung für ihn. Das Gedicht fällt etwa in die J. 27/6. In dieser Zeit muß auch der Vorgang gespielt haben.
Augustus hat dann A. noch ein Jahr, etwa bis 25, bei sich behalten und ihn darauf in die Heimat entlassen, wohl weil er einsah, daß seine Stellung neben Areios nicht haltbar sei. Er erwies ihm aber dieselbe Ehre, die er dem Areios in dessen Heimat Alexandreia zugedacht hatte, er gab ihm die Vollmacht, die zerfahrenen Verhältnisse in Tarsos zu ordnen. Schuld an ihnen war eine Kreatur des Antonius. Auch daraus darf man schließen, daß die Sendung A.s nicht allzulange nach 30 geschah. Wie weise, mit welcher Zurückhaltung zuerst, mit wieviel Tatkraft und Humor zuletzt der Alte seine Aufgabe löste, erzählt Strabon a. a. O., und Ps.-Lukian (Macrob. c. 21) fügt hinzu, daß er der Stadt eine Steuererleichterung bringen durfte, auch ein Freundschaftsbeweis des Kaisers für seinen alten Lehrer. Seine Mitbürger ehrten ihn dafür alljährlich als Heros (vgl. R. Herzog Nikias und Xenophon v. Kos, Histor. Ztschr. CXXV 207, 2). Eusebios (Arm.) chr. II 146 Sch. bemerkt zu Ol. 197, 1 = 9 n. Chr.: A. Tarsensis philosophus physicus (Stoicus?) cognosebatur (ebenso Hieronymus, vgl. Susemihl 249, 64). Aber auch als Todesjahr wäre dies Datum zu spät. Da er nach Ps.-Lukian 82 Jahre alt wurde, wäre er danach 73 v. Chr. geboren und nur 10 Jahre älter als [52] sein Zögling. Nimmt man dagegen an, daß er im J. 45 beim Antritt seiner Stelle bei Octavian 40 Jahre alt gewesen sei, so würde er etwa 85 geboren und im J. 3 v. Chr. gestorben sein. Im Jahr seiner Heimkehr (25) wäre er 60 Jahre alt gewesen, also ein senex, wie er sich bezeichnete.
II. Schriften. Wo als Verfasser A. ohne Zusatz genannt wird, ist in den meisten Fällen an unseren zu denken (vgl. Zeller IIIa 607 Anm.).- 1. Logische,
- a) Diogenes Laertios teilt VII 68 mit, daß Chrysipp und mehrere jüngere Stoiker ἁπλᾶ und οὐχ ἁπλᾶ ἀξιώματα unterschieden haben, darunter auch ein A.
- b) Simplicius erwähnt zu Arist. kategor. 1627 (Arist. Schol. Br. S. 47 b 20): Ἀ. ἐν τῷ πρὸς τὰς Ἀριστοτέλους Κατηγορίας ἑπιγεγραμμένῳ βιβλίῳ. Nach derselben Stelle hat Cornutus, der Stoiker unter Nero, später (ἐπέγραψε) ein Buch Πρὸς Ἀ. καὶ Ἀριστοτέλην verfaßt. Hier bemängeln sie einstimmig von ihrer stoischen Lehre aus die Einteilung der Kategorien wegen ihrer großen Zahl. Umgekehrt tadelten nach Simpl. 57, 15ff. einige jüngere Kommentatoren (Neupythagoreer) Aristoteles, daß seine Einteilung des ποσόν unvollständig sei: ἔδει γὰρ μετὰ τὸν ἀριθμὸν καὶ τὸ μέγεθος τρίτον εἶδος τάττειν τὸ βάρος ἢ τὴν ῥοπήν, ὡς Ἀρχύτας καὶ ὡς ὕστερον Ἀ.. Diese beachtliche Bemerkung rührt wohl von A.; denn Archytas stammt vermutlich aus einer gefälschten Schrift (die Stelle fehlt daher bei Diels Vors. nr. 35). Auch Porphyrios bemerkt 48 b 10ff., daß A. und Cornutus die Zahl der aristotelischen Kategorien sowohl für zu groß als andrerseits für unvollständig erklärten. — Da Kordylion schon vor 70 v. Chr. Vorsteher der pergamenischen Bibliothek war, ist ihm eine Beschäftigung mit den aristotelischen Kategorien weniger zuzutrauen als unserem A.
- 2. Physikalische. Strabon verweist I 6 (und 55) auf die ausführlichere Erörterung περὶ τοῦ ὠκεανοῦ καὶ τῶν πλημμυρίδων εἰς Ποσειδώνιον καὶ Ἀ.. Der letztere muß daher über sie wesentlich dasselbe wie jener gelehrt haben. Wahrscheinlich schrieb er einen Kommentar zu dem Werke seines Lehrers über den Ozean. Als Besonderheit erwähnt Strabon III 173, daß er Ebbe und Flut mit dem Ein- und Ausatmen verglich. Es hängt das wohl mit der Auffassung der Welt als eines Lebewesens zusammen, die Poseidonios mit Chrysipp teilte (II 533 Arn.) Wie viel auch an Abweichungen von Poseidonios Strabon seinem Freunde A. verdankt, läßt sich nicht feststellen. Die Stelle I 61 über den Wert der Kenntnis von den Ursachen der Erdumwälzungen für die ἀθαυμαστία möchte ich auf ihn zurückführen, da dieser Gedanke zu den τόποι der Euthymieschriften gehört (s. o.).
- 3. Ethische.
- a) Περὶ εὐθυμίας. Nachdem Seneca de tranq. an. in c. 2 die Dysthymie geschildert hat, fährt er c. 3 fort: Adversus hoc taedium ... optumum erat, ut ait A. usw. Daraus ergibt sich, daß das folgende längere Zitat aus einer Euthymieschrift des A. stammt. Das wird sofort durch eine Anspielung (communia privataque pro facultate administrans) auf das frg. B 3 D., mit dem Demokrit seine Euthymieschrift begann und von dem auch Plutarch π. εὐθυμ. c. 2 ausgeht, bestätigt, c. 7, 2 wird wieder [53] ein Ausspruch A.s zitiert. Weiter erscheinen in c. 17, 4ff. Gedanken, die mit solchen aus A.s Schrift π. σπουδῆς καὶ παιδιᾶς übereinstimmen (vgl. C. Hense Ein Fragment des Ath. v. Tarsos, Rh. Mus. LXII 313ff.). O. Hense (Rh. Mus. XLIX 174f.) hatte schon vorher die Ansicht geäußert, daß A. zu den Quellen der Senecaschrift gehört. Das bestätigt sich bei ihrer näheren Untersuchung. Genaueres an anderer Stelle. Daß diese Euthymieschrift auf einem Vortrage (σχολή) beruht und vor das J. 48 fällt, ist oben gezeigt. Sie schließt sich wohl eng an des Panaitios’ π. εὐθυμίας. [Der Rat des A. bei Sen. Br. 10, 5: ,Bitte Gott um nichts, um das du nicht öffentlich bitten könntest‘ stammt vielleicht aus der Euthymieschrift. Oder aus einem Traktate über Gebete? (vgl. Iuven. sat. 10, wo beide Themen verbunden sind).]
- b) Der Kommentar zu Panaitios περὶ καθήκοντος. Über die Zeit seiner Abfassung und deren Anlaß ist oben gesprochen. Nach ad Att. XVI 11, 14 hat sich Cicero kurz vor dem 5. Nov. τὰ κεφάλαια bei A. bestellt, d. h. in diesem Zusammenhang die Hauptpunkte der Pflichtenlehre des Panaitios. Wenn es weiter heißt: In eo est περὶ τοῦ κατᾶ περίστασιν καθήκοντος, so bedeutet das: In diesem Kommentar ist ein Abschnitt über die den Umständen gemäße Pflicht. Aus dem III. Offizienbuche ergibt sich, daß damit die Pflichten beim scheinbaren Widerstreit zwischen Sittlichkeit und Nutzen gemeint sind. Diesen Teil hatte Panaitios zwar versprochen, aber nicht geliefert, Poseidonios nur kurz behandelt. Mit Recht hat daher R. Hirzel Untersuch. z. Cic. Schriften II 722—736 gefolgert, daß die Quelle des III. Offizienbuches diese Schrift A.s ist, die Cicero ebd. 14, 4 nach ihrem Empfang ein satis bellum ὑπόμνημα nennt. Da diese Gelegenheitsschrift nicht zur Herausgabe bestimmt war, konnte Cicero behaupten, er habe das III. Buch suo Marte verfaßt. Aber auch die Anhänge des I. und II. Buches über den von Panaitios ebenfalls nicht besprochenen Widerstreit der Sittlichkeits- und der Nützlichkeitspflichten je untereinander beruhen auf dieser Unterlage. Das alles muß an anderer Stelle bewiesen werden. Über den ethischen Standpunkt A.s gewinnen wir aus diesem Teil der Offizien Aufschluß; er stimmt vielfach mit Senecas de tranqu. überein.
- c) Περὶ σπουδῆς καὶ παιδιᾶς (Athen. XII 519 b); s. unter a.
- d) Diog. Laert. VII 121 berichtet, daß ein A. wie seine Landsleute Antipater und Herakleides die ἁμαρτήματα (im Gegensatz zu der Altstoa) für ἀνίσα erklärt habe. Es handelt sich wohl um unsern A.; Kordyllion, der Freund Catos, vertrat sicher die strengere Ansicht. Die Schrift, in der er dies geäußert hat, wird nicht genannt.
- e) Die Trostschrift an die Octavia (Plut. Poplic. c. 17f.); s. o.
- 4. Philosophie-geschichtliche Περίπατοι. Bei Diog. Laert. wird viermal das VIII. Buch der Περίπατοι eines A. ohne weiteren Zusatz angeführt. Es handelt sich um Einzelzüge aus dem Leben Platons (III 3; wenn wahr, nicht unwichtig für dessen Verhältnis zu Athen und Dion), des Kynikers Diogenes (V 36), Theophrasts (VI 81) und Demokrits (IX 42). Zeller IIIa⁴ 652, 1 (und [54] 607 Anm.) ist geneigt, diese Schrift dem Rhodier A. zuzusprechen, den Quintil. inst. II 17, 15 neben Kritolaos und (dem Akademiker) Haimon als Gegner der Rhetorik anführt und den er wie Kritolaos zur peripatetischen Schule rechnet (was auch nicht sicher ist). Ihm stimmt Susemihl II 241, 69 u. 322, 421 bei. Dagegen hält ihn v. Arnim a. a. O. nr. 20 für unsern A. Περίπατοι braucht nicht auf die peripatetische Schule zu weisen; es bedeutet wohl Gedanken oder Gespräche (vermischten Inhalts) beim Lustwandeln. Da der Laertier auch in dem Berichte über die Stoa zweimal A. ohne Zusatz und dort sicher unsern Stoiker anführt, meint er wohl immer und so auch hier diesen; bemerkenswert ist die Wertschätzung Demokrits, die dem Urteile des Panaitios und Poseidonios entspricht. Die beiden Erzählungen, die dessen Überlegenheit über Hippokrates beweisen, rücken den Verfasser nahe an den der sog. Hippokratesbriefe (s. Rh. Mus. 1928, 321f.).
A. steht auf dem Standpunkte der mittleren Stoa. Dafür spricht seine Leugnung des altstoischen Paradoxon von der Gleichheit aller sittlichen Verfehlungen, ebenso die relative Wertung der imperfecta sapientia und dermedia officia. (Off. III 13ff.); es ist die ,doppelte Moral‘ des Panaitios (nach Hirzel) und wohl auch des Poseidonios. Daß er in der Physik auf den Spuren dieses wandelt, ergibt sich in der Zusammenstellung beider Männer in der Lehre vom Ozean und den Gezeiten bei Strabon. Ob der Vergleich der Gezeiten mit dem Aus- und Einatmen eine eigentümliche Auffassung des Vorganges bedeutet, läßt sich nicht sagen, auch nicht ob der Widerspruch Strabons dort (III 172f.) gegen die nüchterne Erklärung der aussetzenden Quellen in Gades seitens Poseidonios auf A. zurückgeht. Mit jenem (und der Altstoa) stimmt er auch darin überein, daß er nach Off. I 153 eine Rechtsgemeinschaft zwischen Menschen und Göttern annimmt, die von Panaitios nicht erwähnt wird.
Im III. Buche der Off. vertritt er öfter gegen ältere Stoiker, also auch gegen den Panaitiosschüler Hekaton selbständig, aber im Geiste der beiden großen Mittelstoiker den Standpunkt der Humanität gegen den der Nützlichkeit (z. B. III 89).
Selbständig versucht er auch zwischen entgegengesetzten Schulmeinungen zu vermitteln. Panaitios hatte der actio vor der cognitio den Vorzug gegeben. Poseidonios urteilte umgekehrt, wie in seiner Telosformel das θεωρεῖν dem συγκατασκευάζειν vorausgeht. In Off. 133 wird die Weisheit zwar die (der Zeit nach) erste (princeps) Tugend, die Gemeinschaftstugend aber die größte genannt. Denn — und das kommt gewiß auf A.s Rechnung — der Hauptgegenstand der Erkenntnis sei die Gemeinschaftspflicht.
Chrysipp und seine Nachfolger hatten die alte Telosformel ,naturgemäß leben‘ als die vernünftige Auswahl des Naturgemäßen oder der Πρῶτα κατὰ φύσιν erklärt; dem hatte schon Panaitios eine andere Wendung gegeben und Poseidonios [55] diese Definition als unsittlich verworfen. In den Off. III 13 wird das convenienter naturae vivere definiert: cum virtute congruere semper cetera autem, quae secundum naturam essent, ita legere, si ea virtuti non repugnarent. Wieder ein Vermittlungsversuch, diesmal zwischen Alt- und Mittelstoa.
A. ist somit zwar kein hervorragender Denker, der neue Wege geht — einen Teil seiner Schriften bilden Kommentare zu solchen des Panaitios und Poseidonios — aber doch ein Philosoph von wissenschaftlichem Gepräge, wie seine Beschäftigung mit der Geophysik, seine Kritik der aristotelischen Logik, seine ethischen Untersuchungen und seine philosophengeschichtlichen Studien beweisen. Noch Seneca hat ihn gelesen und benutzt. Caesar hat ihn zum Lehrer seines Erben gemacht.
Letzteres spricht für seinen Wert als Mensch. Den bezeugt auch die dauernde Freundschaft des Augustus und dessen Ausspruch über seine Zuverlässigkeit. Den humanen Sinn, den seine Lehre kennzeichnet, scheint er auch im Leben bewährt zu haben. Auch Geschäftstüchtigkeit wird ihn ausgezeichnet haben. Sonst hätte ihn der Kaiser nicht mit verschiedenen Aufgaben betraut. Aus der Art, wie er zuletzt in seiner Heimat durchgreift, erkennen wir es. Und hier tritt auch sein Humor hervor. Ihn und den Freimut hat wohl Augustus an ihm geschätzt, dem sonst vielleicht die etwas flachere Gelehrsamkeit des Areios bequemer war.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Band R (1980) S. 53 | |||
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