Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Beiname des Mars
Band VII,2 (1912) S. 16881690
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Gradivus. Beiname des Mars. Die Mehrzahl der bei Serv. Aen. III 35 und Fest. 97 M. angeführten Erklärungsversuche leiten den Namen von grădi ab. Auch viele von den heutigen Erklärern deuten G. = ,Schreiter‘ (z. B. Curtius Grdz.5 703). Verstärkt wird nach ihnen diese Erklärung dadurch, daß die palatinischen Salier, nach Liv. I 20, 4 von Numa als Priesterschaft des Mars G. eingesetzt, mit ihren Umzügen und Reigentänzen das Wesen des ,schreitenden‘ Gottes darstellen sollten. Dieser, bei den alten Erklärern übrigens nirgends begegnende Hinweis ist jedoch wenig beweiskräftig, da bei den Salierumzügen gerade der Tanz das Bemerkenswerteste war (Liv. a. a. O. Varro de l. l. V 85. Dion. Hal. II 70. Plut. Num. 13. Diomed. p. 476 ed. Keil sagt zwar: Numam Pompilium divina re praeditum hunc pedem [sc. spondeum] pontificium appellasse memorant, cum Salios iuniores aequis gressibus circulantes induceret et spondeo melo patrios placaret indigetes, doch ist das eine offenbare Erfindung, ebenso wie die Angabe desselben Grammatikers p. 477, daß der Iambus dem G. geheiligt gewesen sei). Dieser, den plumpen, stampfenden Sprüngen, mit denen die Walker das Zeug in der Grube bearbeiteten, nicht unähnliche Tanz (Sen. ep. 15, 4; vgl. Mau Pomp. 413) war doch eine wesentlich andere Bewegung, als die mit gradi zu bezeichnende. Schwerer aber fällt ins Gewicht, daß G. fast ausnahmslos mit langem a gebraucht wird, während der Vokal in gradi kurz ist (Grădivus nur bei Ovid. met. VI 427 (7 mal Grād.). Val. Flacc. V 650. VI 602 (8 mal Grād.). Sil. Ital. XV 15. 337 (24 mal Grād.). Dagegen hat z. B. Statius 20 mal Grādivus, nie Grăd.) Zwar sind Schwankungen in Eigennamen nicht unerhört (Kühner Gr. I 72. Corssen Ausspr.5 II 69. 517), doch ist hier die Zahl der Ausnahmen so verschwindend klein, daß von einer Schwankung kaum die Rede sein kann. Noch zweifelhafter als diese verbreitetste Ableitung sind die anderen bei Serv. und Fest. a. a. O. überlieferten, nämlich von gravis, κραδαίνω (ab hastae concussione) und von gramen. Letztere knüpft an die Sage von der wunderbaren Geburt des Mars an, nach der Iuno durch den Geruch einer Blume schwanger geworden [1689] sei und dann den Mars geboren habe (Ovid. fast. V 251ff. Usener Rh. Mus. XXX 216), woher denn auch die Sitte der Bekränzung mit der corona graminea stamme. Eine von den angeführten Ableitungen verschiedene Deutung des Namens G. gibt von den Neueren allein Bréal Les tables Eugub. 64ff. Er leitet G. von derselben Wurzel ab wie den auf den Iguvinischen Tafeln als Beinamen des Iuppiter, Mars und Vofionus auftretenden Grabovius. Die gemeinsame Wurzel lautete nach Bréals Vermutung ursprünglich gradh oder grandh (vgl. grandis, grandire), aus ihr entwickelten sich die beiden Namen. Grabovius wie G. enthalte demnach eine Beziehung auf das Wachstum der Pflanzen und Tiere. Dieser Erklärungsversuch stützt sich, wie man sieht, auf die von verschiedenen Forschern (z. B. Roscher, Preller, Mannhardt) verfochtene Lehre, daß Mars ursprünglich eine Frühlings- oder Vegetationsgottheit sei. Auch diese Ableitung ist höchst zweifelhaft. Denn einerseits wird der umbrische Grabovius von anderen Forschern sprachlich in durchaus abweichendem Sinne gedeutet (vgl. Grassmann, Lassen, Pott, Kirchhoff bei Bréal a. a. O.), andererseits ist die Annahme, Mars sei eigentlich eine Naturgottheit, nichts weniger als sichergestellt (s. Wissowa Rel. d. Röm. 130f.). Jedenfalls wird für Mars G. ausdrücklich berichtet, daß diese Bezeichnung das kriegerische Wesen des Gottes bezeichnete, s. Serv. Aen. I 272: Mars enim cum saevit Gradivus dicitur, cum tranquillus est Quirinus ... aliud (sc. templum) in Appia via ... quasi bellatoris, id est Gradivi. Man wird sich also trotz aller Erklärungsversuche damit begnügen müssen, in G. einen dem kriegerischen Wesen des Gottes angemessenen Beinamen des Mars zu sehen. In der Sprache der Dichter wurde G. allmählich völlig gleichbedeutend mit Mars, so daß dieser Name auch für den griechischen Ares gebraucht wird, so z. B. häufig von Valerius Flaccus. Daher ist es nicht angängig, wie dies Roscher (Lex. II 2385) tut, aus Sil. Ital. IV 222: Gradivicolam celso de turre Tudertem auf eine besondere Kultstätte des G. in Tuder zu schließen (vgl. ebd. VIII 462, wo einfach Mars als Gottheit von Tuder genannt wird). Ebensowenig spricht das Vorkommen des Namens G. auf der poetischen Inschrift von Lambaesis CIL VIII 2581[1] für einen dortigen Kult des G. Inschriftlich begegnet G. verhältnismäßig selten, so CIL XIV 2580[2] (2581) auf einem Altar von Tusculum, wo es nach Serv. Aen. VIII 285 auch die Einrichtung der Salier gab, und III 6279, in Turnu Severinu, Rumänien. Ob die durch zahlreiche Inschriften (s. Wissowa Rel. d. Röm. 481) bezeugten Salierkollegien anderer Orte in Italien und den Provinzen ebenfalls dem Dienst des G. geweiht waren, ist nicht nachzuweisen, wenn auch wahrscheinlich. Über die den Hercules verehrenden Salier von Tibur s. Wissowa a. a. O. In Rom wurde, wie aus Serv. Aen. I 272 hervorgeht, G. in einem außerhalb der Stadt an der Via Appia gelegenen Tempel verehrt. Es ist dies wahrscheinlich das am 1. Juni 366 d. St von T. Quinctius geweihte Heiligtum vor der Porta Capena, von dem südlich gerichtete Kriegszüge und die transvectio equitum ausgingen (s. Richter Topogr. v. Rom 886).

[Boehm. ]

Anmerkungen (Wikisource)

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  1. Corpus Inscriptionum Latinarum VIII, 2581.
  2. Corpus Inscriptionum Latinarum XIV, 2580.