Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Bezeichnung d. britannischen Wagenkämpfer
Band VI,1 (1907) S. 684687
Bildergalerie im Original
Register VI,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|VI,1|684|687|Essedarius|[[REAutor]]|RE:Essedarius}}        

Essedarius wird der britannische Wagenkämpfer nach seinem Gefährt, dem essedum (s. d.) genannt, zuerst von Caesar, der auf seinen beiden Feldzügen nach Britannien 55 und 54 v. Chr. mit dieser Waffengattung Bekanntschaft machte und uns eine Beschreibung ihrer Kampfweise gegeben hat, bell. Gall. IV 33. Danach besteht die Taktik der E., die in Verbindung mit den Reitern hauptsächlich gegen Kavallerie verwendet wurden (IV 24. V 15), darin, den [685] Feind, und namentlich seine Pferde, durch geräuschvolles Hin- und Herfahren und durch Geschoßsalven einzuschüchtern und in Unordnung zu bringen. Wenn es ihnen dann gelungen ist, sich in die Zwischenräume der feindlichen Schwadronen einzudrängen, springen sie von ihren Wagen ab und kämpfen zu Fuße weiter: ita mobilitatem equitum, stabilitatem peditum in proeliis praestant. Daß sie auch zu Fuß dem Reiter überlegen sind, wiederholt Caesar V 16 pedibus dispari (d. h. in für sie günstigem) proelio contendunt. Ihre Spezialität besteht darin, daß sie auf der Deichsel vorlaufen, sich auf das Joch stellen und dann sich schleunigst wieder in den Wagen zurückziehen. Den Zweck dieses Manövers verschweigt Caesar; der E. wird von dort aus, wo er freien Raum für den Schwung des Armes hatte, seinen Wurfspeer entsandt haben, gerade wie der skythische Knabe seine Wurfkeule bei Val. Flacc. VI 83 puer e primo torquens temone cateias (vgl. Iuven. IV 126). Der E. hat bei sich im Wagen einen Rosselenker (auriga). Dieser hat es durch tägliche Übung zu einer großen Fertigkeit im Fahren gebracht, so daß er es versteht, die Pferde in vollster Gangart auch auf abschüssigem Gelände kurz zu parieren oder zu wenden. Während sein Gefährte zu Fuß kämpft, fährt er langsam aus dem Gefecht zurück und wählt seinen Aufstellungspunkt so, daß sich jener, wenn er in Bedrängnis gerät, leicht zu ihm zurückziehen kann (IV 33). Nach Caesars Angabe (V 19) verfügte Cassivellaunus noch gegen Ende des Krieges über die stattliche Zahl von etwa 4000 E. 130 Jahre später hat es des Tacitus Schwiegervater Agricola noch mit derselben feindlichen Waffe zu tun, Tac. Agr. 35, wo die Bezeichnung covinnarius eques an die Stelle von E. getreten ist. Doch erscheint jetzt ihre taktische Bedeutung im Verhältnisse zur Caesarianischen Zeit abgeschwächt, Tac. Agr. 12 in pedite robur; quaedam nationes et curru proeliantur. Neu und auffallend ist der Zusatz: honestior auriga; clientes propugnant. Der auriga war also wohl Angehöriger des Ritterstandes (daher der Ausdruck covinnarius eques) und zugleich Eigentümer des Geschirres und erkor sich einen seiner Hörigen zum propugnator. Wenn Diodor V 21, 5 die Helden der Ilias zum Vergleiche heranzieht, so hat er wohl nur ihre ähnliche Kampfesweise zu Wagen im Sinne, nicht das Verhältnis von Streiter (παραβάτης) und Wagenlenker, das ja dort umgekehrt war, ebenso wie bei den gallischen Wagenkämpfern, von denen er V 29 ausdrücklich sagt: ἐπάγονται δὲ καὶ θεράποντας ἐλευθέρους ἐκ τῶν πενήτων καταλέγοντες. οἷς ἡνιόχοις καὶ παρασπισταῖς χρῶνται κατὰ τὰς μάχας. Übrigens stimmt die Kampfweise dieser gallischen E. mit der britannischen namentlich in dem Hauptpunkte überein: σαυνιάζουσι τοὺς ἐναντίοῦς καὶ καταβάντες τὴν ἀπὸ τοῦ ξίφους συνίστανται μάχην, während ihre Prahlerei bei der Herausforderung zum Kampfe an das naive Gebaren der Homerischen Helden erinnert. Der Verlockung, die, wenn auch veraltete, so doch ritterliche und durch die Verbindung des equestrischen und pedestrischen Elementes reizvolle Kampfesweise der E. und damit gleichsam iliadische Kriegsszenen dem römischen Publikum auf der Arena vorzuführen, haben die Eroberer [686] Britanniens nicht widerstehen können. Daß dies bereits durch Caesar geschehen sei, ist, wenn auch nicht beweisbar, so doch in hohem Grade wahrscheinlich wegen der Anspielungen, die Cicero bereits 54 v. Chr., also ein Jahr nach der ersten britannischen Expedition, auf die E. macht, ad fam. VII 6, 2 und namentlich 10, 2, wo allerdings beide Male die wirklichen britannischen Wagenkämpfer gemeint sind, aber der Ausdruck spectare essedarios wohl nicht ohne Beziehung auf ein von Caesar veranstaltetes Spectaculum mit E. gebraucht ist. Die britannischen Kriege unter Claudius und Nero werden die Teilnahme an dem amphitheatralischen Auftreten der E. wieder besonders angeregt und den Bezug von eingeborenen Britannen für diesen Zweck erleichtert haben, Suet. Claud. 21. Senec. epist. 29 (aus dem Ausdrucke de gradu ist zu schließen, daß auch auf der Arena ein Teil des Gefechtes zu Fuß ausgeführt wurde). Petron. 36 wird ein Fleischtrancheur (scissor) wegen seiner lebhaften Gestikulation mit einem essedarius hydraule cantante pugnans verglichen, was auf die nach dem Takte der Musik ausgeführten Fechtbewegungen des E. beim Scheingefechte (s. Prolusio) geht. Die Erwähnung einer mulier essedaria Petron. 45 steht gewiß in Beziehung zu der Tatsache, daß bei den Britannen auch Frauen den Kriegswagen bestiegen (Tac. ann. XIV 35 Boudicca im J. 61 n. Chr.); s. Friedländers Anmerk. z. d. St. u. S.-G. II6 534. Daß die E. in der Arena nicht anderen Waffengattungen gegenübergestellt wurden, sondern gegeneinander kämpften, schließt P. J. Meier De gladiatura Rom. (Bonn 1881) 43 aus zwei inschriftlichen Verzeichnissen. Die auftretenden E. waren nicht immer britannische Originale; auch Gladiatoren anderer Nationalität ließen sich in dieser Fechtart ausbilden, CIL XII 3323[1] natione Graecus. 3324 nat. Arabus (sic!), beide Inschriften aus Gallia Narbonensis. S. auch den Artikel Assidarius, wo noch hinzuzufügen ist Artemid. II 32. Soweit fremdartige Namen begegnen, kann ersteres vermutet werden, z. B. Suet. Calig. 35 Porius, der seinen Sklaven mit der Freiheit beschenkt, gewiß weil er ihm mit zum Siege verholfen hat, ob als Fechter oder als Lenker, läßt sich wegen der unklaren Beziehung des Wortes pugna nicht mit Bestimmtheit sagen, Lipsius Saturn, serm. II 12 und Lafaye in Daremberg et Saglio Dict. de ant. II 817. Garrucci Graffiti p. 63 die Inschrift eines Essedarius M. Bostorius. Der E. mit dem römischen Namen C. Iulius Iucundus auf der Grabinschrift aus der Zeit des Tiberius CIL VI 4335[2] kann auch ein Wagenbauer sein, was ja das Wort E. ebenfalls bedeuten kann. Marquardt Privatleb. 706. Sonstige inschriftliche Erwähnungen von E. z. B. CIL III 8419[3] (?Narona). IV 2508 Z. 7. 26 (Pompeii). VI 631 (2 E. veterani der kaiserl. familia gladiatoria 177 n. Chr.). 33 952 (Rom). IX 466 (Venusia). Mau Röm. Mitt. V 1890, 25ff. Auch in Griechenland, CIG 2164 (Thasos). 2889 (Milet). Zu der Glosse: essedarius mulio vehiculi Corp. gloss. lat. VI 400 vgl. Martial. XII 24, 8. Im übrigen s. den Art. Gladiatores. In gewissem Sinne ist dem E. der griechische Ἀποβάτης (s. d.) vergleichbar, der ja auch bei seinem freilich unblutigen Agon mit einem ἡνιόχος zusammenarbeitete [687] und vom Wagen abspringend eine Strecke zu Fuß durchlief.

Anmerkungen (Wikisource)

Bearbeiten
  1. Corpus Inscriptionum Latinarum XII, 3323.
  2. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 4335.
  3. Corpus Inscriptionum Latinarum III, 8419.