Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Agonisten
Band I,2 (1894) S. 2814 (IA)–2817 (IA)
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Ἀποβάτης,[WS 1] der Abspringer. Insbesondere heissen so jene Agonisten, die als παραβάται (s. d.) eines Kriegswagens mitten im Fahren vom Wagen abzuspringen und eine Strecke zu Fuss um die Wette zu laufen hatten; vgl. Dion. Halic. A. R. VII 73 (vom römischen Apobatenagon, der aber in allen Einzelheiten dem griechischen nachgebildet gewesen sein soll): ὅταν γὰρ τέλος αἱ τῶν ἵππων ἅμιλλαι λάβωνται, ἀποπηδῶντες ἀπὸ τῶν ἁρμάτων οἱ παροχούμενοι τοῖς ἡνιόχοις, οὓς οἱ ποιηταί μὲν παραβάτας, Ἀθηναῖοι δὲ καλοῦσιν ἀποβάτας, τὸν σταδιαῖον ἁμιλλῶντας δρόμον αὐτοὶ πρὸς ἀλλήλους. Ein leider nicht ganz klares Bild des Agons giebt ein Krater des Wiener Hofmuseums, De la Borde Vases Lamberg I T. 85 (Sacken-Kenner, Wiener Münz- u. Antikencabinet 231 nr. 184); hier ist der Apobat eben vom linkshin fahrenden Wagen abgesprungen und scheint nach der entgegengesetzten Seite laufen zu wollen. Andere hierher gehörige Denkmäler zeigen stets nur den Moment des Absprungs (s. u.). Immer sind die ἀ. nackt, nur mit Schild und buschigem Helm ausgerüstet, vgl. Eratosth. Cataster. 13; die Kriegswagen sind immer vierspännig, nur bei den Agonen in Larisa (s. u.) wird eine συνωρὶς τοῦ ἀποβάντος, also wohl ein Zweigespann erwähnt; nach Harpokration s. ἀποβατικοὶ τρόχοι sollen die Räder dieser Wagen besonders construiert gewesen sein, um den Absprung zu erleichtern.

In welcher Weise der Agon geregelt war, lässt sich den überlieferten Nachrichten nicht mit Sicherheit entnehmen. In den Siegerkatalogen [2815] wird neben dem ἀ. meist auch ein siegreicher ἡνίοχος ἐγβιβάζων (s. d.) genannt, vgl. Bekker Anecd. I 198 (ἀποβατικὸς ἡνίοχος) und die Inschriften von Larisa, Archives des missions scientif. III Ser. III (1876) 310, wo neben dem Sieger ἀποβατικω ein anderer τῇ δὲ συνωρίδι τοῦ ἀποβάντος verzeichnet ist. Verwirrt ist die Nachricht bei Bekker Anecd. I 198, 11 (426, 30), wonach die Lenker selbst während des Fahrens aufgestiegen und dann wieder abgestiegen sein sollen. Wenn andrerseits vom Apobatenagon berichtet wird (Etym. M. 124, 34. Bekker Anecd. 426, 30): ἧν τὸ ἀγώνισμα πεζοῦ ἅμα καὶ ἱππέων (lies ἵππων), so kann es zweifelhaft erscheinen, ob Wagenlenker und ἀ. jeder getrennt auf eigene Faust, oder beide gemeinschaftlich als ein Paar den Agon durchkämpften. Letzteres muss als das wahrscheinlichste gelten, wenn wir das enge Verhältnis ins Auge fassen, welches im Kriegsleben (dem die Apobatenübung nachgebildet ist) zwischen dem Wagenlenker und seinem παραβάτης besteht. Da es eine wesentliche Aufgabe des Lenkers war, das Abspringen des ἀ. zu erleichtern, so muss auch anderweitig sein Interesse mit dem des Springers innig verkettet gewesen sein; auch scheint das Hauptgewicht des Agons weniger auf das Fahren der Gespanne, als auf den Wettkampf der ἀ. zu fallen. Wenn aber Diogenes der Babylonier vom Sohne des Phokion, der als ἀ. gesiegt hat (Plut. Phok. 20), berichtet, er habe ἵπποις gesiegt (Athen. IV 168 f), so wird dies wohl nur aus Ungenauigkeit des Schriftstellers zu erklären sein.

Die Apobatenübung wird von der athenischen Sage auf Erichthonios zurückgeführt (Eratosth. Cataster. 13). Wie sie sicherlich aus der Epoche der Wagenkämpfe stammt, so mag auch ihr agonistischer Betrieb noch in die ‚ritterliche‘ Zeit zurückreichen. In den Gegenden, in denen der Apobatenagon heimisch scheint, in Athen, Boiotien, Thessalien, lässt sich ja das Fortbestehen ritterlicher Traditionen auch anderweitig nachweisen. In der schriftlichen und monumentalen Überlieferung lässt sich der Agon allerdings nicht bis über die Mitte des 5. Jhdts. hinauf verfolgen; denn das Wagenrennen in Onchestos, bei dem die Lenker von ihren Gefährten abspringen (Hymn. Apoll. 232), hat mit dem Apobatenagon kaum etwas zu thun. Wie populär aber in perikleischer Zeit die Apobatenübung in Athen war, lehrt zur Genüge der Nordfries des Parthenon, auf dem wir die (während der Pompe mit dem Himation bekleideten) Krieger auf ihre Viergespanne auf- und abspringen sehen; vgl. Michaelis Parthenon T. XII 12ff. S. 215. 245. Unter den Komödien des Alexis sowohl wie des Diphilos (Athen. XIV 638c. Harpokr. 41, 2. Kock FCA II 304) begegnet ein Ἀποβάτης; vielleicht gehört auch der Ἡνίοχος des Antiphanes (Kock FCA II 52 hierher. In der Preisliste der Panathenaeen CIA II 965 wird der Apobatenagon in einem jetzt verlorenen Bruchstück verzeichnet gewesen sein. Dem Weihgeschenk eines siegreichen panathenaeischen ἀ. um die Mitte des 4. Jhdts. gehört die auf der Akropolis gefundene Basis Friederichs-Wolters Berliner Gipsabgüsse nr. 1836. Bull. hell. VII T. 17 S. 458 (Collignon) an, vgl. Reisch Griech. Weihgeschenke 50, 1. Auch [2816] der Sohn des Phokion siegte einmal in diesem Agon als ἀ., Plut. Phok. 20. Athen. IV 168 f (s. o.). In der panathenaeischen Siegerliste CIA II 966 (um 190 n. Chr.) nimmt der Apobatenwettkampf unter den hippischen Agonen die erste Stelle ein, vgl. CIA II 968 Z. 17. 969 Z. 2. Es geht aus diesen Inschriften hervor, dass er nicht im Hippodrom, sondern anderswo, wahrscheinlich im Eleusinion abgehalten wurde, vgl. Martin Les cavaliers athéniens 236f. 248. E. Curtius Stadtgesch. v. Athen 188.

Theophrast ἐν τῷ κ` τῶν Νόμων kennt das Apobatenspiel nur bei Athenern und Boiotiern (Harpokr.). Inschriftlich bezeugt ist es für Oropos schon in der ersten Hälfte des 4. Jhdts., IGS 414, wo Z. 34 ein ἡνίοχος [ἐγβιβάζων] genannt war. Derselbe Agon ist es wohl auch, den das Siegerverzeichnis der Amphiaraia IGS 417 Z. 66 als τὴν ἀπόβασιν bezeichnet, vgl. Harpokrat. καὶ ἀποβῆναι τὸ ἀγονίσασθαι τὸν ἀποβάτην und IGS 4254, wo von den Epimeleten des Amphiaraosfestes von 329/8 v. Chr. gesagt wird: ἐπεμελήθησαν τῆς τε πομπῆς τοῦ Ἀμφιαράου καὶ τοῦ ἀγῶνος τοῦ γυμνικοῦ καὶ ἱππικοῦ καὶ τῆς ἀποβάσεως. Auf die Amphiaraia bezog sich gewiss auch das in Oropos gefundene Votivrelief mit der Darstellung eines Apobaten, Berliner Museum nr. 725 (Samml. Sabouroff T. 26. Brunn-Bruckmann Denkmäler der Sculptur T. 162b), welches Brunn unter Vergleichung der Heliosmetope von Ilion erst der Diadochenzeit zuweisen möchte. Das Bruchstück eines ähnlichen Reliefs aus dem Amphiaraion befindet sich im athenischen Nationalmuseum, vgl. Petersen Athen. Mittheil. XII 146. Der Apobatenagon ist ausserdem noch bezeugt für Larisa durch die inschriftlichen Siegerkataloge Mémoir. de l’acad. d. inscr. XVII S. 47 Z. 39. Archives d. missions scientifiques III Ser. III 1876, 310 (um 100 n. Chr.), für Neapel durch IGI 754 u. Addenda. 755 a. p (Kaiserzeit), für Rom durch Dionys. Halicarn. A. R. VII 73 und CIL VI 2, 10047[WS 2] Z. 19 (pedibus ad quadrigam, vgl. Friedländer Sittengesch.⁶ II 503; bei Marquardt R. St.-V. III 498), endlich für das karische Aphrodisias durch CIG II 2758 (Liermann Quaest. agonist., Dissert. Halens. X 171f.) G col. IV 3. C col. IV 3 (aus dem Ende des 2. Jhdts. n. Chr.). Für Larisa liegt es nahe, an eine Wiederbelebung alteinheimischer Traditionen zu denken; ob Ähnliches auch für Aphrodisias angenommen werden darf (vgl. die lykischen Sarkophage, s. u.), muss zweifelhaft erscheinen. Das Ansehen des Agons ist in dieser Epoche, wie es scheint, kein grosses; der Preis, der dem ἀ. in der Praemienliste von Aphrodisias angesetzt ist, ist ein sehr geringer (250 Denare) im Vergleich zu den Siegespreisen der übrigen gymnischen Kampfarten. Doch erhielt sich der Agon bis in die letzten Zeiten des Heidentums, wie die Inschrift CIL VI 2, 10047 (vielleicht erst aus dem 3. oder gar 4. Jhdt.) erweist.

In der bildenden Kunst sind die Motive der Apobatenübung vielfach verwertet worden, und zwar sowohl in ihrer agonistischen Verwendung, wie auch in Darstellungen der Wagenkämpfe heroischer Zeit. In ersterer Hinsicht genügt es, auf den Parthenonfries und die oben genannten [2817] Votivreliefs und Votivbasen zu verweisen; für die Verwendung des Motivs in Bildern mythischen Inhalts sind in erster Linie die Friesreliefs des Heroons von Gjölbaschi zu nennen, auf denen das Motiv des vom (fahrenden) Viergespann absteigenden Kriegers sowohl im Kampf der ‚Sieben gegen Theben‘ (für Adrastos) wie in der troianischen Feldschlacht verwendet ist (Benndorf u. Niemann, Heroon v. Gjölbaschi-Trysa T. XXIV A 1 S. 188. T. IX A 3 S. 118). In mehr allgemeiner Bedeutung als ein typisches Bild ritterlichen Lebens sehen wir das Apobatenmotiv mehrfach auf lykischen Sarkophagen verwendet (Benndorf a. a. O. S. 60). Oft muss es zweifelhaft bleiben, ob das Motiv mythisch oder agonistisch aufzufassen ist, z. B. in dem Gemälde, das in dem Herculanenser ‚Monochrom‘ Helbig Wandgemälde 1405 b (Welcker Alte Denkmäler II T. 1. Zahn Ornamente u. Gemälde II T. 1) copiert ist.

Litteratur: Michaelis Der Parthenon S. 324. Furtwängler Text zu Sammlung Sabouroff T. 26.

Anmerkungen (Wikisource)