Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Heiligtum des Amphiaraos in Oropos, Orakel und Heilanstalt
Band I,2 (1894) S. 1893 (IA)–1897 (IA)
Amphiareion in der Wikipedia
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Amphiareion (Ἀμφιάρειον [vgl. Meineke An. Alex. 109], Ἀμφιαράειον, Ἀμφιαράιον, Ἀμφιαρᾶον; vgl. Meisterhans Gram. att. Inschriften² 25) wird κατ’ ἐξοχὴν das berühmteste Heiligtum des Amphiaraos bei Oropos genannt in dem streitigen Grenzgebiete zwischen Attika und Boiotien. Es lag nach Strab. IX 399 im Gebiete des oropischen Psaphis in wasserreicher Gegend (Liv. XLV 27). Leakes Vermutung, das A. liege beim heutigen Mavrodhilisi (Μαυροδήλεσι) zwischen Καλαμός und Σκάλαι Ὠρωποῦ ist schon durch Rhangabé Antiq. hellén. II 252ff. bestätigt worden. Situationsplan bei Dürrbach Taf. I. Systematische Ausgrabungen hat auch hier erst die ἀρχαιολογικὴ ἑταιρία seit 1884 gemacht. Das A. erstreckt sich am linken Ufer eines Giessbaches von Westen nach Osten lang hin; s. den Plan von Dörpfeld und Kawerau in den Πρακτικά 1884 Πίναξ Ε, vervollständigt bei Dürrbach Taf. II, danach die beigegebene Skizze. Von den Grenzsteinen ist einer aufgefunden, IGS 422. Der Tempel des Amphiaraos (A) selbst liegt im Westen. Seine südliche Hälfte hat der vorbeifliessende Bach abgeschwemmt. Nach Osten öffnete er sich mit einer 12,86 m. breiten, 4,90 m. tiefen Halle, deren Giebel von sechs dorischen Säulen aus Poros zwischen den beiden in dorische Halbsäulen auslaufenden Längswänden getragen wurde. Hier scheinen Bänke gestanden zu haben (Πρακτικά 1887, 61). Der ναός von gleicher Breite und 21,68 m. Tiefe wurde durch zwei Reihen von je fünf Säulen in drei Längsschiffe geteilt, deren mittelstes doppelt so breit war, als die Seitenschiffe. Im Hauptschiff steht zwischen der 2. und 3. Säule eine 1,60 m. ins Geviert messende Basis (), nach Leonardos die Basis des von Pausanias I 34, 2 erwähnten marmornen Kultbildes, nach Dörpfeld ein Altar. Durch die Westwand führte eine 1,44 m. breite Thür in ein 2,51 breites und 1,88 tiefes Gemach (aʹʹ, ἄδυτον, μαντεῖον?). Aus zwei unkanellierten, hier gefundenen Ecksäulen zieht Leonardos (Πρακτικά 1886, 56) den Schluss, es sei das πρόθυρον des Tempels gewesen. Dörpfeld (Πρακτικά 1884, 91) setzt den Bau etwa in die makedonische oder frührömische Zeit. Sehr ähnlich ist der Tempel der Despoina in Lykosura: [1894] Athen. Mitt. 1890, 230. 10 m. vor der Ostfront des Tempels, doch nicht genau in seiner Axe, liegt ein 8,60 m. langer, etwa halb so breiter Altar (D), der zwei kleineren älteren Altären übergebaut ist. Pausanias I 34, 3 zählt die an seinen fünf Teilen verehrten Götter und Heroen auf. Die Inschrift des dritten, eine fragmentierte Marmorplatte, ΑΜΦΙΑΡΑΟ | ΑΜΦΙΛΟΧΟ | ΕΡΜ[ΟΕΣΤΙΑΣ] (s. Genethliacon Gottingense 1888, 176), ist hier gefunden: IGS 421, vgl. Ἐφημ. ἀρχ. 1885, 155. Der fünfte den Nymphen, Pan, Acheloos, Kephissos geweihte dürfte nach Südwest gerichtet gewesen sein, der Amphiaraosquelle (F) zu (Paus. I 34, 4), die noch heute 7 m. vom Altar entfernt sprudelt. Aus ihr soll der Gott Amphiaraos aufgestiegen sein. Sie wurde nicht benutzt. Die aber, welche vom Gotte Heilung oder Orakel empfangen hatten, warfen Gold- oder Silbermünzen hinein. Nördlich (4 m. weiteste Entfernung) legen sich bogenförmig einige Porosstufen (C) um den Altar. Unmittelbar nördlich am Altar entlang läuft eine Wasserleitung (Z) durch das ganze τέμενος; vgl. die Inschrift IGS 4255 und Πρακτικά 1890. Etwa 70 m. östlich vom Tempel beginnt eine sich von Ost nach West hinziehende etwa 110 m. lange und 11 m. tiefe Halle (P), die nach Norden, Osten, Westen geschlossen sich nach Süden in ganzer Länge mit dorischen Säulen von 2,28 m. Axweite öffnete. Ihr östlicher und westlicher Teil war durch zwei, von je der vierten Säule an die gegenüberliegende Nordwand gezogene Quermauern abgetrennt. Die grosse Mittelhalle war durch eine von Osten nach Westen ziehende Reihe von 17 ionischen Säulen in zwei Längsschiffe geteilt. Rings an den Wänden aller drei Teile der Halle sind 53 Marmorfüsse gefunden, die eine fortlaufende Bank getragen haben. Hier haben also die Gläubigen (Männer und Weiber getrennt) auf den Häuten ihrer eben geschlachteten Opfertiere geschlafen, um vom Gotte durch ein Traumgesicht belehrt zu werden, Paus. I 34, 5. Dieser Bau hat ein älteres κοιμητήριον ersetzt, das nach der Tempelordnung IGS 235 Z. 45 östlich (für Männer) und westlich (für Frauen) vom Altare lag. Von dieser Halle (P) zum Tempel (A) hin zieht sich eine Reihe von Basen (B) zum Teil mit Weihinschriften meist für Römer (Proxeniedecreten der Oropier). Vor diesen (südlich) war eine lange Mauer (Steinbank? H) angebracht.

Nördlich hinter der grossen Halle (P) führen sieben Stufen zur Rückwand des Skenengebäudes. Das Theater (T), von Schriftstellern nie erwähnt, ist 1886 ausgegraben worden, und sein von Dörpfeld aufgenommener Plan in den Πρακτικά 1886 Taf. 3 publiciert. Es besteht, da der Zuschauerraum nicht ausgebaut ist, nur aus der ungepflasterten, kreisrunden Orchestra von 12 m. Durchmesser und dem Skenengebäude. Etwa um ⅔ der Orchestra läuft ein Steinring als Fundament für die unterste Reihe der Sitze. In der Orchestra an diesem stehen unregelmässig fünf θρόνοι aus weissem Marmor, jeder mit der Inschrift zwischen den Füssen ΝΙΚΩΝ ΝΙΚΩΝΟΣ | ΙΕΡΕΥΣ | ΓΕΝΟΜΕΝΟΣ | ΑΜΦΙΑΡΑΩΙ. Das Skenengebäude, 12,33 m. breit, grenzt an den Orchestrakreis mit 2,50 m. hohem προσκήνιον. Dies ist durch acht monolithe an Pfeiler gelehnte dorische Halbsäulen mit Fries gebildet; [1896] zwischen den Mittelsäulen war eine 1,36 breite Thür, die anderen Intercolumnien waren durch πίνακες geschlossen, wie die Epistylinschrift lehrt: …Α]ΓΩΝΟΘΕΤΗΣΑΣ ΤΟ ΠΡΟΣΚΗΝΙΟΝ ΚΑΙ ΤΟΥΣ ΠΙΝ[ΑΚΑΣ ΑΜΦΙΑΡΑΩΙ]. 1,93 m. hinter dem Proskenion lief die durch eine Mittelthür zugängliche Vorderwand der 4 m. tiefen Skene, in der sich noch eine spätere Längswand befindet. Rechts und links von der Skene münden in die Orchestra die πάροδοι durch grosse mit ionischen Säulen geschmückte Thüren. Zwischen der Hinterwand der Skene und der südlich gelegenen Halle ist ein dorisches Epistyl gefunden mit der Inschrift IGS 423: ἱερεὺς] γενόμενος τὴν σκηνὴν καὶ τὰ θυρώ[ματα Ἀμ]φιαράῳ.

Öfters werden λουτρὰ Ἀμφιάρεια erwähnt, Aristoph. frg. 32 K., vgl. Meineke II p. 950. Xenoph. Mem. III 13, 3. Erasistratos und Euenor bei Athen. II 46 c. d. Anth. Pal. XII 129. Euphorion bei Steph. Byz. s. Ὠρωπός, vgl. s. Ἅρμα. Diese λουτρῶνες, eins für Männer, eins für Frauen, sind entdeckt worden ἐν δεξιᾷ τῆς στοᾶς (P): Πρακτικά 1890. Zu einer für sie zu erbauenden Wasserleitung giebt die Inschrift IGS 4255 aus dem 4. Jhdt. genaue Anweisung; vgl. IGS 3499.

Das A. war zugleich Orakel und Heilanstalt. Der Gott erschien im Traume. Nach dreitägiger Enthaltsamkeit von Wein und eintägigem Fasten (Philostrat. Vit. Apoll. II 37, 90), jedenfalls nach einem καθάρσιον und einem Widderopfer, schlief der Hülfsbedürftige auf der Haut des Opfertieres, Paus. I 34, 5. Geheilte Körperteile wurden im Bilde dem A. geweiht: IGS 303 Z. 67–72; 3498. Die Tempelordnung IGS 235 (411/02 nach v. Wilamowitz Hermes XXI [1897] 92, nach 387 nach Dittenberger) schrieb 1, dann 1½ Drachmen als Kurtaxe vor. Sie giebt auch Auskunft über die Pflichten des Priesters, des νεωκόρος u. s. w. Ferner lässt diese Inschrift auf einen ταμίας schliessen (Hermes XXI 95), IGS 303 wird ein συλλογεύς genannt, 3 ἱεραρχοῦντες in der Schatzliste IGS 3498. Nach dem ἱερεύς datiert auch der Staat Oropos, nach ihm allein z. B. IGS 263. 265. 269. 275. 318. 340. 4263 etc., meist aber neben dem ἄρχων des κοινὸν τῶν Βοιωτῶν z. B. 237. 239. 240. 251–56. 278. 303 etc. Die Verwaltung des Heiligtums hatte Oropos, wenn es frei war (IGS 235, s. Herm. XXI 97. IGS 303), oder Athen, wenn es Oropos besass, IGS 4253. Im A. stellte Oropos seine Ehrendecrete auf, auch das κοινὸν Βοιωτῶν IGS 351. 4259 etc. Ἐφημ. ἀρχ. 1892, 71, Athen nur auf das A. bezügliche Psephismen, IGS 4252–4254.

Nach Herod. I 52 hat schon Kroisos das A. befragt und beschenkt, nach VII 134 liess Mardonios sein Traumorakel für sich benützen; vgl. Plut. Arist. 19; de def. orac. 5. Rat und Volk von Athen hat den Amphiaraos 332/1 mit einem goldenen Kranz von 1000 Drachmen bekränzt, IGS 4252. Menedemos, aus Eretria vertrieben, hat das A. als Zufluchtsort benützt, Antigonos von Karystos bei Diog. Laert. II 141. Der Arzt Erasistratos u. a. hat sich über die Heilquelle des A. geäussert, Athen. II 46. Der König Lysimachos hat eine Statue seiner Schwägerin Ἁδεῖα hierher geweiht, IGS 279. Auch des Ptolemaios Philadelphos und seiner Schwester-Gattin Arsinoe Statuen IGS 297. 298 bezeugten ihre guten Beziehungen zum A. Des grossen Gönners des A., Sullas und seiner Gattin Statuen hat der dankbare δῆμος Ὠρωπίων hier geweiht, IGS 264. 372, auch vieler anderer vornehmer Römer und Römerinnen, IGS 268. 305. 311. 331. 349. 372. 380. 383. 428; vgl. 433.

Von dem Landbesitze des A. erfahren wir zuerst durch Hypereides ὑπὲρ Εὐξενίππου; vgl. Comparetti Il discorso d’Iperide in favore d’Euxinippo, Pisa 1861, 23ff. Sulla schenkte dem A. alles Land 1000 Fuss rings im Umkreise und wandte ihm für die Spiele und Opfer alle Einkünfte der Stadt, des Landes, der Häfen der Oropier zu mit Ausnahme der Äcker des Amphiaraospriesters Ἑρμόδωρος, Ἐφημ. ἀρχ. 1884, 97 bis. Vgl. Mommsen Hermes XX 268ff.

Litteratur: Preller Ber. d. sächs. Gesellschaft d. Wiss. 1852, 140ff. Leonardos Πρακτικὰ τῆς ἐν Ἀθήναις ἀρχαιολογικῆς ἑταιρίας 1884, 11. 1886, 51. 1887, 59. 1890. 1892. Dörpfeld a. a. O. 1884, 88. v. Wilamowitz Hermes XXI 91. Dürrbach De Oropo et Amphiarai sacro, Paris 1890.

Inschriften sind jetzt gesammelt von Dittenberger im IGS I 70. 649. 730. Dazu Ἐφημ. ἀρχ. X 1892, 33ff.

[Bethe. ]