Miscellaneen (Journal von und für Franken, Band 3, 4)
Wenn je edle und entschlossene Unternehmungen zur Rettung eines Unglücklichen der öffentlichen Bekanntmachung würdig sind, so ist es gewiß folgende:
Die neunjährige Tochter des Anspachischen Schutzverwandten und Kühhirten Ackermann im| Weiler Reichenbach, ohnfern dem Städtchen Feuchtwang gelegen, war am 14 May dieses Jahrs Nachmittags mit zwey Dienstjungen ihres Vaters vom Hause weggegangen, um für die jungen Gänse Brennesseln zum Futter zu suchen. Den beyden Jungen fiel es bey dieser Gelegenheit ein, die im Weiler befindliche Sägmühle zu besehen, sie überließen aus Unachtsamkeit das Mädchen sich selbst und begafften das Werk, welches so eben im Gang war. Das Mädchen verschwand, und erst, als beyde wieder herabgingen, sah sie der eine von ihnen im Wasser schwimmen, worein sie nach der Meinung der beyden Knaben, im Herablaufen über die da gelegenen, vom Regen naß und glatt gewordenen Bäume, so eben gefallen seyn mußte. Er rief um Hülfe, und jetzt sprang der in der Stube befindliche Müller, nebst seinem Sohn, herbey. Letzterer stürzte sogleich in den Schutz, um das unglückliche Kind zu retten: allein zu späte, denn die Gewalt des Wassers hatte sie schon durch das im Gang begriffene Schneidmühlrad getrieben; als der entschlossene Müller um die Schneidmühle herumgesprungen kam, sich unter den Rädern ins Wasser warf, das, gleich einem Pfeil ihm zugeschleuderte Mädchen, das gerade durch die Radrinne heranfuhr, mit beyden Armen auffing, heraushub und in seine Stube trug, wo es von seiner Frau und Tochter mit Stärkungen erquickt, erwärmt, mit trockenen Kleidern versehen, und so seinen inzwischen herbeygerufenen Eltern wieder übergeben wurde.Aber wer bewundert nicht hiebey die Geistesgegenwart, die Menschenliebe des Müllers, wer staunt nicht, wenn er hört, daß dieser noch überdieß gebrechliche Mann, dem jede Erkältung lebensgefährlich werden konnte, mit Hinwegdrängung aller Bedenklichkeiten, bloß dem großen Gedanken, Menschenrettung! seine Brust öffnete, und Entschluß und Ausführung in einem glücklichen Augenblick verband! –
Gerührt gestand des geretteten Kindes Vater, daß eben dieser Müller ihm vor neun Jahren seinen damahls achtjährigen Sohn mit wahrer Lebensgefahr aus diesem Schutz gerettet, daß er ihm auch schon einen simpelhaften Sohn| auf die nämliche Art dem Tode entrissen, und er ihm mithin das Leben seiner drey Kinder zu danken habe. Nichts besaß freylich der arme Hirte, um den Edeln zu belohnen, der, mit der dankbaren Thräne im Auge der frohen Eltern zufrieden, durch eigene innere Überzeugung hinlänglich belohnt war; indessen säumte doch die Fürstlich Anspachische Regierung nicht, dem Retter die auf solche Fälle ausgesetzte Belohnung zu ertheilen.Aus der, über diesen Vorfall erfolgten Erzählung des Müllers, (dann das Mädchen selbst war zu betäubt, als daß sie sich hätte erinnern können, wie sie in das Wasser gekommen war) ergibt sich nun, daß über den Schutz dieser Mühle ein Steg läuft, welcher von dem Weiler Reichenbach auf die Chaussee und in das Feld führt, und von welchem Kinder sehr leicht ins Wasser fallen können. Viele Menschen hatten wirklich schon das Unglück in diesen Mühlschutz zu stürzen, sieben eigene Kinder hat der Müller bereits aus solchem mit Lebensgefahr herausgezogen, zwey Betteljungen, welche vor ungefähr 9 Jahren zugleich hineingefallen, und einem alten Mann, der vor 25 Jahren mit einem Schubkarren hineinstürzte, nebst noch einem Kinde, das seine Frau herauszog, hat er eben so, und einigen davon sogar im Winter das Leben gerettet. Gott! wie viele Menschenleben hat dieser Edle schon dem Tode entrissen; sein Name ist Wilhelm Lehr, er ist ein Reichsstadt Dinkelsbühlischer Hintersaß.
| Sollte denn aber auch dieser, nach so vielen Erfahrungen als äusserst gefährlich befundene Steg nicht durch Geländer gefahrlos gemacht und dadurch künftigen Unfällen vorgebeugt werden können? – Wahrhaftig ein für die Landespolicey beherzigenswürdiger Umstand!
Seit einigen Jahren sind hier in öffentlichen Gerichtsstellen merkwürdige Diebstähle an deponirten Geldern begangen worden, ohne daß man die Diebe entdecken konnte. Besonders spricht man von einer beträchtlichen Summe Geldes, welche vor mehr als zehn Jahren auf dem Stadtgerichte in einer Concurssache für die Gläubiger deponirt war, und entwendet worden seyn soll, als diese nach gerichtlichem Ausspruche auf die rechtliche Befriedigung ihrer liquidirten Forderungen drangen. Noch bis diese Stunde wartet man auf die Entscheidung, wer wohl die Schadloshaltung der beschädigten Gläubiger zu leisten habe.
Im Winter 1790 wurde im fürstl. Residenzgebäude auf dem sogenannten Kammerzinnsamte am hellen Mittage ebenfalls eine beträchtliche Summe Geldes gestohlen. Der Dieb sollte einen kleinen runden geheizten Ofen abgeworfen, und das auf dem Tische unverwahrt gelegene und ungefähr in 4000 fl. bestehende Silbergeld gehohlt haben. Man hörte rumpeln, und glaubte, es sey ein Holzstoß eingefallen. Nachmittags bemerkte man, daß der Ofen eingeworfen und das Geld entwendet| war. Am folgenden Tage wurden alle Ausgänge und Winkel des Residenzgebäudes mit Wachen besetzet, man schickte Schornsteinfeger in alle Kamine, und man nahm Spürhunde zur Hülfe, um den Dieb aufzufinden, weil man es für unwahrscheinlich hielt, daß ein einzelner Mann so viel Silbergeld weggeschleppet haben könnte. Aber man fand nichts. Im Julius 1791 wurde in München ein Dieb eingezogen, welcher aussagte, daß er auf der Kammer zu Wirzburg gestohlen habe. Die hiesige Regierung wurde davon benachrichtiget. Aber aus den Criminalacten ergab sich bald, daß der zu München in Verhaft gezogene Gauner wegen seiner Diebstähle schon im Zuchthause zu Wirzburg saß, ehe der Diebstahl auf dem Kammerzinnsamte geschah, und daß derselbe erst zwey Monate nachher unter das Wirzburgische in die kais. Niederlande abgegangene Regiment abgegeben wurde, wo er dann desertirte, und bey seiner Verhaftnehmung in München durch seine Lüge wahrscheinlich dem Galgen zu entgehen, und wieder in das Zuchthaus nach Wirzburg abgeliefert zu werden hoffte. Wenn dies seine Absicht war, so hätte er nicht vergessen sollen, seinen Namen zu verändern.Wenn der Bürger verpflichtet wird, sein Geld in öffentliche Verwahrung zu geben, so muß er allerdings auch dafür gesichert werden. Wo nur immer eine beträchtliche Summe von öffentlichen Geldern lieget, da sollte auch eine Wache stehen. Auf der Kammer und am Pfandhause wäre dieß besonders nothwendig. Unten am Eingange beym Kammerthor stehet ein einziger Posten, und sonst ist in dem ganzen großen Kammergebäude keine Wache mehr. Reichen Grenadiere und Dragoner nicht hin, einen Posten an dem Zimmer, wo die Gelder liegen, zu besetzen, so kann man Musketiere nehmen. Ferner thue man das Geld nur in eiserne wohl verriegelte Kisten, welche auf einer oder zwey Seiten an die Wand von innen hinaus vest angeschraubt sind, und dann wird es leicht zu entscheiden seyn, wer für einen solchen Diebstahl zu haften habe.
Der aus dem Wirzburgischen Zuchthause unter das Militaire abgegebene, und in München wieder als Dieb in Verhaft gezogene Sträfling nöthiget mir noch eine Bemerkung über Zucht- und Arbeitshäuser ab. Aus dem Zuchthause sollte nämlich kein Sträfling entlassen werden, und besserungsfähige Verbrecher sollten nicht hinein kommen. Die Erfahrung lehret, daß besonders auch| die nicht ganz verdorbenen Mädchen, welche wegen ihrer Armuth und Unvorsichtigkeit in Befriedigung sinnlicher Triebe eingesperret werden, nach ihrer Entlassung nur desto schlimmer und erst eigentlich lasterhaft sind. Wenn in Zucht- und Arbeitshäusern die Sträflinge in steter Gemeinschaft leben, so entstehet bald unter ihnen eine vertrauliche und redselige Mittheilsamkeit ihrer bösen Thaten und Besinnungen. Die Spitzbübereyen, welche der eine noch nicht weiß, und auf welche er vielleicht in seinem ganzen Leben nicht verfallen wäre, lernt er noch von dem andern bösartigeren Mitgenossen seiner Gefangenschaft. Durch das stete Zusammenleben in Einem Zimmer höret auch die Einsperrung für die rohen ungebildeten Menschen gar bald auf, eine so quaalvolle Strafe zu seyn, als sie es in der Einbildungskraft freyer und cultivirterer Menschen scheinen mag. Dulce est malorum habere socios, ist ja eine bekannte Erfahrungswahrheit. Nach der Verschiedenheit der Verbrechen sollte auch die Strafe während der Gefangenschaft verschieden seyn. Alle Sträflinge im Zuchthause zu Wirzburg haben ohne Unterschied einerley Kost und Bett, und beydes oft besser in ihrem Gefängnisse, als sie es ausser demselben hatten. Für den ehemahligen Lieutenant Baron von Thüna ist daher in jeder Rücksicht die Zuchthausstrafe härter, als sie es für manchen andern Landstreicher oder ganz rohen Menschen ist.
Bey der am 22 Septemb. auf dem Gymnasium zu Wirzburg gehaltenen Prämien-Austheilung bekam ein Jude aus Heydingsfeld, Benjamin Honichberger, Student der ersten grammatischen Classe das zweyte Prämium aus der Geschichte. Er studiret mit großem Nutzen und gehöret unter die ersten Schüler. Die talmudische Orthodoxie scheinet ihn dabey wenig anzufechten, denn er gehet auf den Sabbath nicht in die Synagoge, und setzt dafür seine Schularbeiten ohne Gewissensbisse fort. Das neue Testament, und besonders seinen National-Verwandten Paulus, liest er mit vieler Aufmerksamkeit. – Wieder ein Beweis, daß der Jude und seine ganze Nation bey wissenschaftlicher Aufklärung klüger wird!
Den 19, 20 und 22ten dieses Monates stellten die hiesigen Mädchen-Schulen der Ursulinerklosterfrauen ihre jährlichen Prüfungen an. Die Fächer, aus welchen examinirt wurde, waren Religionslehre, Naturgeschichte, Ökonomie, Diätetik, Geographie, Rechenkunst, Teutsche Sprachlehre etc. Am Ende wurden noch Proben der Industrie und des Kunstfleißes vorgezeigt, den die Klosterfrauen so geschickt mit jenen Kenntnissen zu verbinden wissen, die eigentlich den Kopf beschäfftigen. Ich sah und hörte alles mit an; und jede Prüfungsstunde war für mich eine Stunde des Vergnügens. Jeder der Lehrgegenstände schien von den Lehrerinnen im Zusammenhange und in einer Vollständigkeit, wie sie für Kinder angemessen ist, das Jahr hindurch bearbeitet zu seyn. Dazu hatten sie einige der besten Schriften über jedes Fach benützet. Anfangs setzte mich das ungemein fertige Beantworten jeder Frage in Erstaunen, und ich zweifelte beynahe, ob diese Fertigkeit vielleicht nicht mehr Frucht eines wohlgeübten Gedächtnisses als einer gründlichen Fassung seyn möchte. Allein mein Zweifel verschwand bald, als ich die extemporären Fragen der Anwesenden mit eben so viel Fertigkeit lösen hörte. Auch schienen die Frauen nicht schon zum voraus unveränderlich fixirt, sondern erst während der Prüfung selbst mit Nachdenken der Fassung der Kleinen angepaßt zu seyn.
| Um von der Industrie und dem Kunstfleiße der Mädchen einige Belege zu geben, will ich die Handarbeiten jeder Classe (es sind derselben 3) aufzählen.Die erste und jüngste Classe unter der Lehrerin Frau Ursula gebornen Fleischmännin stellte dieses Jahr hindurch 3 Paar Handschuhe, 134 Paar neue Strümpfe, und 73 Paar angesetzte. Nebst dem wurden mehrere Haar- und Strümpfbänder gestrickt, und Seide gezupft. In dieser Classe sind 136 Schülerinnen.
Die zweyte Classe von 85 Schülerinnen lieferte an Handarbeiten: 8 Stockbänder. (geknüpft) 23 Geldbeutel. 12 Kappen. 26 Paar Handschuhe. 20 Staucher. 31 Paar Mannsstrümpfe. 347 Paar neue Strümpfe; 200 Paar angesetzte (gestrickt) viele zupften auch Seide. Die Lehrerin dieser Classe ist Frau Maria Johanna geb. Günther.
Die 3te Classe von 56 Schülerinnen lieferte an Sticken: 2 Kalottes. 2 Hauben. 2 Paar Schuhe. An Knüpfen: 1 Hutschnur. 1 Halskordel. 7 Uhrbänder. 26 Stockbänder. An Nähen: 1 Geldbeutel über das Blech. 9 Hemder. 6 Sacktücher. 2 gebögte Halsstriffen. 7 Zeichentücher. An Stricken: 13 Geldbeutel. 15 halbe und 6 ganze Kappen. 55 Paar Handschuhe. 10 Paar angestrickte und 8 Paar Musterstaucherchen. 24 Paar Mannsstrümpfe. 8 Paar davon waren gerippt. 211 Paar andere neue Strümpfe und 208 Paar angestrickte. An Strick- oder Häckchen-Arbeit sind für des Herrn Professor Pickel abgegebene Instrumenten verfertiget worden 195 Ellen, nebst 29 Stück. Lehrerin der Handarbeiten an dieser Classe ist die Frau Maria Anna geborne Handel. Lehrerin der übrigen Fächer ist die rühmenswürdige Frau Theresia Wilhelm, Tochter des hiesigen Leibarztes.