Textdaten
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Autor: Hermann Harry Schmitz
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Titel: Im Riviera Splendid Palace
Untertitel:
aus: Der Säugling und andere Tragikomödien Seite 159-170
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Ernst Rowohlt Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus:
Wenn man so reist.
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[159]
Im Riviera Splendid Palace.

Das war doch ein großer, unvergeßlicher Augenblick, als Leopold, König der Belgier, auf der Terrasse des Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß) am Nebentisch Platz nahm und einen Tee trank. Zwei Stückchen Zucker gab er hinein, ich habe genau Obacht gegeben.

Noch heute schlägt mein Herz schneller, wenn ich an jene hehre Weihestunde denke. Alle Ereignisse, die ich als unvergeßliche Erinnerungen meines Lebens registriere, wie die erste lange Hose, wie ich zum erstenmal mit Sie angeredet wurde, dann, wie man mich mal irgendwo für den Kronprinzen von Serbien hielt, verblassen gegen diese Begegnung auf der Terrasse des Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß).

Große Momente, wenn auch nicht von der gleichen Eindringlichkeit, waren es für mich, als ich im selben Hotel Zeuge davon sein durfte, wie sich ein Vanderbilt des Zahnstochers bediente, wie sich eine Herzogin von Safty-Plummerand neben den Stuhl setzte und wie sich ein Vertreter des ältesten österreichischen Adels, ein Ritter Pfeffer von Potthast an einer Ölsardine verschluckte.

[160] Es war tatsächlich in einem Anfall von Größenwahn, als ich den Entschluß faßte, im Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß) abzusteigen.

Ich muß gestehen, der Name hatte es mir angetan. Ich war der Suggestion dieser drei Worte rettungslos verfallen. Ich bitte Sie: Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß), klingt das nicht grandios, überwältigend? Lösen diese drei Worte nicht Vorstellungen von etwas ganz Fabelhaftem, Märchenhaftem bei Ihnen aus?

Es gibt Bezeichnungen, mit denen man in den meisten Fällen keinen präzisen Begriff verbinden kann und die, wenn sie tatsächlich doch etwas bedeuten, vor allen Dingen nicht im geringsten Zusammenhang mit der betreffenden Sache stehen. Gerade derartige Namen aber verfehlen durch einen gewissen Anschein von Vornehmheit nie ihre Wirkung auf das Publikum.

Namentlich in der Hotelpraxis, auch hierzulande, wird mit solchen suggestiven, talmieleganten Worten mit Vorliebe gearbeitet.

Man wohnt doch, weiß Gott, lieber in einem Westminster Hotel, Bristol Palace (sprich Pälläß), Royal Carlton House, Hotel du Nord et des Anglais usw. als in einer simpeln Goldenen Gans, einem Wilden Schwein, einem Blauen Hecht, einer Post. Gerade bei einem Gasthaus letzteren Namens würde man an die ganze Rückständigkeit und Primitivität vergangener Tage erinnert, als unsere reisenden Vorfahren, die nichts wußten und alles glaubten, die weder zu Peary oder Cook, Blériot oder Wright, starrem oder halbstarrem Luftschiffsystem, noch zu irgendeinem der tausend Haarwässer, Zahnpasten, [161] Nagelpoliermittel, Sektmarken usw. Stellung nehmen konnten, in der verräucherten Stube des Gasthauses zur Post auf die Postkutsche warteten.

Es ist mir gelungen, in die Geheimnisse der Konjugation der unregelmäßigen griechischen Verben, der Regeln über den Gebrauch des Konjunktivs nach ut, der doppelten Buchführung, des Rechnens mit Logarithmen einzudringen, aber nie in meinem Leben werde ich es fertig bringen, die Speisekarte eines großen fashionablen Hotels zu kapieren.

Ich habe die verzweifelsten Anstrengungen gemacht, wenigstens die verschiedenen Varianten, in welchen uns phantasievolle Hoteliers Braten servieren, mittels eines mnemotechnischen Systems zu behalten: wenn furchtbar viel Petersilie um den Braten herum liegt, ist er „à la jardinière“, garniert mit vier Zitronenscheiben „à la bretonne“; „à la normande“, wenn acht Zitronenscheiben die Schüssel zieren; mit Gemüsegarnierung ist es ein „Chateaubriand“, „à la Pompadour“ mit Zitronen-, Petersilie- und Gemüseverzierung, „à la mode“, „à la Nelson“, auf „Hanebüchener Art“… ich merke, daß ich trotz der größten Mühe, die ich mir gebe, alle die verschiedenen gastronomischen Begriffe durcheinanderwerfe. Nur ein Gericht habe ich mir gemerkt: Welsh rarebits; so nennt man kleine Brotschnitten, auf welche irgend etwas gestrichen ist, von dem kein Mensch sagen kann, was es eigentlich ist. –

Ich weiß nicht, ich habe nie so recht die richtige Art gefunden, mich in großen Hotels so zu benehmen, daß ich dem Personal imponiere. Und das möchte man doch gern.

Unser allereifrigstes Bestreben geht auf Reisen [162] dahin, auf unsere Mitreisenden, dann aber auch vor allen Dingen auf Hotelbedienstete, Kutscher, Chauffeure, Gepäckträger usw. einen möglichst imponierenden Eindruck zu machen. Meistens gelingt uns nichts. Denn trotz der gequältesten Grandseigneurpose werden wir von diesen Leuten, die bessere Menschenkenner sind, als wir vermuten, fast ohne Ausnahme richtig eingeschätzt. Der kleinste Liftboy in einem Hotel vom Schlage des Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß) verfügt über eine größere Menschenkenntnis, wie ein im Amte ergrauter Staatsanwalt.

Ich habe alle die sich tief verbeugenden und devot zu unserer Bedienung herbeieilenden Geister im Verdacht, daß ihnen selbst die X-Beine einer Fürstlichkeit oder der Spitzbauch eines Multimillionärs nicht heilig sind und daß sie diese gerade so boshaft kommentieren, wie den braunen Segeltuchkoffer eines Oberlehrers oder den schüchternen Auftritt eines Neulings im Hotel-Vestibül.

Ich möchte behaupten, daß bei den livrierten und befrackten Philosophen an der Riviera in der Hochsaison eigentlich nur die große Demimondaine, und der Hochstapler in der Art eines Manolescus, alias Fürsten Lahovary, etwas gilt. Diese beiden Menschenkategorien betrachten mit absoluter, innerster Überzeugung den ganzen Aufwand einer Saison an der Côte d’azure lediglich als Inszenierung für ihre Person, und es gelingt ihnen tatsächlich durch ihr Auftreten, ihre Umgebung zur stillschweigenden Anerkennung dieser Auffassung zu zwingen. –

Will man in einem besseren Hotel nicht von vornherein der allgemeinen Verachtung anheimfallen, so merke man sich folgendes:

[163] Gib nie beim Betreten eines Hotels dem Portier die Hand oder gar einen Kuß.

Frage nie nach dem Preise des Zimmers oder der Speisen.

Betritt nie den Speisesaal mit herunterhängenden Hosenträgern oder mit Gummischuhen.

Stochere nie mit der Gabel in den Zähnen, vor allen Dingen nicht mit der Gabel deines Nachbars.

Male nicht mit Senf auf der Tischdecke oder in der erkalteten Fettsauce auf deinem Teller, selbst wenn du Talent zum Zeichnen hast.

Keinen besonders guten Eindruck macht es, wenn du beim Essen deine Manschetten ausziehst und neben deinen Teller stellst, selbst wenn es warm ist.

Benutze nie an Stelle eines Koffers einen rot und weiß karierten Kissenüberzug zum Transport deiner Sachen.

Frage nie eine Herzogin, der du nicht vorgestellt bist, ob sie mit dir nach dem Essen Nachlaufen oder Doppschlagen spielen möchte.

Lege nie, wenn sich ein ehrwürdiger, hochgeborener Greis setzen will, die Faust auf den Stuhl. Der Scherz ist zu alt und wird häufig mißverstanden.

Flitsche nicht mit Kirschen- oder Pflaumenkernen bei Tisch. Du könntest zu leicht jemand treffen.

Schlage nie einer Fürstlichkeit jovial auf die Schulter und rufe: „Wie geht es, alter Schwede?“

Hast du ein Glasauge, so nimm es bei Tisch nicht zum Reinigen aus dem Kopf.

Versuche nie, wenn dein Tischnachbar zufällig ein Holzbein haben sollte, einen Zahnstocher von diesem [164] herunterzuschnitzen. Es ist unzart, und du kannst aus Versehen in das richtige Bein schneiden, vielleicht gar die Kniescheibe abschneiden. Kniescheiben eignen sich ganz und gar nicht zu Zahnstochern. –

Es ist direkt eine Kunst, ein Hotel wirksam zu betreten. Ich hatte stets einen enormen Respekt vor dem Vestibül eines großen internationalen Hotels mit den in tiefen Stühlen pagodenhaft aufgebauten Menschen. Worte von Ewigkeitswert werden hier gesprochen, sagte ich mir. So feierliche, ernste Menschen, so unnahbare Geister werden die höchsten Probleme menschlicher Erkenntnis, irdischer Sehnsüchte in ihren Gesprächen behandeln. Wie vorwurfsvoll schauen diese Edelmenschen auf den Ankömmling, der durch sein Erscheinen die Sphäre feinsten Denkens stört. Nachdem ich jedoch einmal Gelegenheit hatte, einem derartigen Vestibülgespräch zu lauschen, sank meine Hochachtung um einiges. Drei in ihre Sessel vergrabene amerikanische Denker behandelten in tiefsinniger, eingehender Weise die Frage, ob englische, italienische, französische oder deutsche Streichhölzer die besseren seien.

Ich hätte mir das wirklich vorher sagen können, daß es für mich nicht das Richtige war, ausgerechnet in den Riviera Splendid Palace (sprich Pälläß) zu ziehen.

Gleich am ersten Mittag passierte mir eine dumme Sache, die mein Prestige erheblich erschütterte.

Es war Brauch in diesem Hotel, daß den Gästen bei Tisch die Speisen vom Kellner vorgelegt wurden. Dieses Vorlegen bestand darin, daß der betreffende Kellner mit einer fabelhaften Geschicklichkeit, die einen japanischen Jongleur beschämt haben würde, [165] Bratenscheiben, Gemüse, Kompott usw., hinter dem Gast stehend, aus dessen Teller schleuderte. Es war der Ehrgeiz der Kellner, aus möglichst weiter Entfernung in dieser originellen Weise zu servieren. Plitsch! klatschte eine Scheibe Braten auf den Teller. Plitsch! eine Handvoll Spinat. Plitsch! Kartoffelpüree.

Ich hatte mich ahnungslos an den Tisch gesetzt, als plötzlich haarscharf an meinem Kopf vorbei von irgendwoher eine Scheibe Braten auf meinen Teller flog. Erschreckt über diese mir bisher unbekannte Art des Servierens hatte ich den Kopf geduckt, war natürlich in die Flugbahn des bereits geschleuderten Gemüses geraten und hatte im gleichen Augenblick auch schon die mir zugedachte Portion Spinat an der Backe.

Man gibt mit Spinat an der Backe keine besonders glückliche Figur ab. Ich habe das bei dieser Gelegenheit gemerkt.

Aber schließlich hätte ich doch auf die Dauer bei einiger Anpassung an die Verhältnisse ein geruhiges, geduldetes Dasein in aller Zufriedenheit in diesem Hotel geführt, wenn ich nicht eines Abends meinen alten Schulfreund Vehemenz Pöste alias Jonkheer Grantig ter Bläh getroffen hätte.

Vehemenz Pöste war internationaler Hochstapler und Schwindler, eigentlich ein Lebenskünstler. In früheren Jahren hatten wir uns häufiger gesehen. Ich mußte aber leider den freundschaftlichen Verkehr mit ihm mit Rücksicht auf die konventionellen Ansichten meiner übrigen Bekannten, die sich an sein Metier stießen, aufgeben.

Wir blieben den Abend zusammen. Jonkheer Grantig ter Bläh, wie er sich momentan nannte, war [166] recht aufgeräumter, mitteilsamer Stimmung und hielt mir im Verlauf der Unterhaltung ein höchst lehrreiches Privatissimum über Lebenskunst:

„Man muß von der absoluten Ignoranz aller übrigen Menschen vollständig überzeugt sein, das gibt einem die unbedingte Sicherheit und das unerschütterliche Übergewicht in allen Situationen,“ empfahl mir Pöste. „Man nennt mich einen Verbrecher, weil ich selbst rücksichtslos einen Ausgleich des unregelmäßig verteilten Besitzes vornehme. Hätte ich ein großes Kapital zur Verfügung gehabt, so würde ich mit diesem Kapital gearbeitet haben. Wie? Ja, ich hätte vielleicht Börsengeschäfte gemacht, mich irgendwie in großzügige Spekulationen eingelassen. Wäre ich erfolgreich gewesen, selbst wenn ich anderen Leuten geschadet hätte – bei jedem Handel ist stets einer, der geleimt wird – hätte man mich ein Finanzgenie genannt, ein würdiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft. Ich hatte kein Geld. Mein Wissen, meine Menschen- und Weltkenntnis, meine Fähigkeiten waren mein Kapital. Zehn Jahre lebe ich jetzt so. Ich lebe, genieße das Leben mit allen seinen wunderbaren Sensationen. – Einmal ging eine Sache schief. Für zehn Jahre wirklichen Lebens kann man schon acht Monate diätische Zurückgezogenheit in Kauf nehmen. – Eigentlich ist der ganze Unterschied zwischen mir und der übrigen Gesellschaft nur der, daß ich den Kampf um die Existenz offen führe unter Einsetzung meiner Person, während die anderen Menschen, die auf sogenannte ehrbare Weise ihr Geld verdienen, kaschiert kämpfen.“

So dozierte der Hochstapler, und ich lauschte begierig seinen Lehren. Das leuchtete mir alles riesig [167] ein, und der Wunsch wurde urplötzlich in mit wach, diese Philosophie auch zu der meinigen zu machen.

Mit meinem bisherigen Leben war ich keineswegs zufrieden. Ich litt vor allen Dingen an dem Respekt vor dem Bestehenden, der rückhaltslosen Anerkennung der Tradition. Ich kam vor lauter Hochachtung und Angst vor jeder Autorität im peinlichsten Bestreben, jeden Schritt, den ich tat, um Gottes willen darauf hin zu prüfen, was „die Leute“ dazu sagen würden, überhaupt nicht dazu, mein Leben zu leben.

Vehemenz Pöste wies mir den Weg, den ich einzuschlagen hatte.

„Du bist ein Rindsvieh, dich abzuplacken,“ drang die Stimme des Verführers, dem meine Bewegung nicht entgangen war, auf mich ein, „du wohnst in einem erstklassigen Hotel, wo du Gelegenheit hast, in einer Nacht deine Revenuen für lange hinaus einzukassieren. Versuche es doch mit dem schwarzen Pyjamatrick!“

Was wußte ich vom schwarzen Pyjamatrick!

„Der schwarze Pyjamatrick ist meine Erfindung,“ fuhr Pöste mit einem gewissen Stolz fort. „Du dringst während der Nacht in ein Zimmer ein, wo du nach vorheriger genauer Rekognoszierung gute Beute vermutest. Du dringst ein, d. h. du packst mit einer Kneifzange die am Schlüsselloch herausragende Spitze des von innen steckenden Schlüssels und öffnest[1] auf diese Weise geräuschlos die verschlossene Tür, die du dann sofort hinter dir zuziehst. Sollte der Bewohner des Zimmers wach geworden sein, verhältst du dich so lange untätig, bis dir die regelmäßigen Atemzüge vom Bett her anzeigen, daß dein Opfer wieder eingeschlafen [168] ist. Dank deines schwarzen Pyjama verschwindest du vollständig in der Dunkelheit. Dann schnell zugegriffen und, nachdem du die Tür in der gleichen Weise wieder verschlossen hast, zurück in dein Zimmer. – So habe ich manches schöne Geschäft gemacht,“ schloß Pöste.

„Und ist das nie schief gegangen?“ warf ich ein.

„Nie!“ –

Das war ja fabelhaft einfach.

„Vergiß nicht den schwarzen Pyjamatrick,“ rief mir Pöste noch beim Scheiden nach. –

In starker Erregung kehrte ich in dieser Nacht in mein Hotel zurück. Ich war entschlossen, dem Rate Pöstes zu folgen.

Im Hotel wohnte ein englischer Juwelenhändler. Die Vorsehung hatte mir diesen Mann in den Weg geschickt. Das war etwas für den Pyjamatrick. Mister Botteram, so hieß der Händler, hatte ein künstliches Bein. Als junger Offizier hatte er sein Bein bei einem Gefecht mit den aufständigen Eingeborenen in Indien verloren. Er war ein verschlossener, sonderbarer Mann, der jeden Verkehr mit den übrigen Hotelbewohnern vermied. Es ging das Gerücht, daß er Riesenschätze an Juwelen mit sich führte. Es war mir aufgefallen, daß, wo er auch sein mochte, stets ein länglicher, gelber Lederkoffer, den er nicht aus dem Auge verlor, in seiner dichtesten Nähe stand. Überall trug ihm sein Diener diesen Koffer nach.

Meine Phantasie beschäftigte sich fortgesetzt mit dem gelben Koffer, der, wie allgemein die Ansicht war, Botterams Juwelen enthielt. Gelänge es mir, mich in Besitz dieses Koffers zu setzen, so wäre mir für [169] immer geholfen. Ich besorgte mir einen schwarzen Pyjama und eine Kneifzange.

Nachdem ich alles vorher genau ausgekundschaftet hatte, beschloß ich eines Nachts mit sehr gemischten Gefühlen, zitternd und bebend, den Coup zu wagen.

Achtmal hatten mich irgendwelche Geräusche wieder in mein Zimmer zurückgescheucht. Als ich beim neunten Versuch die Tür des Händlers fast erreicht hatte, fiel ich mit großem Spektakel in der Dunkelheit über einen im Korridor stehenden Stuhl. Ich verlor für diese Nacht allen Mut zur Ausführung des Pyjamatricks.

In der nächsten Nacht hatte ich, als ich nach vielen Schwierigkeiten endlich vor der Tür stand, hinter der ein Vermögen meiner harrte, die Kneifzange vergessen.

Die von Pöste als höchst einfach geschilderte Öffnung einer verschlossenen Tür mit der Kneifzange erwies sich im Gegenteil als äußerst schwierig. Als ich in der dritten Nacht beharrlich einen neuen Versuch machte, mein Ziel zu erreichen, war das Resultat meiner Manipulationen mit der Zange, daß der Schlüssel polternd in das Zimmer fiel.

Woher ich den Mut nahm, es in der folgenden Nacht noch einmal zu versuchen, weiß ich wirklich nicht. Es war bei mir zu fixen Idee geworden: ich mußte den gelben Koffer haben.

Und wirklich in dieser Nacht gelang der Schlag, und ich war im Besitz des ersehnten Schatzes.

Noch in der gleichen Nacht verließ ich das Hotel unter Zurücklassung meines großen Gepäcks. Ich befand mich schon am nächsten Tage mit meiner [170] Beute auf einem von Marseille nach Argentinien bestimmten Dampfer.

In diesem sympathischen Land gedachte ich vorläufig die Früchte meines genialen Debüts in der Arena aktiver Lebensakrobatik zu genießen und in aller Seelenruhe die Verjährung abzuwarten.

Und tatsächlich hätte die Theorie meines Freundes einen grandiosen Triumph gefeiert, wenn künstliche Beine den Wert von Pretiosen gehabt hätten.

Ich habe bei mancher Gelegenheit schon ein recht dummes Gesicht gemacht, das dummste aber wohl sicherlich, als ich beim Öffnen des gelben Koffers anstatt der erwarteten gleißenden Juwelen ein künstliches Bein vorfand, das Reservebein des Mister Botteram.

Angesichts dieses Mißgeschicks brach meine kaum angequälte, anarchistische Lebensanschauung jämmerlich zusammen. Es wurde mir klar, ich eignete mich nicht im geringsten zum Herrenmenschen.

Reumütig kehrte ich zu der guten, alten Moral zurück, die in dem Worte gipfelt: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.

Ich wurde in Argentinien Erdarbeiter und erwarb als solcher in ganz kurzer Zeit ein großes Vermögen, welches mir gestattet, mein Alter sorgenfrei zu beschließen.

Aus dem Bein des Juwelenhändlers ließ ich mir einen Spazierstock machen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: öffnetst