recht aufgeräumter, mitteilsamer Stimmung und hielt mir im Verlauf der Unterhaltung ein höchst lehrreiches Privatissimum über Lebenskunst:
„Man muß von der absoluten Ignoranz aller übrigen Menschen vollständig überzeugt sein, das gibt einem die unbedingte Sicherheit und das unerschütterliche Übergewicht in allen Situationen,“ empfahl mir Pöste. „Man nennt mich einen Verbrecher, weil ich selbst rücksichtslos einen Ausgleich des unregelmäßig verteilten Besitzes vornehme. Hätte ich ein großes Kapital zur Verfügung gehabt, so würde ich mit diesem Kapital gearbeitet haben. Wie? Ja, ich hätte vielleicht Börsengeschäfte gemacht, mich irgendwie in großzügige Spekulationen eingelassen. Wäre ich erfolgreich gewesen, selbst wenn ich anderen Leuten geschadet hätte – bei jedem Handel ist stets einer, der geleimt wird – hätte man mich ein Finanzgenie genannt, ein würdiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft. Ich hatte kein Geld. Mein Wissen, meine Menschen- und Weltkenntnis, meine Fähigkeiten waren mein Kapital. Zehn Jahre lebe ich jetzt so. Ich lebe, genieße das Leben mit allen seinen wunderbaren Sensationen. – Einmal ging eine Sache schief. Für zehn Jahre wirklichen Lebens kann man schon acht Monate diätische Zurückgezogenheit in Kauf nehmen. – Eigentlich ist der ganze Unterschied zwischen mir und der übrigen Gesellschaft nur der, daß ich den Kampf um die Existenz offen führe unter Einsetzung meiner Person, während die anderen Menschen, die auf sogenannte ehrbare Weise ihr Geld verdienen, kaschiert kämpfen.“
So dozierte der Hochstapler, und ich lauschte begierig seinen Lehren. Das leuchtete mir alles riesig
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/166&oldid=- (Version vom 1.8.2018)