Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Sonntag nach dem Beschneidungsfest

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Am Sonntage nach dem Beschneidungsfeste des HErrn.

Evang. Matth. 2, 13–23.
13. Da sie aber hinweg gezogen waren, siehe, da erschien der Engel des HErrn dem Joseph im Traum und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir, und fleuch in Aegyptenland und bleibe allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, daß Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen. 14. Und er stand auf und nahm das Kindlein und seine Mutter zu sich, bei der Nacht, und entwich in Aegyptenland; 15. Und blieb allda, bis nach dem Tode Herodis, auf daß erfüllet würde, das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Aus Aegypten habe ich meinen Sohn gerufen. 16. Da Herodes nun sah, daß er von den Weisen betrogen war, ward er sehr zornig, und schickte aus und ließ alle Kinder zu Bethlehem tödten und an ihren ganzen Grenzen, die da zweijährig und drunter waren, nach der Zeit, die er mit Fleiß von den Weisen erlernet hatte. 17. Da ist erfüllet, das gesagt ist von dem Propheten Jeremia, der da spricht: 18. Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehöret, viel Klagens, Weinens und Heulens; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten laßen, denn es war aus mit ihnen. 19. Da aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des HErrn dem Joseph im Traum in Aegyptenland, 20. und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir, und zeuch hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kinde nach dem Leben standen. 21. Und er stand auf und nahm das Kindlein und seine Mutter zu sich, und kam in das Land Israel. 22. Da er aber hörete, daß Archelaus im jüdischen Lande König war, anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich dahin zu kommen. Und im Traum empfieng er Befehl von GOtt und zog in die Oerter des galiläischen Landes; 23. Und kam und wohnete in der Stadt, die da heißt Nazareth, auf daß erfüllet würde, das da gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazarenus heißen.

 DAs Hervorstechende in diesem so eben gelesenen Evangelium ist ohne Zweifel das große Unglück der Stadt Bethlehem. − Zwar haben einige versucht, Bethlehems Unglück nur als ein kleines darzustellen. Sie fanden bei den nichtchristlichen Schriftstellern des Altertums keine Erwähnung davon und konnten sich das, so manche Erklärung sich denken läßt, doch auf keine andere Weise erklären, als durch die Annahme, der ganze Vorfall habe sich durch seine Unbedeutenheit der Aufmerksamkeit jener Schriftsteller entzogen, bei denen man doch außerdem glaubte eine Erwähnung desselben erwarten zu dürfen. Allein das ist denn doch einmal unverkennbar, daß die Darstellung des heiligen Matthäus nur auf eine schwere Unthat Herodis und auf ein großes Unglück Bethlehems paßt. Und nicht minder gewis ist es, daß die weißagende Stelle von der weinenden Rahel, die sich über Abführung ihrer Nachkommen in die Gefangenschaft nicht trösten laßen will, auf den bethlehemitischen Kindermord nicht ausgelegt worden wäre, wenn dieser sich mit jener alttestamentlichen Trauer Rahels nur übertriebener Weise vergleichen ließ. Matthäus wollte Bethlehems Unglück als groß darstellen − und würde, hätte er übertrieben (daß ich ja so unehrerbietige Worte an heiliger Stätte gebrauche), das Urtheil so vieler Leser, in deren Hände sein Bericht kam, und welche die Geschichte noch wißen oder leicht erfahren konnten, zu scheuen gehabt haben. − Wollen wir nun auch alten Ueberlieferungen bei den Aethiopiern und Griechen, nach welchen vierzehntausend Kinder umgekommen sein sollen, keinen Glauben beimeßen; so war doch Bethlehem damals gewis bedeutender als jetzt, wo man etwa sechs hundert waffenfähige Männer darin zählt. Josephus, der Geschichtschreiber der Juden, erzählt, daß zu jener Zeit in dem reich bevölkerten Galiläa allein zwei hundert und vier Städte und Flecken| gewesen seien, von denen der geringste fünfzehn tausend Einwohner gehabt habe. Wir wollen nun annehmen, daß Bethlehem auch zu Christi Zeit, wie zu Zeiten des Propheten Micha, klein gewesen sei unter den Tausenden Juda; wir wollen Stadt und Umgegend von Bethlehem uns weit geringer bevölkert denken, als die galiläischen Gegenden; wir wollen sechs hundert waffenfähige Männer und etwa drei oder vier mal so viele Einwohner im Ganzen rechnen, so gäbe es immerhin eine Seelenzahl von achtzehn hundert oder zwei tausend und vier hundert. Bei einer solchen Seelenzahl aber würde durch den Mord aller Knaben, die zweijährig und drunter waren, kein geringes Blutbad angerichtet, kein kleines Unglück gestiftet worden sein. Liebe Brüder, unser Pfarrsprengel zählt etwa neun hundert Einwohner. Auf diese Seelenzahl kommen in zwei Jahren durchschnittlich etwa vierzig Knaben. Ließen wir von ihnen etwa die Hälfte oder mehr sterben, so blieben doch immer noch fünfzehn oder achtzehn Knaben übrig, die zweijährig und drunter wären. Denkt euch nun, es stürben die fünfzehn, achtzehn Knaben alle an einem Tage, wir hätten auf einmal fünfzehn, achtzehn Leichname und Leichen! Denkt euch, alle fünfzehn, achtzehn wären unter den Händen von Soldaten eines gewaltsamen Todes gestorben und lägen mit klaffenden, blutenden Wunden vor uns! − Oder denkt euch noch lebhafter in die Geschichte hinein! Denkt euch, es kämen eines Morgens die Kriegsknechte mit dem Mordbefehl und forderten eure Kindlein. Welch ein Zagen, Weinen, Heulen der Mütter, − welch ein Schmerz, welche Betäubung der Väter, der Verwandten, − wie viel thränenvolles Mitleid anderer, die kein Opfer zu bringen hätten, würde sich finden! Es reicht gewis auch eine wenig erregbare Einbildungskraft hin, ein schauderhaftes Bild vor das inwendige Auge zu bringen. − Und welche Gedanken könnten aus der Seele emporkommen, während ein solches Bild vor die Augen träte! Unverdientes Glück und unverdientes Unglück pflegen großes Aergernis zu geben. Da hebt sich wie unwillkürlich das Auge gen Himmel, um Gott zu suchen und ihn zu fragen. Es regt sich inwendig ein jammerndes Warum, welches fast gegen die Führung Gottes Klage zu führen scheint, und dem HErrn HErrn gegenüber ein gut Gewißen zu haben wähnt. So kommen etwa bei lebhafter Vorstellung des bethlehemitischen Unglücks Fragen, wie diese: Warum hat der Engel nicht lieber Herodis böse That verhindert, statt sie bloß anzusagen? Warum hat er sie nicht wenigstens allen betheiligten Eltern angesagt, da bei Gott und seinen Engeln dieß so leicht gewesen wäre, als die einzelne Ansage, die Joseph geschah? Warum hat Gott diese Grausamkeit zugelaßen? Warum hat Er geschwiegen? Warum war denn jenes mal der Himmel so ehern und trocken über der seufzenden, weinenden, klagenden Stadt Bethlehem und der Gegend umher? − Zwar kann man versuchen, auf diese Fragen eine menschliche Antwort zu geben und Gott gewisser Maßen zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Allein es gibt auch wieder Einwendungen gegen jene Antworten und das ungläubige, zagende Herz wird durch sie nicht zufrieden gestellt. Es ist und bleibt eben doch ein großer Jammer, wenn man nach Bethlehem schaut. Ach, es ist ein großer Unterschied zwischen der Nacht, da Maria ihr Kindlein in Bethlehem gebar und die Engel über den Triften sangen, die Hirten freudenvoll ein- und auszogen in der Stadt, − und zwischen der Nacht, wo der Engel dem Joseph befahl, mit dem Kinde und der Mutter desselben nach Aegypten zu fliehen. Jenes war eine Nacht der Freuden, auf welche ein Tag der Freuden folgte; dieses war eine bange Nacht, aus der ein schrecklicher Tag heraufkam. Dortmals hörte Maria die Worte der Hirten, behielt, bewegte sie in ihrem Herzen und ihre mütterliche Wonne wurde nur desto voller und reicher, je mehr sie dieselben bewegte; aber nun, nun prägt sich der Sterbensanblick weinender Kinder so vielen Müttern ins Herz; was sie behalten und nicht vergeßen können, ist Wimmern und Aechzen, − und so oft sie das bewegen, fließen die Herzen und Augen von Thränen über. Ach wollen wirs nur zugestehen, es war ein rechter Tag des Unglücks und der Schmerzen, der über Bethlehem kam!
 Aber wenn wir das auch zugeben und keinem einfällt, es zu leugnen, so wollen wir doch auch über dem Unglück von Bethlehem nicht das Unglück Herodis so gar vergeßen, wie es gewöhnlich geschieht. Laßt uns dem armen, armen Manne auch einen Blick voll Theilnahme zuzuwenden suchen: wer weiß, ob wirs bis zur wahren, rechten Theilnahme bringen, ob wir schon wollen! Ich weiß, meine Freunde, wenn einer am Schlachttage der unschuldigen Kindlein, nach dem| Morden auf die Straßen von Bethlehem hätte treten wollen, um die Bethlehemiten mit dem Satze zu trösten: „Herodes ist doch unglücklicher als ihr!“ so würde seine Tröstung abgeprallt sein, vielleicht würde sich gegen den unzeitigen und ungeschickten Tröster ein allgemeiner Unwille Luft gemacht haben. Nicht das Unglück, sondern die Bosheit und Tyrannei Herodis würde man Lust gehabt haben, gepredigt und hervorgehoben zu hören. Aber, meine Brüder, die Geschichte ist lang geschehen, die Bethlehemitinnen haben kaum eine Thräne mehr für sie, es wird daher auch für uns in unserer weiten Entfernung nicht mehr unschicklich sein, eine Ueberlegung über das Unglück Herodis anzustellen. Ist es denn nicht der größte Jammer, welchen es in der Welt gibt, vor Gott so verschuldet zu werden, wie es Herodes ward? sich eine Hölle so wie Herodes zu schüren? Das Blut der unschuldigen Kindlein schrie wider Herodes gen Himmel, und dieses vervielfachte Geschrei von Abels Blute soll kein Unglück für diesen Kain gewesen sein? Dazu war diese Blutschuld Herodis nicht die einzige, welche im Schuldregister stand. Herodes war damals schon siebzig Jahre alt und hatte dieß Alter mit Sünden erlangt. Seinem Schwager Aristobulus, der ein Maccabäer war und ein Jahr zuvor Hoherpriester geworden, hatte er vor seinen Augen im Bade ersäufen laßen, bloß weil er beßer und beliebter war als er selbst. Und das wäre kein Unglück für den, welcher es that? Seinen einundachtzigjährigen Schwäher Hircan hatte er ehrenvoll aus dem Lande der Parthen herführen laßen und ihn darauf schändlich und treulos umgebracht: und eine solche Schuld soll kein Unglück sein? Er schonte seiner Frauen nicht; er ließ sie umbringen, selbst wenn er sie leidenschaftlich liebte, selbst wenn er voraus wußte, was sich hernach ergab, daß er nicht ohne sie leben konnte, daß ihn die Sehnsucht verzehren würde. Seine eigenen Söhne ließ er hinrichten, deren Bekannte und Freunde durch die Folter erwürgen. Der Kaiser Augustus in Rom sagte: es sei beßer Herodis Schwein als sein Sohn zu sein, − weil die Schweine, deren Fleisch er als Bekenner des Judentums nicht aß, vor ihm sicher waren, aber nicht seine Söhne. Und ein Mensch, der solche Lasten aufgeladen hat, sollte nicht unglücklicher sein, als die unschuldigen Kindlein von Bethlehem, die im Bunde und Frieden Gottes dahinstarben und durch kurzes Leid zu einer ewigen Herrlichkeit kamen? Man müßte doch sonderbare Begriffe von Glück und Unglück haben, wenn man glauben wollte, daß ein Mensch, der neben zahllosen andern Missethaten Vatermord, Frauenmord, Kindermord auf dem Gewißen hat, auch nur Eine vergnügte und glückliche Stunde haben könne. − Könnte aber irgend jemand noch einen leisen Zweifel an Herodis Unglück übrig haben, der sehe auf das Ende, auf die Aernte aller der bösen Thaten Herodis, welche in seinem Tode für ihn reif wurde. Die Kinder von Bethlehem starben unter Martern, aber diese Martern waren klein im Vergleich mit denen, welche Herodes in Baldem auszustehen hatte. Jene Kindlein starben unter dem Mordstahle der Kriegsknechte; das war etwas leichtes, wenn man es mit dem Tode Herodes vergleicht, der in Gottes Hände fiel, von denen geschrieben steht: „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Sein Sohn Antipater wollte ihn umbringen, aber dieser Tod war für einen Herodis zu gut; Herodes ließ, nachdem er Nachricht von dem Plane seines Sohnes bekommen, denselben fünf Tage vor dem eigenen Tode hinrichten. Was für einen Tod hatte ihm aber Gottes Gerechtigkeit zugesprochen? Das höret! Seine Eingeweide waren in Entzündung, seine verborgenen Theile verfaulten, die Würmer nagten an dem lebendigen Leichnam, ein furchtbarer Gestank gieng von ihm aus: dabei schrumpfte er zusammen und sein Odem gieng schwer aus und ein. Er hätte sich gerne selbst umgebracht, wenn es ihm nur gelungen wäre; er mußte aber ausharren, bis seine Seele aus dem bereits verwesenden Leichnam fuhr. Er wußte es, daß kein Mensch um ihn weinen würde; die Leute warteten in Jericho, wo er starb, mit Ungeduld auf die Todesbotschaft, jedermann sehnte sich nach der Erquickung, ihn todt zu wißen. Darum hatte er die Vornehmsten des Reiches bei Todesstrafe zusammengefordert und befohlen, daß man sie alle in seiner eigenen Todesstunde gleichfalls umbringen sollte, damit er wenigstens unter Klagen stürbe, wenn auch keine Klage um ihn, sondern alle nur über ihn zu Gott aufstiegen. Man vollzog aber den Befehl nicht, man ließ die Großen heim und alles war vergnügt, als es endlich hieß: Herodes ist an seinen Ort gefahren. Es gab Thränen, aber es waren keine Thränen des Jammers, sondern nur der Freude. Und das, um noch einmal zu fragen, das soll kein Unglück sein? Eines ist wahr. Das Unglück| der unschuldigen Kinder fand und findet Erbarmen und Herodis Unglück findet keines. Aber das ist ja vollends der Gipfel des Unglücks, das kann doch unmöglich den Satz umstoßen, daß niemand unglücklicher ist, als der Gottlose, welcher Gott zum Feinde hat.
 Ich habe eure Augen auf das Unglück Herodis gerichtet und behauptet, es sei schrecklicher als das Unglück der Bethlehemiten, und übertreffe dieß weit, wenn gleich es in unserm Evangelio kein hervorstechender Zug ist. Ich habe dieß gethan, weil man Herodis Unglück so gerne vergißt. Indes weiß ich doch in unserm Evangelium noch jemand, dem es auch nicht wohl ergieng, und deßen Leiden, obschon sie zugleich die allerunverschuldetsten unter allen sind, man bei Betrachtung unsers Evangeliums fast noch mehr zu übersehen pflegt, als die Herodis. Seht auf Jesum! Oder will man kein Auge des Mitleidens auf Ihn wenden und auf Seine Mutter und auf Seinen Pflegevater? Sind sie etwa allein ohne Jammer ausgegangen und haben sie gar keinen Antheil an dem Thränenbrote gehabt, von welchem alle Einwohner von Bethlehem damals zu eßen bekamen? Als das heilige Kind geboren wurde, gab es in Bethlehem für dasselbe keinen Raum! im Stall, in einer Krippe, auf Heu, in armen Windeln mußte es liegen − und die heilige Mutter, der fromme Joseph hatten schon damals für ihren Freudenkelch einen bittern Wermuthstropfen daran, daß sie den hochgelobten Liebling aller Himmel nicht beßer empfangen und bewirten konnten. Und kaum sind einige Wochen herum, Wochen, in denen ihnen allerdings auch hohe Freudenstunden gegeben wurden, z. B. die Ankunft der Weisen, da erhebt sich gegen den unmündigen Gottessohn ein Sturm, welcher Ihn unbarmherzig aus Seinem eigenen Lande und deßen Grenzen weht. Wenn Abraham, der Fremdling im heiligen Lande, wenn andere Helden und Patriarchen es verlaßen und nach Aegypten ziehen; was ists, zumal Reichtum und Fülle und Macht sie geleitete und offene Pforten sie empfiengen? Aber JEsus − der zarte Säugling, in kalter Nacht, unter banger Furcht der Seinen, gesucht von Mördern, ein Flüchtling aus dem Lande, deßen rechtmäßiger Herr Er sogar nach dem Fleische genannt werden konnte, ein Flüchtling in ein Land, woselbst es Israel so manchmal übel ergangen war, in eine Fremde, wo Ihn niemand kennt und schätzt! Das ist doch eine andere Sache! Wenn dort Rahel in den bethlehemitischen Müttern bitterlich über die ermordeten Kindlein weinte: wird ihr Weinen nicht auch Dem gegolten haben, des jugendliches Loos so genau mit dem Loose übereinkommt, welches die Israeliten bei der Wegführung in die Gefangenschaft traf, und von welchem zunächst in jener prophetischen Stelle die Rede ist?! Und wenn man einmal von den Thränen Rahels und der bethlehemitischen Mütter sagt; − meinst du, Maria werde keine Thräne im Auge gefunden haben für ihr Kindlein, welches, ein Nazarenus von der Krippe bis zum Kreuze, so gar bald seine dornenvolle Pilgerstraße betreten muß?! − Es ist nicht zu leugnen, daß JEsu Unglück unter dreien das kleinste ist; aber ein Unglück, ein nicht geringes, sondern ein großes, schmerzliches Unglück ist es ja doch, fliehen, aus dem Vaterlande, ja aus dem Eigentumslande fliehen zu müßen, auf das man so hohe und unabweisbare Ansprüche hat. − Hat doch unser HErr selbst im Hinblick auf die Zeit der Flucht im jüdischen Kriege gesagt: „Wehe den Schwangern und Säugern zu jener Zeit“?! Es ist ein Unglück, was JEsum und Seine Mutter trifft, das ist nicht bloß behauptet, das ist mit diesem Ausspruch JEsu auch bewiesen. Dazu war Sein Unglück unter den dreien das unverdienteste und recht verstanden das allein unverdiente. Wer einem Mörder Unrecht thut, der thut Unrecht; wer aber einem Gottesreinen Unrecht thut, wie Unrecht thut der! Ist nicht ein Unrecht, das dem Gotteslamm gethan wird, das ungerechteste, das es gibt? Ein klein Unrecht, dem Heiligen und Reinen angethan, ist größer als ein groß Unrecht, dem Bösen angethan, darum daß dem Bösen allerlei Unrecht und Leid, dem Heiligen und Reinen gar kein Leid gebührt. Und wie wenn der Heilige und Reine es auch bei aller Gottverlaßenheit und Stille mehr fühlte, wenn es auf sein Gemüth mit einem Drucke sich legte, den ein schuldig Herz kaum ahnen kann! Ihr lächelt und schüttelt den Kopf, weil ihr das Knäblein für allzujung haltet, als daß man glauben könnte, es habe Seine damaligen Leiden gefühlt? Vielleicht lächelt ihr ohne Ursach, vielleicht irret ihr, vielleicht fühlte er sie, wenn er auch von seinem Fühlen noch kein menschliches Bewußtsein hatte. Aber sei’s drum, mag das unentschieden bleiben! Werfet aber dafür ein Auge des Mitleids auf Maria und| Joseph: wendet auf sie meine Bemerkung. Wie wenn diese Mutter, dieser fromme Pfleger in des Kindes Namen tief empfunden, als eine schwere Last getragen hätten, was dem heiligen Knaben geschah! Ich weiß, daß Maria auf Leiden vorbereitet war − die Worte des heiligen Simeon tönen uns wohl allen noch in den Ohren! Aber ein getroster, für das Kreuz bereiteter Sinn ist zwar stark, aber nicht fühllos, sondern er geht im Gegentheil mit entschloßener Hingebung in die Erfahrung der vorauserkannten Leiden ein und fühlt sie desto durchdringender und stärker. − Und wie kann es anders sein, als daß Marien schmerzliche Vergleichungen zwischen Sonst und Jetzt, der Nacht der Ankunft und dieser Nacht der Flucht sich aufgedrungen haben? Ach, man hat kein Auge und nicht Herz genug, die Lage der heiligsten Familie zu erkennen und sich hineinzuversetzen; sonst würde man mit heiligem Mitleid vor allem sie begleiten, ehe man bei Bethlehems und Herodis Unglück stehen bliebe. − Man könnte sich erinnern, daß JEsus, der Heilige und Unschuldige, der Anlaß zum Unglückstage Bethlehems werden mußte, − und da es gar kein beneidenswerthes Loos ist, die unschuldige Ursache fremder Leiden zu werden; so könnte man in diesem Umstande eine Mehrung des Unglücks finden, welches JEsum und die heilige Familie traf. Wir wißen nicht, ob den Bethlehemiten zur Zeit des Mordes die eigentliche Ursache kund wurde, um deren willen er geschah; aber wenn er ihnen kund wurde, wenn dann manche jammernde und weinende Mutter mit bitterem Gram an JEsum dachte, wenn Thräne und Leid sich gegen Ihn kehrte, der doch auch ein Heiland aller Bethlehemiten war! Es ist schmerzlich, den Gedanken zu bewegen, und es ist gut, daß wir nicht wißen, ob er nicht doch überflüßig ist. Wir wollen ihn auch aus dem Herzen thun, diesen Gedanken! Fast ist er unziemlich und es paßt nicht, ihn auf den anzuwenden, der die Güte selber ist, der kein bitterer Brunnen ist und von dem kein Tropfen alles des Uebels stammt, das in Zeit und Ewigkeit die Creaturen niederdrückt. − Ueberhaupt ist es mit dem Mitleid, das man JEsu, seis in Anbetracht der Leiden Seiner Flucht, seis wegen Seiner übrigen schweren Lasten widmet, ein ganz eigen Ding. Wen soll man mehr bemitleiden, als Ihn? Es hat ja keiner gelitten wie Er, keiner so viel, und keiner so tief, so durchaus, daß Geist und Seel und Leib ergriffen waren. Und doch, es ist, als müßte man dem Bedauern wehren! Wenn Er gleich ruft: „Ist auch ein Schmerz, wie Mein Schmerz?“ wenn diese Stimme gleich ins tiefste Herz eindringt; so wird einem doch mehr zu Muth, als müßte man niederknieen und heilig, heilig, heilig singen, denn als müßte man weinen. Dieser Leidende ist mitten im Leiden so groß − und der Glanz der ewigen Majestät, welche Er erstritten hat, leuchtet Ihm bei all Seinem Weh so hell vom Angesicht, daß man selbst bei Seinem Erblaßen am Kreuze zur Anbetung gestimmt wird und geneigt, alles Mitleid denen zuzuwenden, die Ihn nicht kannten, die, während sie Ihn plagten, im Wahne lebten, Er sei von Gott geschlagen und gemartert. Er ist für Mitleid zu groß − und ist nun jedenfalls aus Angst und Gericht genommen.

 Jedoch kehren wir ein und zurück zu dem, wovon wir uns eigentlich vorgenommen haben zu reden. Wir haben gesehen, daß unter der Sonne überall und bei allerlei Menschen Leiden sind. Die Bethlehemiten, Herodes, JEsus und die Seinen, Junge und Alte, Arme und Reiche, Unschuldige und Schuldige, Heilige und Gottlose leiden. Aber die Allgemeinheit des Jammers, dem niemand entfliehen kann, darf uns doch nicht blind machen für die großen Unterschiede im Leiden. Ueberall geht Leid und Freude zusammen, sie sind wie Zwillingsgeschwister, die von einander nicht laßen, miteinander oder dicht hintereinander überall erscheinen. So scheints, aber es ist nicht so; denn bei den Gottlosen ist das Glück, welches sie haben, nur ein geringer Begleiter des stolzen, mächtigen Unglücks: das Glück stirbt und dann kommt das Unglück zu ewiger Kraft. Bei den Frommen ists umgekehrt, das Unglück stirbt alle Tage mehr dahin und das Glück bleibt und wird endlich im Sterben verklärt zu ewiger Seligkeit. Ueberdies ist es gewis und wahr, daß schon im Leben, wo Glück und Unglück zusammen herrschen, über die Frommen ein heimliches Vergnügen und ein stilles süßes Warten, ja ein verborgenes Gefühl und Bewußtsein unaussprechlichen Friedens und Wohlseins von Tag zu Tag mehr sich ergießt. Mitten im Unglück haben sie ein Glück, um des willen sie im Grunde niemals zu bedauern sind. Laßt uns das an unserm Texte sehen!

|  Den Blick auf die heilige Familie gerichtet, liebe Brüder! Es ist Nacht. Da ruht die heilige Mutter und an ihrer Brust das Augenmerk Gottes und aller Engel. Herodes zürnt, er dürstet nach dem Blute des neugeborenen Königs: es ist zwischen dem Herrn und dem Tode nur ein Schritt. Aber es ist alles versehen. Der alles sieht und hört, hat Engel genug, die allzumal Diener sind derer, welche ererben sollen die Seligkeit, geschweige also des Herzogs unsrer Seligkeit. Die höchsten Engel, die allzeit des Vaters Angesicht schauen, wachen über den Kindern, also am liebsten über dem Kinde, welches Gottes Sohn und ihr eigener ewiger König ist. Eine heilige unüberwindliche Wacht ist um das Bettlein her, zahlreicher, stärker, wachsamer ist sie, als die, welche gezogenen Schwertes um Salomos Bette stand um der Furcht willen in der Nacht (Hohesl. 3, 8.). Wie Maria mit dem Kinde, so schläft auch in frommer Liebe zu JEsu der treue Eleaser, der Pflegevater JEsu, der heilige Joseph. Die Engel kennen ihn und seine wache Seele vernimmt auch im Schlafe ihre freundliche Zusprache. Gewarnt von einem Engel Gottes erwacht er und entführt dem Wütherich eilends die Beute, über die ihm keine Macht gegeben werden soll. Es ist eine weite Reise bis in Aegyptenland; Joseph war nie dort; die Wege waren nicht sicher, wie bei uns; es gieng durch unwirthbare Gegenden; man reist dort nicht gern allein. Aber Joseph geht allein, findet den Weg, findet Unterkunft, bleibt verborgen mit seinem Schatze, ist wohlversorgt, hat bei Myrrhen, Gold und Weihrauch, wird zur rechten Zeit von Engeln wieder heimgemahnt, kommt wieder, meidet das Land, wo Archelaus herrscht, und bringt das Kind und dessen Mutter nach Nazareth in Sicherheit. Eine Kette von gnädigen Führungen und glücklichen Fügungen, eine Reihe von Bewahrungen, aus denen augenscheinlich hervorgieng, daß dies Kindlein unter einem großen Schutz stand. Jacob nannte auf seinem Heimweg Einen Ort Mahanaim, weil er Engelheere sah; wo aber Christus war, da war überall Mahanaim, − auch verborgen und nicht immer offenbar, Engel trugen Ihn überall auf ihren Händen, daß Er Seinen Fuß an keinen Stein stieße, − Gott selbst geleitete Ihn hinein in Aegyptenland und aus Egypten hat Er Seinen Sohn gerufen. Wahrlich, da gieng eine unsichtbare Herrlichkeit himmlischen Glückes neben dem sichtbaren Unglück her: Glück und Unglück geleiteten JEsum nach Aegyptenland − das Glück aber war weit größer als das Unglück.

 Oder ists nicht so? Das Kind ist gering, arm, scheinbar verlaßen − und hat doch die beste Mutter, den frömmsten Pfleger, viele und die heiligsten, weisesten, gewaltigsten Diener und ein Vateraug und Herz im Himmel, das nicht schläft noch schlummert. Gieng es diesem heiligen JEsus doch immer so, so lange Er hier auf Erden war. Mit Seinen Jahren wächst Seine Last, Seine Arbeit, Sein Leid, bis Er endlich gar in die unbegreiflichen Todesleiden kommt und scheinbar darin untersinkt: immer steigendes, namenloses Unglück ist Sein Theil und wer hat gelitten, was Er, wie Er gelitten hat?! Aber − es ist doch wahr: das Leid starb, die Freude überwog und erwies sich als unsterblich. Ist Er nicht erstanden von den Feßeln des Todes und der Hölle? Hat Er sich nicht gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe? Ist Er nicht aus dem Gerichte genommen? Wer kann Seines Lebens Länge ausreden? Sein Leben war eine mühselige Wallfahrt, aber Er hat Seinen Platz gefunden in der Ruhe des wonnevollen Heiligtums! Für Ihn ist Wehe, Leid und Klage eine Unmöglichkeit geworden − und die Freuden Seines Vaters sind Sein ewiges Theil.

 Und wie bei Ihm, so ist es bei den Seinen. Das sieh an den Kindlein von Bethlehem. Das sind die Gespielen des HErrn JEsus Christus: Er vergißt sie nicht. Es sind Seine Altersgenoßen; die hat Er im Auge. Er kann nicht zugleich mit ihnen ins Paradies gehen; vor Ihm liegt noch ein ganzer Lebenslauf voll Thuns und Leidens zum Heile der Menschenkinder. Aber Er gibt ihnen die Seligkeit voraus. Haben sie um Seinetwillen das Leben eingebüßt, so werden sie es auch um Seinetwillen in einem unaussprechlich größeren Maße gefunden haben. Sind alle Kindlein des Bundes selig, die frühe sterben: warum nicht diese, deren Todesursache in so naher Berührung mit dem Ursächer alles Lebens und aller Seligkeit stand? Nicht allein selig, auch herrlich werden sie sein. Kinder können ja nicht anders Märtyrer JEsu werden, als auf die Weise, wie die Kinder von Bethlehem. Wenn zum Martyrium durchaus bewußter Glaube vorhanden sein müßte, so gäbe es keine Märtyrer, die es als Säuglinge geworden. Wie immer Säuglinge Märtyrer werden konnten, wurden es die Kinder von Bethlehem. So werden sie auch Märtyrerkronen empfangen haben,| wie immer es Kindern möglich ist. Wie manche bethlehemitische Mutter wird vielleicht beklagt haben, daß sie ihr Kindlein umsonst unter dem Herzen getragen, umsonst geboren, umsonst gepflegt habe, daß es ihr sauer geworden sei umsonst. Und dennoch war das großer Irrtum. „Eure Mühe ist nicht umsonst“, konnte ihnen tröstend entgegengerufen werden. Und wie der Prophet den Müttern, deren Kinder weggeführt wurden, zurufen konnte: „Sie werden wiederkommen“, so konnten auch die bethlehemitischen Mütter sich mit dem Worte trösten: „Sie werden wiederkommen.“ Denn sie kommen ja wieder am Tage der Auferstehung, und am Tage der Offenbarung des großen Gottes und Heilandes JEsu Christi wird auch ihre Herrlichkeit offenbar werden. Es ist mancherlei Klarheit: eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne, und ein Stern übertrifft den andern an Klarheit. Wie werden an jenem Tage diese Sterne, diese Kindlein so lieblich und freundlich leuchten! Wie werden sich dann die Mütter selig preisen, dieser herrlichen Himmelsjugend das Leben gegeben zu haben. Sie werden dann erkennen, daß ihnen Zwiefältiges erstattet ist für alle ihre Qual, und der Tag ihres Todes wird dann von einem Lichte und einer Klarheit leuchten, ähnlich jener in der Geburtsnacht des HErrn. Diese Kindlein werden einen ewigen Platz am Throne des Hochgelobten haben, und Kinder und Mütter wird keine Klage mehr erreichen. − Zwar von der Mütter Seligkeit können wir so laut und sicher nicht reden, wie von der Seligkeit der Kinder. Aber sollte nicht die kommende Lebenszeit JEsu, Sein Leiden und Seine Verklärung den Müttern einiges Verständnis vom Tode ihrer Kinder gebracht und sie zu dem gezogen haben, der ihrer Kinder Licht und Heiland war in ihrem Sterben? − Ach daß wir nur auch von Herodes und für ihn hoffen dürften! Wenn nur auch sein Unglück sich in endliche Seligkeit und ewiges Leben aufgelöst hätte! Ach, wie gerne wollten wir auch diesem armen Schächer einen Blick von JEsu Gnade gönnen. Aber leider, hier ist das Mildeste Schweigen. Dieß Leben bis zum Ende, dieser Widerspruch gegen den Geist des HErrn bis in den Tod, dieser Tod − wer wollte, wer könnte eine Entschuldigung finden, wie gar keine Spur ist hier von einer Frucht, die Gottes Geduld getragen! Ach, wie endet die Sünde und ihr Elend so schrecklich, so hoffnungslos! Wie ist das Wort so schaurig, das ums Todtenbette des Bösewichts weht: „Ihr Wurm stirbt nicht, ihr Feuer verlischt nicht!“

 Unglück und Glück, vermeiden kann sie keiner. Eine Wahl ist nur zwischen sterblichem Unglück und unsterblichem Glück einerseits und andererseits zwischen sterblichem Glück und unsterblichem Unglück. Wähle! Diese Wahl liegt an dir, Gott legt sie in deine Hand, und wenn du recht wählest, hilft Er dir zu deinem Ziel. Willst du, was Herodes? Doch wohl nicht: nicht seine Würmer, geschweige sein Feuer. Willst du, wie es die Kindlein hatten? Kurzes Unglück, ewig Glück − kleines Leiden von unverstandener Tiefe und Würde und ewig Heil von unverstandenen Tiefen? So wie die Kinder von Bethlehem kannst du’s nicht haben, du bist kein Kind mehr. Willst du wie JEsus? Mühselig Wallen − endlich Ruhe, völlige Ruhe in Ihm, bei Ihm? Das kannst du haben in deinem Maße. Wie dir der Herr das Wollen und die Wahl giebt, so kannst du alles haben, so wirds kommen. Deswegen wird dir ja der Weg Christi erklärt und vorgelegt, daß du Lust zu Seiner Nachfolge bekommst, hier zu sein wie Er, dort zu sein wie Er. Die Botschaft von Ihm bringt Lust zu Seiner Nachfolge, dazu ist sie gemacht und gesegnet. Hast du die Lust? Sie war und ist die Lust aller Heiligen, − und wohl dir, wenn sie dein Herz durchdringt. Der HErr reihe dich ein in das Heer Seiner Heiligen und gebe dir JEsu Weg.

 JEsu Weg ist aber an seinem Ende Tod für uns − der Kindlein Weg ist Tod um Seinetwillen. Vergeßen wir das nicht. Es ist ein hoher Wunsch, den Kindlein von Bethlehem in der Art ihres Todes gleich zu werden: ein unmöglicher, Christo darin gleich zu werden. − Ein hoher Wunsch, ein schöner Wunsch, ein edler Wunsch, jenen Kindlein gleich zu werden, so wie Jünglinge und Männer ihnen gleich werden können. Weißt du, wie dieser Wunsch mit Einem Worte bezeichnet wird? Sein Name ist Martyrium. Nach einem Leben, treu den heiligen Befehlen, statt Krankheit Folter, statt eines Todtenbettes Schwert, Feuer oder Kreuz: wie meinst du, ist das wünschenswerth? Man redet heut zu Tage manchmal gegen eine gewisse Sucht, zum Martyrer zu werden, und ist doch kaum in allen Landen auch nur ein leiser| Wunsch zu finden, die Martyrkrone zu erlangen. Luther hat unter Thränen gewünscht, sein Leben für das Evangelium hingeben zu dürfen; viele Tausende haben in den ersten Zeiten der Kirche einen solchen Tod mehr gewünscht, als jetzt ein ehebrecherisch Geschlecht Fleischesfreuden! Wer aber erschrickt jetzt nicht vor einem Wunsche, wie der ist? Wem kommt er nicht wie eine Schwärmerei, ja fast wie Lieblosigkeit, wie ein Wunsch zu fremdem Nachtheil, wie ein Fluch vor, − denn fast scheint es ja, als ob, wer so etwas schön findet, dem Fürsten Herodis Grausamkeit, dem Volke Herzen voll jüdischen oder heidnischen Haßes gegen Christus wünschte. Es scheint auch kaum mehr, daß ich also rede, eine Gelegenheit zum Martyrium vorhanden. Es scheint sich kein Tyrann, kein wüthendes Volk, keine Welt, kein Teufel mehr zu finden, der Lust und Unverstand genug hätte, es mit dem Christenblut zu wagen, mit dem Blute, das gen Himmel schreit wie Abels Blut und den Allmächtigen und Seine Allmacht auf den Kampfplatz ruft. Laßt uns das Haupt senken und stille sein! − Ich wünsche dir und mir den Glauben, der stark ist, Noth und Tod zu überwinden. Ich wünsche dir die Freude, für Jesum alles wagen zu können und zu dürfen. Ich wünsche, daß dus thuest im Kleinen und im Großen, im Leben und im Sterben und daß du sterbend jeden Falls an Tod und Teufel zum Ritter werdest. Die Martyrkrone aber? Sie ist ein Kleinod, das man nicht empfängt, weil man es wünscht. Hier herrscht ein geheimer Rath. Sind wir nur Sein, dann können wirs neidlos tragen, fröhlich schauen, wenn andere vor uns glänzen in jener Welt. Nur Sein, nur Sein! Nur Dein, nur Dein, HErr JEsu! Amen.




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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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