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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Morden auf die Straßen von Bethlehem hätte treten wollen, um die Bethlehemiten mit dem Satze zu trösten: „Herodes ist doch unglücklicher als ihr!“ so würde seine Tröstung abgeprallt sein, vielleicht würde sich gegen den unzeitigen und ungeschickten Tröster ein allgemeiner Unwille Luft gemacht haben. Nicht das Unglück, sondern die Bosheit und Tyrannei Herodis würde man Lust gehabt haben, gepredigt und hervorgehoben zu hören. Aber, meine Brüder, die Geschichte ist lang geschehen, die Bethlehemitinnen haben kaum eine Thräne mehr für sie, es wird daher auch für uns in unserer weiten Entfernung nicht mehr unschicklich sein, eine Ueberlegung über das Unglück Herodis anzustellen. Ist es denn nicht der größte Jammer, welchen es in der Welt gibt, vor Gott so verschuldet zu werden, wie es Herodes ward? sich eine Hölle so wie Herodes zu schüren? Das Blut der unschuldigen Kindlein schrie wider Herodes gen Himmel, und dieses vervielfachte Geschrei von Abels Blute soll kein Unglück für diesen Kain gewesen sein? Dazu war diese Blutschuld Herodis nicht die einzige, welche im Schuldregister stand. Herodes war damals schon siebzig Jahre alt und hatte dieß Alter mit Sünden erlangt. Seinem Schwager Aristobulus, der ein Maccabäer war und ein Jahr zuvor Hoherpriester geworden, hatte er vor seinen Augen im Bade ersäufen laßen, bloß weil er beßer und beliebter war als er selbst. Und das wäre kein Unglück für den, welcher es that? Seinen einundachtzigjährigen Schwäher Hircan hatte er ehrenvoll aus dem Lande der Parthen herführen laßen und ihn darauf schändlich und treulos umgebracht: und eine solche Schuld soll kein Unglück sein? Er schonte seiner Frauen nicht; er ließ sie umbringen, selbst wenn er sie leidenschaftlich liebte, selbst wenn er voraus wußte, was sich hernach ergab, daß er nicht ohne sie leben konnte, daß ihn die Sehnsucht verzehren würde. Seine eigenen Söhne ließ er hinrichten, deren Bekannte und Freunde durch die Folter erwürgen. Der Kaiser Augustus in Rom sagte: es sei beßer Herodis Schwein als sein Sohn zu sein, − weil die Schweine, deren Fleisch er als Bekenner des Judentums nicht aß, vor ihm sicher waren, aber nicht seine Söhne. Und ein Mensch, der solche Lasten aufgeladen hat, sollte nicht unglücklicher sein, als die unschuldigen Kindlein von Bethlehem, die im Bunde und Frieden Gottes dahinstarben und durch kurzes Leid zu einer ewigen Herrlichkeit kamen? Man müßte doch sonderbare Begriffe von Glück und Unglück haben, wenn man glauben wollte, daß ein Mensch, der neben zahllosen andern Missethaten Vatermord, Frauenmord, Kindermord auf dem Gewißen hat, auch nur Eine vergnügte und glückliche Stunde haben könne. − Könnte aber irgend jemand noch einen leisen Zweifel an Herodis Unglück übrig haben, der sehe auf das Ende, auf die Aernte aller der bösen Thaten Herodis, welche in seinem Tode für ihn reif wurde. Die Kinder von Bethlehem starben unter Martern, aber diese Martern waren klein im Vergleich mit denen, welche Herodes in Baldem auszustehen hatte. Jene Kindlein starben unter dem Mordstahle der Kriegsknechte; das war etwas leichtes, wenn man es mit dem Tode Herodes vergleicht, der in Gottes Hände fiel, von denen geschrieben steht: „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Sein Sohn Antipater wollte ihn umbringen, aber dieser Tod war für einen Herodis zu gut; Herodes ließ, nachdem er Nachricht von dem Plane seines Sohnes bekommen, denselben fünf Tage vor dem eigenen Tode hinrichten. Was für einen Tod hatte ihm aber Gottes Gerechtigkeit zugesprochen? Das höret! Seine Eingeweide waren in Entzündung, seine verborgenen Theile verfaulten, die Würmer nagten an dem lebendigen Leichnam, ein furchtbarer Gestank gieng von ihm aus: dabei schrumpfte er zusammen und sein Odem gieng schwer aus und ein. Er hätte sich gerne selbst umgebracht, wenn es ihm nur gelungen wäre; er mußte aber ausharren, bis seine Seele aus dem bereits verwesenden Leichnam fuhr. Er wußte es, daß kein Mensch um ihn weinen würde; die Leute warteten in Jericho, wo er starb, mit Ungeduld auf die Todesbotschaft, jedermann sehnte sich nach der Erquickung, ihn todt zu wißen. Darum hatte er die Vornehmsten des Reiches bei Todesstrafe zusammengefordert und befohlen, daß man sie alle in seiner eigenen Todesstunde gleichfalls umbringen sollte, damit er wenigstens unter Klagen stürbe, wenn auch keine Klage um ihn, sondern alle nur über ihn zu Gott aufstiegen. Man vollzog aber den Befehl nicht, man ließ die Großen heim und alles war vergnügt, als es endlich hieß: Herodes ist an seinen Ort gefahren. Es gab Thränen, aber es waren keine Thränen des Jammers, sondern nur der Freude. Und das, um noch einmal zu fragen, das soll kein Unglück sein? Eines ist wahr. Das Unglück

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 054. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/65&oldid=- (Version vom 22.8.2016)