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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wie immer es Kindern möglich ist. Wie manche bethlehemitische Mutter wird vielleicht beklagt haben, daß sie ihr Kindlein umsonst unter dem Herzen getragen, umsonst geboren, umsonst gepflegt habe, daß es ihr sauer geworden sei umsonst. Und dennoch war das großer Irrtum. „Eure Mühe ist nicht umsonst“, konnte ihnen tröstend entgegengerufen werden. Und wie der Prophet den Müttern, deren Kinder weggeführt wurden, zurufen konnte: „Sie werden wiederkommen“, so konnten auch die bethlehemitischen Mütter sich mit dem Worte trösten: „Sie werden wiederkommen.“ Denn sie kommen ja wieder am Tage der Auferstehung, und am Tage der Offenbarung des großen Gottes und Heilandes JEsu Christi wird auch ihre Herrlichkeit offenbar werden. Es ist mancherlei Klarheit: eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne, und ein Stern übertrifft den andern an Klarheit. Wie werden an jenem Tage diese Sterne, diese Kindlein so lieblich und freundlich leuchten! Wie werden sich dann die Mütter selig preisen, dieser herrlichen Himmelsjugend das Leben gegeben zu haben. Sie werden dann erkennen, daß ihnen Zwiefältiges erstattet ist für alle ihre Qual, und der Tag ihres Todes wird dann von einem Lichte und einer Klarheit leuchten, ähnlich jener in der Geburtsnacht des HErrn. Diese Kindlein werden einen ewigen Platz am Throne des Hochgelobten haben, und Kinder und Mütter wird keine Klage mehr erreichen. − Zwar von der Mütter Seligkeit können wir so laut und sicher nicht reden, wie von der Seligkeit der Kinder. Aber sollte nicht die kommende Lebenszeit JEsu, Sein Leiden und Seine Verklärung den Müttern einiges Verständnis vom Tode ihrer Kinder gebracht und sie zu dem gezogen haben, der ihrer Kinder Licht und Heiland war in ihrem Sterben? − Ach daß wir nur auch von Herodes und für ihn hoffen dürften! Wenn nur auch sein Unglück sich in endliche Seligkeit und ewiges Leben aufgelöst hätte! Ach, wie gerne wollten wir auch diesem armen Schächer einen Blick von JEsu Gnade gönnen. Aber leider, hier ist das Mildeste Schweigen. Dieß Leben bis zum Ende, dieser Widerspruch gegen den Geist des HErrn bis in den Tod, dieser Tod − wer wollte, wer könnte eine Entschuldigung finden, wie gar keine Spur ist hier von einer Frucht, die Gottes Geduld getragen! Ach, wie endet die Sünde und ihr Elend so schrecklich, so hoffnungslos! Wie ist das Wort so schaurig, das ums Todtenbette des Bösewichts weht: „Ihr Wurm stirbt nicht, ihr Feuer verlischt nicht!“


 Unglück und Glück, vermeiden kann sie keiner. Eine Wahl ist nur zwischen sterblichem Unglück und unsterblichem Glück einerseits und andererseits zwischen sterblichem Glück und unsterblichem Unglück. Wähle! Diese Wahl liegt an dir, Gott legt sie in deine Hand, und wenn du recht wählest, hilft Er dir zu deinem Ziel. Willst du, was Herodes? Doch wohl nicht: nicht seine Würmer, geschweige sein Feuer. Willst du, wie es die Kindlein hatten? Kurzes Unglück, ewig Glück − kleines Leiden von unverstandener Tiefe und Würde und ewig Heil von unverstandenen Tiefen? So wie die Kinder von Bethlehem kannst du’s nicht haben, du bist kein Kind mehr. Willst du wie JEsus? Mühselig Wallen − endlich Ruhe, völlige Ruhe in Ihm, bei Ihm? Das kannst du haben in deinem Maße. Wie dir der Herr das Wollen und die Wahl giebt, so kannst du alles haben, so wirds kommen. Deswegen wird dir ja der Weg Christi erklärt und vorgelegt, daß du Lust zu Seiner Nachfolge bekommst, hier zu sein wie Er, dort zu sein wie Er. Die Botschaft von Ihm bringt Lust zu Seiner Nachfolge, dazu ist sie gemacht und gesegnet. Hast du die Lust? Sie war und ist die Lust aller Heiligen, − und wohl dir, wenn sie dein Herz durchdringt. Der HErr reihe dich ein in das Heer Seiner Heiligen und gebe dir JEsu Weg.

 JEsu Weg ist aber an seinem Ende Tod für uns − der Kindlein Weg ist Tod um Seinetwillen. Vergeßen wir das nicht. Es ist ein hoher Wunsch, den Kindlein von Bethlehem in der Art ihres Todes gleich zu werden: ein unmöglicher, Christo darin gleich zu werden. − Ein hoher Wunsch, ein schöner Wunsch, ein edler Wunsch, jenen Kindlein gleich zu werden, so wie Jünglinge und Männer ihnen gleich werden können. Weißt du, wie dieser Wunsch mit Einem Worte bezeichnet wird? Sein Name ist Martyrium. Nach einem Leben, treu den heiligen Befehlen, statt Krankheit Folter, statt eines Todtenbettes Schwert, Feuer oder Kreuz: wie meinst du, ist das wünschenswerth? Man redet heut zu Tage manchmal gegen eine gewisse Sucht, zum Martyrer zu werden, und ist doch kaum in allen Landen auch nur ein leiser

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 058. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/69&oldid=- (Version vom 22.8.2016)