Die katholische Kirche (1914)

Textdaten
<<< >>>
Autor: Sebastian Merkle
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die katholische Kirche
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Achtes Buch, S. 55–82
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[1023]
Die katholische Kirche
Von D. Dr. Sebastian Merkle, Professor a. d. Universität Würzburg


Als es sich im Vorfrühlinge des Jahres 1888 darum handelte, in welcher Weise die Gedächtnisfeier für Wilhelm I. in den katholischen Kirchen begangen werden sollte – da war es für den stillen Beobachter ein rührendes Schauspiel, wie in dem alten Stadtpfarrer von Schwäbisch-Gmünd die patriotische Begeisterung für den ersten Kaiser des neuen Reiches mit den kanonischen Vorschriften über das Verhalten der Kirche gegenüber verstorbenen Akatholiken[1] im Streite lag. Natürlich mußte schließlich das Herz sich dem Gesetze fügen. Aber wie er die Feier gestaltet hätte, wenn es mehr nach jenem als nach der dogmatischen Konsequenz gegangen wäre, daraus machte der greise Anton Pfitzer seinem vertrauten Vikar gegenüber kein Hehl. Anno achtundvierzig hatte der noch junge Mann seinen großdeutschen Sommernachtstraum geträumt. Nachmals war er den Anschauungen, die sein Namensvetter Paul Pfizer in dem „Briefwechsel zweier Deutscher“ und in dem Liede von den schwäbischen Kaiserbergen ausgesprochen hatte, immer näher gekommen, und die Erfüllung der Sehnsucht seiner Jugend- und Mannesjahre hatte der Fünfziger mit Jubel begrüßt. Als nun Kaiser Wilhelm I. seine Augen schloß, da flammte in dem Siebzigjährigen die Begeisterung für die Ideale seiner Jugend noch einmal leuchtend empor. Der Kulturkampf, der so manchen deutschen Katholiken in einen schmerzlichen Konflikt zwischen Vaterlandsliebe und religiöser Überzeugung gebracht, und den auch die katholischen Württemberger von ihrer Friedensoase aus mit treuer Teilnahme verfolgt hatten, war in der Hauptsache beigelegt, man konnte wieder freudig deutsch und aufrichtig katholisch zugleich sein. Felix Dahns ergreifendes, zweisprachiges Trauerlied auf Kaiser Barbablanka gab der Größe des Augenblicks machtvollen Ausdruck. „Der Mann, in dem das Träumen und Sehnen meines Lebens sich erfüllt hat, verdient auch im Tode eine besondere Ehrung“, das war der Gedanke des alten Pfarrers.

Dieses Stimmungsbild durfte unsere Betrachtung einleiten; denn was in dem Seelsorger der ehemaligen Reichsstadt sich abspielte, das wiederholte sich bei Hunderten, bei Tausenden katholischer Geistlicher und Laien im Süden wie im Norden. Wer inmitten der damaligen Sorgen und Nöte – der erste Kaiser tot, der zweite zum Tode krank, der dritte für die seiner harrende schwere Aufgabe scheinbar noch allzu jung – hätte voraussagen können, daß der Enkel in fünfundzwanzigjähriger Friedensarbeit gerade auf kirchlichem Gebiete das meiste von dem fortführen und vollenden werde, was der Großvater so verheißungsvoll begonnen! Dem greisen schwäbischen Pfarrer war nur mehr [1024] das Morgenrot des neuen Tages zu schauen vergönnt. Heute blicken die deutschen Katholiken auf ein an Segnungen und Erfolgen reiches Vierteljahrhundert zurück.

Staat und Kirche.

I. Eine Würdigung des katholisch-kirchlichen Lebens während der Regierungszeit Wilhelms II. muß ausgehen von dem Verhältnisse zwischen Staat und Kirche, wie es sich im verflossenen Jahrhundert entwickelt hatte. Die Voraussetzungen, unter denen die Kirche ihre Wirksamkeit zu entfalten hat, sind von solchem Einflusse auf Richtung, Art und Umfang der letzteren, daß ohne Kenntnis jenes Verhältnisses ein tieferes Verständnis der kirchlichen Vorgänge gar nicht möglich wäre.

Kein zweites Land stellt so enorme Anforderungen an die Klugheit und den Gerechtigkeitssinn seines Herrschers, wie das Deutsche Reich. Denn wenn die Religion die heiligste und innerlichste Angelegenheit des Menschenherzens ist, und wenn darum die religiösen Gegensätze am tiefsten in das Volksleben eingreifen und am schwersten auszugleichen sind, so hat der deutsche Kaiser, in dessen Reiche wie in keinem anderen die Verschiedenheit der Konfessionen sich geltend macht, mit Schwierigkeiten wie kein anderer Monarch zu kämpfen. Und der Vergleich mit der Vergangenheit wird deutlicher als alles andere die Verdienste beleuchten, welche unser dermaliger Kaiser sich um die religiöse Pazifikation seines Staates Preußen wie des Reiches erworben hat.

In früheren Jahrzehnten.

Kaum daß das neue Reich gegründet war, hatte die Stellung der katholischen Kirche zum preußischen Staate – und in anderen deutschen Landen fand das Vorbild des führenden Staates Nachahmung – eine arge Störung erfahren. Zu ihrem Verständnis müssen wir etwas zurückgreifen. Unmittelbar nach der Säkularisation war infolge des Zusammenbruchs der geistlichen Staaten, der dadurch bedingten vollständigen Umgestaltung aller Verhältnisse und namentlich dank den napoleonischen Kriegen trotz der begreiflichen Mißstimmung weiter katholischer Kreise keine Zeit, um an religiöse Gegensätze zu denken. Die Not lehrte beten, aber zugleich über die dogmatischen Unterschiede hinwegsehen. Die gemeinsame Gefahr drängte die sonst verschiedene Wege gehenden Brüder eng zusammen. Als aber nach glücklicher Überwindung des Bedrängers weder von politischer noch von kirchlicher Freiheit die Rede war, mußte sich die Friedensstimmung allmählich verlieren. Wie wenig Preußen mit dem paritätischen Staat Ernst machen werde, davon hatte schon im Jahre 1802 eine Kundgebung des Ministeriums des Äußern eine Vorahnung gegeben, in der die Ansicht ausgesprochen worden war, in der Mischehenfrage „müßten dem Protestanten die Gesetze zu Hilfe sein“. Auch die Deklaration vom 21. November 1803 hatte „den von Sr. Majestät ausgesprochenen Zweck der Beschützung des evangelischen Glaubens“. Wenngleich nun die Schriftstücke mit diesen zweifelhaften paritätischen Grundsätzen erst viel später (1831) allgemein bekannt wurden, so waren diese letzteren doch bald aus den Taten erkenntlich, und nach Veröffentlichung jener Aktenstücke wurde die Stimmung der Katholiken ungünstig genug beeinflußt. Daß der Wiener Kongreß auch die bescheidensten Erwartungen in kirchlicher Hinsicht unerfüllt [1025] gelassen, ist allgemein zugestanden. Kein Katholik hätte sodann über die kirchenpolitische Kurzsichtigkeit, ja über die „Erbärmlichkeit der Herren von Hardenberg und Altenstein“ sowie über Schmeddings unsicheres „Schwanken zwischen Rationalismus und Kurialismus“ vernichtender urteilen können, als der protestantische Frhr. v. Stein. Dieser hochsinnige Patriot stellte noch 1830 dem Prinzen Wilhelm, damaligem Generalgouverneur der Rheinlande und späterem Kaiser, in einer Audienz vor: der Geist der Rheinländer werde erbittert und verstimmt durch die Mißgriffe und Nachlässigkeiten des Ministeriums des Kultus, das die wichtigsten geistlichen Angelegenheiten unentschieden liegen lasse, dann dadurch, daß es den Verdacht eines dem Katholizismus feindseligen Geistes errege, indem kein katholisches Mitglied im Koblenzer Schulrat sei usw. Nicht lange vorher hatte er geschrieben, Altensteins Verbleiben im Ministerium habe „die nachteiligste Folge für religiöse und geistige Bildung des Volkes“. „Wie vermag ein so unklarer, einseitig gebildeter Kopf kirchliche und pädagogische Anstalten bilden, lenken?“ Und gerade dieses Ministerium hatte sich zugetraut, alles allein machen zu können. Zu den wichtigsten Beratungen über kirchliche Fragen hatte man keinen einzigen Bischof zugezogen. Selbst der ultramontaner Tendenzen wohl nicht verdächtige, der Regierung aufrichtig ergebene Erzbischof Spiegel blieb von allen die Schicksale der preußischen Katholiken behandelnden Konferenzen ausgeschlossen, worüber er sich bitter beklagte. „Das protestantische Gouvernement“, schreibt er an seinen Bruder, „ist mehr wie jemals antikatholisiert und – quis crediderit? – in eine evangelische Propaganda ausgeartet, daher die unbegrenzte Forderung der verderblichen gemischten Ehen und das Übergreifen vom ius circa sacra in die eigentlichen sacra, wo ich dann natürlich in Opposition trete und mich herumbalge.“ „Die Bischöfe haben eine mißliche Stellung unter protestantischem Szepter und protestantisch intolerantem Ministerium.“ Dem Bruder klagte Spiegel auch, „daß Intoleranz, ich möchte wohl sagen Groll gegen alles Katholische die Verwaltungsbehörden, aus Protestanten zusammengesetzt, in den Rheinlanden bestimmt“. Erst als der Karren in der Mischehenfrage gründlich verfahren war, wurde des Erzbischofs Hilfe angerufen und er bis aufs Blut gequält, bis er die Konvention einging, um deren willen von katholischer Seite soviel Schmach auf seinen Namen gehäuft ward. Die selbstgenügsame Klugheit Altensteins führte schließlich zu dem „Siege“ vom 20. November 1837, der Verhaftung Clemens Augusts von Droste, mit welcher die Niederlage der preußischen Regierung besiegelt und eine katholische Reaktion mit Gewalt heraufbeschworen wurde. Über die katholische Abteilung im Kultusministerium, die von Friedrich Wilhelm IV. zur Verhinderung solcher Mißgriffe errichtet wurde, ist von akatholischer Seite sehr ungünstig geurteilt worden, am ungünstigsten zu Beginn der siebziger Jahre, als es galt ihre Aufhebung zu rechtfertigen. Aber ein Kenner der Personen und Verhältnisse, der Spektator der einstmaligen Allgemeinen Zeitung, dessen Regierungsfreundlichkeit durch die bittere Befehdung seitens extrem katholischer Kreise genügend erwiesen ist, hat wohl nicht unzutreffend gemeint: wenn einzelne Mitglieder jener Abteilung Fehler begingen, so seien diese Fehler verschwindend gering gewesen gegenüber denjenigen, die protestantische Kultusminister vor und nach 1841 begangen haben, und an den Hauptfehlern trage die Schuld nicht die Einrichtung als [1026] solche, sondern der Mißgriff derjenigen, welche die unrichtigen Personen an die Stelle gebracht hätten.

Der Kulturkampf.

Sei dem wie ihm wolle, die Aufhebung der katholischen Abteilung mußte, zumal im Zusammenhang mit anderen Maßregeln vorher und nachher, die Überzeugung hervorrufen, daß man zur Kirchenpolitik der dreißiger Jahre, die zum „Kölner Ereignis“ geführt hatte, zurückkehren, ja sie noch überbieten wolle. Bismarck hatte gut sagen, derjenige verleumde die Regierung Seiner Majestät, welcher ihr die Absicht einer Verfolgung der katholischen Kirche zuschreibe. Gewiß glaubt heute kein ruhig denkender Katholik, daß die preußische Regierung jene Absicht gehabt habe. Aber ob damals angesichts der gesetzgeberischen Maßnahmen und namentlich ihrer Ausführung durch niedere Organe viele Katholiken zum Glauben an jene Botschaft sich entschließen konnten, ist eine andere Frage. Der Fehler des eisernen Kanzlers war, daß er sich und seinen einseitig gewählten Ratgebern die Entscheidung darüber zutraute, was zum religiösen Leben des Katholiken gehöre, was nicht, was katholisch, was ultramontan sei – ein Irrtum, der ihn tief ins religiöse Leben eingreifen, die Gefühle der Gläubigen aufs schmerzlichste verletzen ließ. Und sein Unglück wollte es, daß er dabei lärmende Bundesgenossen in Kreisen fand, die nicht nur die katholische, sondern jede positive Religion haßten. Solche Beobachtungen boten den stärksten Anhalt zu jener Meinung, die freilich Bismarck von seinem Standpunkte aus als Verleumdung bezeichnen konnte. „Eine Gesetzgebung, die bestimmt war, durch ihre Schärfe den Klerus zu beugen unter die Gerechtigkeit des Staates, ist zur religiösen Erzürnung eines katholischen Volkes geworden,“ urteilte Karl Hase.

Friedensschluß.

Wie der größte Feldherr am Beginne des Jahrhunderts die Macht der nationalen Idee verkannt hatte, so hatte der größte Staatsmann am Ausgange desselben die Gewalt der religiösen Idee unterschätzt. Aber der eiserne Kanzler trug kein Bedenken, umzukehren, nachdem er den betretenen Weg als nicht zum Ziele führend erkannt hatte; er selbst leitete den Abbau des Kulturkampfes ein. Beim Tode Kaiser Wilhelms I. waren die am empfindlichsten ins kirchliche Leben einschneidenden Gesetze beseitigt. Die preußischen Bischöfe konnten in ihrer Huldigung vom 29. August 1888 an Wilhelm II. es begrüßen, daß noch der Lebensabend seines höchstseligen Großvaters durch die ersten Strahlen friedlicher und wohlwollender Beziehungen zwischen Kirche und Staat verschönt worden sei. Wenn aber auch nach Aufhebung der drückendsten Gesetze keine neuen Wunden mehr geschlagen wurden, so bluteten und schmerzten doch teilweise noch die alten, konnten auch infolge von mancherlei Reibungen nicht verheilen. Überhaupt zeigten sich verschiedene Nachwehen des überstandenen Kampfes. So galt es beim Ausgange der Regierung des alten Kaisers, die schmerzlichen Erinnerungen durch freundliche Behandlung der Verletzten möglichst rasch und möglichst vollständig vergessen zu machen, das noch junge gegenseitige Vertrauen zu hegen und zu stärken, das im Hintergrunde da und dort noch lauernde, von mancher Seite geflissentlich genährte Mißtrauen zurückzudrängen, ein freudiges Zusammenwirken zu ermöglichen.

[1027]

Eingreifen Wilhelms II.

So schmerzlich nun auch das gesamte deutsche Volk den Hingang des greisen Kaisers beklagen mochte; so niederschmetternd auch das tragische Geschick seines ihm so bald im Tode folgenden Sohnes, an dessen Heldengestalt sich so frohe Hoffnungen geknüpft hatten, das schwergeprüfte Reich treffen mochte: für die Aufgabe, wie sie auf kirchenpolitischem Gebiete des neuen Herrschers harrte, war eine jugendliche, ihrer Kraft und der Zeit vertrauende Persönlichkeit, die noch nicht durch zuviele bittere Erfahrungen um ihren tatenfrohen Optimismus gebracht war, ganz hervorragend geeignet. In wie glänzender Weise der dritte Kaiser diese in ihn gesetzten Hoffnungen nicht nur erfüllt, sondern in mehr als einer Hinsicht aufs erfreulichste übertroffen hat, das kann heute um so eher ohne jeden Byzantinismus festgestellt werden, als es längst nicht nur durch die deutschen Katholiken, sondern auch durch viele andere, die für die religiöse Frage Herz und Verständnis haben, mit innigem Danke anerkannt ist. Wie Wilhelm II. die bei seinem Regierungsantritte größte vom Ausland drohende Gefahr dadurch beschwor, daß er dem Kaiser von Rußland als erstem, vor allen ausländischen und inländischen Herrschern, seinen Besuch machte, so fand er auch die richtigen Worte und Taten, um den seit anderthalb Jahrzehnten alle inneren Verhältnisse vergiftenden Unfrieden zu überwinden. In der sehr freundlich gehaltenen Antwort auf die erwähnte bischöfliche Adresse erklärte der Monarch (7. November 1888): „Mein Leben und Meine Kraft gehören Meinem Volke, dessen Wohlfahrt zu fördern die schönste Aufgabe Meines königlichen Berufes ist. Daß Ich die Glaubensfreiheit Meiner katholischen Untertanen durch Recht und Gesetz gesichert weiß, stärkt Meine Zuversicht auf dauernde Erhaltung des kirchlichen Friedens.“

Militärfreiheit der kath. Theologen.

Diese gesetzlichen Grundlagen des Friedens zu festigen und zu erweitern war seitdem des Kaisers ebenso eifriges wie erfolgreiches Bestreben. Vielleicht kein anderes Gesetz hat ihm so viel begeisterte und dankbare Sympathien im katholischen Volke verschafft, wie jenes, das bald nach Antritt seiner Regierung die Befreiung der katholischen Geistlichen vom aktiven Militärdienst verfügte. Daß ein protestantischer Herrscher, dem zudem der Ruf kriegerischer Gesinnung vorausgegangen war, für die Idee des katholischen Priestertums ein so zartes Verständnis zeige, diese Verbindung von Starkem und Mildem war eine freudige Überraschung für weite Kreise. Nicht als ob die jungen katholischen Theologen ihr „freiwilliges“ Jahr „unfreiwillig“ gedient hätten; wer Gelegenheit hatte, sie in und außer dem Dienste zu beobachten, der konnte sich überzeugen, daß sie mit nicht weniger Ehre und Stolz des Königs Rock getragen, als Studierende anderer Fakultäten, und anerkennende Urteile von Offizieren hörte man über sie so gut wie über andere. Aber man muß es miterlebt haben, wie die Aushebung der bis dahin zum Dienst mit der Waffe nicht herangezogenen Kandidaten des Priestertums von dem einfachen Volke hier mit Schmerz, dort mit lauter Entrüstung aufgenommen und als Symptom eines völlig unchristlichen Geistes verabscheut wurde. War es ja nicht nur ein Grundsatz des alten Kirchenrechts, daß der christliche Priester kein Blut vergießen dürfe und daß, wer dies getan, ohne Dispens nicht in den geistlichen Stand eintreten könne. Das Volk, [1028] das vielleicht zumeist von dieser Bestimmung gar nichts wußte, hatte es doch auch seinerseits als Widerspruch mit der Idee des Priesters empfunden, daß ein solcher mit der Waffe in der Hand seinem Nebenmenschen entgegentrete und ihn eventuell niederschieße. Wird ja schon die Beteiligung eines Geistlichen an der Jagd selten ohne Ärgernis gesehen. Gewiß ist es ein schöner, idealer Gedanke, fürs Vaterland zu kämpfen und zu sterben, und auch der Katholik wird der Weigerung der protestantischen Theologen, sich vom Militärdienst befreien zu lassen, seine hohe Achtung nicht versagen. Aber man sollte andererseits auch nicht leugnen, daß es eine schöne, echt christliche Idee ist, der Priester solle nur ein Apostel des Friedens sein. Daß der Dienst mit der Waffe nicht der einzige ist, den der Geistliche im Kriege dem Vaterlande leisten kann, das zeigt die erfreuliche Wahrnehmung, wie gerne katholische Theologen sich nicht nur der Militärseelsorge zuwenden, sondern namentlich auch an der Ausbildung für Krankenpflege sich beteiligen. Was durch das Gesetz an Zahl der Kämpfer verloren geht, kommt auf diese Weise wieder herein und wird reichlich aufgewogen durch die Begeisterung, einem Vaterland zu dienen, das wie den materiellen, so den höheren Interessen seiner Bürger Rücksicht zu tragen weiß – eine Begeisterung, die auch dem aktiven Kämpfer mitgeteilt wird. Und wenn vollends mit der Zeit die Erkenntnis allgemein würde, daß nicht nur der Kampf mit materiellen Waffen, sondern auch das Hineinstürmen in die friedlose politische Agitation mit der Friedensmission des Priesters sich nicht vertrage, dann würde dies gewiß von vielen als weitere höchst wertvolle Segnung des schönen Gesetzes begrüßt werden.

Gewinnung der Katholiken.

Ein Herrscher, der zu seinem Volke sprach: „Zu Großem sind wir bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich euch noch entgegen“, und der diese herrlichen Tage nicht durch Krieg heraufführen wollte – wie schon sein stetes Eintreten für den Frieden zeigt, dessen Segnungen er seinem Volke fünfundzwanzig Jahre lang, oft unter den schwierigsten Verhältnissen, zu erhalten gewußt hat –, ein solcher Herrscher konnte nicht dulden, daß ein Drittel der Bevölkerung grollend und verstimmt beiseitestehe. Mit seinem Gerechtigkeitssinn und seinem Wohlwollen verband sich seine staatsmännische Klugheit, um die bisher immer noch in die Opposition gedrängten Volksteile zu freudiger positiver Mitarbeit an des Reiches Wohl und Größe zu bestimmen. Es gibt Imponderabilien, die aber ein feinfühliger Herrscher in ihrer Wirkung auf die Psyche des Volkes zu schätzen weiß; es gibt kleine Aufmerksamkeiten, die in ihrem Zusammenhang unter sich und mit anderen Zügen Symptome großen Wohlwollens sind. Wilhelm II. hat es an großen und kleinen Gnadenerweisen für die katholische Minorität seiner Untertanen niemals fehlen lassen, und wenn am Ende seiner ersten fünfundzwanzig Regierungsjahre die deutschen Katholiken ein Vertrauen gegen den Träger der Krone und seine Regierung bekunden, wie es zu Anfang der Periode unerhört gewesen wäre, so ist das in erster Linie des hochsinnigen, gerechten und klugen Kaisers Verdienst.

Gute Beziehungen zum Papste.

Eine Vorahnung dieser Kirchenpolitik weckte sofort der Besuch, den der neue Herrscher [1029] bereits im Oktober 1888 dem Papste machte, als er bei dem König des verbündeten Italien weilte. War die Persönlichkeit des jungen Kaisers an sich schon geeignet, das Vertrauen und die Sympathien des greisen Leo XIII. zu gewinnen, so mußte auch der „soziale“ Papst dem Monarchen, der sich mit großen sozialpolitischen Plänen trug, als wertvoller Bundesgenosse erscheinen. Eine Verständigung in der religiösen Frage ergab sich da fast von selbst. Es war ein Nachklang dieser Zwiesprache zwischen den Trägern des Sacerdotium und des Imperium, wenn der Papst im Frühlinge 1890 deutschen Pilgern gegenüber erklärte, er erhoffe die Sicherung der kirchlichen Freiheit in Deutschland von der Hochsinnigkeit und Gerechtigkeit des durchlauchtigsten Kaisers. Mit Recht wurde auf die „gewaltigen Momente der Weltgeschichte“, auf die „ergreifenden Wandlungen des Staatslebens“ hingewiesen, welche in der Tatsache sich offenbarten, daß der deutsche Kaiser als ausgezeichneter Ehrengast des Papstes im Vatikan erschien. Eine neue Gelegenheit, Leo XIII. und damit die Katholiken sich zu verbinden, fand Wilhelm II. im Februar 1893, wo er jenem durch General v. Loë seine Glückwünsche und ein Ehrengeschenk zu seinem fünfundzwanzigjährigen Bischofsjubiläum überbringen ließ. Auf das bei diesem Anlasse von dem erfreuten Papste erteilte Ehrenzeugnis konnte der Kaiser neun Jahre später in Aachen mit Stolz hinweisen. Deutschland sei, habe Seine Heiligkeit erklärt, das Land, wo Zucht, Ordnung und Disziplin herrsche, Respekt vor der Obrigkeit, Achtung vor der Kirche, und wo jeder Katholik ungestört und frei seinem Glauben leben könne. Das danke man dem Kaiser. Um so lieber mochte der letztere bald darauf mit der Kaiserin abermals im Vatikan vorsprechen, wobei die Ausdrücke gegenseitiger warmer Sympathien erneuert und der deutsche Einfluß mächtig gefördert wurde. Nicht minder wurde Pius X. bei seinem goldenen Priesterjubiläum durch eine Spezialgesandtschaft des deutschen Kaisers geehrt und konnte sich in ähnlich anerkennender Weise wie sein Vorgänger über die wohltätigen Folgen der kaiserlichen Kirchenpolitik aussprechen. Ebenso haben die allerhöchsten Ehrungen und Auszeichnungen kirchlicher Würdenträger im Reiche selbst die Katholiken immer lebhafter von dem unermüdlichen Wohlwollen ihres erhabenen Herrschers überzeugt.

Umschwung im Zentrum.

Die Früchte solcher Friedenspolitik sind denn auch nicht ausgeblieben. Sie zeigten sich am deutlichsten in den Parlamenten. Die Fraktion im deutschen Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhause, die neben ihrem sonstigen Programm namentlich die Vertretung kirchlicher Interessen auf ihre Fahne geschrieben, hatte bereits noch zu Bismarcks Kanzlerzeit und unter Windthorsts Führung, nachdem sie der Notwendigkeit beständigen Kampfes sich überhoben sah, die ersten Schritte zu positiver Mitarbeit getan. Die weiteren Maßnahmen Wilhelms II. machten ihr die letztere immer leichter und immer erfreulicher. Die kaiserlichen Erlasse vom Februar 1890 über Verbesserung der Lage der deutschen Arbeiter mußten ihr in Erinnerung an die Gedanken ihres Mitbegründers, des Bischofs v. Ketteler, besonders wertvoll sein. So konnten im Laufe der Zeit eine Reihe hochbedeutsamer Aktionen des nationalen Lebens durch Zusammenwirken des Zentrums mit anderen bürgerlichen Parteien durchgesetzt werden, z. B. die [1030] Gewerbeordnungsnovelle, die Handelsverträge, das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, ausgiebige Bewilligungen für das Landheer wie namentlich für die Marine, die Lieblingsschöpfung des Kaisers, die unserem Volke verheißungsreiche, glänzende Perspektiven eröffnet hat. In der auswärtigen Politik machte das Zentrum es sich „zur Gewissenssache, bis an die äußerste Grenze der Möglichkeit zu gehen, um ohne alle Parteiunterschiede den Reichstag geschlossen an der Seite der Reichsregierung zu halten“. In diesen Vorgängen spiegeln sich ähnliche auf anderen Gebieten ab. Überall ist auch bei Elementen, die hierfür am wenigsten zugänglich schienen, ein Wandel erfolgt, wie man ihn ein Jahrzehnt vorher in den kühnsten Träumen nicht zu ahnen gewagt hätte.

Verstimmung der Kurzsichtigen.

Freilich konnte diese für jeden Verständigen hocherfreuliche Entwickelung sich nicht vollziehen, ohne daß ein rückständiges Epigonentum von entgegengesetzten Seiten her seinem Mißfallen Ausdruck gegeben hätte. Aber wenn eine Politik lediglich von Schlagwörtern lebt, die durch die Umgestaltung der realen Verhältnisse längst ihres Gehaltes entleert wurden, so kann ihre absprechende Kritik nur eine Gegenprobe für die Richtigkeit des Geschehenen bedeuten. Die einen fanden, daß die katholische Partei unter Windthorst „energischer und oppositioneller“ gewesen sei, und sahen in deren Zusammengehen mit anderen Fraktionen einen Abfall von den alten Traditionen. Als ob Opposition um jeden Preis und in jedem Falle Aufgabe des Katholiken wäre, als ob er nicht mitwirken dürfte, ja müßte, wenn es gilt, ohne Verletzung seiner religiösen Überzeugung eine dem Reiche förderliche Maßnahme zu treffen, auch wenn diese nur mit schweren Opfern durchzusetzen ist! Die Berufung auf Windthorst war um so törichter, als dieser selbst unter den veränderten Verhältnissen von seiner alten Politik abgegangen war. – Aber die Rückständigkeit machte sich nicht nur auf der einen Seite geltend. An der Schwelle des Jahres 1899 mußte der Spektator es als „sehr bedauerlich und befremdlich“ beklagen, „daß gerade in dem Augenblicke, wo die Katholiken sich anschicken, an der nationalen Arbeit stärkeren und aufrichtigen Anteil zu nehmen, innerhalb des protestantischen Heerlagers eine gesteigerte Gereiztheit und gehäufte Anklagen gegen den ‚Papismus‘ sich einstellen“. Auch wir können mit unserer Überzeugung nicht zurückhalten: oftmals wäre die Kritik an unserem Kaiser nicht so herb gewesen, wenn er weniger der Gerechtigkeit und des Wohlwollens auch gegen die Minorität sich beflissen hätte. Wer „eine protestantische Politik als höchste Aufgabe deutscher Staatsleitung“ noch am Ende des neunzehnten Jahrhunderts fordern konnte, der wird natürlich immer scheel dazu sehen, wenn die Regierung nicht einfach ein Drittel der Bevölkerung zur Opposition zu verdammen sich entschließt, und wer noch im zwanzigsten Jahrhundert Preußen einen „evangelischen Staat“ nennt, an der Spitze des Reiches ein „evangelisches Kaisertum“ sieht, nachdem jener Staat seit mehr denn anderthalb Jahrhunderten paritätisch ist und unsere Reichsverfassung ein deutsches, kein konfessionelles Kaisertum kennt – mag auch der Kaiser evangelisch sein –, der wird über die vom Recht und den realen Verhältnissen geforderte Politik Wilhelms II. mißvergnügt sein, er zeigt aber auch, [1031] daß er um fünf Menschenalter hinter der Geschichte zurückgeblieben ist. Wer so redet, hat am wenigsten das Recht, über ultramontane Exklusivität sich zu ereifern. Solch törichten Träumereien nachhängen heißt die durch unseres Kaisers hochsinnige Bestrebungen glücklich aus dem Banne konfessioneller Engherzigkeit auf die Höhe nationalen Empfindens gehobene deutsche Kirchenpolitik wieder auf das alte beklagenswerte Niveau der siebziger, ja der dreißiger Jahre herabdrücken. Dafür wird freilich Wilhelm II. niemals zu haben sein, und das ist sein nie genug zu schätzendes Verdienst, das ihm die ewige Dankbarkeit nicht nur seiner katholischen, sondern aller gerecht denkenden Untertanen sichert. Die Zeit wird zeigen, daß sein Blick ungleich weiter reichte, als der seiner überlegensten Kritiker. Härte und Verschlossenheit gegen die Minorität ist eine wohlfeile, aber kurzsichtige Politik; dem Schwächeren gerecht zu werden, dazu bedarf es politischer Klugheit und oft persönlicher Entsagung, die sich aber reichlich lohnen.

II. Das gegenseitige Vertrauen und der Friede zwischen Staat und Kirche schufen den Boden, auf dem beide Autoritäten wiederum ihre ganze Kraft entfalten konnten und jede ihren eigenen Interessen wie denen der anderen am besten zu dienen vermochte. In den ersten Zeiten des neuen Reiches war das deutsche Volk in wirtschaftlichen und materiellen Fragen nahezu aufgegangen. Mit der Zeit aber erwachte wieder das Verständnis für ideale Bestrebungen und damit auch für Religion und kirchliches Leben.

Zunahme der Katholiken; kirchl. Organisation.

Die Zahl der Katholiken im Deutschen Reiche ist gewachsen entsprechend der Gesamtzahl der Bevölkerung, zeitweilig auch weit über das prozentuale Verhältnis hinaus. Diese Erscheinung kann verschiedene Ursachen haben; immerhin dürfte sie aber dafür sprechen, daß die konfessionelle Minderheit sich im Reiche behaglich fühlt. Die kirchliche Organisation war, soweit der Kulturkampf sie zerstört hatte, bereits wieder unter Wilhelm I. in den früheren geordneten Zustand gebracht worden, und ist es unter dem neuen Kaiser stets geblieben. Neben fünf Kirchenprovinzen (Köln, Gnesen-Posen, München, Bamberg, Oberrhein) mit ebensovielen Erzbistümern und vierzehn Suffraganbistümern bestehen sechs dem Römischen Stuhl unmittelbar unterstellte (exemte) Bistümer (Breslau, Ermeland, Hildesheim, Osnabrück, Straßburg, Metz), ferner drei apostolische Vikariate (Nordische Missionen Deutschlands, Sachsen, Anhalt) und zwei apostolische Präfekturen (Lausitz, Schleswig-Holstein); außerdem gehören kleine Teile Schlesiens zu den österreichischen Erzbistümern Prag und Olmütz. Der in und unmittelbar nach dem Kulturkampf vorhandene schreiende Mangel an Priestern ist nahezu gänzlich gehoben, die Seelsorge, namentlich auch in Großstädten, ist so wohl organisiert, daß sie auch in katholischen Ländern vergeblich ihresgleichen suchen dürfte, und daß angesichts derselben das päpstliche Lob wohlverdient erscheint. Diese Organisation erstreckt sich auch auf das Militär. Das gute Verhältnis der Hierarchie zur Regierung zeigte sich in den zahlreichen Ehrungen, die den Bischöfen ihrer Stellung entsprechend zuteil wurden. Der Fürstbischof von Breslau, Kardinal Kopp, und der Erzbischof von Köln, Kardinal Fischer, bekamen als Mitglieder [1032] des preußischen Herrenhauses Gelegenheit, bei Beratung kirchlicher Fragen mitzusprechen. Wenn der Kaiser bei festlichen Anlässen den Bischöfen seine wohlwollende Anteilnahme durch Glückwünsche und Auszeichnungen kundgab, so verfehlte er auch nicht, bei Todesfällen sein Beileid auszudrücken.

Kirchl. Stiftungen des Kaisers.

Wie für Zwecke der Seelsorge mit Mitteln nicht gegeizt wurde, so haben auch Kirchenbauten, soweit sie nicht den Gaben der Gläubigen ihre Entstehung verdankten, sich vielfacher Subvention zu erfreuen gehabt. Der Kaiser selbst ging mit leuchtendem Beispiel voran. Ein Werk edelster Gotik hatte das Reich in der herrlichen Kathedrale von Metz erhalten. Ihr großartiges, stilgerechtes Portal wäre ein Denkmal von Wilhelms II. Liberalität und Kunstsinn, selbst wenn das Prophetenantlitz an demselben nicht seine Züge trüge. Das von demselben fürstlichen Stifter dem Dome zu Münster geschenkte Glasgemälde stellt Karls d. Gr. und Leos III. freundschaftliche Beziehungen – in dem Besuche von Paderborn – dar, ein sinniges Geschenk des Kaisers, dessen gutes Einvernehmen mit Leo XIII. die deutschen Katholiken mit so dankbarer Freude erfüllte. Wiederum erschien das Oberhaupt des neuen Reiches als Erbe der Kaiserherrlichkeit Karls d. Gr. bei dem feierlichen Einzug in der alten Krönungsstadt Aachen, und in der hochherzigen Stiftung einer Kanzel für deren ehrwürdiges Münster. Und wenn Barbarossas Sinn nach dem Heiligen Lande stand, „wo um Heil das Schwert geworben, Suchend des Erlösers Spur“, so pilgerte auch der edle Romantiker auf dem neuen Kaiserthrone nach Palästinas Strand und gab, tief ergriffen von der Heiligkeit dieser denkwürdigen Stätten, der Welt das Schauspiel eines lauten und freudigen Bekenntnisses zum Erlöser. Auch diese Gelegenheit sollte nicht vorübergehen, ohne daß der kaiserliche Pilger seine Untertanen katholischen wie evangelischen Bekenntnisses mit wahrhaft fürstlichen Geschenken überraschte. Die Stätte, an welche die Überlieferung den Heimgang der Mutter des Herrn knüpfte, daher Dormitio beatae Mariae virginis genannt, und die der Kaiser vom Sultan erworben hatte, ward den deutschen Katholiken zu freier Nutznießung übergeben und damit eine längst gehegte Sehnsucht des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande nach einer Stätte am Berge Sion erfüllt. Leo XIII., welchen der Kaiser sofort von dem Geschehenen telegraphisch benachrichtigte, sandte seine erfreuten Glückwünsche, der deutsche Episkopat dankte durch eine glänzende Kundgebung, ein Sturm der Begeisterung ging durch die Reihen der deutschen Katholiken. Bei der Einweihung der auf der geschenkten Stätte erbauten Kirche war Prinz Eitel Friedrich mit Gemahlin im Auftrage des kaiserlichen Vaters anwesend, und dieser telegraphierte „daß, während man hier auf dem Ölberge und auf dem Sion die Gottesdienste feierte, die herrlichen Glocken der schönen katholischen und der schönen evangelischen Kirche in Homburg ihre Klänge vereint zum Lobe des Herrn ertönen ließen“. Wann hat ein protestantischer Herrscher solches für seine katholischen Untertanen getan?

Protektorat im Orient. Missionen.

Mit der Kaiserreise nach Palästina und den dortigen Stiftungen war zugleich [1033] eine andere Frage gelöst, zu welcher das seit Jahrhunderten geübte Protektoratsrecht Frankreichs über kirchliche Institutionen des nahen und fernen Orients den Anlaß gab. Nunmehr wollte das Reich selbst diesen Schutz über seine Angehörigen im Auslande üben. Schon im Jahre 1890 hatte der Missionsbischof Anzer in Schantung seine sämtlichen Missionen unter den Schutz des deutschen Gesandten in Peking gestellt, und demzufolge hatte Wilhelm II. nach der Niedermetzelung christlicher Missionare (1897) Genugtuung gefordert und erhalten. Auch sonst wandte der Kaiser den Missionen seine Gunst und Sorgfalt zu. Geistliche, die sich um die deutschen Interessen im fernen Osten verdient gemacht, wurden ausgezeichnet; so P. Scherer, der sich in Schanghai um die Seelsorge der katholischen Soldaten bemüht hatte, und der Jesuit Froc von der meteorologischen Station in Zikawei, der durch seine Taifunwarnungen die deutsche Marine vor manchen Gefahren bewahrt hatte. Daß dem Kaiser die Missionen in den deutschen Kolonien besonders am Herzen liegen, ist begreiflich. Mit Nachdruck wies er bei gegebener Gelegenheit darauf hin, wie wichtig es sei, die wilden Stämme nicht nur zur Religion, sondern auch zur Arbeit zu erziehen. Die Bedeutung des deutschen Protektorats über die Missionen auch in nicht deutschen Gebieten leuchtet ohne weiteres ein; die deutschen Missionäre erfreuen sich einer viel größeren Sicherheit, können mit ganz anderer Zuversicht und darum auch mit weit besserem Erfolge arbeiten, wenn sie unter dem Schutz des deutschen Namens stehen, als wenn sie Stiefkinder einer fremden Macht sind, und die Achtung vor dem Deutschtum wird den Belehrten mit der Religion beigebracht. So haben denn auch die Missionen in letzter Zeit einen gewaltigen Aufschwung genommen.

Preuß. Gesandtschaft beim Vatikan.

In der Kontroverse über das Protektorat der Katholiken im Orient (1898) war infolge der stark zu Frankreich neigenden Haltung von Leos XIII. Staatssekretär Rampolla eine vorübergehende Verstimmung zwischen Berlin und Rom entstanden. Dies gab Anlaß zu der Frage, ob man die preußische Gesandtschaft beim Vatikan nach der Abberufung des Herrn v. Bülow nicht ganz eingehen lassen solle. Die Behandlung dieser Frage ließ erkennen, wer aus der Geschichte etwas gelernt hatte, wer nicht. Erfreulicherweise gehörte die Regierung zur ersteren Klasse und hielt am Fortbestande der Gesandtschaft fest trotz vielen Stimmen, welche energisch deren Auflassung forderten. Mit Recht; denn daß es unklug wäre, bei einer geistigen Macht, wie es das Papsttum ist, andere Mächte ihren Einfluß üben zu lassen und auf den eigenen zu verzichten, kann nur konfessionelle Voreingenommenheit verkennen. Wie wirksam sich auch moralische Mächte erweisen können, hatte gerade der Kulturkampf jedem gezeigt, der Augen hat zu sehen. Auch durfte schon um deswillen die römische Gesandtschaft nicht aufgehoben werden, weil die damals noch sehr rege Empfindlichkeit der Katholiken dadurch als durch eine Beleidigung ihres Oberhauptes sich hätte verletzt fühlen müssen. Es war die Überzeugung weiter katholischer Kreise, daß nicht zuletzt der Widerstand des Kaisers eine so schädliche Maßregel verhindert habe. Die Dankbarkeit und das Vertrauen, zu denen der Monarch schon soviel Ursache gegeben, wurde dadurch noch gesteigert.

[1034]

Religiöse Orden.

Im kirchlichen Leben des Katholizismus spielen die Orden eine hervorragende Rolle. Dem Protestantismus fremd, haben sie von jeher gegen Vorurteile zu kämpfen gehabt, zu denen freilich zuweilen auch das unkluge Auftreten einzelner ihrer Angehörigen Veranlassung gegeben haben mag. Neben dem katholischen Bayern, das Benediktiner, Franziskaner-Observanten und -Konventualen, Kapuziner, Augustiner, Karmeliten, Redemtoristen, Salvatorianer aufweist, und neben Hessen (und den Reichslanden) mit wenigen Niederlassungen von Männerorden ist Preußen der einzige deutsche Bundesstaat, in welchem – außer einigen männlichen und weiblichen Genossenschaften für Krankenpflege und Jugendunterricht – Benediktiner, Kartäuser, Zisterzienser, Trappisten, Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner, Augustiner, Redemtoristen, Oblaten, Weiße Väter, Väter vom Hl. Geist, Steyler Missionäre, Pallotiner u. a. eine Heimstätte gefunden haben.

Benediktiner.

Sie alle widmen sich der Seelsorge, die Benediktiner daneben noch der Pflege kirchlicher Musik und Kunst, teilweise auch der Wissenschaft. Nicht nur um letzterer Zwecke willen mag dieser Orden die besondere Gunst des Kaisers gewonnen haben. Das hohe Alter, auf das die Stiftung des Patriarchen des abendländischen Mönchtums zurückblickt, macht sie an sich schon ehrwürdig; nimmt man dazu die strenge Disziplin, die bei diesem Orden am wenigsten durch Einmischung in die Händel dieser Welt, z. B. Politik, durchbrochen wird, die vornehme Zurückhaltung, die er allen nicht das Gebiet des Religiösen berührenden Angelegenheiten gegenüber stets beobachtet hat, so versteht man, wie ein Fürst von dem soldatischen Geiste und der religiösen Anlage Wilhelms II. sich besonders für die Benediktiner erwärmen konnte. Die hohe Bedeutung, welche das Stammkloster von Monte Cassino für die Kirchen-, Welt- und Kulturgeschichte hatte, die Denkmäler deutscher Kunst, die es besitzt, und der Einfluß, den dort das deutsche Element seit lange geübt hat, mögen den Kaiser bestimmt haben, den heiligen Berg zu besteigen. Natürlich erfreuten sich auch die Benediktiner im Reiche selbst des besonderen kaiserlichen Wohlwollens. Nachdem sie schon im Beginne der Friedenszeit das Beuroner Kloster wieder hatten bevölkern dürfen, genehmigte Wilhelm II. im Jahre 1892 auch eine Niederlassung in Maria Laach, worüber er den stets von ihm ausgezeichneten Beuroner Erzabt Pl. Wolter sofort telegraphisch benachrichtigte. Im Mai 1897 kam er selbst in das Kloster, dem er einen kunstvollen Altar stiftete. Bereits vier Jahre später treffen wir den kaiserlichen Gönner abermals dort und hören ihn rühmen „die großen Verdienste, welche die Benediktiner um Wissenschaft und Kunst sich allezeit erworben“. Und als er im Spätherbst 1910 in Beuron weilte, sprach er aufs neue seine Anerkennung aus, daß die Benediktiner nicht nur die Religion aufrechtzuerhalten und zu stärken bestrebt, sondern auch Kulturträger seien auf dem Gebiete des Kirchengesanges, der Kunst und Wissenschaft; er erhoffe von ihnen wirksame Unterstützung in seinem Bestreben, dem Volke die Religion zu erhalten. Das zwanzigste Jahrhundert habe Bestrebungen ausgelöst, deren Bekämpfung nur mit Hilfe der Religion und mit Unterstützung des Himmels siegreich durchgeführt werden könne. Darum habe er dem Kloster ein Kreuz gestiftet als Symbol, daß auch der Krone ein Erfolg nur verbürgt sei, wenn sie sich stütze auf das Wort und die Persönlichkeit des Herrn. Diese Äußerung erinnerte an das [1035] Gelöbnis des Glaubens, das der religiöse Herrscher acht Jahre früher in Aachen abgelegt hatte.

Jesuiten.

Dagegen sind die Bemühungen, den Jesuiten wiederum unbeschränkte Ansiedelung im Reiche zu gestatten, bisher immer am Widerstande des Bundesrates gescheitert, trotzdem ihre Zulassung bereits mehrmals vom Reichstage beschlossen wurde. Die heftige Opposition weiter protestantischer Kreise begreift sich leicht aus der Tätigkeit dieses Ordens gegen die Reformation, der Widerwille vieler Katholiken gegen ihn vielleicht am ehesten aus seiner Grundverschiedenheit von dem der Benediktiner. Nach unserer Überzeugung fürchten die Protestanten ebenso zuviel von den Jesuiten, wie die Katholiken meistens zuviel von ihnen hoffen, beide aus mangelhafter Kenntnis: letztere ziehen aus den wenigen ihnen vielleicht als Schriftsteller oder Volksredner bekannten tüchtigen Jesuiten einen Schluß auf den ganzen Orden, während erstere bald aus alten Schauermären über jesuitische Ränke und Schliche, bald aus den Lukubrationen einiger enfants terribles der Gesellschaft von heute ihr Urteil schöpfen. Je mehr die einen durch verallgemeinerndes Absprechen über den vielumstrittenen Orden sich Blößen geben, um so eifriger werden die andern ihn verteidigen und zurückgerufen wissen wollen. Der Kenner der Kirchengeschichte beurteilt die Sache nüchterner und objektiver. Er sagt sich, daß die Protestanten heute wenig von den Jesuiten zu fürchten hätten. Wenn diese sich geheimer Machinationen schuldig machen sollten, deren ihre Gegner sie bezichtigen, so werden bei der Menge der ihnen auflauernden Feinde in einer Zeit allgemeinster Publizität solche Machenschaften um so weniger für die Dauer verborgen bleiben können, je näher die Täter dem Beobachter gerückt sind. Vor der offenen Tätigkeit der Jesuiten aber sich zu fürchten werden die Protestanten wohl zu stolz sein, übrigens auch weniger als je Ursache haben. Der Orden war stark im Zeitalter der Gegenreformation, solange noch der Enthusiasmus und die „Rassenreinheit“ der Gründungszeit vorhielt. Und auch damals erzielte er seine Erfolge nicht ohne den weltlichen Arm, der namentlich alle störenden Einflüsse von außen fernhielt. Was den Jesuiten ohne diese Hilfe gelungen wäre, dafür fehlt das Kriterium des Experiments. Jedenfalls stände ihnen heute eine solche Unterstützung öffentlich kaum in einem Staate des Reiches zur Verfügung. Wie wenig tief aber die damals von ihnen ausgestreute Saat wurzelte, das zeigte sich z. B. in Österreich nach dem Toleranzpatent Josephs II., infolge dessen die noch von den Jesuiten geschulte Generation in Massen zum Protestantismus übertrat. Die jesuitische, mehr romanisch gefärbte, viel auf Äußerlichkeiten Wert legende Frömmigkeitsform war nicht imstande, die Gläubigen festzuhalten, nachdem der äußere Zwang weggefallen war. Und haben denn die Jesuiten mit all ihrer von den Regierungen unterstützten Macht in Frankreich und anderen Ländern den Jansenismus, nachher den Enzyklopädismus, haben sie in Bayern und Österreich den Illuminatismus und Josephinismus hintanzuhalten oder, nachdem diese Bewegungen ihr Haupt erhoben, sie zu überwinden vermocht? Der Kampf hat im Gegenteil fast überall mit ihrer Niederlage geendet. Nicht glücklicher sind sie im 18. und 19. Jahrhundert in den südlichen Ländern gegenüber dem Indifferentismus und Atheismus, in unseren Tagen gegenüber der Los-von-Rom-Bewegung [1036] in Österreich gewesen. Den Katholiken wird darum nicht nur das Interesse für den Frieden des Vaterlandes, sondern auch die Klugheit – um nachher nicht schmerzlich enttäuscht zu sein – verbieten, irgend etwas zu tun, was als „demagogische Aufpeitschung der Volksleidenschaften“ bezeichnet werden könnte, um die Wiederzulassung der Jesuiten zu erwirken. Man erinnert sich noch der bitteren Worte J. A. Möhlers, der seine Glaubensgenossen tadelte, die von den Jesuiten einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten, „während sie selbst auf dem Ruhepolster verfaulen“. Auch der streng kirchliche Dr. A. Ruland ist in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dem Rufe nach Redemtoristen entgegengetreten mit der Versicherung, der fränkische Klerus sei tüchtig genug, um die Lösung der Aufgaben zu übernehmen, die man jenem Orden zuweisen wolle, worauf freilich seine geistlichen Mitbrüder ihm sehr heftig widersprachen. Allein wenn die heutigen Wortführer der Katholiken nicht wie jene vor zwei Menschenaltern im Frankfurter Parlamente der Ansicht sind, man könne, um nicht die Akatholiken zu reizen, auf die Jesuiten verzichten; wenn das Volk meint, der Weltklerus und die bisher zugelassenen religiösen Orden seien nicht imstande, den gesteigerten Ansprüchen der Gegenwart zu genügen; wenn der Klerus selbstlos genug ist, diese Insolvenzerklärung zu bestätigen, indem er auch seinerseits nach den Jesuiten verlangt: so sollten die Protestanten ihren Gegnern einen so wirksamen Agitationsstoff um so eher entziehen, als 1. die Jesuiten tatsächlich doch bereits in zahlreichen Vertretern im Reiche tätig und die gegen sie getroffenen Vorsichtsmaßregeln in ihrer Wirkung augenscheinlich gleich Null sind; 2. alle Aussicht besteht, daß die nahen, in Konkurrenz mit dem Pfarrklerus tretenden Jesuiten von diesem bald nicht mehr wie die fernen vergöttert, sondern nach dem Vorbild früherer Zeiten gelegentlich auch als lästige Rivalen scheel angesehen würden, und 3. es jedem einzelnen und jeder Genossenschaft stets zum Vorteil gereichte, mit der Gloriole des Martyriums geschmückt zu sein. Auch wäre es durchaus falsch, zu meinen, die Jesuiten seien in jeder Hinsicht noch die alten und alle einer Richtung. Was ist heutzutage noch einheitlich? Kaum eine theologische Fakultät, kaum ein Domkapitel, kaum der Klerus einer kleinen Diözese. Um wieviel weniger ein internationaler Orden – trotz der Verpflichtung, den Gehorsam soweit zu treiben, tanquam cadaver esset! Mag es immerhin, was nicht geleugnet werden kann, einzelne Jesuiten geben, die anscheinend durch alle Erfahrungen ihrer Gesellschaft nicht gewitzigt wurden; darum dem ganzen Orden nachsagen, er habe in 300 Jahren nichts gelernt und nichts vergessen, widerspräche evidenten Tatsachen. Der Unterschied, welcher etwa zwischen den Leistungen des trefflichen Bollandistenkollegiums in Brüssel einerseits, und gewissen Lukubrationen der Civiltà cattolica oder der Stimmen aus Maria Laach andererseits besteht, ist beinahe so groß, als er innerhalb der katholischen Kirche überhaupt sein kann. Freilich ist eine Zulassung nach Auswahl untunlich. Immerhin aber wäre es schade, wollte man Männer zurückstoßen, welche bereit und gesonnen sind, ehrlich mitzuarbeiten an der Bildung und Veredelung unseres Volkes, an der Wohlfahrt und Größe des Reiches. Zu viele Arbeiter kann es da gar nie geben.

Vereinswesen und Konfession.

Von dem mit den Orden in einer gewissen Verwandtschaft stehenden Bruderschafts- und [1037] Vereinswesen anzufangen ist gefährlich, weil bei der unendlichen Zahl solcher Vereinigungen es schwer würde, wieder aufzuhören. So mag die Bemerkung genügen, daß es kaum eine Seite christlicher Caritas gibt, für die nicht Vereine beständen, kaum einen Beruf, einen Stand, dessen Angehörige sich nicht in einem Verbande zusammenschlössen. Da gibt es Organisationen für innere wie für äußere Mission, Vereinigungen für Armen- und Krankenfürsorge, für Jugendpflege aller Art, für Spiel und Sport; Verbände für Arbeiter und Arbeiterinnen, für Schiffer und Küster, für Gesellen und Dienstboten, für Lehrer und Lehrerinnen, für männliche und weibliche Kaufleute, für Priester und Studenten und Studentinnen, für Auswanderer und im Ausland Lebende, für Wissenschaft und Kunst, für gute Bücher und gute Presse, gegen Unsittlichkeit und Alkoholismus usw. Es ist nicht zu leugnen, daß die Konfessionalisierung hier reichlich weit gediehen ist. Mag bei den meisten Vereinen eine Scheidung nach Konfessionen ohne weiteres einleuchten, so ist sie bei manchen jedenfalls auf den ersten Blick, bei einigen wenigen überhaupt befremdlich, z. B. bei Spiel- und Sportvereinen. Allein dies sind großenteils noch Nachwirkungen vom Kulturkampf, von der Zeit, da die preußische (wie manche andere) Regierung und die religiöse Verständnislosigkeit des Liberalismus die Katholiken abstießen und sie zu exklusiven politischen wie geselligen Organisationen drängten. Ein größerer Gefallen hätte dem „Ultramontanismus“ gar nicht geschehen können, als er ihm durch jene Unduldsamkeit erwiesen wurde. Wenn man daran erinnert, daß die konfessionellen Vereinigungen unter der Regierung des dermaligen Kaisers, dem wir eine langsame Entspannung der religiösen Gegensätze nachrühmen, eher zu- als abgenommen haben, so ist zu bedenken, daß geistige Faktoren nicht mit der Plötzlichkeit chemischer Reagenzien wirken, daß vielmehr die Wirkungen oftmals erst viel später sich einstellen, sogar wenn die Ursachen längst verschwunden sind. Daß übrigens das Beispiel des Kaisers allgemeine Nachahmung gefunden habe und die konfessionelle Engherzigkeit gegen alles Katholische aus allen akatholischen Kreisen verschwunden sei, könnte doch nur behaupten, wer selbst in jener Engherzigkeit befangen wäre. Ein Blick in gewisse Zeitungen und Zeitschriften, die Anwesenheit bei gewissen Versammlungen kann jeden, der Augen und Ohren auftut, vom Gegenteil überzeugen. Man möchte eher an eine Steigerung dieser Exklusivität glauben, die als Reaktion gegen des Kaisers Weitherzigkeit psychologisch begreiflich wäre. Daraus allein schon würde sich wiederum die Zunahme der spezifisch katholischen Veranstaltungen erklären. Da ferner das Ausland die konfessionellen Verhältnisse im Deutschen Reiche und die Wirkungen der Konfessionsmischung niemals richtig beurteilen wird, so werden jene Katholiken, die eine konfessionelle Absonderung für unbedingt notwendig halten, weil sie in dem unbeschränkten Verkehr mit Andersgläubigen eine Bedrohung der Reinheit des Glaubens sehen, immer in Rom mehr Verständnis finden, als die einem unbefangenen Zusammengehen das Wort reden. Der Papst als oberster Wächter über Glauben und Sitten muß alles, wodurch diese nach seiner Überzeugung oder nach den Berichten Einheimischer geschädigt werden könnten, zu beseitigen suchen. Er hat ein lebhaftes Interesse daran, jeden Einfluß einer fremden Religion von seinen Gläubigen fernzuhalten. Dagegen ist das Ziel, das der Staat anstreben muß, direkt entgegengesetzt: um die Einheit der Nation zu erhalten [1038] und zu fördern, wird er darauf hinarbeiten, alles Trennende, auch die konfessionellen Schranken – wenngleich nicht im Glauben, so doch im Verkehr – nach Möglichkeit zu beseitigen. Aber er findet hierbei wiederum die schlimmsten Gegner in jenen Untertanen, denen alles Katholische ultramontan und die Ultramontanen nicht gleichberechtigt sind. So arbeiten pseudoliberale Unduldsamkeit und kirchliche Ängstlichkeit auf katholischer Seite sich in die Hände, um die im Glauben Getrennten auch im Leben möglichst auseinanderzuhalten. Beide wollen mit dem Hinweis auf das Tun ihres Widerparts die Notwendigkeit des eigenen begründen. Mehr als einmal war es so das Verhängnis des deutschen Katholizismus, daß er an wichtigen Wendepunkten, wo er im Begriffe stand, kulturelle Bedeutung und nationale Geltung zu gewinnen, durch dieses Zusammenwirken einheimischer Verständnislosigkeit und romanischer Ängstlichkeit sich gezwungen sah, darauf zu verzichten und sich auf sich selbst zurückzuziehen. Und doch könnte man auf akatholischer Seite allmählich so weit sein, die Kulturkampfstimmung als Anachronismus zu erkennen, ebenso wie man andererseits konstatieren muß, daß viele Italiener, die mit dem kirchlichen Primate keineswegs identisch sind, ihre einheimischen, dem Fremden oft genug magis admiranda quam imitanda scheinenden Zustände ohne weiteres für musterhaft und für katholisch schlechtweg halten, obwohl sie tatsächlich höchst partikularistisch sind und andere Nationen sich mit Recht gegen sie wehren. So wie die Dinge liegen, wird die Richtung im deutschen Katholizismus, welche, unbelehrt durch die üblen im 18. Jahrhundert gemachten Erfahrungen, in der möglichst vollständigen Abschließung von den Protestanten das einzige und sicherste Heil sieht, unbekümmert darum, daß so mit Notwendigkeit zwei sich nicht mehr verstehende Völker innerhalb des einen Reiches sich bilden müßten, immer von zwei Seiten Aufmunterung und Unterstützung finden. Das Schädliche einer solchen Absperrung auch für die Katholiken liegt darin, daß sie der wertvollen kulturellen Förderungen entbehren müßten, die ihnen aus dem Verkehr mit ihren andersgläubigen Mitbürgern erwachsen können. Auch der Vorwurf, der katholischen Kirche gelte Volksverdummung als Volkserziehung, schöpft daraus immer neue Nahrung. Unter anderen hat Görres das namentlich von der jesuitischen Erziehung und Seelsorge vor und in der Aufklärungszeit geübte System der Abschließung als durchaus verderblich gerügt. Die günstigen Wirkungen dagegen, die man von diesem sehr einfach scheinenden Mittel erwartete, sind immer ausgeblieben, weil sich das System einfach nicht durchführen läßt, wie ebenfalls die negativen Erfolge des 18. Jahrhunderts beweisen. So wäre auch unter diesem Gesichtspunkte zu wünschen, daß die Versöhnungstendenzen unseres Kaisers rechts und links allgemeines Verständnis und umfassende Betätigung fänden.

Christliche Gewerkschaften.

In dem dermalen brennenden Gewerkschaftsstreit wollte man einen Beweis dafür finden, daß die Weigerung bzw. das Verbot des Zusammengehens der Konfessionen zu gemeinsamer Vertretung der Standesinteressen von katholischer Seite ausgehe. Aber das ist, wenn wir recht berichtet sind, nichts weiter als Schein. Unter der Hülle konfessioneller Befürchtungen verbergen sich hier andere, nur selten klar ausgesprochene Motive, wenigstens [1039] bei den einheimischen katholischen Gegnern der interkonfessionellen Gewerkschaften. Von der Voraussetzung ausgehend, daß protestantische Arbeiter sozialistischen Einflüssen zugänglicher seien, als katholische, die sich leichter vom Klerus dirigieren lassen, möchte man verhüten, daß letztere von ersteren mit sozialdemokratischen Ideen angesteckt werden. Die Befürchtung, daß Organisationen, die sich christlich nennen, tatsächlich bisweilen wenig von sozialistischen verschieden, ja geradezu Entwicklungsstufen zu solchen sind, ist an sich keineswegs von vornhinein als grundlos abzuweisen. Vestigia terrent. Vertrat ja der in Rom gebildete Lütticher Professor Abbé Pottier rückhaltslos die Lehren der christlichen Sozialdemokratie und verstieg sich sogar zu der Behauptung: es sei heutzutage eine zweifellose Häresie, zu leugnen, daß die Zukunft der katholischen Kirche in ihrem Bunde mit der Sozialdemokratie beruhe! Und dem Grafen de Mun erklärte der sozialistische Abgeordnete Guesde in der französischen Kammer: „Die Agitation der katholischen Vereine fürchten wir nicht; Sie (die christlichen Demokraten) besorgen den ersten Unterricht im Sozialismus. Sie sind tatsächlich gegen Ihren Willen Rekrutierungsagenten für diesen. Sie sind die enfants perdus des Sozialismus, indem Sie einen Teil der arbeitenden Klasse aufwecken, an den wir uns nicht wenden können. Alles was man gegen uns tut, selbst in der Form einer Gegengründung gegen den Sozialismus, unter dem Vorwande eines christlichen Sozialismus, schlägt zum Vorteil der großen sozialistischen Idee aus.“ Das Organ der französischen Royalisten war derselben Meinung, wenn es schrieb: „Der christliche Sozialismus hat zugunsten des revolutionären Sozialismus in Frankreich mehr getan, als alle Anstrengungen der Kollektivisten zusammen vermochten.“ Die Civiltà cattolica, die römische Jesuitenzeitschrift, wenn sie am 16. Mai 1896 schrieb: sie habe längst als notwendig und unausbleiblich erkannt, daß der Radikalismus und der Katholizismus auf einem Punkte zusammentreffen und sich alliieren müßten; diese beiden Systeme seien die einzigen logischen Sonnen. Solche Äußerungen lassen die erwähnten Befürchtungen verstehen; sie zeigen aber zugleich, daß es keineswegs interkonfessioneller Allianzen bedarf, um christliche Organisationen zum Sozialismus hinüberzuführen, sondern daß rein „katholische“ schon vorher auf dem besten Wege dazu waren. Wer daran zweifelte, den dürfte man nur an gewisse übelberufene Wahlbündnisse zwischen Katholiken und Sozialdemokraten und an die bitteren Erfahrungen erinnern, welche die beiden verstorbenen Erzbischöfe von München und von Bamberg machen mußten, weil sie vor jenen Bündnissen zu warnen gewagt hatten. Wenn deutsche Kirchenfürsten den Papst veranlaßten, Mahnungen und Warnungen in Sachen der Gewerkschaften ergehen zu lassen, so hatten sie zweifellos dazu ihre Gründe. Daß aber die Scheidung nach Konfessionen die Panazee gegen die gefürchteten Schäden sei, werden sie bei ihrem anerkannten tiefen Verständnisse für die Lage kaum glauben, und ist nach den gegebenen Andeutungen jedenfalls nicht über allen Zweifel erhaben. Es dürften auch hier wie in so vielen anderen Fragen die realen Verhältnisse sich stärker erweisen, als die schönsten Theorien. Die harte Notwendigkeit des Lebens wird zu Organisationen behufs Verteidigung von Standesinteressen führen. In großen Betrieben, die Hunderte und Tausende von Arbeitern brauchen, wird man nicht die Frage nach dem religiösen Glauben stellen können. Solange aber katholische [1040] Arbeiter mit andersgläubigen in denselben Unternehmungen zusammen tätig sind, werden sie auch gemeinsame Organisationen mit diesen eingehen. Die Möglichkeit, sie für die Dauer ausschließlich unter sich zu organisieren, dürfte so unwiederbringlich dahin sein wie die geistlichen und konfessionellen Staaten des alten Reiches; und selbst diesen ist es bekanntermaßen schließlich nicht mehr gelungen, die Scheidung reinlich durchzuführen. Der religiöse Unterricht in Schule und Kirche wird solide Kenntnisse der christlichen Lehre und warme Begeisterung für die religiösen Ideale vermitteln müssen. Dann wird die Widerstands- und Werbekraft des katholischen Gedankens sich stark genug erweisen gegen die drohenden Gefahren; es wäre traurig, wenn er nur durch Abschließung, die schon einmal so kläglich Fiasko gemacht hat, gegen fremde Einflüsse verteidigt werden könnte. Nur durch Festigung von innen heraus, die freilich viel mühsamer ist als Absperrung, wird es gelingen, die starke Konkurrenz anderer Weltanschauungen auszuhalten. Das in Übereinstimmung mit Äußerungen erfahrener Soziologen stehende Wort von F. X. Kraus, der auch über die einschlägigen Fragen nachgedacht und dank seiner Kenntnis verschiedener Länder Gelegenheit zur Vergleichung hatte, ist nicht von der Hand zu weisen: „Die sozialen Probleme werden, insoweit sie materieller Art sind, insoweit sie Magenfragen sind, gar nicht von den Dogmen berührt; das Hereintragen konfessioneller Gesichtspunkte in alle diese Fragen, welche durch den Übergang von der Hand- zur Maschinenarbeit, durch die Ausbildung unserer Industrie und die Agglomeration großer Bevölkerungsmassen auf einen Punkt hervorgetreten sind, ist vollkommen unberechtigt und kann nur Unsegen stiften. Die Predigt der Liebe und der Selbstlosigkeit ist das Einzige, was die Religion hier Erkleckliches und Großes leisten kann; aber es ist etwas so Großes, daß man wohl sagen darf, die Lösung der vorliegenden volkwirtschaftlichen Probleme wird durch den religiösen Einfluß des Christentums unendlich erleichtert werden und wird ohne diesen Einfluß sehr schwer, wahrscheinlich unmöglich sein.“ Die Lage ist für die Kirche äußerst schwierig; denn ein schroffes Vorgehen gegen die interkonfessionellen Gewerkschaften könnte einen dem beabsichtigten entgegengesetzten Erfolg haben und ihre Mitglieder erst recht dahin treiben, von wo man sie fernhalten wollte. Die Arbeiter, der in ihrer Masse liegenden Macht sich bewußt, sind nicht so geduldig und nicht so an autoritative Behandlung gewöhnt, wie etwa die Professoren, deren vergleichsweise geringe Zahl zusammen mit ihrer mangelnden Einigkeit bisher an keine gemeinsame Vertretung ihrer Standesinteressen denken ließ. Der Einfluß der Kirche auf die katholischen Arbeiter könnte für die Dauer um so mehr gefährdet werden, wenn sie ihnen das natürliche, vom Staat ihnen gelassene Assoziationsrecht und die Verteidigung ihrer Ansprüche zu beschränken suchte. Es ist kein schlechtes Zeichen für die Gewerkschaften und scheint für eine den verschiedenen Bedürfnissen Rechnung tragende Mittelstellung zu sprechen, daß eine auch sonst sehr intransigente „katholische“ Presse und die extremen Kirchenfeinde ihnen gleichmäßig entgegen sind.

Katholische Studentenkorporationen.

Vielleicht keine katholische Organisation hat häufigere und erbittertere Anfechtungen [1041] erfahren, als die katholischen Studentenkorporationen. Der Ansturm vom Jahre 1905, wo man ihnen im Namen der akademischen Freiheit die Freiheit zu existieren absprechen wollte, ist noch in lebhafter Erinnerung. Nun ist zuzugeben, daß die Scheidung unserer Studenten nach Konfessionen kein Idealzustand ist. Aber andererseits kann man nicht erwarten, daß die konfessionelle Scheidung unseres Volkes sich nicht auch im studentischen Leben irgendwie äußere. Warum die Religion, die nun einmal konkret in den verschiedenen Kirchen ausgeprägt ist, nicht ebenso Einigungsprinzip sein darf, wie manches andere Ideal, ist nicht einzusehen. Wenn es konfessionelle Studentenverbände in früheren Jahrhunderten nicht gab, so erklärt sich das einfach daraus, daß seit der Reformation die Universitäten selbst konfessionell waren und zumeist auch nur Studenten eines Glaubens hatten. Daß auch an den – wenigstens soweit es auf die Hörer ankommt – paritätisch gewordenen Hochschulen erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Unterschied der Konfession in den studentischen Korporationen sich geltend macht, während er vorher kaum hervortrat, ist eben ein Symptom der seit den fünfziger Jahren überhaupt, und zwar nicht nur von katholischer Seite, stärker werdenden Betonung der Konfessionen. Sind ja die Satzungen mancher Verbindungen teilweise in einem Sinne umgestaltet worden, der den Katholiken mit den Grundsätzen seiner Kirche in Konflikt bringen mußte. Der Kulturkampf hat dann das Weitere getan, wie überhaupt alle Angriffe immer nur zum Zusammenschluß und damit zur Verstärkung der „ultramontanen“ Elemente geführt haben. Übrigens haben eifrig kirchliche Kreise an den katholischen Studentenvereinigungen nicht selten auszusetzen, daß sie sich zu wenig um kirchliche Interessen kümmern. In dieser Bemängelung von entgegengesetzten Seiten dürfte ein günstiges Zeugnis liegen. Jedenfalls ist von konfessioneller Unduldsamkeit bei den fraglichen Verbänden keine Spur zu finden. Läßt man sie ruhig gewähren, so wird das so bleiben, und damit ist schon viel erreicht. Mißhandlung und Bedrückung aber, zumal unter dem Aushängeschild akademischer Freiheit, wäre das sicherste Mittel, sie zu dem zu machen, was man gelegentlich schon bisher fälschlich in ihnen sah: Brutstätten eines unduldsamen, engbrüstigen Katholizismus. Schon die Hetze vom Jahre 1905 ist hier nicht ganz ohne schädlichen Einfluß geblieben. Die patriotische Gesinnung der katholischen Studentenverbände ist über allen Zweifel erhaben. Man hört dort, und zwar nicht nur bei festlichen Anlässen, wo man sagen könnte, es werde zum Fenster hinausgeredet, so warme, begeisterte Töne namentlich über unsern Kaiser, daß man in dieser Hinsicht nicht den geringsten Unterschied findet zwischen diesen Feiern und etwa den Kaiserkommersen der Korps. Wir sprechen aus Erfahrung. Sobald die anderen Korporationen ihre Statuten so weitherzig gestalten, daß auch ein Katholik ohne Gewissenskonflikt ihnen beitreten kann, wird den konfessionellen Studentenverbindungen der Boden entzogen. Täuscht nicht alles, so ist das akademische Korporationswesen überhaupt großenteils überlebt und in einer gründlichen Umgestaltung begriffen, indem mehr fachliche, sportliche und soziale Interessen für Gruppenbildung maßgebend werden sollen. Daß innerhalb dieses Einteilungsprinzips noch religiöse Gesichtspunkte mit Erfolg sich geltend machen können, ist wenig wahrscheinlich. Damit wäre die Frage der konfessionellen Korporationen von selbst erledigt.

[1042]

Die Tagespresse.

Nachdem die „gute“ Presse gelegentlich als Hilfsmittel der Seelsorge bezeichnet wurde, darf sie von einer Umschau über das kirchliche Leben nicht unberücksichtigt gelassen werden. Katholische Tagesblätter gab es erst, nachdem durch Miß- und Übergriffe aufs kirchliche Gebiet seitens der Regierungen, namentlich der preußischen, der Konfessionalismus geweckt worden war. Ein nie geahntes Wachstum verdankte diese Presse dem Kulturkampf, wobei leider die Qualität nicht selten im umgekehrten Verhältnis zur Quantität stand. Die schroffe Verletzung des religiösen Empfindens wühlte die konfessionellen Leidenschaften in ihren Tiefen auf, und im Namen der Ecclesia militans wurden, dank den Errungenschaften von 1848, bisweilen Waffen geschwungen, denen man nur allzusehr anmerkte, daß sie den Arsenalen der Kinder dieser Welt, und nicht der besten, entlehnt waren. Wer nicht in diesen Ton einstimmte, wer gar ihn laut zu mißbilligen wagte, galt als schlechter Katholik, als Verräter. Diese Presse gemahnte, wie ein mitfühlender Zeuge klagte, an eine kurzsichtige, süffisante Jugend, die über „verflossene“ Leute und Standpunkte hochmögend, ohne jede Regung von Gemüt und Dankbarkeit, hinwegschreitet, mit der auf Anstand haltende Elemente am liebsten nichts zu tun haben. Mit der Beilegung des Kulturkampfes wurde es auch hierin wenigstens bei den größeren Organen wesentlich besser. Im Norden des Reiches hat vor allem die Kölnische Volkszeitung sich durchweg eines Tones beflissen, der eines für religiöse Interessen kämpfenden Blattes würdig ist, und auch die Berliner Germania hat wenigstens vorwiegend, trotz zeitweiliger Reminiszenzen ihrer frühesten Zeit, allen billigen Anforderungen entsprochen. Der Süden hat diesen beiden großen katholischen Tagesblättern, die auch in ihrer Auffassung zumeist großzügig waren, bis zur Stunde nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen. Selbst in Ländern, wo der Kulturkampf sich so gut als gar nicht fühlbar machte, führt auch die sich katholisch nennende Presse noch heute nicht selten eine Sprache, die sie nicht als Dienerin und Gehilfin, sondern als Herrin kirchlicher Institutionen und Personen erscheinen läßt und den von ihr bekämpften und verabscheuten Organen in nichts nachgibt, nicht zur Ehre und zum Vorteil der katholischen Sache. Aber im ganzen können wir Katholiken immerhin einen Aufschwung unserer Presse konstatieren, die sich von jener der siebziger und achtziger Jahre jedenfalls dadurch unterscheidet, daß, mag sie auch gegenüber anderen Fraktionen und religiösen Richtungen ein gerüttelt Maß von Mißtrauen und bisweilen Heftigkeit zeigen, das leider in dem Verhalten der Presse jener Parteien nur zu oft seine Rechtfertigung oder wenigstens Erklärung findet, doch der Reichsregierung im ganzen mit einem Vertrauen entgegengekommen wird, das man vor den Tagen Wilhelms II. vergeblich wünschte. Mit Befriedigung wurde s. Z. von einem strengen katholischen Beurteiler das Verhalten der fraglichen Presse in dem Streite um das Protektorat im Orient (1898) anerkannt, in welchem die mit Weisheit und überlegener Ruhe geführte Politik der Reichsregierung eine wertvolle Stütze gefunden habe. Es wurde daraus die Hoffnung abgeleitet, „daß das aus der Konfliktszeit restierende Maß von Mißtrauen und Verbitterung immer mehr aus der parlamentarischen und journalistischen Behandlung der öffentlichen Fragen verschwinden und einer sachlichen Erörterung Platz machen werde“. Diese Hoffnung [1043] hat sich in erfreulichem Maße erfüllt, und so bedauerlich die heutigen Streitigkeiten innerhalb des Katholizismus an sich auch sein mögen, so sind sie andererseits doch ein Beweis dafür, daß das konfessionell Trennende nicht mehr die Bedeutung hat wie früher, und daß die natürlichen Unterschiede der politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte wieder zur Geltung kommen. Für den katholischen Volksteil selbst sind jene wieder erwachenden inneren Gegensätze ein Zeichen gesteigerter Kraft und größerer oder geringerer Freiheit von äußerem Drucke. Denn wo solcher besteht, wirkt er immer einigend auf die Betroffenen. Der hochsinnige Herrscher, dessen gerechte und konziliante Kirchenpolitik die Hoffnung auf Verständigung geweckt und ihre Verwirklichung ermöglicht hat, kann mit dem Erfolge zufrieden sein, mag auch noch mancher andere Wunsch der Erfüllung harren. Das bisher Erreichte eröffnet frohe Aussichten auf weiteres. Auch sonst war es ein erfreuliches Symptom für den nüchternen, unbefangenen Sinn der katholischen Presse und wird ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Kölnischen Volkszeitung bleiben, daß sie ebenso dem schmählichen Vaughan- und Taxilschwindel entgegentrat, zu einer Zeit, da andere noch in der Freude über die Enthüllung freimaurerischer Verworfenheit schwelgten, wie sie in der Dreyfusaffäre, entgegen den Deklamationen französischer „katholischer“ Blätter, den Standpunkt des Rechts vertrat.

Wissenschaft.

III. Ein Gradmesser für den inneren Gehalt eines Volkes oder eines Volksteiles und bestimmend für das Maß seines Einflusses auf die Zeitgenossen ist der Stand der Wissenschaft. Von dieser Wahrheit war man auf katholischer Seite nicht immer überzeugt. Zumal in und nach dem Kulturkampf glaubten viele die geistige Nacht des Katholizismus in Deutschland garantiert durch die politische des Zentrums; über die Wissenschaft und ihre Vertreter dachte man nicht sehr hoch, wie denn ein Redner auf dem Katholikentag in Dortmund noch 1896 es für einen Fortschritt betrachtete, daß die „Gelehrten und Theologen“ (so!) auf diesen Versammlungen nicht mehr die Rolle spielten, wie in ihrer ersten Zeit. Auch heute noch erfreuen sich vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, politische und soziale Fragen des Interesses weiterer katholischer Kreise; die Wissenschaft, die Beschäftigung mit geistigen Problemen, hält man zumeist für nicht viel mehr als eine Dekoration. Weiterblickende freilich waren und sind überzeugt, daß mit der politischen Macht noch nicht alles getan sei, daß vielmehr die Beteiligung am Geistesleben allein zu der Hoffnung berechtige, dem Katholizismus in Deutschland eine achtunggebietende Stellung zu erringen und zu bewahren. Im Jahre 1896 sprach ein heute als Staatsmann in leitender Stellung befindlicher katholischer Gelehrter die nicht mehr wegzuleugnende Tatsache offen aus, daß die Katholiken Deutschlands in der Wissenschaft von den Protestanten überflügelt worden seien.

Inferiorität?

Zunächst konstatierte er, daß jene in dem Lehrkörper unserer Universitäten eine verhältnismäßig sehr geringe Vertretung haben. Aber das sei „nur ein Zug aus einem größeren Bilde“; „wir deutsche Katholiken“, wurde weiter ausgeführt, „haben uns ganz allgemein in höherer Bildung von den Protestanten überflügeln lassen“, wie durch die Schulstatistik unwiderleglich festgestellt sei. Auf 10 000 Einwohner treffen bei den Protestanten 55 Schüler höherer [1044] Lehranstalten, bei den Katholiken nur 32, und das Defizit der letzteren sei in einer langsamen, aber stetigen Steigerung begriffen. Gehe das so weiter, so sei Gefahr, „daß mit der Zeit die Bevölkerung auch in überwiegend katholischen Ländern in zwei Klassen auseinanderfalle, in die herrschende Klasse der gebildeten Protestanten und in die beherrschte der katholischen Bauern und Handwerker“. Die Förderung der Wissenschaft sei daher in der Gegenwart die wichtigste Aufgabe des katholischen Deutschlands, man müsse die Wertschätzung der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Berufes in weiten katholischen Kreisen zu steigern suchen.

Ihre Ursachen.

Auf die Frage nach den Ursachen jenes Zurückbleibens wies derselbe Gelehrte auf die Säkularisation hin, durch die der katholische Volksteil nicht nur zahlreicher hoher und niederer Bildungsstätten, sondern auch reicher materieller Mittel beraubt worden sei. Diese Begründung mag nicht erschöpfend sein, sie mag der Ergänzung bedürfen, den souveränen Spott von F. X. Kraus verdiente sie nicht; denn daß eine solche Katastrophe auf Menschenalter hinein die Geschädigten ins Hintertreffen drängen mußte, leuchtet ein. Freilich waren auch in den letzten Zeiten des alten Reiches die katholischen Bildungsanstalten gewiß nicht in Blüte gestanden; die Folgen des Jahrhunderte hindurch geübten jesuitischen Absperrungssystems wirkten noch nach. Allein das Studienwesen auf katholischer Seite hätte zumal seit der Romantik in der allgemeinen geistigen Neubelebung ganz anderen Aufschwung nehmen können, wenn die reichen Mittel früherer Zeiten noch zur Verfügung gewesen wären. So gewichtig indes jener historische Grund auch ist, so muß neben ihm die prinzipielle Erklärung, welche H. Schell in seiner berühmten (ersten) Broschüre „Der Katholizismus als Prinzip des Fortschritts“ (1897) für die fragliche Erscheinung gegeben hat, herangezogen werden. Die so wohlgemeinte Schrift hat dem begeisterten Apologeten heftige Angriffe und Denunziationen zugezogen, welche an seinem Lebensmarke zehrten und sicher seinen frühen Tod mitverursachten; sie wurde auch in Rom mit anderen Werken Schells auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, womit aber natürlich die kirchliche Autorität über den Versuch, jene geschichtsphilosophische Frage zu lösen, sich nicht ausgesprochen hat. Schell wies darauf hin, daß der Protestantismus der geistigen Selbständigkeit des Individuums einen größeren Spielraum lasse, während die Geistestätigkeit der Katholiken jedenfalls seit Beginn der antiprotestantischen Entwickelung der Theologie und des Kultus unter Führung des Jesuitenordens durch einen überspannten Autoritätsbegriff über Gebühr gebunden worden sei. Das kann kein Vernünftiger, wenn er ehrlich sein will, leugnen, daß unter einem System beständiger Verdächtigung, wie es von einer herrschenden Schule gegen andere geübt wird, keine Blüte der Wissenschaft aufkommen kann. Der Beispiele hierfür sind es so zahlreiche und so bekannte, daß von deren Anführung abgesehen werden darf.

Theologische Fakultäten. Ihre schwere Stellung.

Um so höher ist angesichts der geschilderten Schwierigkeiten die wissenschaftliche Leistung zu werten, welche von den an deutschen Hochschulen durch die Staatsregierungen [1045] gegründeten katholisch-theologischen Fakultäten ausging. Diese sind für die geistige Machtstellung des Katholizismus in Deutschland die wichtigsten und bedeutsamsten Institute geworden und haben seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts dessen geistiges Leben wieder gehoben. Gleichwohl konnten sie dank den Denunziationen und Verdächtigungen impotenten Neides selten die volle Gunst hierarchischer Kreise erlangen, und auch die heftigste Befehdung seitens ausgesprochener Kirchenfeinde konnte die Überzeugung von der Wichtigkeit dieser gelehrten Körperschaften für die Kirche nicht zur Herrschaft bringen. Dieses Mißtrauen wurde noch gesteigert, als infolge der Beschlüsse des Vatikanischen Konzils vom 18. Juli 1870 mehrere Mitglieder einzelner Fakultäten von der Kirche sich lossagten und dem Altkatholizismus sich anschlossen. Auf der einen Seite wilder Siegesjubel, der die unterlegene Richtung gelegentlich als nicht mehr katholisch und fast als rechtlos behandeln zu dürfen glaubte, auf der anderen heftige Opposition und völlige Separation, und dazwischen die kleine Schar derer, die mit keinem der beiden Extreme zu gehen sich entschließen konnten, die nun zu einem Kampf nach zwei Fronten sich gezwungen sahen und für ihre literarischen Kundgebungen bittere Befehdung von rechts und links zu gewärtigen hatten. Dazu kam noch der unglückselige Kirchenstreit der siebziger Jahre, der die ganze geistige Kraft und alles Interesse weitester katholischer Kreise auf den Kampf des Tages konzentrierte und für wissenschaftliche Werke kein Publikum übrigließ, da Sinn und Zeit gleichmäßig für solches Studium fehlten. Wurde es ja einer streng wissenschaftlichen theologischen Zeitschrift allen Ernstes verübelt, daß sie nicht auch von ihrem seit einem halben Jahrhundert bewährten Programm ab- und in der lärmenden Erörterung von Tagesfragen aufging. So hatte eine friedliche Gelehrtenarbeit aus zwei Gründen gegen Mißtrauen und Geringschätzung zu kämpfen; die ganze Lage mußte niederdrückend und entmutigend wirken. Und wenn mit der Zeit die Gegensätze sich etwas zu mildern anfingen, so wurde immer wieder für ihre Neubelebung und Wacherhaltung gesorgt. Was nicht ganz tapfere Naturen sind, halten sich unter solchen Umständen zurück und vermeiden es, durch literarische Produktion sich Verdächtigung von beiden Seiten zuzuziehen. Hieraus erklärt sich namentlich die quantitativ und von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen auch qualitativ so beklagenswert geringe Pflege der spekulativen Theologie während des letzten Menschenalters. Hierin dürfte neben der gesteigerten Empfindlichkeit und Reizbarkeit des katholischen Volksteils der hauptsächlichste Schaden des Kulturkampfes für die Kirche liegen.

Ihre Bedeutung.

Man wollte die theologischen Fakultäten in Widerspruch zu dem Konzil von Trient finden, das die Bildung der Kandidaten des Priestertums in Seminaren angeordnet habe. Und doch ist klar bewiesen, daß dieses Dekret nur da eingreifen will, wo keine Universitäten mit theologischen Fakultäten bestehen. Die Regierungen und auch die meisten Bischöfe Deutschlands aber haben stets ihre schützende Hand über den gefährdeten Kollegien gehalten. Sie haben damit den deutschen Katholiken, aber zugleich auch dem gesamten Vaterlande, einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Da die Universitäten nun einmal die Zentren des geistigen Lebens sind, hat es für die konfessionelle Minderheit schon an sich [1046] etwas Beruhigendes, auch ihre Religion dort vertreten zu wissen. Sodann ist ganz klar, daß sowohl Professoren wie Studenten der Theologie an einer solchen Stätte der Wissenschaft eine Menge von Anregungen und Gelegenheiten zur Erweiterung ihres Wissens und ihres Gesichtskreises haben, indem neben dem Studium der Verkehr mit Vertretern anderer Fächer und einer anderen Weltanschauung ihnen zugute kommt. Nicht weniger haben die Professoren und Studenten der weltlichen Fakultäten die Möglichkeit, im persönlichen Umgang mit Lehrern und Hörern der Theologie mancherlei irrige Vorstellungen zu berichtigen und weitverbreitete Vorurteile abzulegen. Wenn die Befürchtungen begründet wären, welche von ängstlichen Katholiken wie von exklusiven Protestanten gegen die Eingliederung der katholischen Theologie in die Hochschulen gehegt werden, dann müßten längst alle an Universitäten Theologie lehrenden und hörenden Katholiken zum Protestantismus abgefallen, alle an Hochschulen mit katholisch-theologischen Fakultäten wirkenden oder studierenden Protestanten romanisiert, die Universitäten selbst ruiniert sein. Wer an die Vorteile der von den Extremen hüben und drüben geschmähten Fakultäten für das gesamte nationale Leben nicht glaubt, der höre eine Stimme aus einem Lande, das sie früher besaß und dann eingehen ließ. P. Villari, als akademischer Lehrer, als Forscher und als Staatsmann gleich geschätzt, zog die Summe eines dem Dienste des Vaterlandes geweihten Lebens in folgendem Urteil: „Wir mußten die theologischen Fakultäten unterdrücken, und glaubten damit einen großen Schritt zur Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft zu tun. Aber damit entfiel in der Universitas studiorum, die doch die Enzyklopädie alles Wissenswerten darstellen sollte, alles das, was uns mit der Zukunft verknüpft, und der Geist der Jugend entfernte sich immer mehr von dem Studium der religiösen Probleme. Wir vergaßen, daß in Deutschland und anderwärts die theologischen Fakultäten stets der Nährboden der größten Philosophen waren, und so viel zum religiösen, wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt der Zeit beigetragen haben. So verschwand in Italien jede ernstliche theologische Literatur, jedes ehrliche Studium der Entstehung des Christentums und der Kirche. Der Klerus erhielt seine Erziehung nur mehr in den Seminarien, denen der wissenschaftliche Geist und die Berührung mit der Gesellschaft, welche jener zu leiten berufen war, gänzlich fehlten. Wie anders in Oxford und Cambridge, wo das Prinzip jeder wahrhaft liberalen Erziehung herrscht, die gemeinsame Erziehung der Geistlichen und Laien! Diese auseinander gerissen zu haben, gleichgültig aus welchem Grunde, war für uns ein sehr schweres Unglück.“

Es ist ebenso ein Zeichen konfessioneller Unbefangenheit wie kirchenpolitischer und staatsmännischer Weisheit, wenn nicht nur die theologischen Fakultäten Altdeutschlands erhalten und geschützt, sondern auch langwierige und umständliche Verhandlungen mit Rom nicht gescheut wurden, um an der Universität der Reichslande eine neue zu errichten. So ist denn im Deutschen Reiche für die Bildung und Erziehung der Kandidaten des katholischen Priestertums reichlich gesorgt.

Sonstige theologische Bildungsanstalten.

Neben den theologischen Fakultäten zu Bonn, Braunsberg, Breslau, Münster, München, Würzburg, Tübingen, Freiburg und Straßburg bestehen dreizehn Priesterseminare und dazu noch sieben Lyzeen in Bayern. Auch die beiden letztgenannten Kategorien von Instituten haben großenteils treffliche Kräfte, [1047] die ausnahmslos an Universitäten gebildet und zumeist auch dem Lehramt an diesen vollauf gewachsen sein dürften. Die Zufriedenheit der Katholiken mit der Vorsorge für ihre Priesterbildung zeigt sich auch in der Tatsache, daß der vor fünfzig Jahren so laut und so heftig erhobene Ruf nach einer sog. freien katholischen Universität völlig verstummt ist.

„Freie katholische Universitäten“.

Einsichtige Männer, so nicht nur der kluge Dogmatiker Joh. Kuhn in Tübingen, sondern auch der streng römisch gesinnte Würzburger Kirchenhistoriker und spätere Kardinal Hergenröther hatten von Anfang an das Problematische eines solchen Unternehmens betont, waren aber dafür von ihren mehr eifrigen als sachkundigen Glaubensgenossen hart angelassen worden. Inzwischen haben die mit den katholischen Universitäten in London und Dublin, teilweise auch mit der von Freiburg i. Schw. und dem Institut catholique in Paris gemachten Erfahrungen jene Bedenken bestätigt. Wo die starke Hand einer den Dingen auf den Grund gehenden, nach objektiven und bleibenden Normen entscheidenden, wohlwollenden Regierung waltet, wird viel eher für stetige wissenschaftliche Arbeit und Bewegungsfreiheit gesorgt sein, als durch ein in seiner Zusammensetzung wechselndes, zuviel von äußeren Einflüssen abhängiges Kuratorium oder Komitee. Die sog. freien Institute schweben in steter Gefahr, indem böser Wille oder Unverstand heute durch übelwollende, falsche Berichte die kirchliche Autorität gegen sie scharf machen, morgen den noch gefährlicheren Eifer des „katholischen Volkes“ gegen sie hetzen kann. Es ist viel besser für die Kirche wie für den Staat, daß die Katholiken den ihrer Zahl und ihren wissenschaftlichen Leistungen entsprechenden Anteil an den bestehenden staatlichen Hochschulen zu gewinnen suchen, als daß eine für beide Teile schädliche itio in partes die gegenseitige Entfremdung steigere, statt sie zu beseitigen. Ein jetzt verstorbener hoher Kirchenfürst, der ehemals im akademischen Leben gestanden, hat denn auch öfters auf die Vorteile hingewiesen, die der katholischen Wissenschaft aus dem Patronat des „gottlosen Staates“ erwachsen.

Leistungen der kath. Wissenschaft.

Dank dieser Vorsorge, dank der Rivalität mit dem Protestantismus und den von diesem ausgehenden Anregungen ist die katholische Theologie Deutschlands, trotz den geschilderten enormen Schwierigkeiten, Jahrzehnte hindurch die Führerin auch für die rein katholischen romanischen Länder geworden, deren theologische Wissenschaft sich lange fast ganz auf die den heutigen Bedürfnissen einfach nicht mehr genügende Scholastik beschränkte. Dies zeigte sich besonders auf dem freilich nur einige Male tagenden, vergeblich nochmals nach Rom aufs Jahr 1903 anberaumten internationalen katholischen Gelehrtenkongreß, auf dem das deutsche Element, nicht zum Nachteil des Ganzen, eine hervorragende Rolle gespielt hat, wie denn im deutschen Katholizismus überhaupt, seitdem die ersten Nachwehen des Kulturkampfes und die durch das Vatikanum verursachte Erregung und Einschüchterung überwunden sind, ein wissenschaftliches Leben sich rührt, das in ganz katholischen Ländern seinesgleichen nicht hat. Wenn die deutschen Katholiken die Universitäten, die sie im alten Reiche besessen, verloren hatten; wenn die Gelehrtenakademien von St. Blasien im Schwarzwald, [1048] St. Peter in Salzburg, St. Emmeram in Regensburg mit der Aufhebung dieser Klöster eingegangen waren, so haben sie nicht nur in den theologischen Fakultäten einen teilweisen Ersatz für die ersteren gefunden; sie haben auch in der vielverkannten Görresgesellschaft sich eine Art Akademie geschaffen, die, klein anfangend, nach Überwindung des ersten dilettantischen, zu stark von kirchenpolitischem Geiste beeinflußten Stadiums, sich umfassenden wissenschaftlichen Aufgaben zugewandt und deren Lösung teils erreicht, teils verheißungsvoll weit gefördert hat. Nach und nach hat sie sich in verschiedene Sektionen gegliedert: eine philosophische, historische, archäologische, rechts- und sozialwissenschaftliche, von denen jede periodische Publikationen herausgibt. Selbst die strenge Muse eines F. X. Kraus, der für spezifisch katholische Unternehmungen nicht voreingenommen war, hat im Jahre 1898 die historische Abteilung der Görresgesellschaft das erfreulichste und trostreichste Element genannt, welches das geistige Leben des europäischen Katholizismus zu Ausgang des 19. Jahrhunderts aufgewiesen habe. Das Historische Jahrbuch der Gesellschaft darf sich wohl ungescheut mit Organen anderer Richtung messen. Die großen Publikationen des historischen Instituts, das die Gesellschaft – von einer privaten, mit bescheidenen Beiträgen rechnenden Organisation wohl ein beispielloses Wagnis – in Rom unterhält, haben ungeteilte Anerkennung bei Freunden und Gegnern gefunden. Ebenso erfreuen sich das philosophische Jahrbuch und die sonstigen Veröffentlichungen durchweg einer guten Aufnahme.

Zeitschriften.

Von dem regen geistigen Leben des deutschen Katholizismus gibt außerdem, neben zahlreichen streng wissenschaftlichen oder mehr populären literarischen Erscheinungen auf allen Gebieten, eine vergleichsweise lange Reihe von Zeitschriften beredtes Zeugnis. Unter den speziell theologischen ist in erster Linie die noch im laufenden Dezennium ihren hundertsten Jahrgang erreichende Theologische Quartalschrift zu nennen, herausgegeben von der katholischen Fakultät der Tübinger Hochschule. Von ewigen Anwandlungen eines zweifelhaften modernsten Katholizismus in der jüngsten Zeit abgesehen, hat sie sich im ganzen immer als erstes wissenschaftliches Organ der katholischen Theologie zu erhalten gewußt. Neben ihr steht als fast gleichaltriger Genosse der nach einigen Wanderungen in seiner Frühzeit seit lange beständig in Mainz erscheinende Katholik, weniger wissenschaftlich und enger in seiner Richtung, als Vertreter der neuscholastisch-jesuitischen Schule früher bedeutender als heute. Dazu kommen eine ganze Anzahl jüngerer, teilweise sehr tüchtiger Zeitschriften.

Kirchliche Kunst.

Auch die kirchliche Kunst, im Katholizismus immer eine wertvolle Ergänzung und Gehilfin des Kultus, in den letzten Jahrzehnten zu neuer Blüte gelangt, hat sich mehrere Organe für Propaganda ihrer Tendenzen und Interessen geschaffen, unter denen das von der Münchener Gesellschaft für christliche Kunst herausgegebene die erste Stelle behaupten dürfte.

Wissenschaft und kirchliche Autorität.

Erst in neuester Zeit fängt Frankreich an, der deutschen katholischen Theologie die Palme streitig zu machen. Freilich hat die theologische Wissenschaft unseres westlichen [1049] Nachbarlandes ebenso wie die italienische sich protestantischen Einflüssen, namentlich der Kantschen Philosophie, in weit stärkerem Maße zugänglich gezeigt, als die durch den beständigen Umgang mit der andersgläubigen Rivalin kritischer und selbständiger gewordene deutsche. Die römischen Kongregationen des Index und der Inquisition wurden in den letzten zwei Dezennien ungleich mehr von romanischen als von deutschen Theologen in Arbeit gesetzt. Auch der sog. Modernismus machte sich bei letzteren weit weniger als bei ersteren geltend. Es war darum auch in dieser Hinsicht wohlbegründet, wenn in Deutschland staatliche und kirchliche Faktoren tätig waren, um wenigstens den an staatlichen Hochschulen wirkenden Theologen von der Verpflichtung zum Anti-Modernisteneid, dessen Ablegung ihnen von den Kollegen weltlicher Fakultäten als capitis deminutio gedeutet worden wäre, in Rom Dispense zu erwirken. Zu der oft bewährten Einsicht der deutschen Regierungen, die ihr Urteil mehr aus den realen Verhältnissen als aus theoretischen Konstruktionen schöpfen, und ihrem verständnisvollen Zusammenwirken mit dem Episkopate darf man denn auch das Zutrauen hegen, daß es gelingen wird, die immer noch nachzitternde Aufregung zu beruhigen und eine weitere Schädigung der katholischen Wissenschaft wie eine Mehrung der konfessionellen Mißverständnisse zu verhindern.

Katholische Philosophen und Historiker.

Neben den theologischen Fakultäten zeigt sich die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Minorität in der Anstellung von Vertretern der katholischen Weltanschauung in Philosophie und Geschichte an den philosophischen Fakultäten jener Hochschulen, an denen katholische Theologen ihre Studien machen. Zeitweilig heftig angefochten, werden solche „konfessionelle“ Professuren, die bei der nun einmal bestehenden religiösen Spaltung unentbehrlich sind, sich um so sicherer behaupten, je tüchtiger ihre Inhaber in dem von ihnen zu vertretenden Fache sind. Denn die oft gehörte Behauptung, daß ein Katholik, möge er noch so bedeutende Leistungen aufzuweisen haben, bei den Anhängern der liberalen Weltanschauung niemals Anerkennung finde, ist in ihrer Allgemeinheit durch zahlreiche Tatsachen, durch die rückhaltlose Schätzung katholischer Historiker und Philosophen seitens ihrer andersgläubigen Fach- und Fakultätsgenossen, immer unhaltbarer geworden. Überhaupt ist es eine in hohem Grade erfreuliche Erscheinung, daß die Wissenschaft in zahlreichen Fällen die Brücke wie über nationale, so über konfessionelle und Weltanschauungsgegensätze bildet.

Wissenschaft und konfessionelle Verständigung.

Die Theologie macht hiervon keine Ausnahme. Vielleicht niemals seit der Aufklärungsära haben so viele freundschaftliche Beziehungen zwischen Theologen der verschiedenen Konfessionen bestanden wie heute, ohne daß darum, wie Mißgünstige gerne glauben machen möchten, dem Standpunkte auch nur das Geringste vergeben würde, vergeben zu werden brauchte. Eine Vereinigung der christlichen Konfessionen könnte heute nur ein Ideologe erhoffen. Es ist nicht einmal sicher, ob sie unbedingt wünschenswert wäre. Soviele Übel die konfessionelle Spaltung auch im Gefolge hatte, ein Gutes hat sie doch auch: sie hat uns vor der Stagnation bewahrt, der die im Glauben [1050] einigen romanischen Völker in einem beklagenswerten Grade verfallen sind. Was erreicht werden soll und kann, das ist der Glaube an die Vernünftigkeit auch eines anderen Standpunktes, wodurch die Möglichkeit eines friedlichen Nebeneinanderwirkens geschaffen wird.

Dieses Ziel wird am sichersten erreicht durch die Weitherzigkeit und Selbstverleugnung, mit welcher unser Kaiser sich in die Anschauungen der Katholiken hineinzuleben bestrebt ist, aus welchem Bemühen heraus er alle die Beweise von Wohlwollen und Entgegenkommen gab, durch die er die Herzen seiner katholischen Untertanen für immer sich gewonnen hat. Aus diesem Bestreben heraus gelang es ihm auch, die rechten Männer zu finden, die in seinem Geiste arbeiteten und seine Ideen verwirklichen halfen. Was der eine unvergeßliche Althoff in dieser Richtung geleistet hat, wird eine spätere Generation bewundernd und dankbar rühmen, wenn einige mehr persönliche Gegensätze, die seine allgemeine Anerkennung zu Lebzeiten hinderten, vergessen sein werden.


Es ist nicht lauter Erfreuliches gewesen, was uns auf unserem Rundgange begegnete; aber immerhin war auch viel Erfreuliches zu konstatieren. Und was mehr ist: es zeigte sich im Vergleich zu früheren Zuständen, die zur Illustration und zum Verständnis der gegenwärtigen heranzuziehen waren, ein zweifelloser, mit Genugtuung erfüllender Fortschritt. Das Erfreulichste aber sind die zahlreichen Keime künftiger Entwickelung, die wir wahrnehmen durften, und die uns einen frohen Ausblick in eine schöne Zukunft eröffnen. Wenn eine Institution im Deutschen Reiche Grund hat, Sr. Majestät dankbar zu sein, so ist es die katholische Kirche, der unter seiner Regierung die Sonne kaiserlicher Huld so warm geschienen und eine freudige Mitwirkung zur Lösung der nationalen Aufgaben ermöglicht hat; wenn eine Institution Grund hat, von unserem Kaiser noch Großes zu hoffen, so ist wiederum sie es, die nach dem bisher erfahrenen Wohlwollen die Verheißung Sr. Majestät, das deutsche Volk noch herrlichen Tagen entgegenzuführen, auf ferneren wirksamen Schutz zur vollen Entfaltung aller ihrer reichen Kräfte deuten darf. Der Herrscher, der im ersten Vierteljahrhundert seiner Regierung jene Verheißung gerade auf kirchlichem Gebiete schon in mancher Hinsicht wahr gemacht hat, bietet durch seinen trotz allen bitteren Erfahrungen unverwüstlichen Optimismus die Garantie, daß er in einem weiteren Vierteljahrhundert, das ihm nach menschlichem Ermessen sicher beschieden sein dürfte, die Segnungen ungehemmter religiöser Betätigung und dauerhaften religiösen Friedens unserm Vaterlande in immer reicherem Maße vermitteln werde.

  1. Druckfehlerberichtigung im 3. Band: lies „Akatholiken“ statt „Altkatholiken“.