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die ausnahmslos an Universitäten gebildet und zumeist auch dem Lehramt an diesen vollauf gewachsen sein dürften. Die Zufriedenheit der Katholiken mit der Vorsorge für ihre Priesterbildung zeigt sich auch in der Tatsache, daß der vor fünfzig Jahren so laut und so heftig erhobene Ruf nach einer sog. freien katholischen Universität völlig verstummt ist.

„Freie katholische Universitäten“.

Einsichtige Männer, so nicht nur der kluge Dogmatiker Joh. Kuhn in Tübingen, sondern auch der streng römisch gesinnte Würzburger Kirchenhistoriker und spätere Kardinal Hergenröther hatten von Anfang an das Problematische eines solchen Unternehmens betont, waren aber dafür von ihren mehr eifrigen als sachkundigen Glaubensgenossen hart angelassen worden. Inzwischen haben die mit den katholischen Universitäten in London und Dublin, teilweise auch mit der von Freiburg i. Schw. und dem Institut catholique in Paris gemachten Erfahrungen jene Bedenken bestätigt. Wo die starke Hand einer den Dingen auf den Grund gehenden, nach objektiven und bleibenden Normen entscheidenden, wohlwollenden Regierung waltet, wird viel eher für stetige wissenschaftliche Arbeit und Bewegungsfreiheit gesorgt sein, als durch ein in seiner Zusammensetzung wechselndes, zuviel von äußeren Einflüssen abhängiges Kuratorium oder Komitee. Die sog. freien Institute schweben in steter Gefahr, indem böser Wille oder Unverstand heute durch übelwollende, falsche Berichte die kirchliche Autorität gegen sie scharf machen, morgen den noch gefährlicheren Eifer des „katholischen Volkes“ gegen sie hetzen kann. Es ist viel besser für die Kirche wie für den Staat, daß die Katholiken den ihrer Zahl und ihren wissenschaftlichen Leistungen entsprechenden Anteil an den bestehenden staatlichen Hochschulen zu gewinnen suchen, als daß eine für beide Teile schädliche itio in partes die gegenseitige Entfremdung steigere, statt sie zu beseitigen. Ein jetzt verstorbener hoher Kirchenfürst, der ehemals im akademischen Leben gestanden, hat denn auch öfters auf die Vorteile hingewiesen, die der katholischen Wissenschaft aus dem Patronat des „gottlosen Staates“ erwachsen.

Leistungen der kath. Wissenschaft.

Dank dieser Vorsorge, dank der Rivalität mit dem Protestantismus und den von diesem ausgehenden Anregungen ist die katholische Theologie Deutschlands, trotz den geschilderten enormen Schwierigkeiten, Jahrzehnte hindurch die Führerin auch für die rein katholischen romanischen Länder geworden, deren theologische Wissenschaft sich lange fast ganz auf die den heutigen Bedürfnissen einfach nicht mehr genügende Scholastik beschränkte. Dies zeigte sich besonders auf dem freilich nur einige Male tagenden, vergeblich nochmals nach Rom aufs Jahr 1903 anberaumten internationalen katholischen Gelehrtenkongreß, auf dem das deutsche Element, nicht zum Nachteil des Ganzen, eine hervorragende Rolle gespielt hat, wie denn im deutschen Katholizismus überhaupt, seitdem die ersten Nachwehen des Kulturkampfes und die durch das Vatikanum verursachte Erregung und Einschüchterung überwunden sind, ein wissenschaftliches Leben sich rührt, das in ganz katholischen Ländern seinesgleichen nicht hat. Wenn die deutschen Katholiken die Universitäten, die sie im alten Reiche besessen, verloren hatten; wenn die Gelehrtenakademien von St. Blasien im Schwarzwald,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/610&oldid=- (Version vom 21.8.2021)