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bereits im Oktober 1888 dem Papste machte, als er bei dem König des verbündeten Italien weilte. War die Persönlichkeit des jungen Kaisers an sich schon geeignet, das Vertrauen und die Sympathien des greisen Leo XIII. zu gewinnen, so mußte auch der „soziale“ Papst dem Monarchen, der sich mit großen sozialpolitischen Plänen trug, als wertvoller Bundesgenosse erscheinen. Eine Verständigung in der religiösen Frage ergab sich da fast von selbst. Es war ein Nachklang dieser Zwiesprache zwischen den Trägern des Sacerdotium und des Imperium, wenn der Papst im Frühlinge 1890 deutschen Pilgern gegenüber erklärte, er erhoffe die Sicherung der kirchlichen Freiheit in Deutschland von der Hochsinnigkeit und Gerechtigkeit des durchlauchtigsten Kaisers. Mit Recht wurde auf die „gewaltigen Momente der Weltgeschichte“, auf die „ergreifenden Wandlungen des Staatslebens“ hingewiesen, welche in der Tatsache sich offenbarten, daß der deutsche Kaiser als ausgezeichneter Ehrengast des Papstes im Vatikan erschien. Eine neue Gelegenheit, Leo XIII. und damit die Katholiken sich zu verbinden, fand Wilhelm II. im Februar 1893, wo er jenem durch General v. Loë seine Glückwünsche und ein Ehrengeschenk zu seinem fünfundzwanzigjährigen Bischofsjubiläum überbringen ließ. Auf das bei diesem Anlasse von dem erfreuten Papste erteilte Ehrenzeugnis konnte der Kaiser neun Jahre später in Aachen mit Stolz hinweisen. Deutschland sei, habe Seine Heiligkeit erklärt, das Land, wo Zucht, Ordnung und Disziplin herrsche, Respekt vor der Obrigkeit, Achtung vor der Kirche, und wo jeder Katholik ungestört und frei seinem Glauben leben könne. Das danke man dem Kaiser. Um so lieber mochte der letztere bald darauf mit der Kaiserin abermals im Vatikan vorsprechen, wobei die Ausdrücke gegenseitiger warmer Sympathien erneuert und der deutsche Einfluß mächtig gefördert wurde. Nicht minder wurde Pius X. bei seinem goldenen Priesterjubiläum durch eine Spezialgesandtschaft des deutschen Kaisers geehrt und konnte sich in ähnlich anerkennender Weise wie sein Vorgänger über die wohltätigen Folgen der kaiserlichen Kirchenpolitik aussprechen. Ebenso haben die allerhöchsten Ehrungen und Auszeichnungen kirchlicher Würdenträger im Reiche selbst die Katholiken immer lebhafter von dem unermüdlichen Wohlwollen ihres erhabenen Herrschers überzeugt.

Umschwung im Zentrum.

Die Früchte solcher Friedenspolitik sind denn auch nicht ausgeblieben. Sie zeigten sich am deutlichsten in den Parlamenten. Die Fraktion im deutschen Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhause, die neben ihrem sonstigen Programm namentlich die Vertretung kirchlicher Interessen auf ihre Fahne geschrieben, hatte bereits noch zu Bismarcks Kanzlerzeit und unter Windthorsts Führung, nachdem sie der Notwendigkeit beständigen Kampfes sich überhoben sah, die ersten Schritte zu positiver Mitarbeit getan. Die weiteren Maßnahmen Wilhelms II. machten ihr die letztere immer leichter und immer erfreulicher. Die kaiserlichen Erlasse vom Februar 1890 über Verbesserung der Lage der deutschen Arbeiter mußten ihr in Erinnerung an die Gedanken ihres Mitbegründers, des Bischofs v. Ketteler, besonders wertvoll sein. So konnten im Laufe der Zeit eine Reihe hochbedeutsamer Aktionen des nationalen Lebens durch Zusammenwirken des Zentrums mit anderen bürgerlichen Parteien durchgesetzt werden, z. B. die

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1029. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/592&oldid=- (Version vom 14.2.2021)