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solche, sondern der Mißgriff derjenigen, welche die unrichtigen Personen an die Stelle gebracht hätten.

Der Kulturkampf.

Sei dem wie ihm wolle, die Aufhebung der katholischen Abteilung mußte, zumal im Zusammenhang mit anderen Maßregeln vorher und nachher, die Überzeugung hervorrufen, daß man zur Kirchenpolitik der dreißiger Jahre, die zum „Kölner Ereignis“ geführt hatte, zurückkehren, ja sie noch überbieten wolle. Bismarck hatte gut sagen, derjenige verleumde die Regierung Seiner Majestät, welcher ihr die Absicht einer Verfolgung der katholischen Kirche zuschreibe. Gewiß glaubt heute kein ruhig denkender Katholik, daß die preußische Regierung jene Absicht gehabt habe. Aber ob damals angesichts der gesetzgeberischen Maßnahmen und namentlich ihrer Ausführung durch niedere Organe viele Katholiken zum Glauben an jene Botschaft sich entschließen konnten, ist eine andere Frage. Der Fehler des eisernen Kanzlers war, daß er sich und seinen einseitig gewählten Ratgebern die Entscheidung darüber zutraute, was zum religiösen Leben des Katholiken gehöre, was nicht, was katholisch, was ultramontan sei – ein Irrtum, der ihn tief ins religiöse Leben eingreifen, die Gefühle der Gläubigen aufs schmerzlichste verletzen ließ. Und sein Unglück wollte es, daß er dabei lärmende Bundesgenossen in Kreisen fand, die nicht nur die katholische, sondern jede positive Religion haßten. Solche Beobachtungen boten den stärksten Anhalt zu jener Meinung, die freilich Bismarck von seinem Standpunkte aus als Verleumdung bezeichnen konnte. „Eine Gesetzgebung, die bestimmt war, durch ihre Schärfe den Klerus zu beugen unter die Gerechtigkeit des Staates, ist zur religiösen Erzürnung eines katholischen Volkes geworden,“ urteilte Karl Hase.

Friedensschluß.

Wie der größte Feldherr am Beginne des Jahrhunderts die Macht der nationalen Idee verkannt hatte, so hatte der größte Staatsmann am Ausgange desselben die Gewalt der religiösen Idee unterschätzt. Aber der eiserne Kanzler trug kein Bedenken, umzukehren, nachdem er den betretenen Weg als nicht zum Ziele führend erkannt hatte; er selbst leitete den Abbau des Kulturkampfes ein. Beim Tode Kaiser Wilhelms I. waren die am empfindlichsten ins kirchliche Leben einschneidenden Gesetze beseitigt. Die preußischen Bischöfe konnten in ihrer Huldigung vom 29. August 1888 an Wilhelm II. es begrüßen, daß noch der Lebensabend seines höchstseligen Großvaters durch die ersten Strahlen friedlicher und wohlwollender Beziehungen zwischen Kirche und Staat verschönt worden sei. Wenn aber auch nach Aufhebung der drückendsten Gesetze keine neuen Wunden mehr geschlagen wurden, so bluteten und schmerzten doch teilweise noch die alten, konnten auch infolge von mancherlei Reibungen nicht verheilen. Überhaupt zeigten sich verschiedene Nachwehen des überstandenen Kampfes. So galt es beim Ausgange der Regierung des alten Kaisers, die schmerzlichen Erinnerungen durch freundliche Behandlung der Verletzten möglichst rasch und möglichst vollständig vergessen zu machen, das noch junge gegenseitige Vertrauen zu hegen und zu stärken, das im Hintergrunde da und dort noch lauernde, von mancher Seite geflissentlich genährte Mißtrauen zurückzudrängen, ein freudiges Zusammenwirken zu ermöglichen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1026. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/589&oldid=- (Version vom 14.2.2021)