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das vielleicht zumeist von dieser Bestimmung gar nichts wußte, hatte es doch auch seinerseits als Widerspruch mit der Idee des Priesters empfunden, daß ein solcher mit der Waffe in der Hand seinem Nebenmenschen entgegentrete und ihn eventuell niederschieße. Wird ja schon die Beteiligung eines Geistlichen an der Jagd selten ohne Ärgernis gesehen. Gewiß ist es ein schöner, idealer Gedanke, fürs Vaterland zu kämpfen und zu sterben, und auch der Katholik wird der Weigerung der protestantischen Theologen, sich vom Militärdienst befreien zu lassen, seine hohe Achtung nicht versagen. Aber man sollte andererseits auch nicht leugnen, daß es eine schöne, echt christliche Idee ist, der Priester solle nur ein Apostel des Friedens sein. Daß der Dienst mit der Waffe nicht der einzige ist, den der Geistliche im Kriege dem Vaterlande leisten kann, das zeigt die erfreuliche Wahrnehmung, wie gerne katholische Theologen sich nicht nur der Militärseelsorge zuwenden, sondern namentlich auch an der Ausbildung für Krankenpflege sich beteiligen. Was durch das Gesetz an Zahl der Kämpfer verloren geht, kommt auf diese Weise wieder herein und wird reichlich aufgewogen durch die Begeisterung, einem Vaterland zu dienen, das wie den materiellen, so den höheren Interessen seiner Bürger Rücksicht zu tragen weiß – eine Begeisterung, die auch dem aktiven Kämpfer mitgeteilt wird. Und wenn vollends mit der Zeit die Erkenntnis allgemein würde, daß nicht nur der Kampf mit materiellen Waffen, sondern auch das Hineinstürmen in die friedlose politische Agitation mit der Friedensmission des Priesters sich nicht vertrage, dann würde dies gewiß von vielen als weitere höchst wertvolle Segnung des schönen Gesetzes begrüßt werden.

Gewinnung der Katholiken.

Ein Herrscher, der zu seinem Volke sprach: „Zu Großem sind wir bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich euch noch entgegen“, und der diese herrlichen Tage nicht durch Krieg heraufführen wollte – wie schon sein stetes Eintreten für den Frieden zeigt, dessen Segnungen er seinem Volke fünfundzwanzig Jahre lang, oft unter den schwierigsten Verhältnissen, zu erhalten gewußt hat –, ein solcher Herrscher konnte nicht dulden, daß ein Drittel der Bevölkerung grollend und verstimmt beiseitestehe. Mit seinem Gerechtigkeitssinn und seinem Wohlwollen verband sich seine staatsmännische Klugheit, um die bisher immer noch in die Opposition gedrängten Volksteile zu freudiger positiver Mitarbeit an des Reiches Wohl und Größe zu bestimmen. Es gibt Imponderabilien, die aber ein feinfühliger Herrscher in ihrer Wirkung auf die Psyche des Volkes zu schätzen weiß; es gibt kleine Aufmerksamkeiten, die in ihrem Zusammenhang unter sich und mit anderen Zügen Symptome großen Wohlwollens sind. Wilhelm II. hat es an großen und kleinen Gnadenerweisen für die katholische Minorität seiner Untertanen niemals fehlen lassen, und wenn am Ende seiner ersten fünfundzwanzig Regierungsjahre die deutschen Katholiken ein Vertrauen gegen den Träger der Krone und seine Regierung bekunden, wie es zu Anfang der Periode unerhört gewesen wäre, so ist das in erster Linie des hochsinnigen, gerechten und klugen Kaisers Verdienst.

Gute Beziehungen zum Papste.

Eine Vorahnung dieser Kirchenpolitik weckte sofort der Besuch, den der neue Herrscher

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1028. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/591&oldid=- (Version vom 14.2.2021)