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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[455]

No. 35. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Eine seltsame Frau.
Von A. S.
(Schluß.)


So verflossen acht Tage, ohne daß Josephine, die weder Besuche gab noch empfing, nach der Familie Bornstedt gefragt hatte. Philipp änderte nichts in seinem Betragen, aber er beobachtete jeden Umstand mit großer Aufmerksamkeit. Zunächst faßte er die Kammerfrau in’s Auge. Eines Tages kam er eine Viertelstunde früher als gewöhnlich. Meta öffnete ihm die Thür.

„Wo ist Josephine?“

„Madame hat im Augenblicke ihre Toilette vollendet.“

„Sie ist jetzt noch bei der Toilette?“

„Weil sie eine Spazierfahrt zu machen gedenkt. Der Wagen ist um elf Uhr bestellt. Sie rechnet fest auf Ihre Begleitung. Das Wetter ist schön, Madame will den Tag auf dem Lande zubringen.“

Philipp war erfreut über diesen Plan; er erblickte darin eine Aufmerksamkeit für seine Person, die er schon längst erwartet hatte. Um Josephinen zu überraschen, ging er nicht in das gewöhnliche Empfangszimmer, sondern in das Boudoir. Josephine befand sich in dem angrenzenden Schlafkabinette. Hut und Shawl lagen auf dem Sopha. Meta war dem jungen Manne auf dem Fuße gefolgt. Als Philipp sie fragend ansah, glaubte er eine Aengstlichkeit in ihren Zügen zu erblicken, die sie umsonst zu verbergen suchte. Mit einem erzwungenen Lächeln deutete sie auf die Thür des Kabinets, und dabei suchte sie sich dem Spiegeltische zu nähern. Diesen kleinen Manövern hätte Philipp keine Bedeutung beigelegt, wäre sein Verdacht nicht längst rege gewesen.

„Dort!" flüsterte Meta. „ueberraschen Sie Madame!“

„Sie will mich entfernen,“ dachte der bestürzte Philipp, „hier geht etwas vor.“

Und zugleich ließ er seine Blicke durch das Zimmer schweifen. Da sah er einen erbrochenen Brief auf dem Spiegeltische liegen.

„Gehen Sie nur hinein!“ flüsterte Meta, indem sie zwischen ihn und den Spiegel trat.

Ihr Bemühen, das Papier seinen Blicken zu entziehen, war unverkennbar.

„Sagen Sie Madame, daß ich sie begleiten würde!" flüsterte Philipp mit bebender Stimme.

Meta erschrak, als sie bemerkte, daß das Erblicken des Briefes eine solche Wirkung hervorgebracht hatte. Sie ging rücklings dem Tische zu, und ergriff mit den Händen, die sie auf den Nacken gelegt, das Papier. Das war ein unzweideutiger Beweis von der Wichtigkeit desselben, und daß man es ihm verheimlichen wollte. Das Blut stieg ihm zu Kopfe und alle Rücksicht vergessend, entriß er mit bebender Hand der Kammerfrau das Papier. Meta war so bestürzt, daß sie erbleichend auf einen Sessel sank. Philipp öffnete den Brief, und zu seinem Entsetzen fand er ein zärtliches Gedicht, dessen Anfangsbuchstaben den Namen Josephine Lindsor bildete. Dann verschlang er die Zeilen, die das Gedicht begleiteten.

 „Geliebte, anbetungswürdige Frau!

„Zwar nur seit kurzer Zeit genieße ich das Glück Ihres vertrauten Umgangs, aber Sie haben mir eine Achtung und eine Liebe eingeflößt, die mein ganzes Herz ausfüllen. Nehmen Sie mich an, theuerste Josephine, ich bin der Ihre mit Leib und Seele. Feiern wir morgen schon in aller Stille unsere Verlobung, ich will Sie nicht länger in der Ungewißheit über meinen Entschluß lassen. Eine Vereinigung, die aus so edeln Motiven hervorgeht, kann nur glücklich werden. Mögen die Engländer mit dem Vermögen Ihres verstorbenen Mannes beginnen, was sie wollen, Sie sind die unbeschränkte Besitzerin des meinigen. Mit großer Zärtlichkeit, der ich in beifolgenden Zeilen Ausdruck verliehen, erwartet den morgenden Tag
Ihr verlobter Bräutigam 
Max.“ 

Der Magister hatte Recht gehabt. Eine Todtenblässe überzog des armen Philipp’s Gesicht, während er das verhängnißvolle Papier, das sein ganzes Lebensglück mit einem Schlage vernichtete, in der bebenden Hand hielt. So traf ihn die reizend geschmückte Josephine, die in diesem Augenblicke eintrat.

„Was ist das?“ fragte sie überrascht, und indem sie einen vorwurfsvollen Blick auf Meta warf.

Ungeachtet seiner furchtbaren Verfassung hatte Philipp diesen Blick bemerkt.

Meta wollte sich rechtfertigen. Josephine befahl ihr, das Zimmer zu verlassen. Philipp war mit seiner Gattin allein. Er sah sie mit Blicken des tiefsten Schmerzes, der bittersten Verzweiflung an.

„Philipp,“ sagte Josephine ruhig, „ich errathe Alles.“

„Und Du zitterst nicht?“ rief er unter Thränen aus. „Du hast den Muth, mit dieser Miene Deinem schwer betrogenen Gatten unter die Augen zu treten, während er die Beweise Deiner Schuld, Deines gräßlichen Betruges in der Hand hält?“

Die junge Frau zuckte leicht zusammen; dann aber kehrte ihre vorige Ruhe zurück.

„Philipp,“ sagte sie, „ich beklage den unglücklichen Zufall, der Dir ein Geheimniß verrieth, das Du erst später erfahren solltest. [456] Ich beklage ihn doppelt, da er mir zeigt, wie leicht Dein Vertrauen zu mir zu erschüttern ist.“

„Großer Gott, das ist zu viel!“ rief Philipp. „Madame, kennen Sie den Inhalt dieses Briefes?“

Sie bebte zurück vor dem plötzlich veränderten Tone.

„Ich kenne ihn!“ sagte sie mit Würde.

„Wollen Sie mich nicht glauben machen, daß diese Zeilen nicht an Sie gerichtet sind?“

„Nein, mein Herr, denn ich müßte lügen!“

„O, Sie vermuthen ohne Zweifel, daß alles Leugnen umsonst ist! Oder, was noch schlimmer, Sie halten es wohl nicht einmal der Mühe werth, sich zu entschuldigen! Ziehen Sie getrost den Vorhang weg, Madame, der mir bisher Ihre listigen Manöver bedecken sollte. Zeigen Sie sich wie Sie sind, denn mehr kann ich ja nicht erfahren, um zu begreifen, daß ich mich wie einen Knaben habe gängeln lassen.“

„Philipp,“ sagte Josephine würdevoll, „Sie sind mein Gatte. Ich fordere von Ihnen das Vertrauen, das Sie der schulden, die mit Ihnen ein Bündniß für das Leben eingegangen ist. Wie ich sehe, verurtheilen Sie mich, ohne mich zu hören. Sie halten mich eines Verbrechens an meinen heiligsten Pflichten fähig, nachdem Sie meine Ansichten von Recht und Pflicht kennen gelernt haben. Das ist ein unzweideutiger Beweis, daß Sie meine bisher beobachtete Handlungsweise und meine so oft ausgesprochenen Grundsätze für Heuchelei, für Verstellung halten.“

Der junge Mann war immer noch mehr Liebhaber als Gatte, und darum hatte er nur sein vernichtetes Lebensglück im Sinne. Sein Schmerz ward von einer Stimme übertönt, die ihm zurief: Sie kann nicht lügen, und warum sollte sie dich verrathen? Er sah zu ihr empor, um den Ausdruck ihres Gesichts zu prüfen. Die reizenden Züge Josephine’s waren zwar blaß, aber es sprach sich eine würdevolle Ruhe darin aus, die der gewandtesten Heuchlerin zur Ehre gereicht haben würde, wenn sie erkünstelt gewesen wäre. Ein Mann, der mit der ersten Glut der Leidenschaft liebt, der den sichern Blick des ruhigen Ehemannes noch nicht besitzt, mußte sie für wahr halten. Und Josephine war ja kaum noch seine Gattin, sie war für ihn noch die Geliebte, voll Reiz und jugendlicher Frische. Der Gedanke an das süße Bekenntniß, das sie ihm erst gestern abgelegt, paralysirte seine Aufregung. Es lag, trotz der schweren Anklage durch den Brief, so viel Entschuldigung in den obwaltenden Verhältnissen, daß er sein Verdammungsurtheil nicht auszusprechen wagte.

„Josephine,“ rief er bewegt, „was soll ich von dem Brief halten? Was läßt er mich nicht Alles voraussetzen? Und ich müßte Dich weniger lieben, sollte ich so ruhig bleiben, wie Du es vielleicht forderst! Der Schreiber dieser Zeilen muß entweder ein Roué oder ein Narr sein!“

„Er ist keins von Beiden, mein lieber Freund!“ sagte sie mit ruhiger, fester Stimme. „Die Briefe eines Boshaften theile ich meinem Gatten mit, wenn es mir nicht gelingt, ihn in achtunggebietender Ferne zu halten, und die eines Narren anzunehmen, verschmähe ich, weil alle meine Neigungen, selbst meine Eitelkeit, durch den Besitz meines Gatten befriedigt werden. Es soll dies keine Schmeichelei sein, Philipp, um Dich zu entwaffnen; aber ich spreche es aus, weil ich nicht will, daß Du irgend einen Zweifel über meine Person hegen sollst.“

„Dann fordere ich Aufklärung von Dir, Josephine!“

Du wirst sie zu der Zeit erhalten, die mir die natürliche Entwickelung der Dinge vorschreibt. Du lächelst mit zuckenden Lippen, Philipp, und ich glaube Hohn in Deinen Zügen zu lesen: ist dies das Vertrauen, das Du mir so oft ausgesprochen hast? Habe ich Dir zu viel zugemuthet, wenn ich auf Dein unbedingtes Vertrauen baue? Es war bisher mein Stolz, einem Manne anzugehören, der mich achtet und liebt, weil er jede Falte meines Herzens kennt – jetzt sehe ich, daß ich mich getäuscht habe. Du kennst mich nicht, Philipp, sonst würdest Du einen so furchtbaren Verdacht nicht hegen, der mich zu einer Verbrecherin, zu einer Courtisane herabwürdigt. Philipp,“ fügte sie feierlich hinzu, „ich habe Dir vor dem Altare Treue und Liebe geschworen – ich erfülle eine traurige Pflicht, aber ich erfülle sie dem Gatten unaufgefordert: ich schwöre es bei Gott, daß ich meinen ersten Eid nie verletzt habe!“

„Großer Gott, Josephine, aber dieser Brief?“

„Ich würde ihn Dir selbst vorgelegt haben, sobald die Zeit dazu gekommen wäre.“

„Gieb mir jetzt Aufklärung, nicht wegen Deiner, sondern wegen meiner!“ bat Philipp.

„So genügt Dir mein Schwur nicht?“ fragte sie, bestürzt zurückweichend. „Ich habe Gott zum Zeugen angerufen, und Du vermagst Dich nicht zu beruhigen? Das ist mehr, als ich gefürchtet habe!“

Sie trocknete mit ihrem weißen Spitzentuche eine Thräne aus dem großen Auge, während sich ein tiefer Seufzer ihrem Busen entrang.

„Philipp,“ begann sie nach einer kurzen Pause, „ich konnte zwar diesen unglückseligen Zufall nicht voraussehen, eben so wenig als ich Dein grenzenloses Mißtrauen fürchtete; um aber so viel als möglich Deine Ruhe zu sichern, habe ich Dich von heute an stets um mich haben wollen, damit Du Zeuge aller meiner Handlungen wärst. Die Landparthie sollte Dich für den ganzen Tag an mich fesseln.“

„Wohlan, Josephine, so zeige Dich von diesem Augenblicke an öffentlich als meine Gattin!“

„Du kennst die Rücksichten, aus denen ich die Oeffentlichkeit meide,“ antwortete sie im Tone wehmüthigen Schmerzes. „Aber bleibe von diesem Augenblicke an bis zu unserer Abreise bei mir, und bist Du dann nicht vollständig befriedigt, kannst Du mir Dein volles Vertrauen nicht zurückgeben, so füge ich mich in jeder Beziehung Deinem Willen. Die so eben stattgehabte Unterredung werde ich vergessen – ich verspreche es Dir! Behalte den Brief, Du wirst seiner bald bedürfen.“

Der Stolz des Ehemannes und die Eifersucht des Liebhabers ließen ihn schweigend einwilligen. Nachdem Meta gemeldet, daß der bestellte Wagen angekommen sei, bot Philipp seiner Frau den Arm und führte sie hinunter. Während des ganzen Tages bewiesen sich die beiden jungen Leute jene Aufmerksamkeiten, die nicht völlig frei von Affectation sind. Ihre Blicke verriethen eine erzwungene Heiterkeit, welche diejenigen zu erkünsteln sich bemühen, die sich selbst täuschen wollen. Philipp konnte trotz der erhaltenen Versicherungen seine Zweifel nicht verbannen, und Josephine, die den Zustand ihres Gatten zu beurtheilen vermochte, empfand Besorgnisse und ein inniges Mitleiden. Aber Beide hegten ein gegenseitiges Vertrauen, sie liebten und hatten sich zu rein geliebt, als daß sie nicht auf eine giückliche Fügung der Dinge hoffen sollten. Josephine beobachtete mit klugem Takte ein Benehmen, das den Verdacht von ihr entfernte, als wollte sie den Argwohn ihres Gatten durch übergroße Zärtlichkeiten einschläfern. Eine schmerzliche Freundlichkeit verrieth, daß es ihr einige Ueberwindung kostete, das gegebene Versprechen zu halten. Sie machte die Zeit der Rückkehr von Philipp abhängig, und dieser schob sie so weit als möglich hinaus. Es war zehn Uhr Abends, als sie die Stadt wieder erreichten. Nach dem Abendessen wollte Philipp sich entfernen.

„Wohin?“ fragte sie lächelnd.

„Nach meiner Wohnung!“

„Dort ist Dein Schlafzimmer, Philipp; es wird durch eine Thür von dem meinigen getrennt. Hast Du unser neues Uebereinkommen vergessen?“

„Ich habe mir vorgenommen, Dir ferner nicht mehr zu mißtrauen.“

„Und Deine Frau fordert von Dir, daß Du bleibst. Sie wird die Gewährung dieser Forderung für den Beweis halten, daß Du sie nicht für schuldig hältst! In Deiner Wohnung weiß man, daß Du auf einige Zeit verreis’t bist.“

„So füge ich mich, weil Du es willst!“

Philipp zitterte unter dem Kusse, den ihm das reizende Weib zur guten Nacht auf den Mund drückte. Er betrat sein Schlafgemach und machte seine Nachttoilette. In welcher sonderbaren Lage befand er sich! Er war ein Gast bei seiner eigenen Frau und zugleich ihr Hüter. Tausend Gedanken, tausend Vermuthungen durchkreuzten seinen Kopf. Was kann sie beabsichtigen? fragte er sich. Warum treibt sie mit einem Dritten ein Spiel, das mir und ihr gefährlich werden kann? – Er zog noch einmal den Brief hervor, den er in seiner Tasche verwahrt hatte, und las ihn. Dann blieb er gedankenvoll in dem Sessel sitzen. Und war es auch nur ein Spiel, das sie trieb, es bemächtigte sich seiner ein Schmerz, den die Erinnerung an das bisher genossene Glück vermehrte. Aber die trauernde Liebe, der die feste Ueberzeugung des [457] nur augenblicklich getrübten Glücks bleibt, gewährt eine bald freudige, bald schmerzliche Wollust, und Philipp empfand diese Wirkungen in einem Maße, daß ihn der Schlaf floh.

Mitternacht war vorüber, und immer noch saß Philipp neben dem Tische, auf dem das fürchterliche Papier lag. Die Kerze war tief herabgebrannt. Da öffnete sich leise die Thür und Josephine schlich vorsichtig herein. Als sie den sinnenden Mann erblickte, der ihr Erscheinen nicht bemerkte, sah sie wie flehend zum Himmel empor, indem sie einen Seufzer unterdrückte. Sie wollte bezaubernd sein, und sie war es. Ein elegantes Negligée von weißem Batist schloß ihre üppigen Formen ein. Der Busen war nachlässig verhüllt, und das dunkele Haar quoll in wirren Locken auf die blendend weißen Schultern herab. Pantoffeln von violettem Sammet bekleideten den kleinen Fuß. Mit der Miene der Siegerin schlich sie leise näher und legte ihre niedliche Hand, an welcher der Trauring glänzte, über die Augen ihres Mannes. Dann neigte sie sich zu seinem Ohre, daß ihr Athem ihn anhauchte und die Spitzen ihrer Zähne ihn berührten, indem sie flüsterte!

„Woran denkst Du?“

Und indem sie ihn an sich drückte, umschlang sie ihn mit ihren Armen, als ob sie ihn seinen bösen Gedanken entreißen wollte. Dann küßte sie seine heiße Stirn.

„An Dich!“ antwortete er.

„In welchem traurigen Tone sagst Du mir das! Philipp, Du leidest!“ fügte sie theilnehmend hinzu.

„Ja, Josephine, ich will es Dir nicht verbergen. Soviel ich auch kämpfe, ich kann den Inhalt jenes Briefes nicht vergessen, so lange er mir ein Geheimniß bleibt. Er hat mein Innerstes verletzt, ich muß es eingestehen. Es drängen sich mir Vermuthungen auf, die meine Liebe verwirft, und ich liebe Dich mit derselben Innigkeit. Du bist meine Gattin, und meine Gattin hegt Gedanken, die mir unbekannt bleiben sollen? O, ich weiß, was Du sagen willst!“ rief er aus, als er sie bitter lächeln sah. „Aber dasselbe habe ich mir tausendmal gesagt seit den zwei Stunden, die ich hier sitze.“

Josephine erhob sich und sah mit einem schmerzlichen Lächeln vor sich hin.

„Ich bedauere Dich und mich, Philipp!“ flüsterte sie. „Dich, weil Dein Glück getrübt ist, ohne Deine Schuld, und mich, weil ich Dir weniger bin, als ich Dir sein wollte. Fast muß ich glauben, daß eine Ehe, wie ich sie mir denke, zu den Verhältnissen gehört, die man nicht erschaffen kann, wenn sie der Zufall nicht fügt. Du weißt, daß mich nicht Liebe, sondern nur Dankbarkeit an meinen ersten Mann fesselte, und bei der großen Verschiedenheit unsers Lebensalters konnte dies auch nicht anders sein. Ich hing an Lindsor wie die Tochter an dem Vater, ich war eine Gattin ohne Gatten. Mein Mann war ein Engländer, mit allen Vorzügen und Schwächen seiner Nation begabt. Er war eitel, selbst stolz darauf, wenn man seine junge Frau bewunderte und ihn darum beneidete; aber nie hat er mich durch Eifersucht oder Verdacht gekränkt. Als man ihn darum befragte, gab er zur Antwort: wenn ein junges Mädchen die Pflicht der Dankbarkeit so weit ausübt, daß sie ihr junges Leben an ein altes knüpft, daß sie auf das Glück der Liebe Verzicht leistet, nur um die letzten Tage ihres bejahrten Vaters zu verschönen und die Ehre desselben zu retten – dann, mein Freund, ist der leiseste Verdacht ein Verbrechen, dann giebt es keine Charakterconsequenzen mehr in der Welt, wollte man annehmen, daß Josephine meine Ehre verunglimpfen kann. Hätte nicht schon ein natürliches Prinzip meine Handlungen geregelt, diese Kundgebung eines mich hoch ehrenden Vertrauens würde mich zu dem größten Opfer befähigt haben. Schon vor der Abreise meines ersten Mannes sah ich Dich, und ich verhehle nicht, daß eine Veränderung in mir vorging, die mich zittern machte. Aber ich kannte meine Pflicht, und nur erst als ich dieser entbunden war, folgte ich der ersten Regung der Liebe, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Mein Mann empfing mich zwar als eine Wittwe, aber ich brachte ihm alle Empfindungen einer Jungfrau mit, die zum ersten Male liebt. Philipp, ich konnte an dem Manne nicht zur Verrätherin werden, den ich nur achtete; soll ich Dich verrathen, den ich liebe und den ich nun auch unbedingt achten muß, nachdem er seinen schönen Charakter so glänzend an den Tag gelegt hat? Du giebst jener armen Familie ein so großes Vermögen zurück, und mir verweigerst Du das Geschenk Deines Vertrauens? O, mein Gott, jetzt, wo Du mir zum ersten Male beweisen kannst, daß Du mich am Höchsten achtest in der Welt, jetzt würdigst Du mich in eine Klasse von Frauen herab, welche die tiefste Verachtung verdienen. Dem Schreiber jenes Briefes glaubst Du – mir nicht! Ich habe Dir genügende Aufklärung versprochen und doch hältst Du mich für schuldig. Du siehst mein Bemühen, Deinen Argwohn zu zerstreuen; und dennoch hegst Du ihn, Dir und mir zur Marter. O, ich habe schon zu viel gesprochen ein einziges Wort hätte hinreichen müssen. Philipp, Du liebst mich, aber Du verstehst mich nicht!“

Die letzten Worte hatte sie mit bebender Stimme gesprochen. Sie wandte sich ab und bedeckte ihr Gesicht.

„Josephine,“ sagte der junge Mann, indem er ihre Hand ergriff, „ich will ruhig sein, ich verspreche es Dir! So lange ich kann, will ich Dein Geheimniß achten; aber ich wiederhole es, gieb mir Aufklärung nicht wegen Deiner, sondern wegen meiner!“

„Könnte ich, so sollte es gleich geschehen; aber Rücksichten für Dich verbieten es mir. Wäre in jenem Briefe von weniger als von einer Heirath die Rede, ich würde es nicht über mich gewinnen können, Dich länger in dieser Ungewißheit zu lassen. So aber, mein Freund, prüfe mit dem Verstande, und nicht mit dem Herzen. Gute Nacht, Philipp!“

Sie küßte ihn und entschlüpfte rasch in ihr Zimmer.

„Sie hat Recht!“ dachte Philipp, und ging zu Bett. Er schmeichelte sich mit dem Gedanken, daß ihn nur noch die Neugierde plage, und es gelang ihm, einzuschlafen.

Wenn ein Gewölk den klaren Horizont zweier Liebenden getrübt, die das höchste Glück in dem gegenseitigen Austausche ihrer Gefühle gefunden, so bleibt stets eine Spur in den Genüssen zurück, nachdem es sich wieder verzogen hat. Wie das Land nach dem Regen sich erfrischt, so wird die Liebe entweder lebendiger, oder die Erschütterung dauert fort wie der Donner, der noch einige Zeit bei hellem Sonnenscheine nachhallt. Die Liebe vermehrt oder verringert sich.

Der unbekannte Bewerber hatte versprochen, am andern Tage zu erscheinen. Philipp’s Unruhe läßt sich denken. Er beobachtete Josephine – sie war liebenswürdig und unbefangen, wie immer. Sie verrieth durch kein Wort, keine Miene, daß eine wichtige Katastrophe bevorstehe. Als sie gegen Mittag aus ihrem Boudoir trat, hatte sie eine reizende Toilette gemacht.

„Willst Du ausgehen?“ fragte er.

„Nein. Es ist möglich, daß ich Besuch erhalte.“

Und dabei lächelte sie erröthend. Dann hing sie sich an seinen Arm, und ging mit ihm im Zimmer auf und ab. Plötzlich ward draußen die Glocke gezogen. Die beiden Gatten blieben stehen und sahen sich lächelnd an. Philipp glaubte zu bemerken, daß Josephine’s Hand ein wenig zitterte.

„Willst Du den Besuch allein empfangen?

„Du bist mein Gatte, und hast zu bestimmen.“

In diesem Augenblicke trat Meta ein und meldete mit lauter Stimme:

„Ein Fremder, der sich Major von Wildau nennt, wünscht Madame zu sprechen!“

Philipp erbleichte.

„Major von Wildau?“ wiederholte er.

„Hier ist seine Karte!“ sagte die Kammerfrau, sich verneigend.

„Er ist’s!“ flüsterte der junge Mann, nachdem er den Namen auf dem eleganten Blatte betrachtet hatte. „Was mag er wollen?“ fragte er in sichtlicher Bestürzung.

„Wir werden es erfahren, wenn wir ihn empfangen!“ antwortete Josephine ruhig.

„Meta, führen Sie den Fremden in den kleinen Saal!“ sagte Philipp.

Die Kammerfrau entfernte sich.

„Was ist Dir, lieber Mann? Die Ankunft des Majors hat Dich in eine seltsame Aufregung versetzt. Kennst Du ihn?“

„Ich glaube. Josephine, empfange ihn zunächst allein. Du wirst mir gestatten, daß ich in dem kleinen Kabinette der Unterredung beiwohne, das durch eine Vorhang von dem Saale getrennt wird. Weder Eifersucht noch Mißtrauen veranlassen mich, ein unsichtbarer Zeuge zu sein – ich schwöre es Dir, Josephine! Der Major wird ohne Zweifel nach mir fragen; aber nimm seine Aeußerungen mit Vorsicht auf, er ist ein grober, auf seinen Reichthum pochender Hagestolz, der eigentlich abgewiesen zu werden verdiente. Aber fürchte nichts; sollte er Dich beleidigen, selbst nur durch ungeziemende Worte Dich kränken, so steht Dein Mann Dir zur [458] Seite. Er ist meinetwegen gekommen, und kannst Du es, so verbirg ihm unsere Heirath, ich selbst werde sie ihm mittheilen.“

„Jetzt spielst Du den Geheimnißvollen!“ sagte die junge Frau, indem sie lächelnd mit dem Finger drohete. „Hegte ich nicht ein unbegrenztes Vertrauen zu meinem Manne, so würde ich schließen müssen – –“

„Schließe und denke nichts, Josephine, was Du von dem Major auch hören wirst. Gleich nach seiner Entfernung gebe ich Dir Aufschlüsse – –“

Josephine verneigte sich, und ging in den Saal.

„Ich bedarf der Aufschlüsse nicht, denn ich weiß bereits Alles!“ flüsterte sie vor sich hin.

„Was ist das? Was ist das?“ fragte sich Philipp. „Der Major sucht meine Frau auf? Der brutale Mensch ist sicher nur gekommen, um mir zu schaden. Aber wie kann er wissen, daß ich mich in Leipzig aufhalte? Wer hat ihm meine Verbindung mit Josephine entdeckt?“

So leise, als es seine Aufregung erlaubte, schlich er über den Corridor in das Kabinet. Als er die Falten der grünen Gardine ein wenig auseinanderzog, sah er den Gast neben seiner Frau auf dem Sopha sitzen, das dem Verstecke gegenüberstand. Der Lauscher konnte genau die in einer Unterredung begriffenen Personen beobachten.

„Er ist es!“ flüsterte Philipp, der leise zitterte. „Ich werde seinen bösartigen Plan auf eine Weise vereiteln, daß er mir nie wieder in den Weg treten soll.“

Wie erstaunte Philipp, als er sah, daß der Major die Hand seiner Frau ergriff und in einem zärtlichen Tone, den er bei dem derben Soldaten nie gekannt, flüsterte:

„Nicht wahr, Madame, Sie erlauben mir, daß ich dem Drange meines Herzens folgen und Sie Josephine nennen darf?“

„Herr Major, jeder Ausdruck Ihrer Achtung und Zuneigung ist mir willkommen!“ antwortete sie, mit dem sichtlichen Bemühen, von dem Lauscher deutlich verstanden zu werden.

„O, zweifeln Sie nicht, daß Sie beide Empfindungen lebhaft in mir angeregt haben. Daß ich völlig mit mir im Klaren bin, habe ich Ihnen bereits in meinem Briefe angezeigt. Sie sind die Frau, wie ich sie mir wünsche, und darum empfangen Sie den Verlobungsring.“

Fast hätte Philipp seine Anwesenheit verrathen, als er in dem Major den Heirathskandidaten kennen lernte, der ihm so viel Sorgen gemacht hatte. Statt in der gefürchteten bösartigen Absicht, war der Major in der zärtlichsten von der Welt gekommen – er wollte die reizende Josephine heirathen.

„Warum mystifizirt sie den Major?“ fragte er sich zitternd. „Wo hat sie ihn kennen gelernt, und wo hat die Annäherung stattgefunden? In welcher Absicht hat sie diese seltsame Heirathsgeschichte eingeleitet?“

Er sollte bald die Antwort auf diese Fragen erhalten.

„Bevor ich Ihren Ring annehme,“ sagte Josephine, „muß ich Ihre Bedingungen kennen lernen –“

„Mein Gott,“ rief der begeisterte Major, „reden wir nicht von Bedingungen! Doch ja, eine Bedingung habe ich Ihnen zu stellen.“

„Und welche?“

„Daß der Verlobung sofort die Vermählung folgt. Ich habe einen wichtigen Grund, meine junge Frau sofort mit mir zu nehmen.“

„Fürchten Sie meine Untreue, wenn Sie mich noch einige Zeit in Leipzig zurücklassen?“ fragte Josephine lachend.

„Nein, Josephine, nein! Bei meiner Ehre als Soldat: nachdem ich Ihre Grundsätze kennen gelernt, kann es mir nicht einfallen, den leisesten Verdacht zu hegen. Die Eifersucht ist in meinen Augen das häßlichste Laster an einem Bräutigam oder Ehemann. Beweist sie nicht, daß er sich unfähig fühlt, das Herz seiner Geliebten ganz auszufüllen? Oder daß man ihr nicht trauen darf? Madame, regte sich Mißtrauen in mir, so würde ich Ihnen diesen Ring nicht anbieten.“

„Und dennoch wollen Sie mich sofort mit sich nehmen?“

„Der Grund liegt bei mir, Madame, und ich will ihn nicht verhehlen. Sie erinnern sich, daß ich von einem erzliederlichen Neffen sprach, einem Sohne meiner verstorbenen Schwester.“

„Ganz recht.“

„Dieser Bursche wäre mein Erbe, wenn ich ohne Kinder bliebe. Vor länger als einem Jahre erfuhr ich, daß er in Berlin ein leichtfertiges Leben führe, und daß er mit einer Frau von höchst zweideutigem Rufe sein väterliches Vermögen vergeude. Ich hätte mich den Teufel um ihn gekümmert, wenn nicht ein Testament meines Vaters vorhanden wäre, wonach mein Gut Wildau auf meine Schwester oder deren Kinder übergehen solle, wenn ich unverheirathet bliebe. Der einzige Junge meiner Schwester, Philipp, kennt diese Testamentsklausel, und darum wirthschaftet er eben so darauf los, wie sein Vater, der leichtsinnig und pflichtvergessen seine arme Frau in das Grab gebracht hat. Das Sprüchwort bewährt sich: der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ich schrieb also vor ungefähr einem Jahre an meinen saubern Neffen, und ermahnte ihn, seine kostspielige Geliebte und sein verschwenderisches Leben aufzugeben. Ja, da kam ich schön an! Die Geliebte, eine von ihrem Manne getrennt lebende Frau, muß ihn völlig in ihrer Gewalt haben, denn er antwortete mir in einem höchst impertinenten Tone, daß ihm seine Geliebte mehr werth sei, als der Onkel, der außerdem als ein Hagestolz die Liebe nicht zu beurtheilen verstehe. Zugleich rieth er mir, mich um seine Verhältnisse ferner nicht zu kümmern, und ruhig meinen Acker zu bebauen. Meinen Groll, Madame, können Sie sich denken, als ich später erfuhr, daß er sein Gütchen verkauft habe, um das Geld seinem Götzen zu opfern. Nun faßte ich den Entschluß, mir eine Frau zu nehmen. Das Uebrige wissen Sie bereits. Ich war so glücklich in meiner Wahl, daß ich dem Jungen, der mich dazu veranlaßt, verziehen haben würde, hätte er nur die geringste Lust zur Umkehr auf einen bessern Weg gezeigt. Gestern schreibt mir mein Correspondent aus Berlin, er habe erfahren, Philipp sei mit jener Person, deren Mann plötzlich gestorben wäre, verheirathet, und Beide schmiedeten nun eine Intrigue gegen mich, um auf Grund des vorhandenen Testaments Geld zu erpressen. Ah, Madame, ich muß gesattelt sein, denn mein Neffe artet nach seinem Vater, von dem die rechtlichen Leute sagten, daß sie keinen Prozeß mit ihm haben möchten. Schon bei dem Worte Prozeß sträuben sich mir die Haare empor! Eine Heirath schützt mich vor allen Angriffen, ich verschreibe meiner Frau mein Vermögen, und kann ruhig und zufrieden leben. Das ist mein Geheimniß, ich habe Ihnen nicht mehr zu entdecken.“

Die letzten Eröffnungen des Majors waren Philipp ein Räthsel, denn es war ihm nicht in den Sinn gekommen, irgend etwas gegen den Bruder seiner Mutter zu unternehmen, obgleich er die Hoffnung auf die Erbschaft nicht aufgegeben hatte.

„Herr Major,“ begann Josephine, „Ihre Offenheit ehre ich, denn sie beweist mir, daß ich es mit einem redlichen Manne zu thun habe.“

„Ich rede, wie ich denke, Madame, und meine zukünftige Frau muß alle meine Familienverhältnisse kennen. Sie soll nicht zufällig erfahren, was ihr zu wissen gebührt. Und darum wiederhole ich, daß ich mich jetzt aus reiner Neigung verheirathe, wenn ich auch die angegebenen Rücksichten nicht ganz außer Acht lasse.“

„Ihr Neffe, Herr Major, ist also der Grund, daß wir uns kennen gelernt haben?“

„Ja.“

„Denn es ist meine Pflicht, daß ich mich für ihn verwende; er soll nicht sagen, daß ich ihm Alles geraubt habe. Wie Sie mir mittheilten, ist er mit seiner Geliebten verheirathet – kennen Sie seine Frau?“

„Nein; aber man sagt, daß sie eine ausgemachte Kokette sei, für die sich der junge Mensch ruinirt habe. Und der Beweis liegt ja vor – warum hat er sein Gut verkauft? Es thut mir leid, daß ich Ihnen die erste Bitte versagen muß.“

„Verzeihung, mein Herr, wenn ich beharre. Die Welt liebt es, zu übertreiben, und sie verurtheilt oft eine Frau nach dem bloßen Scheine. Wenn Sie nun der Gattin Ihres Neffen Unrecht gethan hätten?“

„O, Madame, dann will ich mein Unrecht bekennen, dann will ich die ersten Gründe fallen lassen, wie auch bereits geschehen, und verheirathe mich aus Achtung und Liebe.“

„Ihre Dienerin, mein Herr!“ sagte Josephine, sich stolz verneigend. „Damit wäre ich zufrieden gestellt, aber nicht ihr armer Neffe, den Sie doch nicht vergessen dürfen.“

„Ich wünsche ihm, daß er eine eben so schöne und achtbare Frau besitzen möge, als mir das Glück in Ihnen, Madame, zugeführt hat.“

„Und wenn dies der Fall ist?“ fragte Josephine mit einem reizenden Lächeln.

[459]

Verwundeten-Transport der Alliirten nach der Schlacht.

[460] „O, ich kann Alles versprechen, denn dieser Fall wird nicht eintreten;“ rief der Major.

„Sie machen mich erröthen, mein Herr! Sie dehnen Ihre Galanterie bis zu einem Grade aus –“

„Wie Sie ihre Bescheidenheit und Gutherzigkeit, theuere Josephine! Bei meiner Ehre,“ fügte er feurig hinzu und indem er ihre Hand ergriff, „gleicht Philipp’s Frau Ihnen, so soll er sich über mich nicht zu beklagen haben, denn ich finde seine Leidenschaft erklärlich. Und da Sie doch einmal meine Universalerbin sind – denn das Testament spricht nur von einer Frau – so gebe ich Ihnen Vollmacht, die jungen Leute zu bedenken. Aber finden sich Makel, ist sie eine Verschwenderin –“

„Sie selbst sollen urtheilen, mein Herr! Doch sorgen wir zunächst, daß wir die Dame kennen lernen. Und bis dahin bitte ich, jede weiter Feststellung aufzuschieben, denn ich möchte den Tag, der mir auf immer die Achtung und Liebe eines Ehrenmannes sichert, durch einen Akt der Milde und Versöhnung weihen. Ich kann Ihr Vermögen nicht annehmen, bevor ich nicht weiß, daß keine Thräne darum fließt. Dies mag die erste Bitte Ihrer Braut sein –“

„Und ich gewähre sie, obgleich mein Glück verzögert wird!“ rief der Major, indem er ihr einen Ring an den Finger steckte.

„Den meinigen erhalten Sie an dem Tage der Entscheidung, und bis dahin bleiben Sie in Leipzig, damit sich das angeknüpfte Band fester schlinge.“

Der entzückte Liebhaber bat um einen Kuß, und Josephine, tief erröthend gewährte ihn. Man besprach nun die einzuleitenden Schritte, um die Erben zu ermitteln, und über ihren Charakter Forschungen anzustellen. Nach einer halben Stunde schied der Major mit der Versicherung, daß er noch an demselben Tage seinem Correspondenten in Berlin schreiben würde. Kaum hatte er sich entfernt, als Philipp in den Saal stürzte.

„Josephine,“ rief er überwältigt, „jetzt begreife ich Dich! Verzeihe mir, denn ich sündigte gegen Dich, weil ich Dich bis zur Anbetung liebe!“

Sie hing sich an seinen Hals und flüsterte unter Thränen:

„Ich habe Dir nie gezürnt, Philipp, weil ich Dein Herz kenne! Du leistest meinetwegen Verzicht auf das Vermögen Deines Onkels – ich erachtete es für Pflicht, es Dir zu erhalten. Das Geheimniß, das ich bewahrte, war Dein eigenes, und ich würde es preisgegeben haben, hätte ich den Erfolg meines kleinen Kunststücks voraussehen können. Dies wirst Du ohne Zweifel der Eitelkeit zu Gute halten, von der keine Frau frei ist.“

„Wie aber hast Du erfahren, daß ich überhaupt einen Onkel habe, und auf welchem Fuße ich mit ihm stehe?“

„Der Zufall ward zum Verräther Deiner großmüthigen Discretion gegen mich. In meinem Zimmer in Berlin verlorst Du den letzten Brief Deines Onkels, der mir völligen Aufschluß über die obwaltenden Verhältnisse gab. Er kündigte Dir selbst seine bevorstehende Verheirathung an. Da ich wußte, daß es Dir Kummer machen würde, wenn mir das Urtheil Deines Onkels über mich bekannt würde, so verschwieg ich Dir den Fund und verschloß den Brief. Nun machtest Du die Reise, um Dein Gut zu verkaufen. In dieser Zeit wurden mir durch einen Advokaten heimlich Heirathsanträge gemacht, und man beschrieb mir die Person des Majors von Wildau, Deines Onkels. Mein Plan war sofort gefaßt, ich verließ Berlin, um von hier aus mit dem Heirathskandidaten in Correspondence zu treten, meldete Dir meine Ortsveränderung, und suchte Dich zu bewegen, unsere Heirath ferner geheim zu halten. Den Erfolg meiner kleinen List hast Du gesehen – jetzt ist es an Dir zu handeln.“

„Josephine, den letzten Akt des Drama’s werde ich ausführen!“

Nach Tische verließ Philipp seine Gattin.




VII.

Um drei Uhr betrat der junge Mann die Wohnung des Magisters. Elias, der ihn lange nicht gesehen, empfing ihn freudig und führte ihn in das Stübchen des Herrn von Bornstedt. Der Greis colorirte Bilderbücher, eine Arbeit, die ihm der Magister verschafft hatte. Anna war mit Stickereien beschäftigt; erröthend erhob sich das hübsche Mädchen, und begrüßte in dem Gaste den Fürsprecher bei Madame Lindsor. Philipp nahm keinen Anstand, sich zu entdecken; er übergab dem freudig bestürzten Manne die für das Gut erhaltene Kaufsumme in Wechseln und Staatspapieren, und entzog sich rasch dem Danke der weinenden Menschen. Der kleine Magister, der die Unterhaltung belauscht hatte, stand wie eine Salzsäule auf dem Vorsaale. Philipp ging mit ihm in sein Arbeitsstübchen.

„Kennen Sie die Wohnung des Mannes, dem Sie[WS 1] ein Gedicht an Madame Lindsor gefertigt haben?“

„Ja, mein Herr!“ stammelte der bewegte Novellist.

„Ueberbringen Sie ihm diesen Brief.“

„Gern, lieber Herr!“

„Wenn er nach dem Absender fragt, so sagen Sie ihm, er sei ein armer verheiratheter Schriftsteller, und Ihnen befreundet. Durch Sie habe er die Adresse des Herrn Majors von Wildau erfahren. Als Lohn für diesen Weg werde ich Ihnen den Druck Ihrer Novelle besorgen, und ein doppeltes Honorar vermitteln. Antwort bringen Sie mir nur dann, wenn Sie den Adressaten nicht zu Hause getroffen haben.“

Philipp verließ eilig das Haus, daß Elias nicht einmal nach seiner Wohnung fragen konnte. Fünf Minuten später schritt der Magister mit seinem Briefe über die Straße dem Hotel de Bavière zu. Er traf den Major in seinem Zimmer, gab den Brief nach der erhaltenen Vorschrift ab, und entfernte sich wieder. Kaum hatte der Empfänger die wenigen Zeilen gelesen, als er einen Lohndiener kommen und sich von ihm nach der bezeichneten Wohnung Philipp’s führen ließ.

„Das trifft sich gut!“ murmelte er, als er die schmale Treppe hinanstieg. „Der Bursche ist also so verarmt, daß er meine Mildthätigkeit anflehen muß. Die gute Josephine hat sich für ein leichtsinniges Weib verwendet, das ist klar. Wollen sehen, wer die saubere Huldgöttin meines Neffen ist.“

Er traf Philipp in einem einfachen, freundlichen Zimmer. Die gegenseitige Begrüßung läßt sich denken.

„Vortrefflich, Herr von Martern,“ rief der Onkel, „es ist also meine Prophezeihung eingetroffen! Man heirathet eine leichtsinnige Person, um an den Bettelstab zu kommen. Ich hätte Deinen Brief unberücksichtigt lassen sollen; da es mich aber drängt, Deine liebenswürdige[WS 2] Gattin zu sehen – –“

„Sie werden sie kennen lernen,“ sagte Philipp, der vor Aufregung zitterte. „Darum bitte ich, Ihr Urtheil so lange zu verschieben.“

Der Major setzte sich auf einen Stuhl, und betrachtete Philipp mit Inquisitormienen.

„Du kennst meine Offenheit, Philipp,“ begann er nach einer Pause, „und darum theile ich Dir zunächst mit, daß ich nach Leipzig gekommen hin, um mich zu verheirathen. Hieraus ermiß die Ansprüche, die Dir von Rechtswegen an mein Vermögen bleiben. Willst Du Dir mein Wohlwollen erhalten, so verhehle mir nichts. Du hast Dich für Deine Frau ruinirt?“

„Nein!“

„Halt Du gespielt?“

„Auch das nicht!“

„Beim Teufel, was hast Du denn mit Deinem Vermögen angefangen? Lüge nicht, Philipp, es wird Dir nicht gelingen, meine Meinung von Deiner Frau umzugestalten!“ rief aufbrausend der Major.

„Und dennoch muß ich es, lieber Onkel, weil Sie die Wahrheit von mir fordern!“ antwortete ruhig der junge Mann, indem er sich dem Onkel gegenüber niederließ. Ich leugne nicht, daß meine Frau allein die Schuld an meiner gegenwärtigen Lage trägt, und daß ich auf ihre Veranlassung um mein Vermögen gekommen bin.“

„Ah, das wollte ich wissen!“ rief befriedigt der Major „Aber was sind das für Widersprüche?“

„Ein Zufall setzte meine Frau von dem unglücklichen Prozesse in Kenntniß, durch den mein Vater das Gut des Herrn von Bornstedt erhielt.“

„Ja, das war ein Prozeß, der noch heute zum Himmel schreit!“ murmelte der Major. „Gott habe meinen Schwager selig; aber ich schäme mich, wenn ich seiner gedenke!“

„So sprach auch meine Frau, die sich ihres Mannes schämte, weil er wissentlich ein unrechtmäßiges Eigenthum besaß. Sie brachte eine völlige Umwandlung in mir hervor. Fuhr ich in meinem glänzenden Wagen, so fragte mich eine Stimme: gehören [461] dir die Pferde, die man bewundert? Saß ich an einem reich besetzten Tische, so flüsterte dieselbe Stimme: gestohlene Speisen, gestohlener Wein! Während du schwelgst, hungern gewisse Leute und verwünschen deinen Vater im Grabe! Onkel, ich schämte mich vor mir selbst! Da eilte ich zu meiner Frau, und gestand ihr, was in mir vor ging. „„Komm arm zu mir,““ rief sie aus, „„aber mit einem unbefleckten Gewissen!““ An diesem Tage genoß ich Freuden des Herzens, die Millionen aufwogen. Ich suchte und fand die Familie Bornstedt, und gab ihr die aus dem Verkaufe gelöste Summe sammt Zinsen zurück.“

Der Major hatte erstaunt zugehört.

„Und Deine Frau selbst besitzt kein Vermögen?“ fragte er.

Philipp gab nun Aufschlüsse über Josephine’s Vermögensumstände, wie sie der Leser bereit kennt.

„Darum treffen Sie mich in dieser ärmlichen Lage. Ich lebe von dem, was ich verdiene, und verliert meine Frau ihr Vermögen, so habe ich mir eine Subsistenz gegründet, die uns Beiden genügt. Sie sehen, ich rechne nicht darauf, Ihr Erbe zu werden; und wenn ich Sie bat, mich zu besuchen, so wollte ich nur die Achtung für meine Frau wiedergewinnen, die Sie ihr bisher versagt haben.“

Der Major schüttelte sein Haupt, indem er einen Augenblick zu Boden sah.

„Philipp,“ sagte er, „liegt Deiner Frau wirklich an meiner Achtung? Ich erinnere mich, daß ich in harten Ausdrücken über sie geschrieben habe.“

„O, mein Onkel, sie hat selbst zu einem Mittel ihre Zuflucht genommen, das Ihr Urtheil völlig feststellen muß.“

„Gut, ich will sie sehen, führe mich zu ihr!“

Philipp begann sich anzukleiden.

„Die Redlichkeit trägt Zinsen, sagte meine Mutter oft. Ich fühle es, Onkel, denn ich bin ein glücklicher Mensch. Und giebt es ein Paradies, so muß auch mein Vater jetzt glücklich sein, denn ihn segnen die Freudenthränen einer armen Familie.“

„Er hat das Gemüth seiner Mutter!“ flüsterte der gerührte Major. „Und wäre meine Braut nicht so reizend, wer wüßte, was ich thäte. Philipp,“ rief er laut aus, „mag es in meinem Alter immerhin eine Thorheit sein – aber ich verheirathe mich. Ich habe einmal mein Wort gegeben, und das muß ich halten.“

In diesem Augenblicke ließen sich Schritte und ein leises Klopfen an der Thür vernehmen. Gleich darauf trat Josephine ein. Das liebliche Köpfchen schmückte ein leichter, einfacher Strohhut. Den Shawl trug sie über dem Arme. Der Major glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er seine Braut erblickte.

„Madame Lindsor!“ rief er aus.

„Meine Frau!“ sagte Philipp, indem er sie ihm vorstellte.

„Unmöglich! Sie ist ja meine – –“

„Ihre Verwandte, Herr Major von Wildau,“ sagte Josephine mit einer reizenden Verbeugung, „die sich glücklich schätzt, Ihre Achtung, selbst Ihre Liebe zu besitzen. Nehmen Sie Ihr Urtheil über mich nicht zurück, ich würde auch sonst meine Meinung von Ihnen ändern müssen. Ihren Ring behalte ich, er soll mich erinnern, wie hoch ich in der Gunst dessen stehe, der mich einst zu meinem Schmerze nicht anerkennen wollte.“

„Madame,“ murmelte zornig der Alte, „Sie haben ein arges Spiel mit mir getrieben, so daß ich versucht bin, es für eine Komödie zu halten, die einen eigennützigen Zweck hatte. Philipp, Deine bedrängte Lage hat Dich zu Schritten verleitet –“

„Genug, Herr Major!“ sagte Josephine ernst, „Philipp’s Lage ist die beste von der Welt. Sie sind ja unser Onkel,“ fügte sie lächelnd hinzu, „und deshalb darf ich ihn wohl in Ihrer Gegenwart bitten, mein Vermögen mit mir zu theilen. Es trieb mich her, ihm zu sagen, daß mir vor einer Stunde der russische Gesandte ein Aktenstück zugesendet hat, das den im Beisein des österreichischen und preußischen Internuntius ausgesprochen letzten Willen meines verstorbenen Mannes enthält. Er hat mich ohne irgend einen Zusatz zu seiner Universalerbin erklärt. Du hast Dein Vermögen großmüthig hingegeben, um die Ehre Deines Vaters – und Ihres Schwagers, Herr Major – zu retten – nimm jetzt das meine, Philipp, ich bringe es Dir zur Morgengabe. Herr Major,“ fügte sie im Tone leisen Vorwurfs hinzu, „mein Mann besitzt Schätze, die nur Gott allein vergrößern kann!“

Dann warf sie sich weinend an seine Brust.

„Kinder,“ rief bewegt der Alte, „was macht Ihr denn aus mir? Wollt Ihr mir denn die Thorheit recht klar vor Augen legen, daß ich auf den Gedanken gekommen bin –“

Josephine schloß ihm den Mund mit einem Kusse.

„Onkel,“ flüsterte sie mit feuchten Augen, „bei der Offenheit, die wir uns gegenseitig gelobt haben: bekennen Sie, daß Sie mir Dank schuldig sind! Sie besitzen alle Eigenschaften eines vortrefflichen Menschen; aber wenn Sie sich den Chancen der Ehe mit einer jungen Frau ausgesetzt hätten –“

„So wäre ich ein Narr gewesen!“

„Verzeihung, ich bitte um Ihr Urtheil über mich!“ fiel sie rasch ein.

„Sie sind eine Syrene; aber auch ein Engel, die einen Mann verdient wie Philipp, und einen Onkel, wie ich zu sein mir jetzt vornehme.“

Die drei glücklichen Menschen fuhren in einem herbeigeholten Wagen nach Josephine’s Wohnung, wo der Major, der Schwarz auf Weiß liebte, die eingegangenen Papiere prüfte. Er fand Alles in Ordnung. Am Abend erschienen auf ergangene Einladung Herr von Bornstedt, Anna und der brave Magister. Kurz vor Tische führte Josephine den blonden jungen Mann ein; sie stellte ihn den Gästen als ihren Bruder vor.

„Wieder ein Geheimniß,“ flüsterte ihr Philipp zu.

„Das ist die Rache für den verheimlichten Onkel!“ flüsterte sie zurück.

„War ich es Dir nicht schuldig?“

„Wie ich es Anna schuldig war, die ihn schon lange liebt. Sie lernten sich in Breslau kennen, wo mein Bruder studirte. Er ist ihr nach Leipzig gefolgt und nahm Schreiberdienste bei einem Advokaten. Anna nannte ihm die Käuferin ihres Kleides, und er fand seine Schwester.“

Bei Tische kündigte Herr von Bornstedt die Verlobung seiner Tochter an, und der Major brachte den ersten Toast auf das Wohl des jungen Paars. Es war spät, als die Gesellschaft sich trennte. Als die beiden Gatten allein waren, sagte Josephine:

„Nun, Philipp, will ich Dir noch eine Entdeckung machen, die für Dich von Interesse ist. Erinnerst Du Dich der ersten Gesellschaft, die nicht zu Stande kam?“

„Ja!“ antwortete er ein wenig verlegen, denn er schämte sich seines damals gehegten Verdachtes.

„Ich hatte darauf gerechnet, daß man mir absagen würde – an jenem Abende tanzte Pepita de Oliva im Theater. Der Enthusiasmus für die Fußkünstlerin hat mir einige lästige Stunden erspart. Giebt es noch einen Schleier zu lüften?“

„Den, der auf unserer Verbindung ruht!“

„Es steht bei Dir, ihn wegzunehmen, denn von diesem Augenblicke an bist Du der souveräne Mann!“




Einige Tage später bezog der alte Bornstedt die Wohnung Josephine’s. Madame Lindsor war verschwunden; die jungen Gatten hatten den Major auf sein Gut begleitet. Mancherlei Gerüchte über die reizende Wittwe tauchten nun auf, aber keins brachte Kunde von dem Glücke der jungen Leute, die am Weihnachtsabende desselben Jahres mit einem Sohne beschenkt wurden, den der Major aus der Taufe hob. Magister Elias vollendete seine Novelle und lieferte sie dem Verleger der Gartenlaube ab; er erhielt zwar das doppelte Honorar, aber Philipp, der mit der Redaction in Correspondence stand, übergab sie einem Freunde zur Umarbeitung, und nachdem er sie geprüft, ward sie in vorstehender Gestalt zum Drucke befördert. Der gute Magister hat versprochen, es nicht übel zu nehmen, wenn er nur als eine handelnde Person, und nicht als der Verfasser des Werkchens bezeichnet wird.

[462]

Nach der Schlacht an der Traktirbrücke.


An der Traktirbrücke, unweit Sebastopol, wurde nochmals eine Schlacht geschlagen, und von Neuem trank der unersättliche Boden Blut in Strömen. Glücklich sind die Todten! Im Kampfe zu sterben ist nichts; grauenhaft aber ist es, verwundet zu sein, doppelt grauenhaft, den brennenden Schmerz fürchterlicher Wunden tragen zu müssen, ohne die Entscheidung näher gerückt zu sehen, einen nutzlosen Sieg erkämpft zu haben oder gar geschlagen zu sein. Da liegen sie umher auf dem Schlachtfelde, das man „ein Feld der Ehre“ nennt, jammernd und hülflos, denn obwohl namentlich bei den Alliirten viel gethan worden ist, die Verwundeten bald aufzusuchen, fortzuschaffen und ihnen Linderung zu bringen, so reichen die Anstalten doch meist nicht aus, den Hunderten, ja Tausenden, sofort die nöthige Pflege und Hülfe zu bringen, und Viele haben es nur dem Mitleid und der aufopfernden Freundschaft von Kameraden zu danken, daß sie, auf dem Schmerzensfelde verschmachtend, unbeachtet und vergessen nicht liegen bleiben. Ein Schlachtfeld nach der Schlacht macht eines Theils durch den Anblick so vieler Hunderter von Verstümmelten und Blutenden einen herzzerreißenden Eindruck, durch die zahllosen Beispiele aufopfernder Nächstenliebe aber auch einen erhebenden, denn mit der zärtlichsten Sorgfalt nehmen sich die Gesunden der verwundeten Kameraden an; trotz eigener Ermattung stützen und tragen sie Unglückliche, und ruhen nicht, bis sie dieselben an einen sichern Ort gebracht haben. Unser Bild läßt uns einen Blick thun in solche Scenen des Leidens und Mitleidens, und es zeigt uns zugleich eine der Vorrichtungen, deren man sich zum Fortschaffen Verwundeter bedient. Es sind dies eine Art Stühle, welche von Pferden, Maulthieren u. s. w. getragen werden und auf die man die Verunglückten setzt und legt. Außerdem haben aber die Engländer namentlich dazu besonders gebaute leichte Krankenwagen, die in der Nähe der Schlachtfelder halten, und in die man die Verwundeten legt, um sie ohne viel Rütteln nach den Hospitälern u. s. w. zu befördern. Noch zahlreicher sind zweckmäßig eingerichtete Wagen mit gepolsterten Lehnen, auf denen man Verwundete fortträgt. Aber alle diese Mittel reichen noch nicht aus und wenn Wagen und Wege fehlen, werden Verwundete auf Gewehre, auf Stangen u. s. w. gesetzt und in dieser Weise von den Kameraden hinweggebracht.

Für die Russen, die auf den Schlachtfeldern bluten, ist noch weit weniger gesorgt. Was diese erleiden, ist gar unsäglich, wie ein Lied einigermaßen andeutet, das nach einer bekannten russischen Melodie gesungen wird und in dem es auch heißt:

„Müd’ sind wir all’ und satt des langen Lagerns,
Der bösen Fieber und der feuchten Nächte.
Die Meerburg sollen wir dem Kaiser schirmen.
Viel Frost ist dort und Hunger auch zu dulden,
Und Seuch’ und Durst und manches andre Elend,
und nackt sind wir und barfuß! …
Da liegen wir in unserm Blut gebadet,
Vom Meeresstrand bis hin gen Inkermann,
Ein Jeder statt verheißne Heiligthümer
Des Morgenreifes Schimmer in den Haaren,
und an der Brust anstatt der goldnen Orden
Den rothen Stern von einer Todeswunde!“ etc.




Kulturgeschichtliche Bilder.

Von Prof. Biedermann.
VIII.
Schriftstellerverhältnisse im vorigen Jahrhundert.[1]

Wir führen den Leser heut in das geistige Leben einer frühern Zeit ein, oder vielmehr vor der Hand nur in dessen Vorhof, indem wir ihn mit den äußeren Verhältnissen dieser Vorbedingung geistiger Produktion, der Schriftstellerei, bekannt machen. Werfen wir zuerst einen Blick auf die Honorarverhältnisse jener Zeit, also auf den Preis, den man damals für die geistige Arbeit des Schriftstellers zahlte. Im Ganzen finden wir dabei eine ähnliche Erscheinung, wie auch heut, große Schwankungen in den Verkaufspreisen dieser geistigen Waare, ziemlich niedrige neben überraschend hohen Honoraren; wir finden ferner, daß im Allgemeinen der Durchschnittssatz der Honorare in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein bedeutend höherer ist, als in der ersten, jedenfalls ein Zeichen gesteigerter Theilnahme des Publikums und dadurch vermehrten Absatzes der Schriftwerke. In seiner höchsten Potenz würde dieser Unterschied ausgedrückt sein, wenn wir den angeblichen Honorarsatz von vier guten Groschen für den Bogen, welchen Gellert für seine Fabeln bekommen haben soll, mit den tausend Thalern in Gold zusammenstellten, welche Goethe für sein Gedicht: „Herrmann und Dorothea“ wirklich erhalten hat. Allein das Erstere ist wohl selbst eine Fabel, bedarf wenigstens, so viel uns bekannt, erst noch der Bestätigung.

Wir wollen jetzt aber eine Anzahl wirklich vorgekommener Honorarsätze, für deren Richtigkeit wir bürgen zu können glauben, behufs einer Vergleichung dem Leser vorführen.

Am Anfang des Jahrhunderts begegnen wir in dem Gottsched’schen Briefwechsel der Zuschrift eines Candidaten Stoppe an Gottsched, worin ersterer diesen vielvermögenden Protector junger literarischer Talente um seine Vermittlung zur Unterbringung eines Bandes Poesien, „Sonntagscantaten“, ersucht, die später auch wirklich gedruckt worden sind. In Betreff seiner Honorarforderung schreibt er: „er fürchte nicht gewinnsüchtig zu erscheinen, wenn er für den Bogen einen Thaler fordere.“ Ebendort finden wir einen Brief des Professors Pietsch in Königsberg an Gottsched in einer ähnlichen Angelegenheit. Pietsch gehörte oder rechnete sich wenigstens schon zu den bedeutenderen Dichtern seiner Zeit; er fordert vier Thaler für den Bogen und setzt mit Selbstgefühl hinzu, „für weniger als drei Thaler schreibe er nicht.“ Dagegen erfahren wir aus der gleichen Quelle, daß der Satyriker Neukirch (allerdings noch eher ein wirklich dichterisches Talent, als Pietsch) nicht unter einem Louisd’or für den Bogen erhalten habe. Was Gottsched selbst bekommen haben mag, wissen wir nicht; es wird für jene Zeit gewiß nicht wenig gewesen sein, da Gottsched sich rasch einen bedeutenden Ruf zu machen verstanden hatte. Diesen wußte er auch noch auf andere Weise, als durch Verwerthung seiner Geistesprodukte an den Buchhändler, für sich nutzbar zu machen. Wir begegnen hier einem Verhältniß, welches nach unsern heutigen Begriffen an einem Manne von der Bedeutung und Stellung Gottsched’s ganz sonderbar auffallen muß, damals aber sowohl von ihm selbst als von seinen Verehrern höchst unbefangen behandelt worden zu sein scheint. Gottsched’s kritische Meisterschaft ward von den verschiedensten Seiten her in Anspruch genommen, besonders von jungen angehenden Schriftstellern, welche die Erstlingserzeugnisse ihrer Muse ihm einzusenden, sein Urtheil darüber, auch wohl Verbesserungen von seiner Hand sich zu erbitten, daneben seine Vermittlung für Veröffentlichung derselben anzugehen pflegten. Da war es denn nun, wie man aus mehreren Stellen des erwähnten Briefwechsels ersieht, eine hergebrachte und bekannte Sache, für derartige Bemühungen dem Professor Gottsched ein bestimmtes Honorar oder, wie es delikat ausgedrückt wird, eine „Erkenntlichkeit“ entweder gleich mit dem Manuscript oder nach Erledigung des an ihn gerichteten Gesuches einzusenden. Vier Dukaten scheinen der gewöhnliche Preis für die Durchsicht und Druckbeförderung eines Bandes von Gedichten gewesen zu sein.

Wir haben bisher von Honoraren für schöngeistige Werke gesprochen; [463] sehen wir uns jetzt nach solchen für Werke der ernsten Wissenschaft um! Zufällig ist uns eine Notiz über die Honorare erhalten, welche der damals hochberühmte Philosoph Christian Wolf bezog. In einem Journal aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts finden wir nämlich die Bemerkung: „Christian Wolf habe einen Louisd’or für den Bogen erhalten; jetzt dagegen wollte jeder Magister Louisd’ors für sein Geschreibsel haben.“ Einer der ersten Staatsrechtslehrer aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, Johann Jacob Moser, erzählt in seiner eigenen Lebensbeschreibung von den finanziellen Resultaten seiner Schriftstellerei. Da er sehr viel und meist sehr dickleibige Werke schrieb, so fand er nicht immer einen Verleger dafür und mußte Manches im Selbstverlag herausgeben, was, beiläufig gesagt, damals überhaupt ziemlich häufig vorkam. Er klagt, daß die naturgeschichtlichen und die belletristischen Bücher alle andern verdrängten; dennoch setzte er von seinem „Staatsrecht“, einem Werke in fünfzig Theilen zu je drei Alphabeten oder circa siebzig Bogen, eine Auflage von tausend Exemplaren gegen baare Bezahlung ab. Freilich gab er das Alphabet oder vierundzwanzig Bogen zu zehn guten Groschen acht Pfennigen, ein Preis, den unsere heutigen Verleger trotz der üblichen „billigen Ausgaben“ unglaublich finden werden. Bei den Werken, die Moser in fremdem Verlage erscheinen ließ, erhielt er für den gedruckten Bogen zwei, höchstens drei Gulden; oft aber auch, wie er klagt, blieben ihm die Verleger die Bezahlung ganz schuldig.

Ungleich besser ward Schlözer[WS 3] bezahlt. Er verstand es aber auch, die Staatswissenschaft, die Moser noch in schweren, massigen Metallklumpen zu Tage gefördert hatte, in leichter, gangbarer und glänzender Münze dem Publikum hinauszugeben. Mit seinen publicistischen Arbeiten, seinem „Briefwechsel“ und seinen „Staatsanzeigen“ – Zeitschriften, von denen in ihrer glänzendsten Periode fünfthalbtausend Exemplare abgesetzt wurden (für Journale so ernsten Inhaltes und in der damaligen, doch im Ganzen noch weit weniger leselustigen Zeit gewiß ein ganz außerordentliches Resultat) gewann er jährlich gegen dreitausend Thaler, so daß ihm der Bogen durchschnittlich vierzig Thaler abwarf; „ein Honorar (wie sein Sohn in seiner Lebensbeschreibung bemerkt), wie es außer Kotzebue und Goethe selten ein deutscher Schriftsteller bezogen.“ Die fremden Beiträge kosteten ihm freilich fast gar nichts außer dem Porto, denn es war damals noch nicht üblich, für politische Korrespondenzen Honorar zu fordern; man betrachtete es als eine Ehrensache, derartige publicistische Unternehmungen zu unterstützen.

Dagegen finden wir bei den belletristischen Journalen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts schon Mitarbeiterhonorare, und zwar zum Theil sehr ansehnliche, im Gebrauch. Wieland offerirt für Beiträge zu seinem Mercur, freilich an Goethe, drei Louisd’or für den Bogen. Die jenaische allgemeine Literaturzeitung, damals im größten Flor, von dem Herzog von Weimar materiell unterstützt, und als Mitarbeiter die bedeutendsten Gelehrten, wie Paulus, Griesbach[WS 4], Hufeland und Andere, zählend, gab funfzehn Thaler für den Bogen, das Niethammer’sche Journal,[WS 5] woran Feuerbach in seiner Jugend mitarbeitete, zehn Thaler, wogegen dem Dichter Schubart von seinem Freund Miller (dem Verfasser des bekannten Romans „Siegwart“) für Beiträge zu einer kritisch-ästhetischen Monatsschrift, welche Letzterer gründen wollte, nur die bescheidene Summe von fünf Gulden geboten ward.

Interessant ist eine Vergleichung der Honorarsätze, welche ungefähr in derselben Zeit, nämlich im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, verschiedene namhafte Schriftsteller je nach ihrem Ruf oder der Popularität und Zeitgemäßheit der von ihnen betriebenen Gattung von Schriftstellerei bezogen. Knigge, der bekannte Verfasser des Buches „über den Umgang mit Menschen“, erhielt für eine andere seiner Schriften, (die „Aufklärung in Abyssinien“) zwei Louisd’or für den Bogen, gerade so viel, wie der Philosoph Jacobi für seine wissenschaftlichen Werke Der Stifter des Illuminatenordens, Weishaupt, soll sogar für seine Sachen drei Louisd’or bekommen haben, und von dem Pädagogen Salzmann, welcher einen Roman oder vielmehr ein Sittengemälde seiner Zeit, (in ziemlich groben Zügen) unter dem Titel: „Karl von Karlsberg, oder das menschliche Elend,“ schrieb, bemerkt ein Zeitgenosse spottend, jeder Bogen von diesem menschlichen Elend habe ihm zwanzig Thaler eingetragen. Jedenfalls muß diese Speculation auf das Interesse des Publikums an dem menschlichen Elend eine gute gewesen sein, denn der genannte Roman schwoll zu sechs starken Bänden an. Von Kotzebue ward schon erwähnt, daß seine Schriftstellerei, nach ihren materiellen Resultaten gemessen, sich den unsterblichen Werken des Goethe'schen Genius habe an die Seite stellen können, wie sie ja auch leider in der Theilnahme des großen Publikums eine Zeit lang keck und erfolgreich mit diesen rivalisirte. Es war eben damals, wie es noch heut ist und wahrscheinlich noch lange sein wird: diejenigen Schriftsteller, welche den augenblicklichen Zeitgeschmack am Besten zu treffen und am Meisten zu befriedigen verstanden, trugen den Sieg über die meisten derer davon, welchen es um gediegenere Resultate literarischer Produktion zu thun war, und nur die wenigen der Letzteren, welche mit der überwältigenden Macht ihres höhern Genius das Ewige im Menschen erfaßten, konnten sich der gleichen äußeren Erfolge wie Jene mit ihrer leichten Waare, rühmen. Im Namen der ernsten, nüchternen Wissenschaft führt über dieses Mißverhältniß der berühmte Geograph und Statistiker Büsching in einem seiner Briefe schwere Klage.

„Ich alter Schriftsteller,“ sagt er, „bekomme gemeiniglich nur drei Thaler für einen Bogen, für ein Stück der mühsamen „Wöchentlichen Nachrichten“ (einen halben Bogen) einen halben Louisd’or, und mehr bringt mir auch die allermühsamste Arbeit der Erdbeschreibung nicht ein, obgleich die leichtesten Bogen derselben mir wenigstens volle sieben Arbeitstage, jeden zu vierzehn Stunden, und die schweren sechs solche Wochen kosten; für einen Bogen der neuesten Ausgabe aller Theile von Europa habe ich zwei Thaler hamburgisch Courant bekommen. Ich weiß wohl“ setzt er nicht ohne eine gewisse Bitterkeit hinzu, „daß es Dichter giebt, insbesondere schlüpfrige, welche zehn Thaler für einen Bogen bekommen; eine solche Bezahlung können aber Schriftsteller, welche ernsthafte Materien abhandeln, nicht erwarten.“ [2]

Nicht immer waren es übrigens solche leichte oder leichtfertige Ergötzungen der Phantasie, welche so hoch bezahlt wurden; auch die sogenannten gemeinnützigen oder populären Beobachtungen wissenschaftlich- praktischer Stoffe zum Gebrauch für’s Leben machte damals, wie heute, großes Glück und hatten ein ausgedehntes Publikum. Wenige Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts werden sich so viel mit ihrer Feder verdient haben, wie der Verfasser des, seiner Zeit allbekannten und vielgeschätzten „Noth- und Hülfsbüchleins,“ Becker. Er ward dadurch und durch seinen Reichsanzeiger ein wohlhabender Mann. Erfreulich ist es, wahrzunehmen, wie überhaupt gemeinnützige, auf die Belehrung und Aufklärung des Volks berechnete Werke, selber solche von ziemlich bedeutenden Umfang, damals auf ein weitverbreitetes und nachhaltiges Interesse des Publikums zu zählen hatten. Man ersieht dies aus den vielen und starken Fortsetzungen zahlreicher Sammel- und periodischer Werke dieser Art, welche besonders in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts erschienen. Auch liegen über einzelne solcher Unternehmungen ganz bestimmte Angaben vor. Basedow[WS 6], der Reformator des Erziehungswesens in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, bekam durch sein „Elementarwerk,“ welches er auf Subscription herausgab (zugleich mit der Bestimmung, den Ertrag zur Begründung einer Erziehungsanstalt nach seinem Systeme zu verwenden), die Summe von funfzehntausend Thalern zusammen. Pestalozzi erlangte durch Herausgabe seiner pädagogischen Schriften die Mittel, nicht nur aus der bedrängten ökonomischen Lage, in der er sich befand, herauszukommen, sondern auch seine pädagogischen Ideen selbst zu verwirklichen. Der Erfolg, den Klopstock mit seinem großen Subscriptionsunternehmen, „die Gelehrtenrepublik“ (deren innerer Gehalt noch dazu den Erwartungen keineswegs entsprach) erzielte, ist bekannt.

Zum Theil eine Folge der damaligen mangelhafteren Organisation des Buchhandels, zum Theil aber auch ein schönes Zeichen der lebendigeren, unmittelbareren Betheiligung des Publikums an der literarischen Produktion, in das eigenthümliche Verhältniß, in welchem wir damals häufig Schriftsteller, ebensowohl junge und noch unbekannte, als ältere und schon berühmte, dem Publikum gegenüber treten sehen. Es war in der damaligen Zeit durchaus nichts Ungewöhnliches, daß der Schriftsteller zugleich der Verleger seiner eigenen Werke ward. Die Handhabe, deren man sich bediente, um das Publikum zur Theilnahme heranzuziehen und für den Absatz einer Schrift eine gewisse Sicherheit im Voraus zu erhalten, war das Sammeln von Subscribenten, wobei literarische und persönliche Freunde, Gönner und Verehrer dem Schriftsteller [464] behülflich zu sein pflegten. Der Subscribent, welcher seinen Namen an der Spitze des betreffenden Literaturwerkes veröffentlicht sah, hatte das angenehme Gefühl, durch seinen Beitrag nicht blos ein Exemplar des Buches sich verschafft, sondern unmittelbar auch das Zustandekommen desselben befördert und dazu mitgewirkt zu haben, dem Schriftsteller die aufgewendete Mühe zu vergüten und gleichsam den Dank der Nation für seine auf ihre Veredelung gerichteten Bestrebungen abzutragen. Es entstand dadurch zwischen dem Käufer eines Buchs und dem Schriftsteller eine Art von persönlichem Verhältniß; jener interessirte sich schon im Voraus für ein Werk, dessen Erscheinen ihm speciell angekündigt, und für welches seine Betheiligung in Anspruch genommen war, und der Schriftsteller seinerseits, im Besitze eines Subscribentenverzeichnisses, welches durch die Zahl und die Bedeutung der Namen, die es enthielt, seinen Muth zur Herausgabe und seine Begeisterung in der Ausarbeitung der angekündigten Schrift erhöhte, hatte gewissermaßen das Publikum, zu dem er sprechen sollte, schon sich gegenüber und konnte sogar den Ton und die Haltung seiner Arbeit wenigstens theilweise danach einrichten.

Auch an Versuchen einer Vereinigung der Gelehrten oder Schriftsteller zum Selbstverlag ihrer Werke, um sich von den Buchhändlern unabhängig und ihre literarische Produktion für sich ergiebiger zu machen, hat es im vorigen Jahrhundert nicht gefehlt. Schon Leibnitz hatte ein solches Project entworfen, das aber, wie die meisten Projecte dieses genialen Mannes, unausgeführt blieb. Klopstock kam auf denselben Gedanken zurück in seiner „Gelehrtenrepublik.“ In Folge dieser Anregung entstand auch wirklich in Dessau eine sogenannte „Buchhandlung der Gelehrten,“ die aber ebenso wenig Erfolg und Bestand hatte, als ein in Augsburg unternommener Versuch gleicher Art. Die im Jahre 1781 entstandene, „Union der XXII“ (an welcher unter Andern der vielberufene Bahrdt Theil hatte), scheint ähnliche Zwecke verfolgt zu haben, aber wohl nicht ganz auf die lauterste Weise, wie man wenigstens aus den ablehnenden Antworten und den Bemerkungen darüber von Schlözer und andern namhaften Schriftstellern, die zum Beitritt aufgefordert worden waren, schließen kann.

Zum Schlusse mögen noch einige Notizen über die Zahl der Schriftsteller und Schriftstellerinnen Deutschlands im vorigen Jahrhundert (so weit wir darüber Nachrichten haben), so wie über den damaligen Zustand des schriftstellerischen Gewerbes im Allgemeinen hier Platz finden. Die Angaben über die Zahl der deutschen Schriftsteller im vorigen Jahrhundert (d. h. in den 80er Jahren desselben) schwanken zwischen 4- bis 6000, wogegen man in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts, also um etwa 50 Jahre später, schon 18,000 zählte. Schriftstellerinnen gab es nach Knigge 40 bis 50 (gegen heut eine sehr bescheidene Zahl), darunter aber, wie er meint, kaum ein halb Dutzend, die als privilegirte Genies höherer Art wahren Beruf hätten, sich in das Fach der Wissenschaften zu werfen. Speciell in Oesterreich rief das bekannte milde Censuredict Joseph’s II. alsbald fast ein halbes Tausend sogenannter „Büchelschreiber,“ d. h. Tagesschriftsteller der leichteren Sorte, hervor.

Im Allgemeinen war in jener Zeit das Schriftstellern noch nicht so, wie heute, ein besonderes Gewerbe, ein selbstständiger Lebensberuf. Selber die Herausgabe größerer periodischer Schriften war meist nur eine Nebenbeschäftigung angestellter Gelehrten oder Beamten. Ebenso, wie schon oben erwähnt, die Fertigung politischer Correspondenzen. Mehr scheint schon vom Anfange des Jahrhunderts an die Beschäftigung mit literarischer Kritik, das Correspondiren für gelehrte oder ästhetische Zeitschriften von jüngeren Leuten gewerbsmäßig und also wohl auch mit Rücksicht auf einen dadurch zu erzielenden Erwerb betrieben worden zu sein. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, als die gelehrte und noch mehr die belletristische Produktion und Consumtion bereits eine bedeutende Höhe erreicht hatte, ward auch das Schriftstellern immer mehr ein wirkliches Gewerbe, auch in jenem, für die Literatur wenig günstigen Sinne, daß die Schriftsteller sich von den Buchhändlern zu mechanischem, fabrikmäßigem Arbeiten anstellen und bezahlen ließen. Leipzig hatte schon damals den zweideutigen Ruhm, der Mittelpunkt eines solchen fabrikmäßigen Literaturbetriebes zu sein. Es gab hier Buchhandlungen, die zehn bis zwölf Autoren an einem Tische für sich arbeiten ließen. Geschichten, Romane, Reisebeschreibungen, sogenannte „zuverlässige Nachrichten“ und dergl., Alles ward dort fabrikmäßig und auf Bestellung gefertigt. Neun Zehntel der Verfasser von Romanen, Komödien, Gedichten etc. wurden, wie ein Zeitgenosse versichert, in Leipzig gebildet und verwendet. Es gab da besondere „Entrepreneurs,“ welche die einzelnen literarischen Fabrikarbeiter den Buchhandlungen zuführten und das Geschäft vermittelten. Mit Vorreden, berühmten Namen auf dem Titel u. dgl. ward ein ähnlicher Mißbrauch getrieben, wie eben auch heutzutage noch oft geschieht.

In Leipzig bestanden schon um 1770–80 förmliche „Uebersetzungsmanufakturen,“ und die Hälfte der neuen Bücher, die dort erschienen, waren, nach unserm Gewährsmann, Uebersetzungen. Da nach der damaligen Organisation des Buchhandels alle Schriften, welche im Laufe eines Jahres auf den Büchermarkt kommen sollten, zur Osterbuchhändlermesse fertig sein mußten, so kann man sich denken, mit welcher fabrikmäßigen Hast während der letzten Monate vor diesem Termine in jenen Uebersetzungsmanufacturen gearbeitet ward. Neben den Uebersetzungen aus der fremdländischen Literatur mochten jene Fabriken auch vollauf Arbeit finden in der Nachahmung bedeutender oder doch Aufsehen erregender einheimischer Geistesprodukte. Denn, wie heutzutage z. B. Gotthelf’s oder Auerbach’s Dorfgeschichten, so riefen damals Produktionen, wie Goethe’s Götz und Wirth, Miller’s Siegwart und Aehnliches, Massen von Nachahmungen hervor, die glücklicherweise der Strom der Zeit verschlungen hat und nur hier und da einmal der Zufall oder der Eifer eines literarischen Curiositätenkrämers wieder an’s Licht des Tages herauftauchen läßt.




Jagd- und Lebensbilder aus Amerika.

Nr. 5. Ein Lager in den Felsengebirgen. Der alte Schwede.

Das Jahr 1844 steht bei den nordamerikanischen Biberjägern oder Trappers in einem ganz besondern Rufe durch die äußerst günstigen Erfolge der Jagdzüge. Das Glück hatte die kühnen Männer ganz besonders begünstigt und sie thaten sich nach langen und harten Entbehrungen ganz besonders gütlich in dem Genuß der materiellen Güter, die ihnen in den Lagern geboten wurden, welche man auf den gewöhnlichen Sammelplätzen aufgeschlagen hatte.

An einem kleinen Flusse, Larami, hatten die Siouxindianer zugleich mit den Chaukattrussern, die in dem gedachten Jahre 1844 mit den Weißen auf einem sehr friedlichen Fuße lebten, ihre bewegliche kleine Stadt aufgeschlagen; das ganze Lager bestand aus mehr als 700 Hütten, und bot mitten in der Einsamkeit der Felsengebirge einen fast imposanten Anblick. Sämmtliche Hütten waren in gleichlaufenden Linien aufgestellt, und die Zelte der Häuptlinge waren leicht zu erkennen an den grotesk bemalten Wappenschilden, mit denen sie geschmückt waren. Ein Theil des Lagers war für die Handelsleute bestimmt, und hier gewann es den Anschein, als sollte ein sehr munteres Leben beginnen. Die Indianer sowohl als die Biberjäger hatten mächtige Haufen Pelzwerk und die Handelsagenten der verschiedenen Compagnien waren Tausende von Miles gereist, um auf dem Markte gegenwärtig zu sein und Alles aufzukaufen, dessen sie habhaft werden konnten. Die Trappers kamen einzeln oder in Trupps von 3 bis 10 Mann an, die meisten mit großen Packen von Biberfellen auf ihren Pferden oder Mauleseln. Einzelne gingen zu Fuß; sie waren trotz aller ihrer Wachsamkeit so unglücklich gewesen, sowohl ihre Thiere als ihr Pelzwerk im Kampf mit den Indianern zu verlieren, und waren nur froh, daß sie wenigstens ihre Kopfhaut gerettet hatten.

Auf dem Platze, wo der Handel vor sich gehen sollte, waren Tische und Zelte aufgestellt, und in der Mitte hatten Jäger von verschiedener Abkunft, deren Namen wohl bekannt und berühmt waren im „fernen Westen“, mit ihren Packen und Thieren sich gelagert. Es waren, wie gesagt, aber nicht blos Trapper von Profession, die man dort sah; in diesem Lager fand man viele indianische sowohl als europäische Namen vertreten. Da waren Shawnees und Delawaren; canadische Bergjäger und echte Yankeesöhne [465] am Newhampshire. Hier sah man einen Sohn des schönen Frankreichs seine kurze wohlangerauchte Thonpfeife an dem Cigarrenstumpf eines Neumejicaners anbrennen, dort einen Engländer mit einem gelbbraunen Jüngling von den Sandwichsinseln ein Stück Kautaback unter sich theilen. Hier rauchte ein Shawneeindianer die Friedenspfeife mit einem Abkömmling der stolzen „Sechs-Nationen-Indianer“, und dort, in einem Winkel des Marktplatzes zwischen aufgethürmten Biberfellpacken, mit dem Rücken an ein kleines Zelt gelehnt, in dem Branntwein und geräucherte Bärenschinken verkauft wurden, spielten ein alter Schwede und ein Virginier, die beide schon viele Jahre hindurch in den Bergen gejagt hatten, Karte um eine Büffelhaut und um’s Geld. Rings herum waren die Buden der Handelsleute aufgeschlagen, und zu diesen strömten sowohl die Weißen als die Indianer. In jenem glücklichen Jahre ward das Pfund Biberfell mit sechs Dollars bezahlt; doch Gold und Silber sieht man eben nicht viel auf diesen Märkten; der Biber ist das Bezahlungsmittel und wird zu dem angegebenen Preise von allen Kaufleuten angenommen, die dafür den Jägern und den Indianern Waaren verabreichen, und dabei natürlich ganz entsetzlich betrügen.

Trotz des Verbots, daß die Kaufleute auf diesen Märkten an die Indianer Branntwein verkaufen, war doch auf dem hier in Rede stehenden ein ungeheures Quantum „Feuerwasser“ vorhanden. Bevor nun der Indianer zu handeln anfängt, giebt ihm der Kaufmann einen tüchtigen Schnaps, der sogleich Leben in ihn bringt, und hat er nur einmal den ersten Schluck im Leibe, so kann man sicher sein, daß er den Handel bald abschließt. Die fürchterlichsten Excesse haben oft auf diesen Märkten und in Folge davon stattgehabt; einmal griff eine Schaar Siouxindianer, die von einem dieser Märkte zurückkehrten, wo man sie durch Branntwein und andere starke Getränke halb rasend gemacht hatte, ein Handelsfort an, das einer amerikanischen Pelzwerkcompagnie zugehörte. Sie plünderten es ganz aus und verbrannten zum Schlusse den Handelsmann mit seiner ganzen Familie auf einem Scheiterhaufen, zu dem das Wohnhaus des Forts die Brennmaterialien lieferte.

Nächst dem Branntweintrinken bildet das Spiel einen der Hauptzüge bei diesen Versammlungen. Auch der Pferdewettlauf ist sehr beliebt, und manches Biber- oder Büffelfell wechselt den Besitzer in Folge von Wetten, welche auf die Geschwindigkeit einzelner Pferde gemacht werden. Im Spiel zeichnen sich die Biberjäger vorzüglich aus; sie lieben, wie die Indianer, den Branntwein; aber noch leidenschaftlicher das Spiel. Nach indianischer Weise rund um das Feuer sitzend und eine ausgespannte Büffelhaut vor sich, spielen sie in verschiedenen Gruppen die am meisten geschätzten Bergspiele. Der Einsatz sind Biberfelle, und wenn diese verspielt sind, kommt die Reihe an die Pferde, die Maulesel, die Büchsen, die Jagdhemden und oft auch die Hosen dazu. Verwegene Spieler, erhitzt von Branntwein und Unglück, gehen im Lager herum und fordern auf, das höchste Spiel der Biberjäger zu spielen, wo der Einsatz ist: dessen Pferd, dessen Squaw, oder, was auch vorkommt, dessen Kopfhaut. „Nun ist Pferd und Biber weg,“ heißt es, wenn Einer bedeutend verloren hat. Meistens finden jedoch Pferd und Biber den Weg zu den Taschen des Handelsmanns, und der Jäger muß nun, vorausgesetzt, daß seine bekannte Ehrlichkeit ihm Kredit verschafft vom Kaufmann seine Ausrüstung für diesen Zug des nächsten Jahres auf Kredit nehmen. So verkehrt handeln diese Biberjäger, denen doch oft eine einzige glückliche Jagd Mittel in die Hände giebt, um dem ganzen wilden Jägerleben den Rücken zu kehren, und sich in irgend einer westlichen Kolonie niederzulassen und dort den übrigen Theil ihres Lebens in Ruhe zuzubringen. – Oft sind jene Märkte auch Zeugen von Blutvergießen und andern Verbrechen, die einzig und allein durch Branntwein und Kartenspiel veranlaßt werden. Zweikämpfe mit Büchsen auf zehn Schritt Entfernung sind häufig und oft fallen beide Duellanten auf das Wort „Feuer!“ zu gleicher Zeit.

Unter den Jägern fiel uns besonders der sog. alte Schwede auf, ein mehr als 60jähriger Mann, der schon dreißig Jahre in den Felsengebirgen und unter den Indianern zugebracht hatte. Hoch, stark und muskulös, mit einem von Sonne und Wind dunkel gefärbten Gesicht, gab er durch seine blauen Augen und sein hellblondes Haar, das in starker Fülle über seine Schultern herablief und dem die Jahre noch nicht die Silberfarbe aufzudrücken vermocht hatten, seine nordische Herkunft deutlich zu erkennen. Keiner von seinen Kameraden kannte seine frühere Lebensgeschichte; er ging unter dem Namen the old Swede (der alte Schwede), obgleich ihm dieser Name mißfiel. Eigentlich hieß er Hjalmar Adlerkreuz und hatte einem einzigen seiner wenigen vertrauten Freunde erzählt, daß er von einem alten adeligen Geschlechte Schwedens abstamme. Was ihn aber nach Amerika geführt und dort veranlaßt hatte, Biberjäger zu werden, das war Niemand im Stande aus ihm herauszulocken. Niemals sah man ihn lachen, selbst nicht über die spaßhaftesten Scenen. Nie trank er Branntwein, außer einmal im Jahre, auf dem Markte, wo er seine Felle verkaufte, und auch da war er sehr mäßig. Dagegen beherrschte ihn die Leidenschaft des Spiels vollständig. Er selbst hat erzählt, daß er in den letzten zwanzig Jahren seines Aufenthalts in den Bergen über 15,000 Dollars für Biberfelle erhalten habe. Jedes Jahr hatte er beschlossen, sich rückwärts nach St. Louis zu wenden, um dort seine Tage zu beschließen, und aus diesem Grunde hatte er auch seine Felle nie anders als gegen baares Geld verkauft; aber ein vierzehntägiger Aufenthalt in dem Lagerplatz hatte ihn immer wieder „reingeputzt,“ und nach so vieler Jahre Verlauf hatte er nicht einmal beim Wiederbeginn der Jagd so viel Kredit, um sich die nothwendige Ausrüstung zu verschaffen. Verschiedene Erzählungen berichten von seinem Muthe, seiner Ausdauer und Geistesgegenwart, und auch sein Tod ist nicht weniger charakteristisch.

Adlerkreuz war eben mit mehreren andern Trappern auf einem Ausflug, als sie in der Morgenstunde in ihrem Lager von einer großen Anzahl Indianer angegriffen wurden, die nach gewöhnlicher Weise die Jäger überrumpelt hatten und nun ein großes Blutbad unter ihnen anrichteten. Adlerkreuz selbst war verwundet, aber doch noch im Besitz seiner Büchse und seines Pulver- und Kugelbeutels. Nahe bei der Stelle, wo sie sich gelagert hatten, stand ein hohler Baum; schnell eilte er zu demselben, kroch hinein und vertheidigte sich von da aus lange Zeit mit der größten Hartnäckigkeit und Kaltblütigkeit gegen die Indianer, denen er fünf Mann tödtete und mehrere verwundete. Da die Indianer den muthigen Jäger aus seinem Versteck nicht herausbringen konnten, so benutzten sie den eben günstig wehenden Wind und legten Feuer in das lange dürre Gras. Bald entzündete sich nun auch der dürre Stamm, und Adlerkreuz sah sich nun genöthigt, seinen Schlupfwinkel zu verlassen. Er ergriff die Büchse am Lauf, stürzte mit furchtbaren Kolbenschlägen unter die Indianer und fiel endlich, durchbohrt von unzähligen Pfeilen, nachdem er mehrere seiner grimmigen Feinde umher zu Boden geschmettert. Später fanden einige von seinen Kameraden die Leiche. Der Kopf war skalpirt, aber derselbe Ernst, der während des ganzen Lebens über seine Gesichtszüge gebreitet war, zeigte sich noch unverändert im Tode. Man begrub ihn auf der Stelle, wo er gefallen war, und in dem dunkeln einsamen Bergpaß steckten die rauhen Jäger nach ihrer Gewohnheit dem gefallenen Gefährten ein einfaches hölzernes Kreuz auf.

Nr. 6. Das Musethier.

Das Musethier (cervus alres) ist die größte Hirschart. Der Bock erreicht die Größe eines Maulthiers, ja man findet sie in noch größerem Maße. Ein solcher war 17 Faust hoch und wog 1200 Pfund. Das Thier ist etwas kleiner. Der Bock ist dunkelbraun auf Rücken, Kopf und Weichen, im Winter sieht er jedoch dunkler und nur ganz alte Böcke werden beinahe schwarz. Das Thier ist heller und unter dem Bauche beinahe weiß.

Es gehört offenbar ganz zur Art des europäischen Elenns, darf aber nicht mit dem amerikanischen Elenn verwechselt werden, das ganz anderer Art ist. Es ist die größte, aber auch ungraciöseste Hirschart. Sein Kopf ist lang, ohne alles Verhältniß, sein Hals kurz und seine Beine zu hoch. Ferner sind seine Ohren beinahe einen Fuß lang, eselähnlich, breit und schlotternd, seine Augen schmal, seine Schnauze viereckig mit einem tiefen Einschnitt in der Mitte, der ihm das Ansehen eines Thieres mit gespaltenem Huf giebt. An der Kehle zwischen Hals und Nacken hat es einen rauhen Auswuchs krauser Haare, den man bei dem Bock wie bei dem Thiere findet. Eine aufrechtstehende Mähne, die vom Gehörn bis zum Widerrist läuft, vollendet die Häßlichkeit seiner Erscheinung. Auch das Gehörn ist auffallend. Es ist geschaufelt, aber aus jeder Seite der Schaufeln wachsen Enden oder Spitzen hervor. Die Weite des Gehörns beträgt häufig mehr als vier Fuß. Ein solches weg einmal 60 Pfund. Natürlich giebt dies dem Thiere eine stattliche Erscheinung. Da es aber nur die Böcke ziert und es sich bei diesen erst im siebenten Jahre vollständig entwickelt, so [466] gewähren die Rudel keinen durchweg imponirenden Anblick. Der Länge seiner Beine und der Kürze seines Halses wegen kann das Musethier nicht wie anderes Wild äsen, es muß dies vielmehr bergan oder knieend thun.

Im April oder Mai wirft das Thier ein bis drei Kälber, und diese begleiten ihre Aeltern, bis sie erwachsen sind. Im Winter vereinigen sich die Familien zu Heerden, die oft mehrere Aecker einnehmen. Dort jagt man sie am Besten zur Schneezeit, wenn der Schnee so fest gefroren ist, daß er den Jäger, nicht aber das Wild trägt. Dann verletzt sie die harte Eiskruste bald, daß sie die Lust am Laufen verlieren und die Hunde sie stellen können. Aber auch dann sind sie für diese wie für den Jäger noch gefährliche Feinde.

Ich erlebte dies einmal zur Genüge, als ich im nördlichen Theil vom Staat Maine bei einem Freunde zum Besuch war, der mitten im Walde lebte, und seine Zeit größtentheils auf die Jagd verwandte. Als wir uns zur Musethierjagd anschickten, legten wir vor allen Dingen Schneeschuhe an, kleine drei Fuß lange Boote, die an dem Fuß befestigt werden, und auf denen man pfeilschnell über die Schneefläche dahingleitet. Dann nahmen wir unsere schwersten Büchsen und ein Paar tüchtige Hunde mit und schossen nach der Gegend, wo, wie mein Freund wußte, sich Ahornbäume befanden, an denen die Musethiere zu äsen pflegten. Als wir etwa zwei Meilen gelaufen waren, spürten wir die Thiere, und indem wir der Spur folgten, kamen wir tief in das Dickicht nach einem ganz abgelegenen Theil des Waldes. Da fanden wir ganz frische Spuren und es währte nicht lange, so rief mir mein Freund zu: „Da unten sind sie, so wahr ich lebe, still!“

Als ich nach der Richtung hinsah, welche mein Freund bezeichnete, sah ich allmälig die großen, dunklen Umrisse des wunderbaren Thieres, das Schaufelgehörn, den großen ungeschickten Kopf, und den kurzen Hals. Neben ihm bewegten sich kleinere Thiere, die Kuh mit zwei Kälbern.

Wir standen beide still und hielten und beruhigten die Hunde, welche kampfbegierig vorwärts stürmen wollten, sahen aber bald ein, daß wir über dreihundert Schritt weit, also außer Schußweite seien und daß uns daher nichts anderes übrig blieb, als die Hunde loszulassen und ihnen rasch zu folgen.

Dies geschah. Die Hunde sprangen fort und wir schossen nach, in demselben Augenblick setzte sich aber auch das Wild in Bewegung. Ich konnte es deutlich laufen sehen. Der Bock führte, die Andern folgten. Sie galoppirten nicht, sondern liefen in scharfem Trab, wie rasche Pferde. Sie hielten die Köpfe ganz gerade, die Schnauzen nach vorn, und der Bock drehte sich zuweilen um, nach den Verfolgern zu sehen. Sowie ihre gespaltenen Hufe den Boden berührten, erkrachte dieser in eigenthümlicher Weise, es war ein Ton, als wenn man Nüsse knackt oder ein Zündhütchen platzt. In kurzer Zeit waren sie uns außer Sicht und wir konnten nur an dem Anschlagen der Hunde abnehmen, wo sie sich befanden.

Als wir an Ort und Stelle ankamen, fanden wir, daß nur der Bock Stand hielt und die Hunde mit Gehörn und Hufen von sich abwehrte, als er uns indessen kommen sah, machte auch er sich auf und verschwand. An der Stelle, wo er gekämpft hatte, sahen wir die Spur der Kuh und der Kälber nach einer andern Richtung abgehen. Er hatte diese also offenbar erst in Sicherheit bringen wollen und suchte sich jetzt selbst zu bergen. Wir beschlossen, die Spur getheilt zu verfolgen. Mein Freund ging der Kuh und den Kälbern nach, ich wollte den Bock aufsuchen. So eilte ich abermals dem Anschlag der Hunde nach, bis ich ihm nach etwa einer halben Meile ganz nahe kam. Da verwandelte sich das Bellen aber plötzlich in ein Geheul, ein Hund kam mir auf drei Beinen entgegen, der andere lag am Boden, und das Musethier stieß fortwährend nach ihm mit den Schaufeln und warf ihn in die Höhe, um seine volle Wuth an ihm auszulassen. Als er mich sah, ließ er ihn indessen los und wandte sich wieder zur Flucht. Ich setzte ihm sogleich nach, ohne auf den zweiten lahmen Hund zu warten, denn ich sah, daß das Musethier schon erschöpft lief und daß ich es auf meinen Schneeschuhen überholen konnte. Als ich ihm auf etwa hundert Schritt nahe war, dachte ich daran, zu feuern, da wandte er sich plötzlich um und machte Front gegen mich. Sein mächtiges Gehörn war bis zum Widerrist zurückgeworfen, seine Mähne stand aufrecht, ja das gesammte Haar seines Felles schien sich zu sträuben, Alles war ein Ausdruck der Wuth an ihm, und er war der furchtbarste Feind, dem ich noch begegnet war. Mein erster Gedanke war natürlich, die Büchse anzulegen und zu feuern. Dies that ich auch. Ich zielte auf’s Blatt, aber sei es, daß die Entfernung zu groß war oder daß die auf den Schnee prallende Sonne mich blendete, kurz, ich traf den Bock wohl, aber nur in die Schulter.

Dies setzte ihn natürlich vollends in Wuth, und augenblicklich stürzte er vor und auf mich los, so daß mir nichts übrig blieb als mich hinter einen Baum zu retten. Ein solcher, ein dicker Fichtenstamm bot mir allerdings Schutz, aber nur so viel, als mich das Musethier nicht mit seinen furchtbaren Schaufeln erreichen konnte. Es blieb dicht vor dem Baume stehen und verfolgte jede meiner Bewegungen, denn so wie ich mich regte, suchte er näher zu kommen und stierte mich mit seinen furchtbaren Augen an.

Meine einzige Hoffnung war jetzt, daß er mir Zeit lassen würde, zu laden, aber, o Himmel, wie groß war mein Schreck und mein Aerger, als ich fand, daß ich kein Pulver bei mir hatte. Mein Freund hatte das Pulverhorn, das für uns Beide dienen sollte, und in der Eile des Verfolgens hatte keiner von uns hieran gedacht.

Was sollte ich nun thun? Dem Thiere mit dem Jagdmesser entgegentreten, wäre Wahnsinn gewesen, sowie es mich fassen konnte, war ich verloren. Sein Gehörn und seine Hufe waren bessere Waffen als die meinen. Ich kam daher zu der Ueberzeugung, daß es das Gescheidteste wäre, das Musethier zu lassen, wo es war und mich von ihm fortzumachen. Aber wie war das anzustellen? Das verdammte Thier stand immer noch da, drei Schritt von mir und schien entschlossen, mich zu belagern. Eine liebenswürdige Aussicht bei solcher Temperatur!

Ich hielt es ungefähr eine Stunde lang aus. Dann wurde ich der Sache überdrüssig und fing an zu rufen, um ihn zu schrecken. Vergebens. Ich hoffte auch, mein Freund würde mich hören. Auch das war nicht der Fall. Meine Stimme verhallte nutzlos im Forst. Da beschloß ich, wenigstens etwas zu versuchen. Ich sehe um mich, und gewahrte hinter mir einen noch stärkeren Baum, als hinter dem ich stand. Dahin glitt ich so rasch als möglich, aber sogleich folgte mir auch der Bock und stellte sich ebenso wieder vor mich hin. Ich hatte also nichts gewonnen, als daß ich etwa um zwanzig Schritt dem Hause näher war. Wie, wenn ich es versuchte, ihm auf diese Weise ganz nahe zu kommen? Dieser Gedanke kam mir plausibel vor, und ich fing an, einen Baum mit dem andern zu vertauschen, aber ebenso rastlos kam mir mein furchtbarer Feind nach, und zuletzt machte ich die traurige Entdeckung, daß der Wald immer dünner wurde und auf der Ebene nur ein Paar dürftige Fichten standen, die mir keinen Schutz verhießen. Ich mußte also ausharren, bis mein Freund mich fand. Aber meine Kräfte schwanden, und zu meinem Schrecken begann es stark zu schneien. In kurzer Zeit mußte meine Spur verschneit sein und dann war es zweifelhaft, ob mein Freund mich finden würde. Der Bock stand noch immer da und schlug zuweilen den Boden mit den Hufen, als warte er ungeduldig auf den Augenblick, wo ich mich wieder regen würde.

Diese Manöver von seiner Seite flößten mir eine Idee ein, und ich wunderte mich, daß ich nicht längst darauf verfallen war. Ich hatte ein ganz scharfes Jagdmesser, und wenn es mir gelang, dieses fest an meine Büchse zu binden, konnte ich es wagen, den Kampf mit dem Thiere aufzunehmen, denn dann konnte ich es erreichen, ohne daß es mich verletzen konnte. Gedacht, gethan! Ich nahm meine Buckskintragebänder, machte mir ein Bayonnet an meine Büchse zurecht und schritt zur That. Sowie ich mich zeigte, sprang der Bock vor. Diesen Moment benutzte ich, ihm mein Bayonnet in die Rippen zu stoßen. Ich traf ihn in’s Herz, denn er stürzte augenblicklich zusammen, wälzte sich ein paar Mal, stieß mit den Hufen und färbte die Schneefläche mit Blut. Kaum hatte ich diesen Sieg erfochten, so hörte ich ein Hallo und sah meinen Freund über das offene Feld auf mich zukommen. Er hatte seine Jagd vollendet, alle drei Thiere erlegt und das Fleisch auf Bäume gehängt, um es nachher abzuholen.

In gleicher Weise zerlegten wir jetzt auch den Bock, und mein Freund war sehr zufrieden mit dem Ertrage der Jagd, bedauerte aber doch den Verlust seines guten Hundes.


  1. S. Nr. 5 und 28 d., Nr. 32, 38, 42, 47, 52 d. vor. Jahrgangs.
  2. Die Honorare der jetzigen Zeit sind etwas anderer Art. So erhält Gervinus für seine „Geschichte des 19. Jahrhunderts“ 40,000, sage vierzig Tausend Thaler.
    D. Red. 

Anmerkungen (Wikisource)