Die Untugend des Trunkes bei unseren Altvordern

Textdaten
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Autor: Karl Biedermann
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Titel: Die Untugend des Trunkes bei unseren Altvordern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 372-374
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Kulturgeschichtliche Bilder.

Von Prof. Biedermann.
VII.
Die Untugend des Trunkes bei unseren Altvordern.

Wir haben uns in den bisherigen kulturgeschichtlichen Bildern[1] mit den materiellen Zuständen einer frühern Zeit im Vergleich zu der heutigen beschäftigt; wir wollen jetzt einmal die Aufmerksamkeit der Leser auf ein moralisches Charakterbild der Vergangenheit hinlenken. Es ist gewiß ebenso lehrreich, zu sehen, welche Veränderungen in Betreff der Sitte und Lebensweise unserer Nation vor sich gegangen sind, als die Verbesserung ihrer materiellen Zustände zu studiren.

Das Trinken war von jeher eine besondere Stärke unserer Landsleute. Von den alten Germanen wissen wir durch Tacitus, daß neben der Leidenschaft des Spieles die des Trunkes ihre müßige Zeit, wenn sie nicht auf Kriegs- oder Jagdabenteuern sich befanden, ausfüllte. Ihr Lieblingsgetränk war ein aus Gerste gebrauter und, wie sich derselbe Schriftsteller ausdrückt, nach Art des Weines gegohrener Trank, also jedenfalls etwas unserm heutigen Biere nicht ganz Unähnliches. Später lernten die Germanen durch ihren Verkehr mit den Römern den Wein kennen, erhielten solchen von ihnen im Umtausch für ihre Landesprodukte, und fingen mit der Zeit auch selber an, Weinbau zu treiben, so weit Boden und Klima dies gestatteten. Daß im Mittelalter stark gezecht wurde, ist bekannt. Der Humpen spielte ebensowohl bei dem Rittersmann und an den Höfen, wie bei dem Mönche und dem Domherrn eine große Rolle, und noch heute bezeugen die Namen mancher unserer edelsten Weine die Sorgfalt, mit welcher die geistlichen Herren diese köstliche Gottesgabe kultivirten, und den Werth, den sie darauf legten. Auch unser Luther verschmähte dieselbe keineswegs; man weiß ja, wie er die Liebe zum Wein, zu den Weibern und zum Gesang als einen Freibrief gegen den Vorwurf der Narrheit verkündete.

In jenen Zeiten war indeß das starke Trinken weder ein besonderer Vorzug noch eine eigenthümliche Schwäche unserer Nation. Die Engländer waren wegen ihres übermäßigen Genusses berauschender Getränke lange Zeit verrufener als die Deutschen, und im 30jährigen Kriege (wo in Deutschland wie auf einem großen Weltmarkt die Tugenden und die Laster beinahe aller Völker Europa’s sich zusammenfanden) wetteiferten Deutsche, Franzosen, Schweden, Italiener und Spanier im unmäßigen Trinken mit einander. Allein nach dieser Zeit trat bei jenen andern Völkern, besonders den Franzosen und Engländern eine merkliche Verfeinerung der Sitten in diesem Punkte ein, während die Deutschen noch ziemlich lange die angewöhnte Leidenschaft in unverminderter Stärke festhielten. Man kann sagen, daß erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, also seit wenig mehr als hundert Jahren, in den gebildeten Klassen Deutschlands so ziemlich überall das übermäßige Trinken aufhörte, guter Ton zu sein, und ein tüchtiger Rausch nicht mehr als ein nothwendiges Zubehör einer fröhlichen Gesellschaft und einer freigebigen Ausübung der Gastfreundschaft erschien. Unmittelbar nach dem 30jährigen Kriege, wo die Sitten überhaupt sehr verwildert waren, war die Völlerei des Trinkens durch alle Stände, von den höchsten bis zu den niedrigsten, und selber den geistlichen nicht ausgenommen, ganz allgemein verbreitet. Ein bekannter Satyriker der damaligen Zeit, Moscherosch, schmäht auf die Prediger, daß sie sonder Scheu mit ihren Beichtkindern um die Wette in den Schenken sich toll und voll zechten, und ein theologisches Gutachten aus den siebenziger Jahren des 17. Jahrhunderts klagt, die Leidenschaft des Trinkens gelte weder bei Geistlichen noch bei Weltlichen für eine Schande. Ja, ein pommerscher Geistlicher am Anfang des 18. Jahrhunderts sagte auf der Kanzel, das Saufen sei keine Sünde, so lange man nur nicht sp...

Die damalige Art der Geselligkeit trug viel dazu bei, diese Angewöhnung bei unserm Volke länger im Schwange zu erhalten, als anderwärts. Die Frauen waren im Durchschnitt noch wenig gebildet; die herrschende Sitte war den aus beiden Geschlechtern gemischten Gesellschaften nicht hold, und selber der in Deutschland trotz aller eingerissenen Verwilderung ziemlich lebendig gebliebene Sinn für ein abgeschlossenes Familienleben trug dazu bei, diese Isolirung der Männer und die daraus fließenden moralischen Folgen unverändert zu erhalten. In den Reichsstädten herrschte die Sitte, daß man Fremde nicht leicht in den Kreis der eigenen Familie einführte, vielmehr solche an öffentlichen Orten traktirte und dabei wo möglich durch einen Rausch „ehrte“. In manchen dieser Städte, besonders den Seestädten, war es herkömmlich, daß die Männer sich allabendlich beim Glase zusammenfanden, während den Frauen die Sitte nicht gestattete, an geselligen Versammlungen außer dem Hause Theil zu nehmen. Erst mit der wachsenden Bildung des weiblichen Geschlechtes und mit der Entwickelung einer zugleich freieren und feineren Geselligkeit trat in diesem Punkte eine Aenderung ein und in Folge dessen nahm auch das übermäßige Trinken der Männer ab, zumal immer mehr als geselliges Bindungsmittel an die Stelle der berauschenden Getränke, oder wenigstens neben diese, die in dieser Hinsicht unschädlichern, Kaffee, Thee, Chocolade etc. traten.

Doch ward in den ersten drei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts noch allerwärts in Deutschland tüchtig gezecht, auf dem Schlosse des Landedelmanns, wie in dem Hause des reichen Handelsherrn und in dem Zunfthause des Handwerkers, an den weltlichen, wie an den geistlichen Höfen, und an den letzteren am Allerstärksten. Ein solennes Diner in einem reichen Kaufmannshause zu Hamburg oder Bremen durfte nicht enden, ohne daß wenigstens die männlichen Gäste wo möglich alle mehr oder minder ihren Schwerpunkt verloren hatten, und die Gegenwart der Damen legte dabei so wenig einen Zwang auf, daß man sogar diesen selbst ein mäßiges Räuschchen nicht übel nahm. Vor uns liegt das Anzeigeblatt der Stadt Frankfurt aus dem vorigen Jahrhundert; darin finden wir mehrfache Anzeigen von verlorenen Degen und anderen Gegenständen des Anzugs, wobei die sehr unbefangen angegebenen Umstände des Verlustes nicht daran zweifeln lassen, daß die betreffenden Personen (die jedenfalls den bessern Ständen angehörten) [373] durch einen Rausch in den Zustand der Besinnungslosigkeit versetzt waren, und in diesem Zustande sich öffentlich auf Straßen und Plätzen zeigten. Der alte Johann Jakob Moser erzählt in seinem „Leben,“ daß es beim Reichskammergericht in Wetzlar Sitte war, Solche, die sich zu einer Assessorstelle meldeten, nicht blos in der Jurisprudenz, sondern auch im Trinken einer Prüfung zu unterwerfen, damit sie, so oft es nöthig sei, in diesem Punkte ordentlich ihren Mann stellen und dem höchsten Gerichtshofe des Reichs Ehre machen könnten. Viel Trinken galt damals wirklich für einen Ehrenpunkt, eine zugebrachte Gesundheit schuldig bleiben, für eine Beleidigung. Manche Höfe hielten daher, auch nachdem sie feinere Sitten angenommen und dem übermäßigen Trinken entsagt hatten, immer noch eine Anzahl bewährter Zecher, welche beim Besuche fremder Cavaliere die schuldigen Honneurs machen und etwaige Herausforderungen zu Trinkduellen annehmen und ausfechten mußten. Denn manche der Virtuosen im Trinken, deren es namentlich an den geistlichen Höfen viele gab, machten sich ein Vergnügen daraus, an benachbarten Höfen umherzureisen und ihre Ueberlegenheit in dieser ächt vaterländischen Kunst zu zeigen. So wird uns in einer Reisebeschreibung aus dem Jahre 1729 von einem fürstbischöflich würzburgischen Geheimrath erzählt, der in Stuttgart die sämmtlichen Herren vom Hofe unter den Tisch trank, indem er in einem Niedersitze zehn Maß Burgunder zu sich nahm, und der, als Triumphator, mit stolzer Bescheidenheit rühmte, daß es seines Gleichen am Hofe zu Würzburg noch sieben gebe. Der bekannte Memoirenschreiber Baron von Pöllnitz, ein ganz französisch gebildeter und daher in diesen gothisch-vandalischen Künsten (wie ein englischer Reisender jener Zeit das unmäßige Trinken der Deutschen nannte) völlig ungeübter Mann, hatte bei seiner Rundreise an den deutschen Höfen, die er im Jahre 1729-30 machte, die komischesten Scenen in dieser Hinsicht zu bestehen. An eben jenem Hofe von Würzburg war er nach seinem eigenen Bericht Tag für Tag bis zur Bewußtlosigkeit berauscht. So oft er an der Tafel des Bischofs erschien, ward ihm, trotz aller Protestationen von seiner, und aller Versprechungen von der andern Seite, so lange zugesetzt, bis er sich für todt nach Hause tragen oder fahren lassen mußte. Da gab es erst während des Essens wohl zwanzig Gesundheiten zu erwidern, die ihm von den Anwesenden einzeln zugebracht wurden; dann, wenn der Bischof sich zurückzog und Pöllnitz ein Gleiches thun wollte, ward er noch im Vorzimmer von dem Oberstallmeister, dem Hofmarschall oder einem andern Herrn vom Hofe festgehalten und gezwungen, erst auf die Gesundheit des Fürsten, dann auf das Wohlbefinden des ehrwürdigen Domkapitels, zuletzt auf das Glück und Gedeihen des Stammhauses ihres geistlichen Oberhauptes, und zwar jedesmal ein großes Glas voll, zu trinken, und wenn er endlich, schon schwankend und kaum seiner Sinne mächtig hinaustappen wollte, fiel man ihm unter zärtlichen Liebesbetheuerungen um den Hals, nannte ihn Herr Bruder und nöthigte ihm noch so viel „Freundschaftsgläschen“ ein, bis es völlig um ihn geschehen war. Am Allerschlimmsten ging es ihm aber am Hofe zu Heidelberg. Der Kurfürst, der ihn sehr gastfrei aufgenommen, führte ihn, dem Herkommen gemäß, in Begleitung des ganzen Hofes zu dem bekannten großen Faß. Als Willkomm ward ihm hier ein ungeheuerer Pokal voll Wein gereicht. Pöllnitz überstand diese erste Probe glücklich, indem er einen Theil des Inhaltes hinter dem Rücken des Kurfürsten ausgoß. Aber immer stärker setzte man ihm zu. Auch die Damen nippten von dem Weine und nöthigten so die Herren zum fortwährenden Trinken. Pöllnitz, der seine Kräfte schwinden fühlte, ersah einen günstigen Augenblick, um sich unter dem Faß zu verstecken. Allein nur zu bald ward er vermißt, und der Kurfürst gab Ordre, den Flüchtling „todt oder lebendig“ zurückzubringen. Er ward entdeckt, hervorgezogen und vor seinen Richter geführt. Der Kurfürst beauftragte seine Tochter und deren Damen mit Fällung des Urtheilsspruchs über den Deserteur. Der Spruch lautete: er solle so lange trinken, bis er todt umfalle. Der Kurfürst erklärte, als Landesherr das Urtheil dahin mildern zu wollen, daß Pöllnitz stehenden Fußes vier grosse Humpen, jeden von einem halben Maß leeren solle. Der Verurtheilte verlor zwar nicht das Leben, aber Sprache und Besinnung; man trug ihn auf ein Bett, welches schon in Voraussicht dessen, was kommen würde, bereit stand. Als er nach mehreren Stunden wieder zu sich kam, hörte er zu seiner Genugthuung, daß es seinen Anklägern nicht besser ergangen sei, als ihm selbst, und daß der ganze Hof das Gewölbe in einem wesentlich andern Zustande verlassen habe, als in welchem er dasselbe betreten.

Von dem soldatischen König Friedrich Wilhelm I. von Preußen ist bekannt, daß er in seinem Tabakscollegium sich beinahe allabendlich mit seinen Generälen, Ministern und den fremden Gesandten betrank. Sein hochgebildeter, genialer Sohn liebte solche Bacchanalien nicht, er huldigte neben dem Mars nur den Musen und dem Apollo, und hatte nur Sinn für eine feine, vergeistigte Geselligkeit. Schon als Kronprinz hatte er sich, in seinem unfreiwilligen Exil zu Rheinsberg, mit einem Kreise geistvoller Männer und anmuthiger Damen umgeben. In diesen Cirkeln herrschte zwar Frohsinn, Witz und heitere Laune, aber auch Mäßigkeit und edler Anstand. Doch fehlte es auch hier nicht ganz an etwas munteren Scenen, die indeß, im Vergleich zu dem, was an den meisten andern Höfen vorkam, immerhin sehr gehalten und, weil sie eben nur eine Ausnahme von der Regel einer streng geordneten Lebensweise bildeten, sogar etwas anmuthig Reizendes hatten. Wir wollen daher mit der Schilderung einer solchen, als einem heitern Bilde, diese Skizze schließen, die im Uebrigen unsern Lesern leicht einen etwas wüsten Eindruck von dem Leben unserer ehrwürdigen Altvordern hinterlassen möchte.

„Wir hatten uns,“ erzählt ein Augenzeuge und Mitbeteiligter jener Scene, der Freiherr von Bielfeld, „kaum zur Tafel gesetzt, als der Kronprinz den Anfang machte, viele wichtige Gesundheiten eine nach der andern auszubringen, auf welche man nothwendig Bescheid thun mußte. Auf dieses erste Scharmützel erfolgte eine ganze Lage von scherzhaften und sinnreichen Einfällen, sowohl von Seiten des Prinzen, als einiger andern Anwesenden. Die finstersten Stirnen heiterten sich auf, die Fröhlichkeit ward allgemein, und selbst die Damen nahmen daran Theil. Nach Verlauf von zwei Stunden bemerkten wir, daß auch die größten Behältnisse nicht einem Schlunde glichen, worein man ohne Aufhören flüssige Materie schütten kann, ohne ihnen wieder einen Ausgang zu verschaffen. Die Nothwendigkeit litt kein Gesetz, und selbst die Ehrfurcht, welche man der Gegenwart der Prinzessin schuldig war, konnte mehrere der Gäste nicht abhalten, aufzustehen, um im Vorgemach frische Luft zu schöpfen. Ich selbst war von dieser Zahl. Beim Hinausgehen befand ich mich noch ziemlich frisch, aber nachdem mich die Luft getroffen, spürte ich beim Hineingehen in den Saal eine kleine Umnebelung, welche mir den Verstand zu umdunkeln anfing. Ich hatte ein großes Glas Wasser vor mir stehen gehabt. Die Prinzessin, der gegenüber zu sitzen ich die Ehre hatte, war durch eine kleine Schalkheit bewogen worden, mir das Wasser ausgießen und das Glas mit Sillerywein, so klar wie Quellwasser, anfüllen zu lassen; überdies hatte man noch den Schaum davon abgeblasen. Auf diese Art, da ich schon das Feine im Geschmack verloren hatte, vermischte ich wider Willen meinen Wein mit anderem Wein, und statt der gehofften Abkühlung trank ich mir ein Räuschchen, das einem Rausche ziemlich nahe kam. Um mir völlig den Rest zu geben, befahl der Prinz, daß ich mich an seine Seite setzen sollte; er schwatzte mir viel von seinen gnädigen Gesinnungen vor, ließ mich einen Blick in die Zukunft thun, so weit als damals meine umnebelten Augen sehen konnten, und nöthigte mich dabei, ein gestrichenes Glas nach dem andern von seinem Lunelwein zu trinken. Indessen empfand auch die übrige Gesellschaft die Wirkung des Nectars, der an diesem Feste wie Wasser floß. Eine der fremden Damen, die sich in interessanten Umständen befand, verspürte die gleiche Ungemächlichkeit wie wir, und stand hastig von der Tafel auf, um sich einige Augenblicke in ihr Zimmer zu begeben.

„Wir fanden diese heroische Handlung bewunderungswürdig. Die Dame wurde bei ihrer Zurückkunft mit Schmeicheleien und Lobeserhebungen überhäuft. Endlich, es sei nun aus Zufall oder aus Vorsatz, zerbrach die Kronprinzessin ein Glas. Dies war gleichsam die Losung für unsere ungestüme Freude und erschien uns als ein großes, der Nachahmung würdiges Beispiel. Im Augenblick flogen die Gläser in alle Winkel des Saales, und alles Krystall, Porzellan, Schaalen, Spiegel, Lichter, Geschirr u. dgl. wurde in tausend Stücke geschlagen. Mitten in dieser gänzlichen Verwüstung bezeigte sich der Prinz wie der gesetzte Mann beim Horaz, der beim Umsturz des Weltgebäudes die Trümmer desselben mit ruhigem und heiterm Auge betrachtet. Allein da sich die Freude in einen Tumult verwandelte, entzog er sich dem Handgemenge und begab sich mit Hülfe seiner Pagen in sein Zimmer. Die Prinzessin verschwand in dem nämlichen Augenblick. Ich für meine Person hatte das Unglück, daß ich auch nicht einen Bedienten antraf, der so viel Menschlichkeit besessen hätte, sich meiner wankenden Figur [374] anzunehmen. Ich kam also der großen Treppe zu nahe, und, ohne mich lange zu verweilen, fiel ich selbige von oben hinunter und blieb an der letzten Stufe ausgestreckt, ohne Besinnung, liegen. Ich wäre vermuthlich umgekommen, wenn nicht eine alte Magd mein Schutzengel gewesen wäre. Ein Zufall hatte sie an diesen Ort gebracht, und da sie mich im Finstern für den großen Schloßpudel ansah, so belegte sie mich mit einem garstigen Titel und gab mir mit dem Fuß einen Tritt vor den Leib. Da sie aber merkte, daß ich ein Mensch und, was noch mehr, ein junger Hofmann sei, so mochte sich ihr ganzes Herz bewegen; sie schrie nach Hülfe, meine Bedienten liefen herbei, man trug mich in mein Bett, holte den Chirurgus und verband meine Wunden. Den Morgen darauf schwatzte man mir vom Trepaniren vor, allein ich wurde von dieser Furcht befreit und mußte nur vierzehn Tage lang das Bett hüten, in welcher Zeit der Prinz die Gnade hatte, mich alle Tage zu besuchen und zu meiner Genesung alles Mögliche beizutragen. An eben diesem Morgen nach dem Fest war das ganze Schloß zum Sterben krank; weder der Prinz noch in anderer von seinen Cavalieren konnte aus dem Bette steigen, und Ihro königliche Hoheit die Prinzessin befanden sich allein an der Tafel.

  1. Siehe Nr. 5 dieses und die Nrn. 32, 38, 42, 47, 52 des vorigen Jahrganges.