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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: commons
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[217]

No. 17. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.[1]

Der reinste Ton, der durch das Weltall klingt,
Der hellste Strahl, der zu dem Himmel dringt,
Die heiligste der Blumen, die da blüht,
Die reinste aller Flammen, die da glüht,
Ihr findet sie allein, wo fromm gesinnt,
Still eine Mutter betet für ihr Kind.

Der Thränen werden viele, ach, geweint,
So lange uns des Lebens Sonne scheint;
Und mancher Engel, er ist auserwählt,
Auf daß er unsre stillen Thränen zählt –
Doch aller Thränen heiligste sie rinnt,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

O schaut das Hüttchen dorten, still und klein,
Nur matt erhellt von einer Lampe Schein,
Es sieht so trüb’, so arm, so öde aus –
Und gleichwohl ist’s ein kleines Gotteshaus,
Denn drinnen betet, from gesinnt,
Ja eine Mutter für ihr Kind.

O nennt getrost es einen schönen Wahn,
Weil nimmer es des Leibes Augen sah’n,
Ich lasse mir die Botschaft rauben nicht,
Die Himmelsbotschaft, welche uns verspricht:
Daß Engel Gottes stehs versammelt sind,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

 F. Stolle.




Braut und Gattin.
(Fortsetzung.)


Albrecht hatte indeß das Hotel erreicht. Athemlos betrat er sein Zimmer. Kaum hatte er sich ein wenig erholt, als er den Diener rief. Fritz war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, er stammte von den Gütern des Barons und diente seinem Herrn mit Treue und Anhänglichkeit. Der Baron hatte ihm stets sein volles Vertrauen geschenkt, und bis zu diesem Augenblicke lag kein Grund vor, ihm dasselbe zu entziehen.

„Sind sie krank, lieber Herr?“ fragte er besorgt.

„Warum?“

„Ihr Gesicht ist bleich, Ihre Augen sind trübe – es muß etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein.“

„Vielleicht!“ sagte Albrecht. „Setze Dich dort auf den Stuhl und antworte mir genau auf alle Fragen, die ich jetzt an Dich richten werde. Sage mir die lautere Wahrheit, ohne zu fürchten, daß sie mich verletzt. Verschweigst Du mir aus irgend einer Rücksicht den kleinsten Umstand, so würde ich Dir zürnen müssen.“

Der Diener verbarg sein Erstaunen über die Aufregung des Barons. Erwartungsvoll ließ er sich auf den bezeichneten Stuhle nieder.

„Fritz,“ begann Albrecht, „versetze Dich in jene Zeit zurück, wo Du mein Bote nach dem Forsthause bei Heyerswyl warst –“

„Wo Sie mich mit Briefen und Bestellungen an die arme Katharina absandten?“ fragte Fritz mit einem Anfluge von Heftigkeit. Dann fügte er ruhig hinzu: „dieser Zeit erinnere ich mich noch so deutlich, als ob zwischen damals und jetzt einige Wochen lägen. Die arme Katharina!“ seuftzte er. „Ich kann sie nicht genug beklagen!“ murmelte er zwischen den Zähnen.

„Und wer trägt die Schuld an ihrem Unglücke?“ fragte Albrecht. „Wer veranlaßte sie, meine Schritte falsch zu deuten? Wer pflanzte den Samen des Argwohns in ihr Herz? Wer erfüllte meinen Vater mit Vorurtheilen, daß ich ihm meine heimliche Heirath verschweigen mußte, wenn ich seinen Zorn und seinen Fluch nicht auf mich laden wollte?“

„Kein Anderer als Prosper!“ murmelte Fritz. „Der schwarze Mönch allein trägt die Schuld an dem Unglücke. Als Sie im Auftrage Ihres Herrn Vaters die Reise nach Wien unternahmen, die Sie fast ein halbes Jahr vom Hause fern hielt, da habe ich dem Mönch oft in dem stillen Forsthause gesehen. Unter dem Vorwande, [218] Katharina zu trösten, war er mit ihr allein – ich belauschte sie einmal in der Laube. Da hörte ich, daß sie laut weinte und in die Worte ausbrach, „„ich bin sein Weib, ich kann es nicht glauben, daß er mich verlassen hat““. Es läßt sich denken, was diesen Worten vorangegangen war.“

„Das hast Du mir bereits erzählt, Fritz! Jetzt wiederhole mir die Einzelnheiten der Flucht – ich will sie heute noch einmal hören, ich muß sie hören, um mir ein Urtheil bilden zu können.“

„Sie hatten mir aufgetragen, Katharina während Ihrer Abwesenheit zu überwachen. Ich kam dem Auftrage pünktlich nach, und machte mir täglich in dem Forsthause zu schaffen. Lieber Herr, Katharina dauerte mich, sie war bleich geworden, von ihrer früheren Munterkeit war keine Spur mehr vorhanden, und still und in sich gekehrt schlich sie umher. Da trat ich eines Tags zu ihr und wollte sie durch einen Gruß von Ihnen, obgleich ich keinen erhalten hatte, trösten.“

„Auch von allen meinen Briefen ist Dir keiner zugekommen?“

„Nicht einer, Herr Baron.“

„Fahre fort!“

„Ich trat also zu Katharina, eben als sie sinnend in der Laube saß, wo Sie so oft mit ihr geplaudert hatten. Als sie mich sah, zuckte sie zusammen, als ob sie plötzlich von heftigen Krämpfen befallen würde – dann begann sie bitterlich zu weinen. Mit beklommenem Herzen richtete ich meinen erlogenen Gruß aus. „„Das soll ich glauben?““ fragte sie, indem ihr die Thränen über das Gesicht rannen. Glauben Sie es nur, Jungfer Katharina! sagte ich, denn ich wußte damals noch nicht, daß sie Ihre Frau war. „„Du lügst! Du lügst!““ fuhr sie wie eine Wahnsinnige auf. „„Und wenn Du die Wahrheit sagst, so will er mich nur bethören, damit ich schweigen und ihn nicht öffentlich anklagen soll! Doch das hat er nicht zu fürchten,““ fügte sie mit einem Lächeln hinzu, das mir Mark und Bein durchschnitt. „„Der Priester, der uns heimlich getraut hat, ist schon längst gestorben – aber nein, wenn ich auch Beweise hätte, ich würde nie gegen ihn auftreten. Mag er sein reiches Fräulein heirathen, das ihm der Vater bestimmt hat, ich werde ja nicht lange mehr leben!““ – Sie ging aus der Laube, und ich hatte nicht den Muth, ihr mehr zu sagen. Der Sommer verfloß, der Herbst kam, aber immer noch blieben Sie aus. Die Domestiken des Schlosses erzählten sich wirklich, daß Sie sich in Wien verheirathen würden. Da ging ich wieder eines Tages nach dem Forsthause. Als ich mich dem Garten näherte, sah ich Katharina. Ach, Herr Baron, ich war erschreckt bei ihrem Anblicke, sie sah sich nicht mehr ähnlich. Das Gesicht war bleich und hager, die Blicke der großen Augen –“

„Ich erlasse Dir die Beschreibung!“ unterbrach ihn Albrecht. „Erzähle die Flucht – die Reise nach Wien!“

Fritz hatte sein Taschentuch hervorgehzogen und sich die Thränen getrocknet.

„Kaum hatte mich die arme Katharina gesehen,“ fuhr er bewegt fort, „als sie meine Hand ergriff, und mich in die Laube zog. Nun erfolgte die Scene, die ich Ihnen früher schon oft geschildert habe. „„Wenn Du mich nicht nach Wien begleitest, so gehe ich allein!““ rief sie verzweiflungsvoll aus. Ich konnte ihren Bitten nicht länger widerstehen, als sie niedersank und meine Knie umklammerte. Sie ist ja die Frau meines Herrn, dachte ich, und wenn du sie ihm zuführst, erfüllst du deine Pflicht; du sollst über sie wachen und darum kannst du sie nicht allein reisen lassen. Wir setzten also den folgenden Tag zur Abreise fest, denn ich begriff ja wohl, daß Katharina nicht zögern durfte. Der Zufall unterstützte mich, denn als ich in das Schloß zurückkam, wurde mir angekündigt, daß ich am nächsten Morgen nach Wien zu meinem Herrn gehen solle, der von dort aus eine Reise nach Italien unternehmen würde. Mit Sonnenaufgang war ich gerüstet in dem Forsthause. Katharina, ein kleines Bündel tragend, erwartete mich schon. Sie hatte sich heimlich aus dem Hause geschlichen, und, wie sie mir sagte, dem Vater einen Brief hinterlassen, in dem sie ihm ihre Abreise angekündigt. Um Mittag kamen wir auf die große Straße. Ich miethete einen Wagen, und wir fuhren bis zur Nacht weiter. Katharina hatte keine Ruhe, ehe der Morgen anbrach, befanden wir uns wieder auf dem Wege. Ach, Herr Baron, wie hat das arme Wesen gelitten! Sie nahm weder Trank noch Speise zu sich, von einer fürchterlichen Angst gefoltert, drang sie nur stets auf ein rasches Weiterreisen. Ich rieth ihr, einen Tag zu ruhen, weil ich sah, daß sie ernstlich krank war – umsonst, sie drohete allein zu gehen, wenn ich sie nicht begleiten würde. Eine Tagereise vor Wien ward ihr Zustand so bedenklich, daß ich sie in ein Kloster bringen mußte, dessen fromme Nonnen, wie man mir erzählte, sich mit der Pflege der Kranken beschäftigten. Man fragte nicht, woher Katharina käme und wer sie sei – man sah ihr Leiden und nahm sie großmüthig auf. Ich blieb in einem Wirthshause, das in der Nähe lag. Als ich sie am andern Morgen besuchen wollte, erfuhr ich, daß sie in der Nacht einen todten Knaben geboren habe. Ich durfte sie nicht sprechen und ging in meine Herberge zurück, die ich einer Nonne bezeichnet hatte. An jenem Tage schrieb ich Ihnen den ersten Brief. Denselben Abend kam ein Bote aus dem Kloster und forderte mich auf, sogleich zu Katharina zu kommen, die sehr krank geworden sei. Als ich in ihre Zelle trat, rang sie bereits mit dem Tode. Sie konnte mir nichts weiter sagen, als: „„ich verzeihe ihm, möge er meiner gedenken, ich bin ihm treu geblieben bis in den Tod!““ Unter den Gebeten zweier Nonnen verschied sie. Am nächsten Morgen lag sie mit ihrem Kinde im Sarge. Ich drang darauf, die Beerdigung nicht zu beschleunigen, da der Gatte der Verstorbenen kommen müsse; man wartete noch drei Tage, aber Sie kamen nicht, Herr Baron, und die Leiche mußte beigesetzt werden. Betrübt reiste ich nun allein nach Wien. Sie wissen, ich kam in dem Augenblicke an, wo Sie meinen Brief lasen – Sie waren von einer Reise zurückgekehrt, die Sie acht Tage von Wien fern gehalten hatte. Zwei Tage später standen Sie an dem Grabe Ihrer Gattin, wo Sie schworen, eine furchtbare Rache an dem boshaften Verleumder zu üben. Dann traten Sie, um sich zu zerstreuen, die Reise nach Italien an. Ein Jahr später kehrten wir zurück, um Ihren Vater zu Grabe zu tragen.“

Fritz schwieg. Er schien von der Erzählung ungewöhnlich angegriffen zu sein. Mit der flachen Hand hielt er die hervorquellenden Thränen zurück. Albrecht starrte in finsterm Sinnen vor sich hin.

„Fritz,“ sagte er plötzlich, „ich habe ein großes Versehen begangen, daß ich mir von der Priorin des Klosters den Todesfall nicht habe bescheinigen lassen. Nicht wahr, Du kannst Deine Angaben beschwören?“

„Mit gutem Gewissen, Herr!“ antwortete der Diener. „Dessen wird es aber nicht bedürfen, wenn sie sich der amtlichen Bestätigung des Klosters versichern, die man Ihnen nicht verweigern wird. Herr Baron, die arme Katharina schlummert so ruhig in ihrem Grabe, daß Sie sich dreist als Wittwer betrachten und eine neue Wahl treffen dürfen. Legen Sie endlich die Trauer ab und geben Sie sich den Freuden des Lebens wieder hin.“

„Fritz,“ murmelte Albrecht, „man hat mir in Spaa ein Blatt gezeigt, das von Katharina’s Hand geschrieben war und die Jahreszahl 1840 trug.“

„Wer zeigte es Ihnen?“ fragte der Diener auffahrend.

„Jener Herr von Funcal, der lange blasse Mann. Es sollte mir beweisen, daß meine Frau noch lebt.“

„Unmöglich, Herr Baron!“ rief Fritz eifrig. „In diesem Falle wäre ich ein Lügner. Ach, hätte ich die arme Katharina mit meinem Leben retten, hätte ich sie Ihnen frisch und gesund in Wien zuführen können! Jener Mann ist ein Betrüger.“

„Hier ist das Blatt, das Du ihr überbrachtest – auf der Rückseite steht die Antwort.“

Albrecht holte das Papier aus Amalia’s Portefeuille. Fritz betrachtete es erstaunt.

„Die Zeilen sind allerdings von Ihrer Hand geschrieben, Herr Baron, und diese hier von der Katharina’s; aber ich erinnere Sie an Prosper – man verfolgt einen tückischen Plan, es liegt eine Spitzbüberei zum Grunde –“

„Die wir aufdecken müssen! Rüste Dich, Du wirst heute noch nach dem Kloster abreisen, um die Papiere zu holen. In Wien wirst Du einen Brief vorfinden, der Dir anzeigt, wo Du mich triffst.“

Zwei Stunden später verließ Fritz das Hotel, um mit der Post nach Wien zu reisen. Albrecht war ruhiger geworden, er kannte die Treue seines Dieners, der ihn auf allen Streifzügen durch die Welt begleitet hatte, und es ließ sich nicht annehmen, daß er seine Hand zu einem so argen Betruge bieten würde. Welchen Grund konnte er überhaupt haben, gegen seinen Herrn zu handeln, der ihm fast ein Freund war? Fritz hatte ihm genug Proben seiner Rechtlichkeit und seines unerschütterlichen Charakters geliefert; er hatte selbst eine vortheilhafte Heirath mit einer wohlhabenden Wittwe ausgeschlagen, nur um bei seinem Herrn bleiben [219] zu können. Auch an Amalia’s Liebe durfte er nicht zweifeln; sie hatte ihm ja in einem langen Briefe ihre Verhältnisse enthüllt und ihn zu der Unterredung veranlaßt, die er mit dem alten Grafen gehabt. Wir fügen noch hinzu, daß er die in dem Briefe geschilderten Verhältnisse mit denen zusammenstellte, die ihm selbst bekannt waren, und daß er zu seiner freudigen Ueberraschung gefunden: der Vater Amalia’s sei ein Freund seines eigenen gewesen. Hieraus erklärte sich sein Auftreten gegen den Grafen von Funcal, so wie sein Wissen um Dinge, die ihm Amalia nicht mitgetheilt haben konnte. Er hielt dafür, daß der Graf Alles aufbot, um Amalia’s Neigung zu ersticken, und daß er ein solches Mittel wählte, konnte ihn nicht wundern, wenn er der schon seit Jahren fein angelegten Erbschleicherei desselben gedachte. Außerdem auch mußte der Vormund keine unbedingte testamentarische Gewalt über seine Mündel besitzen, da er das Zwangsmittel der Verdächtigung und nicht die Autorität anwendete, deren er sich rühmte.

Gleich nach der Abreise erschien Barchon; er brachte folgende Zeilen von Amalia:

„Ich verrichte meine Vesperandacht im Dome – erwarten Sie mich dort.“

Vor der festgesetzten Zeit war der feurig liebende Albrecht an Ort und Stelle. Das majestätische Gotteshaus war angefüllt mit Gläubigen, welche die sogenannten kleinen Heiligthümer, an der Kanzel angebrachte Kostbarkeiten von großem Werthe, bewunderten. Zeit und Ort waren zu einer geheimen Besprechung völlig geeignet. Mit unruhig klopfendem Herzen beobachtete er jede Gruppe der Betenden, er ging von Altar zu Altar, von Säule zu Säule – Amalia war nicht zu entdecken. Eine falbe Dämmerung herrschte bereits in den hohen Hallen, als er eine schwarzgekleidete Dame vor einem einsamen Seitenaltare erblickte; sie sah zur Seite – es war Amalia. Zitternd kniete er neben ihr auf der Steinstufe nieder.

„Amalia!“ flüsterte er.

„Vorsicht, lieber Freund, dort betet der Graf. Uns bleiben nur zwei Minuten –“

„Amalie, entziehen Sie sich jenem Menschen, folgen Sie mir als meine Gattin, wir bedürfen des Vermögens nicht – ich bin reich und unabhängig.“

„Unabhängig?“ fragte sie und ihre schmerzlichen Blicke trafen ihn, Blicke, die ihre furchtbaren Zweifel verriethen.

„Glauben Sie mir nicht?“ fragte er zitternd. „Amalia, Tod und Leben hängt von Ihrem Entschlusse ab! Vertrauen Sie meiner heißen, aufrichtigen Liebe! Opfern Sie Ihr Vermögen – aber lassen Sie mich nicht allein reisen!“

Mit flehenden Blicken sah er zu ihr – Thränen standen in ihren schönen Augen, und die liebliche Stimme bebte, als sie zurückflüsterte:

„Albrecht, ich kann Sie jetzt noch nicht begleiten!“

„O, Sie lieben mich nicht! Ich will Sie, nur Sie besitzen! Sie senden mich in den Tod, wenn ich ohne Gewißheit gehe!“

„Ich liebe Sie, Albrecht; aber haben Sie Mitleiden!“ schluchzte sie leise. „ Ach, ich muß Ihnen ja vertrauen, ich kann nicht anders! Haben Sie nicht Beweise davon erhalten? Ich glaubte den Grafen einzuschüchtern, indem ich Sie in meine Geheimnisse einweihte und mein Vertheidiger zu sein bat – dieser Schritt hat die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht – ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß mich der fürchterliche Mensch völlig in seiner Gewalt hat. Er kann mich und Sie verderben.“

„Amalie, lassen wir uns nicht durch leere Drohungen schrecken, man zeigt Ihnen wie mir ein wesenloses Gespenst. Was kann er gegen meine Gattin unternehmen? Was kann er Ihnen, außer Ihrem Vermögen, entziehen?“

„Sein Neffe ist angekommen, derselbe Funcal, den Sie verwundeten –“

„Ich weiß es. Er wirbt um Ihre Hand, und Sie, Amalie, scheinen nicht abgeneigt zu sein –“

„Ich vermuthete bereits in Spaa, wer er sei, und darum durfte ich ihn nicht entschieden abweisen, obgleich er mir in tiefster Seele verhaßt ist.“

„Amalie, kommen wir zu einem Beschlusse!“ bat Albrecht dringend. „folgen sie mir, wir reisen diesen Abend noch ab, und wenn uns der Graf erreicht, sind Sie meine heißgeliebte Gattin! Ich schwöre es bei dem Gekreuzigten, zu dessen Füßen wir knieen!“

„Albrecht, werden sie nie diesen Schwur bereuen?“ fragte sie in sichtlicher Bewegung.

„Nie, Amalia, nie!“ rief er schwärmerisch.

„Wohlan, so reisen wir auf verschiedenen Wegen. Nennen Sie mir das Ziel.“

Der Baron bezeichnete ein Hotel in München.

„Ich reise diesen Abend, Sie werden mir morgen folgen!“ sagte sie fest.

„Nehmen Sie mein Portefeuille, es ist mit Banknoten gefüllt – es ist der größern Vorsicht wegen.“

„Ich bin gezwungen, es anzunehmen, wenn ich keinen Argwohn erregen will! Nun trennen wir uns – reisen Sie nicht vor morgen früh!“

„Auf Wiedersehen!“

Er drückte einen heißen Kuß auf ihre zitternde Hand. Einige Minuten später verließ sie an der Seite des Grafen, der bis dahin gebetet hatte, den Dom. Als Albrecht in das Freie trat, sah er das Kabriolet davonfahren. Heute lenkte der Graf selbst das Pferd. Albrechts Glückseligkeit läßt sich nicht beschreiben. Zunächst ordnete er bei einem Banquier seine Geldgeschäfte, dann schrieb er einen Brief nach Wien, in dem er Fritz den Befehl ertheilte, mit den Papieren nach Heyerswyl zu reisen. Es war schon dunkel, als er die Vorbereitungen zur Abreise beendet hatte. Träumend saß er in seinem Zimmer. Da klopfte es an die Thür und Barchon trat ein.

„Herr Baron!“ flüsterte der kolossale Mann.

„Was bringen Sie?“

„Die Nachricht, daß Fräulein Amalie so eben mit der Post abgereist ist. Weder der Graf noch sein blasser Neffe wissen darum. Aber nur mit meiner Hülfe war die heimliche Flucht möglich. Als die reizende Dame in den Wagen stieg, flüsterte sie mir zu: gehen Sie zu dem Herrn Baron von Beck, und sagen Sie ihm, daß Sie mir den letzten Dienst in Aachen geleistet hätten. Ich habe mich beeilt, mein Herr, diesen Auftrag auszurichten.“

Albrecht warf ihm einige Banknoten zu, ermahnte ihn zur Verschwiegenheit, und versprach ihm ein bedeutendes Geschenk, das an seinem Hochzeitstage abgehen würde. Barchon schwor bei allen Heiligen, wie das Grab zu schweigen, und entfernte sich. In der Dämmerung des nächsten Morgens reiste der Baron mit Extrapost ab. Vielleicht eine Stunde mochte er das Hotel verlassen haben, als ein Polizei-Commissar erschien und nach ihm fragte. Man wußte ihm weiter nichts anzugeben als das Thor, durch das der Gast die Stadt verlassen hatte.




VII.
Der Hochzeitstag.

Nach einer anstrengenden, ununterbrochenen Reise war der Baron so zeitig in München eingetroffen, daß er Amalie noch zuvorgekommen zu sein glaubte. Er ließ in dem bezeichneten Hotel die besten Zimmer zu dem Empfange der Dame vorbereiten. Albrecht hatte Freunde in München, er stattete Besuche ab und erneuerte alte Bekanntschaften, um die ängstliche Ungeduld zu besiegen, mit der er zwei Tage lang vergebens die Ankunft der Geliebten erwartete. Am dritten Tage erhielt er durch die Post einen Brief. Er kam von Amalie. Sie schrieb ihm, daß sie Gründe habe, eine Verfolgung des Grafen zu fürchten, und daß sie es daher vorziehe, München nicht zu berühren, wo sie sein Stammschloß Heyerswyl, von dem er so oft zu ihr gesprochen habe, ohne Schwierigkeiten auffinden würde. Der Brief schloß mit der Versicherung ewiger Liebe. Es läßt sich denken, daß Albrecht nicht lange säumte, abzureisen. Am dritten Tage sah er die Thürme des alten, romantischen Schlosses. Das Posthorn schmetterte lustig durch das anmuthige Thal, das Thor öffnete sich, und der Wagen hielt an der großen Steintreppe. Die Dienerschaft, die ihn jubelnd empfing, war alt geworden, er war ja zehn Jahre abwesend gewesen. Der alte Verwalter war ein Greis mit schneeweißen Haaren, und die Wirthschafterin ein dickes, rundes Mütterchen.

„Wo ist Fritz, mein Vetter?“ fragte sie verwundert, als sie den Diener nicht sah.

„Er wird in den nächsten Tagen eintreffen, Mutter Elsbeth! Geschäfte für mich haben ihn unterwegs aufgehalten.“

Der Verwalter machte seinem Herrn freundliche Vorwürfe, [220] daß er so unerwartet gekommen sei, man habe nichts zu seinem Empfange thun können.

Albrecht bezog ein Zimmer, von dessen Fenstern aus man die Hauptstraße übersehen konnte, die zu dem Schlosse führte. Kaum hatte er sich erholt, als er Anordnungen traf, seine zukünftige Gattin zu empfangen. Als Zweck derselben gab er seinen längeren Aufenthalt auf dem Schlosse an. Drei Tage hatte er in peinlicher Unruhe verbracht, aber weder Fritz kam an, noch Amalie. Am vierten Tage fragte er den Kastellan nach dem Förster Zierlein.

„Der lebt noch, gnädiger Herr!“ war die Antwort. „Die Regierung hat ihm seinen Posten gelassen, obgleich er alt und schwach ist. Zwei tüchtige Jägerburschen versehen seinen Dienst und Alles geht gut. Der Kummer um seine Tochter, die auf so räthselhafte Weise verschwand, hat den kräftigen Mann vor der Zeit gealtert. Fragt man ihn nach ihr, so schüttelt er schmerzlich das kahle Haupt und sagt: meine Katharina ist todt! Laßt sie, laßt sie, fügt er gewöhnlich hinzu, indem er eine abwehrende Bewegung mit der Hand macht – es ist gut, daß es so gekommen ist!“

„Und hat man nie wieder etwas von ihr erfahren?“ fragte der Baron mit schwankender Stimme.

„Nie wieder, gnädiger Herr! Man flüstert sich wunderliche Dinge von ihr in das Ohr – sie soll sich selbst das Leben genommen haben.“

Der Baron brach das Gespräch ab. Die Auskunft des Kastellans erfüllte ihn mit Schmerz, aber auch mit Freude. Er hatte sich den Tod der unglücklichen Katharina nicht zum Vorwurf zu machen, denn um ihre Ehre zu retten und sie zu beruhigen, hatte er sich heimlich mit ihr trauen lassen. Um alle Zweifel zu beseitigen, kam zwei Tage später Fritz an, und überreichte seinem Herrn die vom Kloster ausgestellten Papiere. Nichts fehlte mehr zu seinem Glücke, als Amalie. Die Einsamkeit und die qualvolle Erwartung hatten seine Leidenschaft fast bis zum Wahnsinne gesteigert; er suchte tausend Gründe, die ihr Ausbleiben rechtfertigten, aber die Eifersucht, die sich nach und nach in Mißtrauen verwandelte, verwarf sie alle wieder.

Eines Morgens stand er an dem geöffneten Fenster. Da fuhr eine Postchaise den Hügel herab. Zitternd betrachtete Albrecht die langsame Fahrt des Wagens, der endlich in dem Thore verschwand.

„Sie kommt, gnädiger Herr!“ rief Fritz, der hastig eintrat.

„Wer?“ fragte der Baron, obgleich er wußte, wer gemeint sei.

„Wer anders als die reizende Dame aus Spaa und Aachen. Ich sah ihren lieblichen Kopf durch die Fenster des Wagens – nicht wahr, sie wird unsere junge Herrin? Ach,“ fügte er ausgelassen lustig hinzu, „das ist eine andere Frau für Sie, gnädiger Herr, als die einfältige Försterstochter.“

Fritz verschwand; nach einigen Augenblicken öffnete er die Thür wieder, und Amalie, in einem eleganten Reiseanzuge, trat ein. Sie hatte nicht Zeit zu grüßen, denn Albrecht schloß sie in seine Arme und bedeckte ihren Mund mit Küssen.

„Bin ich noch immer willkommen?“ fragte sie, erröthend an seine Brust sinkend.

„Amalie, erlassen Sie mir die Beschreibung der Qual, die ich erduldet. Hier habe ich gehofft und gefürchtet“ – er deutete auf das Fenster –

„Und ich mußte mit großer Vorsicht reisen, denn der Graf hatte meine erste Spur entdeckt.“

„Jetzt hat er keine Rechte mehr an Sie!“

„Vergessen Sie nicht, daß ich in zwei Monaten erst die Volljährigkeit erreicht habe. Ach, und ich weiß nicht, wie weit ihm das Testament meines Vaters Vollmacht giebt. Albrecht, ich habe viel gewagt; tragen Sie Sorge, daß man mich Ihnen nicht wieder entreißen kann.“

Mit triumphirender Miene holte der Baron die Bestätigung des Todes seiner ersten Gattin.

„Damals glaubte ich zu lieben, Amalie, und jetzt liebe ich erst! vergessen wir die Vergangenheit, und versichern wir uns der Gegenwart und Zukunft.“

„Und wenn ich nun so arm bleibe, als ich jetzt zu Ihnen komme?“ fragte sie verschämt.

„Dann besitze ich einen Schatz von Anmuth und Liebenswürdigkeit, der alle Reichthümer der Welt aufwiegt.“

Fritz, der Zeuge dieser ersten Herzensergießungen gewesen, verließ das Zimmer.

„Jetzt also liebt der Herr Baron erst!“ murmelte er in einem schmerzlichen Zorne vor sich hin. „O, ich habe mich nicht getäuscht, die arme Katharina ist der Laune eines vornehmen Herrn geopfert!“

Der Baron zitterte für den Besitz des reizenden Wesens, an dem er mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Charakters hing, und auch Amalie sprach die Besorgniß aus, daß der Vormund es nicht unterlassen würde, seine Gewalt so lange geltend zu machen, als es ihre Minderjährigkeit ihm gestattete. Von einem so zähen Charakter als dem des Grafen, ließ sich Alles fürchten. Eine Trennung, und wenn sie nur auf Tage erfolgte, schien den Liebenden das größte Unglück zu sein. Außerdem erforderte es die Ehre der jungen Dame, daß der Brautstand so viel als möglich abgekürzt würde. Dem Ansehen des Barons gelang es, den Pfarrer seines Gutes zur Trauung zu bestimmen. Der Todtenschein Katharina’s und der Geburtsschein Amalia’s, den sie sich früher schon zu verschaffen gewußt hatte, um ihre Volljährigkeit darzuthun, beseitigten alle Bedenken des Priesters, der vor dem mächtigen und reichen Baron hohe Achtung hegte. Die Trauung Albrechts mit der Braut, die er sich von der Reise mitgebracht, ward still in der kleinen Kapelle des Schlosses vollzogen. Die Domestiken bewunderten die Schönheit und Milde der jungen Herrin, und unter lautem Jubel führte man die beiden Gatten in ihre prachtvoll eingerichteten Gemächer.

Es war gegen Abend des Trauungstages, als Fritz in den kleinen Saal trat, in welchem sich die Neuvermählten befanden. Amalie, einfach in weiße Seide gekleidet, trug noch den Brautkranz in den braunen Locken. Sie glich wirklich einem Engel von überirdischer Schönheit. Albrecht saß zu ihren Füßen, ganz Anbetung und Liebe.

„Verzeihung, gnädiger Herr, daß ich störe,“ sagte Fritz mit zitternder Stimme.

Der Baron sah ihn fragend an. Amalie ergriff ängstlich den Arm ihres Gatten.

„Ist etwas geschehen?“ flüsterte sie, bestürzt über die Aufregung des Dieners, von dem sie wußte, daß er treu an seinem Herrn hing.

„Der Graf von Funcal, in Begleitung seines Neffen, bittet um eine Unterredung.“

„Jetzt?“ rief der Baron auffahrend. „Der würdige Mann hat seine Zeit gut gewählt. Wenn ihn meine Gattin empfangen will –“

„Er mag mich an Deiner Seite sehen, Albrecht – jetzt fürchte ich ihn nicht mehr!“

„Fritz,“ befahl der Baron, „laß die Herren Funcal eintreten, dann bleibst Du in dem Saale, im Falle ich Deiner Dienste bedarf.“

Der Diener verschwand. Amalie warf sich an die Brust des Gatten und umschlang mit bebenden Armen seinen Hals.

„Fürchte nichts, Geliebte!“ tröstete er unter Küssen. „Uns umschlingt ein heiliges, festes Band, das weder menschliche Gewalt noch Bosheit zerreißen kann. Wenig Augenblicke werden genügen, um dem greisen Verbrecher seine Stellung zu uns anzudeuten.“

Fritz öffnete die Thür, und beide Funcals erschienen. Die Gatten traten ihnen Arm in Arm entgegen. Keiner der beiden Gäste drückte ein Erstaunen aus, sie grüßten mit kalter Höflichkeit.

„Herr Baron,“ begann der alte Graf, „mir scheint, ich komme zu spät, um die mir anvertraute Mündel vor einem großen Unglücke zu bewahren.“

„Verzeihung, Herr Graf,“ antwortete Albrecht mit erkünstelter Ruhe, „Sie kommen zur rechten Zeit, um meiner Gattin Glück zu wünschen und aus ihrem eigenen Munde zu vernehmen, daß Sie der Pflichten eines Vormundes überhoben sind.“

(Schluß folgt.)
[221]
Ritter Ochsenlende.
Von Ludwig Storch.


Von einem König in Engelland
Vernehmt eine schöne Geschichte!
Auf seiner prächtigen Tafel fand
Er immer die besten Gerichte.

5
Sein liebster Freund auf der ganzen Welt

Das war sein Küchenmeister,
Er hat ihn höher in Ehren gestellt
Als alle die größten Geister.

Rehbraten genoß er täglich schier,

10
Doch Rindfleisch war ihm noch lieber,

Am liebsten Lendenbraten vom Stier;
Es ging ihm nichts darüber.

Der Küchenmeister einstens briet
Das saftigste aller Stücken;

15
Beim ersten Bissen der König gerieth

In schnalzendes Hochentzücken.

In Wonnethränen glänzte sein Aug’
Auf’s Fleisch der trefflichen Lenden.
Den Mund voll Wasser strich er den Bauch

20
Sich mit höchsteigenen Händen.


Und öffnete dann den weisen Mund:
„Ihr Ritter und Ihr Vasallen,
Es hat auf dem weiten Erdenrund
Mir wahrlich nichts besser gefallen,

25
Als solch ein köstliches Lendenstück

In Euerm Kreis zu verspeisen;
Drum ist es billig, für solches Glück
Es zu ehren und hoch zu preisen.

Die edelste sei von aller Speis’

30
Vom Könige heute geadelt!

Dem König gebeut’s, und der König weiß,
Daß Keiner darum ihn tadelt.“

Der Herrscher erhebt sich und zieht sein Schwert
Und redet mit Wohlbehagen.

35
„Wir wollen, o Lendenbraten werth,

Dich heute zum Ritter schlagen!

Der König will, daß von dieser Stund’
Du sollst „Herr Ritter“ heißen.
Dich schlägt mein Schwert, ernennt mein Mund

40
Zum Edelmann der Speisen.“


Und Alle sehn auf das Lendenstück
Das Schwert den König strecken.
Dann sinkt er froh in den Stuhl zurück
Und läßt sich’s vortrefflich schmecken. –

45
So wurde das Ochsenlendenstück

Zum Ritter gemacht und geschlagen.
Es war ein erhabener Augenblick,
Als dieses sich zugetragen.

[222]

Und wo in England mit Geschick

50
Die Beefsteaks immer gerathen,

Heißt „Ritter Ochsenlendenstück“
Noch heut der herrliche Braten. –

Und seit dem weltgeschichtlichen Tag
Spielt auch in anderen Staaten

55
Bei manchem festlichen Ritterschlag

Oft mit ein Rinderbraten.[2]




Ueber Frauenbestimmung.

Von Professor Biedermann.
III.
Die Frauen in der Kunst, der Literatur und der Wissenschaft.


Auf dem Gebiete der Kunst findet weibliches Talent seine erfolgreiche Anwendung überall da, wo es das Auffassen und Wiedergeben einzelner, vorzugsweise sinnlich lebendiger Empfindungen, äußerer Eindrücke, wechselnder Situationen gilt. Daher ist im Allgemeinen die ausübende oder nachbildende Kunst mehr im Bereiche weiblichen Kunsttriebes gelegen, als die frei schaffende, namentlich als die Hervorbringung größerer, zusammenhängender Gestalten. Selbst in der Musik, diesem eigentlichsten Reich der lebendigen und wechselnden Empfindungen, haben sich die Frauen zwar wohl als ausübende Künstlerinnen mehrfach ausgezeichnet, als selbstständig gestaltende, als Componisten, wenigstens im großen Style, noch niemals. In der Malerei und den sogenannten bildenden Künsten überhaupt scheint selbst die Beherrschung der äußeren Technik, das Nachbilden von Kunstwerken, für die Frauen mit größeren Schwierigkeiten verbunden; selbstschöpferisch aufzutreten, ist hier nur wenigen, von der Natur besonders hochbegabten vergönnt gewesen; und, wenn die Bildhauerarbeiten einer Marie von Würtemberg Bewunderung erregten (hauptsächlich doch auch nur als die Werke eines von Frauenhand und von fürstlicher Frauenhand geführten Meißels), so hat das, wenn schon nicht unbedeutende Talent einer Angelica Kaufmann, selbst unter der Aegide Goethe’scher Gunst oder Fürsprache, doch einen eigentlich hervorragenden Platz unter den Meistern der Malerei nicht einzunehmen vermocht. Das Portrait dürfte diejenige Kunstform sein, welche der weiblichen Kunst noch am Ersten Aussicht auf Erfolg verspricht, weil hier am Meisten das Individuelle, Persönliche vorwaltet. Und doch steht zu bezweifeln, ob es jemals einem weiblichen Pinsel gelingen werde, jenen tiefen Ausdruck eines ganzen, gleichsam bis in’s Innerste aufgeschlossenen Geisteslebens, einer ganzen in sich vollendeten Persönlichkeit in die Umrisse eines Kopfes zu legen, wie wir sie an den Portraits eines Van Dyk, Rembrandt, Cranach, Vogel von Vogelstein, Delaroche, eines Thorwaldsen, Dannecker und Rauch bewundern.

In der Dichtkunst scheinen Lyrik und Roman, die Darstellung von Gefühlen und die Darstellung von Situationen diejenigen Gattungen zu sein, welche der Eigenthümlichkeit des weiblichen Geistes am Meisten entsprechen. Aber auch auf dem Gebiete der Lyrik haben sich nur wenige Frauen mit Glück versucht; Bleibendes hat, wenn wir etwa jene ältesten Gedichte der griechischen Sappho abrechnen, keine einzige geleistet. Es fehlt den Frauen hier im Allgemeinen jene Naivetät des Gefühls, welche sich über die einzelne Empfindung erhebt und einen ganzen weiten Kreis von Erregungen des Seelenlebens gleichsam frei darüber schwebend beherrscht. Gerade das zu leichte Sichversenken in die einzelne Empfindung und dabei wieder das rasche Abspringen zu anderen Empfindungen, mit einem Worte, das Beherrschtwerden von dem äußeren Eindruck und der Mangel an innerer Kraft, ihn zu bewältigen, ihn einer größeren Gefühlsreihe einzuordnen, das ist es, was die Frauen immer hindern wird, bedeutende Erfolge auf dem Felde der Lyrik zu erreichen.

Besser ist ihnen dies mit dem Roman gelungen, obschon auch hier nur innerhalb einer gewissen Grenze, welche nur einzelne bevorzugte weibliche Genien, wie etwa in der neuesten Zeit eine Madame Georges Sand, eine Currer Bell, eine Lady Blessington u. A., zu überschreiten vermocht haben.

Solche ganz vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, fehlt den Frauenromanen meist die rechte Kraft und Tiefe in der Zeichnung und Entwicklung der Charaktere, so wie die Fähigkeit, einen großen weit angelegten Stoff richtig zu vertheilen und zur künstlerischen Einheit zusammen zu fassen. Wo es dagegen mehr auf die Schilderung einzelner Situationen – des häuslichen oder geselligen Lebens – (besonders der vornehmern Kreise), auf die Hervorhebung bestimmter Seiten des menschlichen Charakters, namentlich der mehr empfindsamen, oder auf die Darstellung gewisser Aeußerlichkeiten, Gesellschaftsformen u. dgl. ankommt, da sind die Frauen als Schriftstellerinnen ganz an ihrem Platze, da trägt ihr freies Beobachtungstalent und ihre leichte Hand nicht selten den Sieg über die schwerfällige Gründlichkeit der Männer davon.

Auf diesem Gebiete bewegen sich jene vielgelesenen Romane einer Henriette Gonder, Friederike Bremer, Flygare Carlén – im höhern Style eine Frau v. Paalzow u. A. Aber auch in diesen engern Grenzen sind selber die begabteren unter den schriftstellenden Frauen selten ganz frei geblieben von einer gewissen Einseitigkeit und Manier, indem sie bald mit zu großer Vorliebe bei der Ausmalung von Aeußerlichkeiten verweilen, (ein Fehler, an welchem z. B. der größere Theil der, im Uebrigen nicht selten eine mehr als weibliche Feder verrathenden historischen Romane der Caroline Pichler leidet), bald in der Schilderung von Charakteren in Uebertreibungen verfallen oder ebenfalls zu viel Werth auf Aeußerliches und Unwesentliches legen (wie die affectirt aristokratischen Romane der Gräfin Ida Hahn-Hahn), bald endlich einer allzu empfindsamen, zu geflissentlich auf Erregung des moralischen und religiösen Gefühls berechneten Stimmung sich hingeben – ein Vorwurf, den man, von ästhetischem Standpunkte aus, den meisten der jetzt so rasch emporschießenden und so viel Aufsehen erregenden Erzeugnisse der nordamerikanischen Frauenromanliteratur machen muß, selbst den Uncle Tom nicht ganz ausgenommen. Freilich sind dies Fehler und Mängel, welche auch nicht wenige männliche Romanschriftsteller mit jenen weiblichen theilen.

Epos und höheres Drama scheint den Frauen versagt zu sein. Wenigstens ist bis jetzt noch kein bedeutenderes Produkt dieser Gattung von ihnen ausgegangen, wogegen das sogenannte bürgerliche Schauspiel und insbesondere das Conversationsstück wohl im Bereiche weiblichen Talents liegen möchte, wie denn mindestens große Gewandtheit, neben außerordentlicher Fruchtbarkeit, der Hauptvertreterin dieses Genre in der heutigen weiblichen Schriftstellerwelt, der Madame Birch-Pfeiffer, nicht abzusprechen ist.

Wenn so im Allgemeinen im Fache der dramatischen Kunst die Frauen selbstschöpferisch nur eine untergeordnete Rolle spielen, so haben sie dagegen als Darstellerinnen, die Gedanken der Dichtung nachschaffend und in das Bereich lebendiger Anschauung erhebend, Ausgezeichnetes geleistet und sich den Männern vollkommen ebenbürtig zur Seite gestellt, nicht blos im geselligen Schauspiel, sondern auch auf dem erhabenen Kothurn des großen weltgeschichtlichen Drama’s und der Oper höhern Styls. Die Namen einer Schröder, Neumann, Schröder-Devrient, Rettich, Mars, Rachel u. A. werden neben denen eines Talma, L. Devrient und ähnlichen immerfort ihren Glanz behaupten.

Jene zwanglosere Behandlung von Gegenständen der Beobachtung, [223] wie sie, in der Form der Reisebeschreibung oder der Darstellung gesellschaftlicher Zustände und Charaktere, für die Erscheinungen der äußeren Welt, in der Form der moralischen Abhandlung, der Selbstbetrachtung, der brieflichen Mittheilung oder dgl., für das Reich der inneren Empfindungen, eine nicht unwichtige Stelle in der Literatur einnimmt und noch mehr in einer früheren Zeit einnahm, hat unter den Frauen manche vortreffliche Bearbeiterin gefunden, zumal in Frankreich und England, wo die Frauen jene Eigenschaften, welche zu dieser Art von Schriftstellern vorzugsweise nöthig sind, Schärfe der Beobachtung, Klarheit und Leichtigkeit des Ausdrucks, unter dem anregenden Einflusse eines entwickelten geselligen und nationalen Lebens vielseitiger auszubilden Gelegenheit hatten. Besonders bekannt sind in dieser Beziehung die Briefe einer Madame von Sévigné, die Belehrungen einer Madame Genlis, die Betrachtungen einer Madame von Staël über Gegenstände der Kunst, des gesellschaftlichen Lebens, der Literatur, die Reisebeschreibungen und Länderschilderungen einer Lady Montogue, Miß Martineau, Miß Trollop u. A.

Unter unsern deutschen Frauen haben leider gerade die begabtesten von denen, welche einen ähnlichen selbständigen Weg schöpferischen Gestaltens ihrer Lebenserfahrungen und Empfindungen einschlugen, jener fördernden Nachhülfe äußerer Verhältnisse, namentlich jener strengen Schule einer allgemein verbreiteten Geschmackskultur entbehren müssen, welche ihren Strebensgenossinnen in England und Frankreich von so großem Vortheil waren. Von keinem kräftig entwickelten, durch starke Gegensätze anregenden, durch festgestellte Formen bindenden und bildenden Gesellschaftsleben getragen, schlossen sich diese höherstrebenden Frauengeister entweder in tiefsinnigen, aber für das große Publikum fast unverständlichen und nur einem kleinen Kreise Eingeweihter zugänglichen Enthüllungen ihrer innersten Herzens- und Geistesregungen ab, wie die geniale Rahel, oder sie ergingen sich in wunderlichen, oft geistvollen, bisweilen aber auch barocken und ungenießbaren Ergießungen, wie Bettina von Bettina von Arnim, oder sie verkamen in krankhafter Ueberreizung und Schwärmerei, wie die unglückliche Charlotte Stieglitz.

Fast wichtiger als das, was sie selbst geschaffen, sind die Dienste, welche begabte Frauen mittelbar der Literatur geleistet haben durch die persönlichen Anregungen, mittels deren sie häufig den männlichen Genius in die Bahnen schöpferischer Thätigkeit lenkten und auf diesen ermunternd und anfeuernd, leitend und regelnd, einwirkten. Art und Form dieses Einflusses sind wesentlich verschiedene gewesen bei uns und bei unsern westlichen Nachbarn jenseits des Rheins. In Frankreich ist es hauptsächlich die geistreiche Frau und die Frau von bedeutender gesellschaftlicher Stellung, welche den jungen Dichter oder Künstler in ihre Kreise zieht, zum Schaffen anfeuert und in seinen äußern Erfolgen durch ihre Gönnerschaft und durch die Anerkennung, welche sie ihm in weitern Kreisen zu verschaffen weiß, unterstützt.

Dagegen war es in Deutschland von jeher mehr das sinnige, zugleich geist- und gemüthvolle Weib, welches, selten als Gönnerin, gewöhnlich nur als seelenverwandte Freundin bisweilen als wirkliche Lebensgefährtin, den Dichter, nicht nur als Dichter, sondern zugleich als Mensch seiner ganzen Persönlichkeit nach mit dem poetischen Zauber ihrer Liebe und Verehrung umgab, in sein Schaffen und Empfinden einging, an seinem Ruhme – oft nur in bescheidener Entfernung – sich erfreute, seine Kränkungen mit empfand und nicht selten noch das Andenken des Gefeierten mit einem duftenden Kranze aus den Blüthen des eigenen Geistes schmückte[3].

Beinahe einem jeden unserer größeren Dichter steht ein solcher befreundeter weiblicher Genius zur Seite. Die Geschichte nennt im innigsten Bunde mit Klopstock seine Meta, mit Wieland Sophie Delaroche, mit Schiller Frau von Wolzogen und Frau von Kalb, mit Herder seine Gattin Caroline, mit Goethe Frau von Stein und andere Freundinnen, mit Tiedge Elisa von der Recke. Zuweilen wohl war solcher weiblicher Einfluß der Literatur minder günstig, Verhätschelungen, Verhöhnungen und Vereinseitigungen vielversprechender dichterischer und künstlerischer Talente durch Frauen sind mehrfach zu beklagen gewesen.

Allein überwiegend ist doch die wohlthätige Macht, welche das Gemüth und den Geist begabter und gebildeter Frauen auf die Weckung, Beschwingung und Veredlung des dichterischen Genius allezeit geübt haben, und die Literatur und die Menschheit bleiben ihnen dafür ewig verschuldet.

Ungleich ferner, als das Reich der künstlerisch schaffenden Phantasie liegt den Frauen, ihrer Naturanlage und Bestimmung nach, das Reich des sichtenden und forschenden Verstandes. Schon da, wo beide Gebiete sich berühren, im Fache literarischer Kritik, sind die Erfolge und Verdienste weiblicher Leistungen nur höchst unsichere. Selbst das berühmte, aber auch viel angefochtene Buch der Madame von Staël über deutsche Literatur und Wissenschaft, was wäre es gewesen ohne ihren gelehrten und kritischen Freund August Wilhelm von Schlegel? Für die eigentliche Wissenschaft, so weit es sich dabei nicht blos um ein Auffassen und Gruppiren von Einzelnheiten, sondern um das beharrliche Verfolgen einer bestimmten Idee oder einer Reihe von Ideen handelt, fehlt den Frauen das Organ eben dieser Vertiefung in eine Idee, dieser Beherrschung eines vielartigen Stoffs durch große, allgemeine Gesichtspunkte; es fehlt ihnen, mit einem Worte, dasjenige, was man das logische Denken nennt. Daher haben die Frauen weder in der Philosophie, noch in der Geschichte, noch in den exacten Wissenschaften jemals etwas Hervorragendes, Bahnbrechendes geschaffen. Kein philosophisches System, keine neue Erfindung im Reiche der Technik, keine neue Entdeckung in den Naturwissenschaften, kaum ein bedeutenderes geschichtliches Werk hat den Namen einer Frau verewigt. Sogenannte gelehrte Frauen hat es wohl ab und zu gegeben.

Dorothea Schlözer, des berühmten Publicisten Tochter erwarb in bester Form die Würde eines Magisters der freien Künste an der Universität Göttingen. Basedow’s Tochter glänzte als halberwachsenes Mädchen unter den Schülern ihres Vaters in der lateinischen Prüfung. Des großen Philologen Reiske gelehrte Frau half ihrem Mann bei seinen Ausgaben der griechischen Classiker, so wie Madame Dacier dem ihrigen bei seinen Uebersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen. Allein das waren theils bloße Spielereien, ohne eigentlichen bestimmten Zweck, theils zwar ganz verdienstliche, aber doch immer in beschränktem Kreise sich bewegende Bestrebungen.

In einer gewissen Art geschichtlicher und philosophischer Darstellungen haben einzelne ausgezeichnete Frauen nicht Unbedeutendes geleistet. Der Madame de Staël Betrachtungen über die französische Revolution haben ebenso wie ihre philosophischen Gedanken über den Einfluß der Leidenschaften auf die Einzelnen und die Nationen, eine ehrenvolle Stelle unter den gleichartigen Arbeiten der Männer eingenommen. Die Memoiren der Herzogin von Abrantes gehören zu dem Besten dieser Gattung. Miß Martineau hat sich in würdiger Weise den großen Geschichtsschreibern ihres Vaterlandes angereiht. Zahlreiche und fruchtbare Keime einer aus dem Leben und der Betrachtung des eigenen Innern geschöpften Philosophie finden sich in vielen der schon erwähnten Werke einer Sévigné, Genlis, Georges Sand, Blessington, Martineau, Rahel und in noch manchen andern Aufzeichnungen von Frauenhand.

Diese Art von Lebensphilosophie, die Beobachtung der menschlichen Seelenzustände in den nächsten Verhältnissen des häuslichen, bürgerlichen, geselligen Lebens, die Auffindung der natürlichen Regeln und Bedingungen für das richtige Handeln und das daraus entspringende Wohlbefinden der Menschen und die Darstellung der so gewonnenen Resultate in einer leichten, gewinnenden und überzeugenden Form, das scheint ein Feld wissenschaftlicher und literarischer Beschäftigung zu sein, welches sich für Frauen von Geist und Gemüth ganz besonders zur Anbauung eignet. Ihr sicheres moralisches Gefühl, ihre feine Beobachtungsgabe und ihr Instinkt für das Passende, Schickliche und Nothwendige sind hier ganz an ihrem Platze. Es wäre daher zu wünschen, daß Schriften, wie die unlängst erschienene „Little things“ („Kleinigkeiten“)[4] – von einer unbekannten Verfasserin – unter den zum Schriftstellern geneigten Frauen Nachahmung fänden.



[224]
Civilisation und Wildniß.
Skizze von Fried. Gerstäcker.

Ich will die beiden flüchtig mit einander vergleichen, und der Leser mag dann selber urtheilen, ob sich eben die Wilden oder Heiden, indem sie in einen Zustand der Civilisation übergingen, verbesserten, oder ob das Ganze nur – im Wesentlichen dasselbe bleibend – einen andern Namen bekommen hat.

Die Regierungsformen wilder Völker laufen in der Mehrzahl auf erbliches Häuptlingsthum hinaus; nur die australischen Stämme, mit die weitesten zurück in einem förmlichen Urzustand, nehmen das Alter überhaupt als Maßstab an, weltliche Macht und Gerechtigkeit auszuüben, und ihre alten Männer oder burkas gewinnen mit einer gewissen Zeitperiode das Recht, sich die Haut an verschiedenen Theilen ihres Körpers aufzureißen und – Alles zu essen, was vorkommt, während den Jüngern verschiedene Leckerbissen untersagt sind.

Bei den nordamerikanischen Wilden bemalen sich die Häuptlinge auf besondere Weise, und haben auch großentheils irgend eine besondere Tattowirung ihres Stammes, einen Bären, eine Schildkröte, einen Fisch, einen Vogel, auf der Brust eingegraben. Sie dürfen dabei gewisse Federn, meist vom Adler, im Haar tragen – sie arbeiten Nichts, gehen nur zu ihrem Vergnügen auf die Jagd, oder manchmal, aus irgend einer Grille in den Krieg, und bekommen gewöhnlich noch einen schmeichelhaften Beinamen, schon während Lebzeiten, der sie mit irgend einem außerordentlich schnellen oder starken Thier vergleicht, wie z. B. „der springende Panther,“ „der schwarze Falke“ etc. etc.

Wie außergewöhnlich kommt uns das vor, und wenn wir Namen und Stoff, also höchst unwesentliche Bestandtheile ändern, haben wir doch viel Aehnliches aufzuweisen.

Wie bei den Burkas, darf das „niedere Volk“ bei uns ebenfalls gewisse Sachen nicht essen, wie z. B. Gänseleberpasteten, Trüffeln, Fasanen etc. – Die erbliche Häuptlingsschaft ist dieselbe geblieben, und wem könnte die Aehnlichkeit der jetzigen Wappenschilde mit den Bären und Fischen jener Urstämme entgehen, über die wir lächeln wollen.

Aber die Adlerfedern im Haar? – Unsere Admirale, Generale und Stabsoffiziere tragen ganze Büschel bunter Federn auf den Hüten, und wilde Völker würden sich ausschütten vor Lachen (und thun es auch manchmal), wenn sie herüber kommen zu uns und eben die dreieckigen Filzkasten sehen könnten, die jene darunter tragen dürfen als besonderes Privilegium.

Und die Beinamen? – den schnellen Wolf und den schlauen Panther, den Fuchs und den Adler, haben wir in ähnlichen Bestien, als Löwen, Bären etc., noch auf den Schildern selbst bis auf uns zurückbehalten, und „der Große,“ „der Gute,“ „der Gerechte“ sind eben nur Eigenschaftsnamen eines Häuptlings. Ob er wirklich so rasch laufen konnte wie ein Wolf, oder so schlau war wie ein Panther, kommt gar nicht darauf an.

Aeußerliche Auszeichnungen blieben aber dabei nicht allein stehen, sondern reichten vom Häuptling auch hinunter auf die Krieger und Männer im Rath (Generalstab, Offiziere, Geheime und Legationsräthe und Beamte), die ihre besonderen Tattowirungen als Abzeichen tragen durften.

Der Wilde hat aber keinen Rock, also mußte er sich den Orden in die Haut graben – Verlust der Nationalkokarde war dabei gar nicht möglich – und trügen wir hier nicht den Frack und etwas darunter, so würden unsere geheimen und wirklichen Räthe ebenfalls zur Urhaut ihre Zuflucht nehmen müssen – man kann doch nicht Alles um sich herum hängen.

Der nordamerikanische Indianer trägt außerdem die Scalpe seiner erschlagenen Feinde als Siegstrophäen – was aber sind die, aus dem Metall erbeuteter Kanonen gegossenen Medaillen anderes als civilisierte Scalpe? Wir müssen das Kind nur beim rechten Namen nennen.

Auf den Schmuck und die Abzeichen der verschiedenen Länder brauche ich eigentlich gar nicht näher einzugehen; die Aehnlichkeit ist hier zu auffallend, und ich will deshalb nur die hervorragendsten Punkte berühren.

Der Wilde thut entsetzliche Dinge, sich in einen Zustand zu versetzen, den er schön nennt; er durchbohrt sich Nasen und Ohren und hängt Glaskorallen oder steckt Federn und Stücke Holz hinein – er bindet sich Schellen und Perlen in’s Haar und an Arme und Beine, malt und tattowirt sich die Haut, reibt sich mit Fett oder Thon ein, und glaubt es, etwas Außerordentliches, wenn er einen alten Knopf oder etwas Derartiges gefunden hat, seiner Würde einen vielleicht höhern Glanz zu verleihen.

Ja aber wir tattowiren und bemalen uns nicht.

Nein, lieber Leser – dem letzteren aber immer noch Ausnahmen zugestanden – aber nur aus dem Grunde, weil unsere Kleidung schon gewissermaßen unsere Tattowirung ist. Sobald der Wilde erst einmal Kleider trägt, tattowirt er sich auch nicht mehr, aber nicht etwa, weil er die Tattowirung jetzt für etwas Häßliches hielte, sondern weil man sie eben nicht mehr sehen könnte.

Eine Auszeichnung will nun einmal ein Mensch vor dem andern haben, sei es aus welchem Grunde es wolle, und wenn wir uns nicht tattowiren oder bemalen, der neidischen Kleider wegen, kleben und knöpfen wir uns oben darauf Orden und Sterne und bunte Bändchen und Flittern und Steinchen und alte Knöpfe und Schlüssel, und Gott weiß, was sonst noch – und nun ziehe einmal Jemand die Grenzlinie.

Dabei fällt mir ein alter Indianer der Südsee ein, der wahrscheinlich einmal bei einer festlichen Gelegenheit einen Consul oder Schiffskapitain mit Orden besteckt gesehen und dem das Ding gefallen hatte. Er ließ sich also die ganze Bescheerung, ohne erst bei irgend einer der betreffenden Behörden um Erlaubniß nachzufragen, auf den eigenen Körper nachtattowiren; leider aber war auf der Brust, wo schon andere Linien standen, kein Platz mehr gewesen, und er nahm deshalb die Verzierung auf den Rücken.

Ueberhaupt giebt es Nichts auf der Welt, in dem die civilisirtesten Völker den wildesten ähnlicher sind, als gerade in den äußeren Ausschmückungen. Ob sie sich nun mit Thon oder Patchouly einreiben, die Extreme berühren sich doch, und selbst den Chinesen, die ein Recht zu haben glauben, sich bei uns sehen zu lassen – denn wir könnten dort dasselbe thun – dürfen wir Nichts vorwerfen.

Sie rasiren sich den Kopf, wir den Bart; sie schnüren die Füße ihrer Kinder ein, wir die Taillen; sie nennen ihr Reich das Himmlische, und unsere biederen Zeitungsredacteure schreiben, „die allerhöchsten Herrschaften begaben sich in die Kirche, dem Höchsten ihren Dank darzubringen.“ Während wir dabei behaupten, die Compaßnadel zeige nach Norden, lacht der Chinese und sagt, wir wären blind, daß wir nicht sähen, wie sie nach Süden wiese – und nun beweise ihm das Einer.

Auch bessere Menschen sind wir nicht durch die Civilisation geworden; je feinere Unterschiede wir zwischen den einzelnen Ständen und Geschäften, zwischen unseren Stellungen und Aemtern, zwischen unserer Geburt, und gleichviel wie erlangten Besitz machen, desto größer wird die Verführung zur Sünde, oder wenigstens zu manchen Handlungen, die ein unkultivirter Wilder nicht für möglich halten würde, und über die er ebenso die Achseln zuckt als wir darüber, daß er vielleicht sein Rindfleisch ohne Senf und mit den Fingern ißt.

Wir tadeln bei ihm seinen Blutdurst, seine Kindesmorde und feindlichen Einfälle auf Nachbargebiet, schlagen uns an die Brust und bedanken uns beim lieben Gott, daß wir nicht sind „wie Jene da,“ und geben uns trotzdem, selbst mit der Beistimmung und dem Segen unserer allerchristlichsten Kirchen die größte Mühe unsern complicirten Mordmaschinen, Feuerschlünde und Gewehre, Brandraketen, Bomben etc. etc., noch auf die möglichste Weise zu verbessern, unserer Nachbarn Kinder – ja nicht selten die eigenen in so großen Quantitäten als angeht, aus der Welt zu schaffen. Wir stehen entsetzt, wenn uns ein Missionär mit dem Sammelteller (denn ohne den erzählen sie uns Nichts) in der Hand von zwei oder drei Wittwen Nachricht giebt, die sich mit der Leiche ihres Gatten haben verbrennen lassen und lesen ungerührt die Schlachtberichte, nach denen so nun so viel Tausende getödtet wurden, oder mit, durch die Civilisation zerrissenen Gliedern in den Spitälern liegen, dort nothdürftig wieder zusammengeflickt, und womöglich noch einmal gebraucht zu werden.

[225] Der Indianer, wenn er mit einem Fremden geraucht oder mit ihm aus einer Quelle getrunken hat, ist sein Freund, und er würde gebrandmarkt dastehen, wollte er ihn betrügen oder hintergehen. Civilisirte Menschen, wenn sie mit einander ein Geschäft abschließen wollen, bieten sie einander gewöhnlich erst eine Cigarre und ein Glas Wein an, und nachdem sie zusammen geraucht und getrunken – mag nur Jeder aufpassen, daß er seinen Vortheil wahre.

Nein, gebessert hat die Civilisation die Menschen nicht, und in ihren Leidenschaften und Trieben selbst wenig verändert, nur in der Industrie der Völker und der dadurch geweckten Intelligenz liegt der alleinige Unterschied zwischen ihr und der Wildniß, und sind wir einmal dahin gelangt, so sehen wir gerade in der Civilisation, so lange sie nicht unsere Herzen veredelte und uns selber besser machte, auch nichts anderes als die Kunst sich selber Bedürfnisse zu erschaffen, um sie dann zu befriedigen.

Das Leben in der Wildniß ist ein Wasserrad, das sich dreht und dreht, nur um die obern Planken naß zu halten, damit sie nicht aus einander fallen, und die Planken müssen eben zusammen halten, damit sich das Rad drehen kann. Das Leben der Civilisation ist dasselbe, nur daß das Rad nicht einfach im Wasser selber steht, sondern ein ganzes Haus voll großer und kleiner Räder und Rädchen, Cylinder und Schrauben und Ventile hat, dasselbe Resultat hervorzubringen – und der Schlüssel dazu heißt: Uebervölkerung.

Der civilisirte Mensch geht in die Wildniß und kehrt freudig in seine Heimath, in die Mitte seiner Bequemlichkeiten zurück und denkt sich dabei: „Wie bist du glücklich, daß du nicht in einem solchen Zustand leben mußt;“ ja, begreift nicht, wie es andere Menschen darin aushalten. Der Wilde wird in das Leben und Treiben der Civilisation eingeführt, mit allen ihren Geheimnissen und Vortheilen bekannt gemacht, und kehrt zuletzt in seinen Wald zurück und lacht und spricht: „Was sich die Menschen da draußen nur für Mühe geben zu leben; da hab’ ich’s hier bequemer.“

Wird er dann gezwungen, die fremden Sitten und Gebräuche, fremde Civilisation und Religion anzunehmen – dann legt er sich hin und stirbt, aber das schadet gar nichts – die übervölkerten Länder besetzen und kultiviren sein Land und behaupten, der Civilisation einen Dienst erwiesen zu haben. Sie übersehen wunderbarer Weise dabei, wie die Einzigen, denen wirklich ein Dienst dadurch geleistet ist, sie selber sind, und daß auch in der That nur die Industrie und der Anker das Ziel waren, dem sie entgegenstrebten – die Menschen mochten darüber zu Grunde gehen.

Um wie viel Tausende hat sich z. B. nur auf den Sandwichs-Inseln die Bevölkerung der Ureinwohner seit der Einführung der Civilisation und des Christenthums verringert – bah, was Bevölkerung? – aber um wie viel ist der Anbau der Kartoffeln und des Zuckerrohrs gestiegen – es ist enorm – und von den Gestorbenen ist übrigens wenigstens der dritte Theil getauft gewesen – also selig gestorben.

Nichtsdestoweniger wird und muß, in nothwendiger Folgerung, die Civilisation mehr und mehr um sich greifen und nach und nach den ganzen Erdball bewältigen – wenn ihn nicht vielleicht der liebe Gott vorher noch erst einmal wieder sauber abwäscht wie zu Noah’s Zeiten – der Indianer wird aussterben, wie jene Thierkolosse ausgestorben sind, deren riesige Ueberreste uns noch jetzt mit staunender Bewunderung erfüllen, und Dampfessen werden dort rauchen und Locomotiven keuchen, wo jetzt die stolze Palme noch in schweigender Majestät ihre Krone wiegt, dem sprudelnden Bach und der duftenden Blüthe Schatten gebend. Das Alles wird geschehen, und zwar in einer unverkennbaren Nothwendigkeit, dem wachsenden Menschengeschlecht Raum, seinen Körper zu erhalten – Raum für seine strebsame Thätigkeit zu geben, und der eben, der den Raum zu vergeben hat – der Indianer – fällt zum Opfer, ob er als Christ oder Heide stirbt, bleibt sich da gleich.

Weil wir aber einem solchen Ziel entgegen arbeiten, haben wir nicht nöthig, dasselbe als den besten Zeitpunkt anzupreisen.

Alle werden wir alt, Alle suchen wir eine Stellung im Leben einzunehmen, aber wir brauchen uns nicht vorzulügen, daß die Zeit des Lebens die schönste ist, wo wir solche Stellung erreicht haben – wie Wenige von uns gäben ihre Jugend für das Alter hin.

Darum dürfen wir die Wildniß nicht verachten, ihre Bewohner nicht Heiden und Cannibalen schimpfen und selber thun als ob wir etwas ganz Besonderes wären. Jene Völker aber sind noch in der Jugend: es sind Kinder, die weiter nichts gebrauchen als einen Platz zum Essen und Spielen (denselben Platz, auf den wir gern unsere Kommoden und Schränke stellen möchten) und wenn sie erst einmal in ihren Gräbern liegen, die stillen Söhne einer fernen Zone, dann werden wir ihnen doch eine Trauerrede halten, und bedauern nicht ein klein wenig früher daran gedacht zu haben, ein klein wenig milder mit ihnen zu verfahren. Aber dann ist es zu spät; ihre Geschichte ist dann auch ziemlich vergessen – wir haben mehr zu thun als über ausgestorbene Geschlechter nachzudenken – und die Welt ist civilisirt.




Die Rheinbrücke zu Köln.

Schon seit längerer Zeit war man in Köln mit dem Plan zum Bau einer stehenden Brücke über den Rhein umgegangen. Man übersah nicht die großen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens, man erkannte aber auch die Vortheile nicht nur für die Bewohner der Stadt selbst, sondern auch für die der Rheinlande, die aus der Vereinigung der rheinischen Landestheile, welche Jahrhunderte lang durch den mächtigen Strom von einander getrennt wurden, nothwendig hervorgehen müssen.

Nach langen Verhandlungen genehmigte endlich der König von Preußen durch Cabinetsordre vom 4. December 1854 den vom Wasserbauinspector Wallbaum entworfenen Plan, demzufolge die Brücke nach dem nordamerikanischen Construktionssystemem von Ithias Town, dem sogenannten Town’schen „Lattice work-system,“ mittels eichener Gitterwände, die auf gemauerten Pfeilern ruhen, ausgeführt wird. Es werden vier doppelte Gitterwände von 26 Fuß Höhe nach der Länge der Brücke aufgestellt und von zwei Land- und drei Strom- oder Mittelpfeilern getragen werden. Zwischen diesen Pfeilern bleiben vier Durchflußöffnungen von je 313 Fuß lichter Weite. Die Mittelpfeiler werden von Tafelbasalt hergestellt. Ihre Fundamente werden 114 Fuß Länge und 31 Fuß Breite, die Pfeiler selbst aber in der Höhe der Brückenbahn eine Länge von 98 Fuß und eine Breite von 20 Fuß erhalten. Aehnlich werden auch die Landpfeiler ausgeführt; sämmtliche Pfeiler aber erhalten zu beiden Seiten der Fahrbahn Thürme, von denen die der Mittelpfeiler in cylindrischer Form bei 15 Fuß Durchmesser, 53 Fuß hoch und die der Landpfeiler in quadratischer Grundform 67 Fuß hoch über die Fahrbahn entworfen sind. Diese Thürme, an Zahl zehn, werden in mittelalterlichem Styl mit Zinnen-Bekrönung, Erkern etc., errichtet und dem ganzen Bauwerk ein höchst freundliches Ansehen geben.

Die Gitterwände bilden die Hauptconstructionstheile in dem hier zur Anwendung kommenden Systeme; in ihnen ruht alle Tragkraft, und von ihrer größern oder geringern Widerstandsfähigkeit hängt daher die Tragfähigkeit der Brücke ab. Ihre Zahl beträgt acht, die vier Doppelwände bilden, und in allen ihren Verbindungen rein aus Schmiedeeisen hergestellt werden. Fahr- und Fußwege werden durch einen 4–5 Zoll starken Bohlenbeleg gebildet.

Um zugleich das neue System in seinen Hauptzügen darzulegen, wollen wir über die Construction dieser Gitter Folgendes bemerken: Die Gitter sollen mit kräftig construirten Rahmen versehen und behufs Herstellung einer tüchtigen Querverbindung der vier Doppelwände, um sie gegen Schwankungen vollkommen zu sichern, in Entfernungen von 18 zu 18 Fuß, sowohl an ihren obern als an ihren untern Theilen durch starke eiserne Gurtungen fest mit einander verbunden werden. Durch die Anordnung dieser Querverbindungen im Terrain mit horizontalen Diagonalverstrebungen werden die Gitterwände zu einem festen unverrückbaren [226] Ganzen so verbunden, daß eine nachtheilige horizontale Ausbiegung fast zu den Unmöglichkeiten gehört. Die acht Gitter werden aus 4 Zoll breiten, durchschnittlich 1/2 Zoll starken schmiedeeisernen Stäben in der Weise zusammengesetzt, daß dieselben unter einem Winkel von 45 Grad sich gegenseitig kreuzen und an den Ueberkreuzungspunkten mittels Nietbolzen ihre feste Verbindung erhalten. Die Entfernung dieser Stäbe soll von Mitte zu Mitte 17 Zoll betragen, wodurch in den Gittern 13 Zoll im Quadrat große Oeffnungen (Maschen) entstehen.

Die neue Rheinbrücke zu Köln nach dem festgestellten Eintwurfe.

Die Länge der Brücke beträgt über die Stromfläche, d. h. zwischen den Ufermauern, 12891/2 Fuß und mit ihrer Verlängerung auf den Werften, ausschließlich der Auffahrten, 1650 Fuß, ihre Breite 60 Fuß, wovon 42 Fuß für drei Fahrwege à 14 Fuß Breite und 10 Fuß für zwei außerhalb der Gitterwände befindliche Fußwege berechnet sind. Die noch übrig bleibenden 8 Fuß werden von den vier Gitterwänden eingenommen, wovon die beiden mittlern die Fahrwege von einander trennen. Der nördlich gelegene dieser Fahrwege erhält ein Schienengeleise zur Verbindung der rechtsrheinischen mit der linksrheinischen Eisenbahn; die beiden andern Wege sind für das gewöhnliche Fuhrwerk bestimmt

Den Gitterwänden, so wie überhaupt dem ganzen den Strom überspannende Brückenkörper zum Schlusse soll die auf den beiden Landpfeilern zu errichtende steinerne Portale im Stützbogenstyl dienen, welche drei Thoröffnungen erhalten.

Auf dem kölner Ufer wird die Brücke, nachdem sie auf dem Werfte zwei zusammen 130 Fuß weite Öffnungen und außerdem noch zwei Durchfahrten zu beiden Seiten der Stadtmauer in der Richtung des Domthores überspannt, bis zum Frankenplatze fortgesetzt, auf welchem in der Nähe des Directionsgebäudes der Köln-Mindener Eisenbahn die Auffahrt zur Brücke beginnt. Auf dem andern Ufer, wo die Brücke gleich unterhalb des Köln-Mindener Bahnhofs beginnt, wird der Schienenweg von der Brücke über einen Viaduct mit geringer Biegung in südöstlicher Richtung zum Anschluß an die Köln-Mindener Eisenbahn weiter geführt, wogegen die für Fuhrwerk und Fußgänger anzulegende Rampe innerhalb der Festungsmauer sich fast in einem rechten Winkel nach Süden wendet. – Nach dem Voranschlage betragen die Baukosten der Brücken mehr als 21/2 Millionen Thaler; es werden dabei 12,273,000 Pfund Schmiedeeisen und 418,000 Pfund Gußeisen zur Verwendung kommen.




Schwimmende Batterien gegen Kronstadt
und die
Nasmyth’schen Schmiedeeisen-Kanonen.

Unter den Dutzenden neuer, furchtbarer Zerstörungs- und Vernichtungsmittel des Krieges, welche das sonst friedlich und für Kulturzwecke erfindende Genie allen christlichen Regierungen nebst geheimer Gebrauchsanweisung fast täglich anbietet, sind die Meisten zurückgewiesen, Andere bis auf Weiteres bei Seite geschoben und nur wenige ausgeführt worden. Unter den letzteren nehmen die „schwimmenden Batterien“, eine französische Erfindung und von den Engländern am Großartigsten ausgeführt, in kriegerischer Beziehung die respektabelste Stellung ein. Sie sollen die elementarische Differenz in der Macht Englands und Rußlands beseitigen und die Wallfischmacht ersterer gegen die Löwengewalt letzterer zur Geltung bringen.

Zunächst versuchte man diese mit „Eil-Booten“, aber sie gingen zu tief, ohne schwer genug in ihren Waffen zu sein. Die französische Idee schwimmender Batterien ward von der englischen Regierung mit Begierde aufgenommen und bereits in vierzig gewaltigen Exemplaren ausgeführt. Die meisten dieser Schiffe werden auf ihrer Batterie-Seite jedes mit zwölf der größten Lancaster-Kanonen (s. Gartenl. Nr. 49, 1854) versehen. Sie sind alle nach einem Modell gebaut, mit flachem Boden und runden Vorder- und Hintertheilen, 180 Fuß lang, 56 weit und 21 tief, jedes von 2000 Tonnen Gehalt und von 299 Pferdekraft Dampfschraube getrieben, wenn das Segelwerk nicht hinreicht oder der Wind nicht gehörig benutzt werden kann.

Das Neue in der Construktion besteht hauptsächlich in bombenfesten Seiten und Ober-Decks, unter welchen die eigentlichen Kampf-Decks hinlaufen. Die Häute dieser Schiffe sind die dicksten, in welchen je die furchtbarsten Ungeheuer gesteckt haben mögen, dicke Eisenwände bedeckt mit Schmiedeeisenplatten. Jede Platte ist 12 Fuß und 3/4 Zoll lang, 2 Fuß 101/4 Zoll breit und 41/2 Zoll dick und wiegt 56 Centner. Man hat diese Häute mit den allerschwersten Kanonenkugeln aus den schärfsten Lancasterkanonen gekitzelt, ohne daß sie nur eine Miene verzogen und sich so überzeugt, daß etwa 30 dieser Batterien, Hand in Hand zwischen dem Kanonensprüh-Frühlingsregen der „großen Straße“ von Kronstadt hineinschwimmend als gute Regenschirme dienen könnten, [227] während sie selbst die granitne Erhabenheit der Forts und Festungswerke im Trocknen zermalmen.

Dundas soll 30 dieser schwimmenden Batterien mitbekommen zu seinen 20 Schraubendampf-Kriegsschiffen à 80 bis 120 Kanonen, 35 Fregatten und unzähligen kleineren Fahrzeugen mit 100,000 Mann. Diese neue Flotte ist sonach noch viel gewaltiger, als die Napiers, abgesehen davon, daß sie klüger und kriegerischer geworden und fest entschlossen sein soll, die in’s Wasser gefallene Flottenehre wieder heraus und in’s Trockne zu bringen. Der Privat-Enthusiasmus der Engländer hat und schafft wenigstens die Mittel dazu und hat die Regierung, wie überhaupt zum Kriege, auch dazu genöthigt, diese Mittel anzunehmen, da sonst die Drohung mit einer Privat-Banque zur Führung des Krieges (einer bedeutungsvollen Kategorie) wahrscheinlich ausgeführt worden wäre. So läßt denn die Regierung auch wirklich die schon lange in den Zeitungen besprochenen Nasmyth’schen Kanonenriesen von Schmiedeeisen ausführen, welche Kugeln von 2 bis 300 Pfund in die dicksten Granitfelsen schmettern. Ein Regen von solchen Kugeln aus den schwimmenden Batterien, meint Nasmyth, müsse ganz Kronstadt mit Zubehör zu Wasser machen können. Wenigstens würden die vorhandenen Mittel dazu einen vortheilhaften Frieden beschleunigen und sichern, weil nach der politischen Gerechtigkeit Jeder desto mehr sich friedlich herausnehmen könne, jemehr er das Recht dazu durch seine Kriegsmittel nöthigenfalls praktisch zu beweisen im Stande sei.

James Nasmyth mit seiner „Bridgewater“ Schmiede in Patricoft bei Manchester ist der berühmteste Eisenmann Englands und ein Schmied von europäischem Rufe. Er versteht und behandelt das Eisen wissenschaftlich, aber nur im Großen mit Dampfeisenhämmern, wo ein Schlag mehr thut, als 2000 der schwersten Hämmer in den üblichen Handschmieden. Eine Ansicht eines solchen Dampfhammers ist ein interessanter Anblick. Er besteht aus einer massiven Eisenkeule von einigen tausend Centnern, die durch Dampf getriebenes Räder- und Hebelwerk geschwungen wird. Der Theil des Hammers, welcher die zu schmiedenden Eisenmassen trifft, kann durch Einschieben verschiedener eiserner Formen auch zu verhältnißmäßig feiner Arbeit verwendet werden, so daß er glatte Ebenen, Auskehlungen aller Art und mathematisch genaue Formen bis zum vollkommensten Halbcirkel aushauen kann. Das Interessanteste in einer solchen Dampfschmiede war mir die leichte Arbeit der Leute unter den ungeheuersten Eisenmassen, von Stücken, welche hundert Riesen noch nicht einmal rücken und rühren können würden. Der Dampf bringt sie mit seinen vielen Flaschenzug- und Hebelarmen spielend, rasch und pünktlich überall hin, wo sie gebraucht und verlangt werden. Auch wo die rohe, menschliche Kraft nöthig ist, zum Karren und Schieben, zum Fortschaffen und Bringen, wird sie durch vortreffliche Hülfsmittel so bedeutend unterstützt, daß ein Mann für drei arbeiten kann, ohne sich zu übernehmen.

Für Herbeischaffung von Kohlen giebt es Handeisenbahnen, für die Handhabung schwerer, eiserner Instrumente Flaschenzüge und Hebel, die mit Riesenkraft gehorsam sind, wie ein befreundeter menschlicher Arm. So ist es eine Lust, als Laie solchem technischen Spiele mit mächtigen Eisenmassen, ihrer Gestaltung zu genauen, mathematischen Formen, dem accuraten, netten, flüssigen Ineinandergreifen von Rädern und Zähnen, den spiegelblanken, öligen Drehungen der Axen, den haarscharf abgegrenzten Stößen von mannsdicken Kolben, den vielpferdekräftigen Wirkungen einer einzigen Fingerbewegung an diesem oder jenem Theile des weithinwirkenden, stets frischen, nie müden oder mürrischen Maschinen-Organismus zuzusehen und den kleinen Menschen dazwischen in seiner ganzen Kultur- und praktischen Wissenschaftsgröße.

Was die großartigsten Produkte der Dampf-Hammer-Schmiede, die Kanonen von Schmiedeeisen betrifft, so lassen wir den Autor derselben, James Nasmyth, selber reden, wie er die Sache vor einigen Wochen in der Times darstellte:

„Wenn ich Ihnen sage, daß die Kraft des Schmiedeeisens sich zu dem Gußeisen wie 6 zu 1 verhält, begreifen Sie gewiß ohne Umstände, wie wichtig dieses Verhältniß in Bezug auf Kanonen ist. Ein sechsfach größerer Widerstand gegen Explosion des Kugeln schleudernden Körpers giebt uns eine sechsfach größere Gewalt und Tragweite gegen die bisher für uneinnehmbar gehaltenen Festungen. Was würden wir von einem Manne halten, der Gußeisen für Lokomotivräder-Axen oder für Schiffsanker vorschlüge? Aber ist es nicht unendlich abschreckender, Gußeisen für Kanonen zu verwenden, da praktische Männer bereits wissen, daß die Cohärenz, die Zähigkeit im Zusammenhalten, des Gußeisens desto rascher und bedeutender abnimmt, je dicker und massiver der Körper ist, den wir daraus machen? Und warum werden nun doch gußeiserne Kanonen beibehalten, denen doch mehr zugemuthet wird, als den Ankern und Eisenbahn-Axen? Warum opfern wir lieber Tausende von Menschen und Millionen von Pfunden, da wir doch mathematisch wissen, daß wir mit den bisherigen Mitteln den Festungen des Feindes nichts anhaben können? Wie viel Tausende von Kugeln sind in die Luft oder machtlos gegen Granit und Festung geschossen worden, obgleich die Sachverständigen wissen müßten, daß dies reines Kinderspiel sei! Ich sage, ohne Schmiedeeisenkanonen ist nichts zu machen. Nur Schmiedeisenkanonen, welche Zwei- bis Dreihundertpfünder aus Entfernungen, die dem Feinde unerreichbar sind, gegen dessen Befestigungen schleudern, können uns einen Erfolg im Kriege und einen ehrenvollen Frieden sichern. Meine Dampfhämmer sind im Stande, mit Hülfe meines lebenslänglichen Studiums und Prakticirens in Verarbeitung großer Eisenmassen, mit Hülfe meines Herzens und Patriotismus, diese Kanonen zu liefern. Sollten auch Andere mit Ausführung derselben betraut werden, soll es meine größte Freude sein, mit meiner Erfahrung nach Kräften zu helfen.“

Der Brief traf in die Festung der monopolisirten englischen Aristokratie, da dem Schreiber Hunderttausende von Pfunden aus Privatmitteln angeboten wurden und der Fall Englands vor Sebastopol nicht mehr zu beschönigen und zu beschminken war. Das Aberdeen-Ministerium gab James Nasmyth unbegrenzte Vollmacht, seine Pläne für die Regierung auszuführen. Damit aber auch das inzwischen zu Stande gekommene neue Ministerium zeige, daß es seine Erbweisheit nicht aufzugeben gedenke, fingen sich ein Paar Kriegsministerien über die Formen jener Vollmacht zu zanken an, so daß Nasmyth, nachdem er Alles in Gang gebracht, Befehl bekam, bis auf Weiteres Ferien zu machen. Der Herzog von Newcastle, damals Haupt des siebenköpfigen Kriegs-Ministeriums, vom Unterhause darüber zur Rede gesetzt, entschuldigte sich damit, daß solche Mißverständnisse und Ferien unter jedem Verwaltungssystem vorkommen könnten. Später einigten sich die Herren, da man inzwischen wieder mit einem Schmiedeeisenkanonen aus Privatmitteln drohte, so daß nun wirklich diese Kanonen gehämmert werden und den allerstärksten Versuchen, sie zum Platzen zu bringen, bereits ihren unerschütterlichen Eisentrotz entgegengesetzt haben. Uebrigens brauchen sich deshalb Kronstadt und Sebastopol noch immer nicht ernsthaft zu fürchten, denn auch das Ministerium Palmerston entwickelt ein riesiges Talent, Personen und Sachen immer da anzustellen, wohin sie gar nicht passen und Herren zu Ministern von Abtheilungen zu machen, von denen sie nicht das Geringste verstehen; dagegen sie von allen Sphären abzuhalten, welche sie gerade fachmäßig studirt haben.

So steht vorläufig noch zu erwarten, daß immer ziemlich jedes Ding und jede Person dahin gestellt werden wird, wo es den meisten Unfug anrichten kann, damit es überall fehle, wo es hingehört, so daß also auch die Schmiedeeisenkanonen sich überall hin verirren mögen, ehe sie mit ihren großen Augen sich Kronstadt und Sebastopol ansehen. Das ist so Regel im officiellen England, wo nach Dickens vortrefflicher Schilderung der neuen großen Röcke für die Straßen-Constabler immer der kürzeste Polizeimann für den längsten Rock und der längste für den kürzesten, der dickste für den engsten mit feinem Kennerauge herausgesucht und mit officieller Gewalt hineingesteckt ward.



[228]
Blätter und Blüthen.

Derwische in Andacht. Der priesterliche, mönchische Orden der Derwische im muhamedanischen Religions-Kultus ist ein merkwürdiges Gemisch christlicher Tugenden, der Bescheidenheit, Armuth, Wohlthätigkeit, Demuth, Geduld und fanatischer Dummheit, Lächerlichkeit und betrügerischer, gewinnsüchtiger Gaukelei. Sie gehen stets barfuß, mit offener Brust und brennen sich zuweilen mit glühendem Eisen, um sich moralisch abzuhärten und Schmerzen zu ertragen. Sie fasten jeden Mittwoch bis nach Sonnenuntergang und halten ihre Kirche Dienstags und Freitags. Ihre Andacht besteht zunächst in lautem Beten, alle durcheinander, wobei sie, wie Schneider bei der Arbeit, kauern. Doch den größten Ruhm ihrer Frömmigkeit setzen sie und die altgläubigen Türken in die Kunst, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit und fabelhaft lange um sich selbst zu drehen; dann entzückt niederzufallen und sich vom entzückten Publikum durch einen Regen kleiner Münze wieder zum Bewußtsein zurück träufeln zu lassen. Uebung macht in jeder Beziehung den Meister und da sich der Geldregen nach der Leistung richtet, können sich Einige ziemlich eine Stunde lang um sich selbst drehen, als würden sie durch eine Maschinerie unten um sich selbst gesponnen. Das ist freilich noch lange nicht so viel, als der Stifter ihres Ordens konnte, Menelava[WS 1], der sich viermal vierundzwanzig Stunden mit zunehmender Geschwindigkeit um sich selbst drehte, bis er entzückt niederfiel und zur Stiftung des Derwischordens inspirirt ward. Sein Freund Hamsa spielte dazu viermal vierundzwanzig Stunden die Flöte, die noch bis heute alle diese verdrehte Andacht begleitet. Die Flöte ist ihnen heilig, eine Eigenschaft, die sie von Jacob im alten Testamente ableiten, der Gottes Lob mit Flötenbegleitung sang. Sie sind jetzt nicht viel besser, als eine zahlreiche Sorte von gaukelnden Bettlern, die ihre Drehungen zur Vergrößerung ihrer Ernten benutzen. Sie und die Türken sollten lieber Spinn- und Maschinenräder drehen lernen. Das gemeine Volk glaubt aber noch an ihre höhere Religiosität und läßt sich so ganze Massen kleinen Geldes aus der Tasche drehen. Das Wort Derwisch, aus dem Persischen, bedeutet Bettler. Ihr Orden bekam Corporationsrechte unter Ottoman I., der ihnen ein großes Hauptkloster bei Cogna in Anatolien bauen ließ. Dieses ist die Hauptloge, mit dem General des ganzen Ordens, von welcher und welchem alle Neben-Logen und Untergenerale abhängen. Der Orden giebt uns eine Vorstellung von der religiösen Bildung der Türken überhaupt, die eigentlich blos in sinnlosen Ceremonien besteht. Man geht in die viereckigen Moscheen, nachdem man sich im viereckigen Marmor-Vorhofe vor dem Haupteingange gewaschen und Schuhe und Strümpfe zurückgelassen. Der Fußboden inwendig ist mit zusammengeflickten Zeugen bedeckt, auf denen man knien, sich legen und rutschen kann, je nachdem ein Türke (Türkinnen dürfen nicht hinein) seine Frömmigkeit offenbaren will. Das Innere ist mit brennenden Lichtern und Leuchtern, zwischen denen Eier, Ringe und sonstige Curiositäten hängen, reichlich ausgeschmückt. Von Predigen, gemeinschaftlicher Andacht, erbaulichem Gesang ist keine Rede. Jeder theilt seine Gedankenlosigkeit dem Propheten und durch ihn dem großen Allah privatim mit. Das Beste des kirchlichen Kultus findet man neben den Moscheen, nämlich Hospitäler, in denen jeder Fremde, Türke oder „Franke“ unentgeltlich drei Tage Aufnahme und Pflege finden kann. Auch giebt es noch sehr wohlthätige, weltliche Anstalten der Art, in denen jeder Verirrte, Obdachlose, Hungrige und Durstige, mag er einer Nation oder einem Glauben angehören, welchem er will, unentgeltlich schlafen, essen und trinken kann, ohne sich nur eines Dankes schuldig zu machen. Wenn es möglich wäre, die vielen guten, edeln, humanen Charakterzüge der Türken zu retten und sie ihren Nachkommen und der „westlichen Civilisation,“ die sie jetzt gründlich vollends ruinirt, als Erbtheil des „kranken Mannes“ zu vermachen, könnten die alten Türken immer aus der Geschichte scheiden und des Ruhmes sicher sein, daß sie nicht umsonst gelebt haben.




Harmonie der Farben in Kleidern für die verschiedenen „Teints“. M. E. Chevreul, ein Franzose, behandelt in seiner „Farben-Harmonie“ die Schönheits-Gesetze, nach welchen das schöne Geschlecht die Farbe seiner Kleider zu wählen und zu combiniren habe, ziemlich verständig. Er sagt: „Rothe Draperie“ kann als rosige nicht mit den rosigsten Gesichtern in Verbindung gebracht werden, ohne diese zu bleichen. Dunkelroth ist nur zulässig, wenn die Hautfarbe durch einen weißeren Schein gewinnt, der durch den Contrast bedingt wird. Zartes, delicates Grün ist günstig für die meisten Blondinen mit weißer, frischer Haut, die etwas mehr Rosiges gebrauchen können, ungünstig für mehr Rothe, als Rosige, noch ungünstiger für Gesichter, in denen sich Orange und Braun vorfinden, weil dies dem Gesichte eine ziegelrothe Schattirung giebt. Ein dunkeles Grün mag in diesem Falle eher passiren. Gelbe Draperie giebt einer schönen Haut einen bläulichen, violetten Hauch und ist deshalb ungünstiger als mattes Grün. Gelblicher Haut giebt sie eine weiße Tinte, doch paßt die Zusammenstellung schlecht zu blondem Haar. Sie sieht zu schwer und ruhig aus. Mehr in Orange spielende Haut wird duch Gelb geros’t, da es Orange neutralisirt. Gelb paßt deshalb in der Regel am Besten für schwarzhaarige Brünetten. Violette Draperie. Violett ist die Ergänzungsfarbe zu Gelb und bringt deshalb entgegengesetzte Wirkungen hervor. So überhaucht es weiße Blondinen, die zu hell und nüchtern aussehen, mit einem grünlichen Gelb, das sehr oft günstig ist. Es vermehrt Gelb und Orange in den Hautfarben ähnlichen Charakters. Bläuliche Tinten nehmen durch Violett einen grünlichen Schein an. Violett ist also im Allgemeinen die ungünstigste Farbe für alle Gesichter. Nur wenn es tief genug ist, kann es durch Contrast mangelnde Weiße der Haut ergänzen. Blaue Draperie. Blau reflektirt in Orange und kann deshalb dienlich werden, weiße und leichte Fleischfarbe zu heben. Blau ist denn auch sprüchwörtlich Blondinen am Günstigsten. Doch ist auch hier Geschmack und Farbensinn nöthig, da zu grelle und entschiedene blaue Draperien leicht ein gemeines Ansehen geben. Brünetten müssen sich vor Blau hüten, da sie schon zu viel Orange haben. Orange-Draperie ist zu brillant, um elegant zu sein. Es bläut Blondinen, weißt Orange-Haut und grünt gelbe Tinten. Weiße Draperie. Mattes Weiß harmonirt gut mit frischen Gestalten und Farben, die dadurch an Prosa und Strenge verlieren; doch alle übrigen starken Hautfarben müssen sich davor hüten, da sie dadurch nur greller werden, so daß ein Mann mit weißem Halstuche und eine derbe Magd im weißen Putz in der Regel sehr dumm und grob aussehen. Leichte, luftige, weiße Draperien von Musselin mit Mustern oder Spitzen sind dagegen von ganz anderer Wirkung. Sie versöhnen Contraste und geben jungen Damen ein harmonisches, ätherisches Etwas, das man mehr fühlen, als beschreiben kann. Schwarze Draperie schwächt die Töne der Hautfarben und versöhnt sie durch Hervorbringung eines weißen Tons, doch wenn sehr rosige Wangen sehr weit davon abstehen, tritt das Rothe aus dem geweißten Gesichte desto greller hervor, so daß also z. B. ein schwarzes Kleid sehr hoch herauf getragen und nicht durch Weiß vom Gesicht getrennt werden darf, wenn die Wangen nicht blos erröthen, sondern die Rosen darauf ohne Unterbrechnung blühen.“ Diese Bemerkungen gründen sich genau auf katoptrische Gesetze des Lichtes und der Farben, so daß Damen beim Einkauf von Hüten und Kleidern wohl mit Nutzen für ihre Schönheit darauf Rücksicht nehmen können. Wenigstens ist diese Rücksicht nützlicher und nobler, als das sklavische Gebaren unter dem sinnlosen Scepter der Mode.




Literarisches. Mit dem Frühling scheint auch die Produktionskraft der deutschen Dichter erwacht zu sein. Die letzte Woche brachte wieder warme Sonnenstrahlen und interessante Neuigkeiten. Otto Roquette, der Dichter der überaus reizenden „Waldmeisters Brautfahrt“, hat ein episches Gedicht: Hans Haidekuckuk vollendet, dessen Stoff, dem bunten Treiben des mittelalterlichen Städtelebens entnommen, mit jenem leichten und glücklichen Humor bearbeitet sein soll, der alle Arbeiten dieses frischen Autors auszeichnet. Von Gust. Freytag, dem Redakteur der Grenzboten und Dichter der Valentine, ist ein dreibändiger Roman: Soll und Haben erschienen. Freytag, welcher damit ein neues Feld betritt, hat den Roman dem Herzog Ernst von Gotha gewidmet, der den Verfasser bekanntlich von einigen Monaten zum Hofrath ernannte. Gutzkow’s neuerschiene Novelle: die Diaconissin erwähnten wir schon. In der Einleitung wenig anziehend, entschädigt sie weiterhin durch lebendig frische Darstellung und tiefe Blicke in die Natur des Frauenlebens. Diejenigen, welche Gutzkow Mangel an Gemüth vorwerfen, werden hier wenigstens diesen Vorwurf nicht wiederholen können. Kompert, der Verfasser des „Ghetto“, hat ebenfalls einen zweibändigen Roman: Am Pfluge vom Stapel laufen lassen. Er behandelt die Zustände einer jüdischen Familie, welche sich ausnahmsweise dem Ackerbau gewidmet. – Nach einer andern Richtung hin dürfen wir noch als eine interessante Erscheinung die in Berlin angekündigte und vom Grafen Pinto redigirte social-politische Wochenschrift: Berliner Revue bezeichnen – das in Zeitungen bereits vielfach besprochene Organ der russischen Partei. Ein Mitglied der Kreuzzeitungspartei, heißt es, hat zur Begründung dieses Journals, das wöchentlich 41/2 Bogen stark erscheinen soll, 20,000 Thaler vorgeschossen, das Honorar der Mitarbeiter ist auf 50 Thaler pro Bogen festgestellt, die ersten literarischen Capacitäten sollen – laut Zeitungen – dafür gewonnen sein! Den Zweck deuteten wir bereits an. Außerdem soll sie die Rechte des Adels und des großen Grundbesitzes vertreten. Wie alle Unternehmen dieser Art, wird auch dieses wenig Erfolg haben. Die Partei, welche darin vertreten wird, bedarf der Belehrung nicht, sie kennt ihre Rechte, ihre Gründe und langweilt sich an der Lektüre. Die Partei aber, welche sie bekämpfen soll, liest sie kaum, acceptirt weder die Rechte noch die Gründe und läßt höchstens in einigen Journalartikeln dagegen protestiren. Die stolze Zuversicht, den Gang der Civilisation auch nur um einen Tag aufzuhalten, ist eine vergebliche. Die Partei wird bald genug um eine Hoffnung und 20,000 Thaler ärmer sein!
E. K. 

Im Verlag des Magazins für Literatur in Leipzig ist erschienen:

Ueber die gewöhnlichsten ärztlichen Mißgriffe
beim
Gebrauch des Wassers als Heilmittel.
Von
J. H. Rausse.
geh. Preis 1 Thaler.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Aus der im Laufe des Sommers erscheinenden neuen Gedichtsammlung: „Palmen des Friedens“ von F. Stolle.
  2. Sir Loin of beef. – Sir loin oder vielmehr sur loin heißt bekanntlich im Englischen das Lendenstück (vom Rinde), Sir aber ist das Ehrentitelwort der Ritter und Barone; es lag demnach nahe, das Lendenstück zu adeln, indem man aus sirloin Sir Loin machte. Den Scherz erzählt schon Swift.
  3. Wir denken hierbei namentlich an die trefflichen Biographien Schiller’s von Caroline von Wolzogen und Herder’s von seiner Gattin.
  4. Die einzelnen Abschnitte des kleinen Büchleins besprechen – unter den Aufschriften: „kleine Pflichten“, „kleine Sorgen“ u. s. w. – alle wesentlichen Vorkommnisse des täglichen menschlichen Lebens und knüpfen an dieselben philosophische Gedanken und Rathschläge.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. tatsächlich: Mevlana