Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Konečný, J. N.
Band: 12 (1864), ab Seite: 404. (Quelle)
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Kompert, Leopold (Dichter, geb. zu Münchengrätz in Böhmen 15. Mai 1822). Von jüdischen Eltern geboren, gehört K. einer Familie an, die schon an zwei Jahrhunderte in Münchengrätz ansässig ist. Seine Kindheit und erste Jugend verlebte er im Elternhause, wo der damals noch lebende Großvater und die Mutter einen tiefen Eindruck auf das poetische und nachempfindende Gemüth des Knaben übten. Im Alter von zehn Jahren kamen er und sein älterer Bruder auf das Gymnasium nach Jungbunzlau, was die Vermögensverhältnisse des Vaters, der einen ausgedehnten Wollhandel betrieb, immerhin gestatteten. Plötzlich aber traten Zahlungseinstellungen von Reichenberger Tuchmachern ein, wodurch, da Kompert’s Vater bei seiner unerschütterlichen Rechtlichkeit seine Verbindlichkeiten in scrupulöser Weise erfüllte, er selbst in sehr mißliche Lagen gerieth und nur mit großen Opfern seinen beiden in Jungbunzlau studirenden Söhnen jene Unterstützung zukommen lassen konnte, welche ihnen bisher so regelmäßig verabfolgt worden war. Es war nahe daran, daß beide Knaben, da dem Vater die Kosten für den Schulbesuch unerschwinglich geworden waren, denselben hätten aufgeben müssen. Aber die Vorstellungen der Mutter, gestärkt durch den Trost: daß bessere Zeiten kommen müßten, behielten den Sieg und K. ging wieder nach Jungbunzlau. [405] Er besuchte bereits die fünfte Gymnasialclasse, damals „Poesie“ genannt. Auf dem Gymnasium war es vornehmlich ein Lehrer und einige Collegen, welche auf K.’s spätere Geistes- und Geschmacksrichtung nicht ohne Einfluß blieben. Ersterer war P. Conrad Böhm, Priester des Ordens der frommen Schulen, der, in den classischen Sprachen und in der Geschichte selbst gründlich gebildet, die Liebe für diese Wissenschaften auch in seinem Zöglinge zu wecken verstand. Von letzteren seien hier genannt: Wilhelm Gabler, nachmals als Publicist bekannt geworden, Moriz Hartmann [Bd. VIII, S. 4] und Isidor Heller [Bd. VIII, S. 272]. Durch Letzteren lernte K., welcher bis dahin nicht über Klopstock, Hölty, Salis gekommen, nun auch Heine, Börne, Anastasius Grün, Nikolaus Lenau, kurz das neuere singende Deutschland kennen. Die fünfte Gymnasialclasse war beendet; aber als K. in den Ferialmonaten in’s Elternhaus zurückgekehrt war, fand er, daß die besseren Zeiten noch nicht gekommen waren. Im Gegentheil, eine langwierige Krankheit des Vaters, dessen Lebensmuth in Folge derselben und anderer Drangsale gebrochen war, hatte die Bedrängnisse vermehrt. Nach den Ferien kehrte K. wieder auf das Gymnasium zurück, aber von einer Unterstützung der Eltern konnte weiter keine Rede sein. Das Studium aufzugeben, nachdem er schon so weit vorwärts gekommen, erschien ihm auch unklug, und so denn auf sich selbst gestellt, 15 Jahre alt, begann er den Kampf um das Dasein. Die Jahre 1837 und 1838 waren schwere Leidensjahre für K. Um die Sorgen der Eltern nicht zu vermehren, verschwiegen er und der Bruder die zahllosen Entbehrungen und erlittene schwere Noth, und im Kampfe mit derselben erlahmten seine Schwingen. Auch im Fortgange in der Schule hatte er nachgelassen, und dieser Rückschritt befriedigte ihn und die Eltern nicht. Nichtsdestoweniger bezog er im folgenden Jahre die Prager Hochschule und begann die philosophischen Studien. „Dieselben Kämpfe um die Existenz, derselbe passive Widerstand, schweigend und ohne Klage ertragene Entbehrungen, und als Folge hievon Vernachlässigung der Studien.“ Da faßte K. den Entschluß, dieser Lage ein Ende zu machen; Wien erhob sich vor seinen Augen, dort sollten seine Entbehrungen ein Ende nehmen und mit ihnen die einstige Lust zum Studium vollends wieder erwachen. Im September 1838 wanderte K. zu Fuß nach Wien. Schulze’s „Bezauberte Rose“, die er mithatte, führte ihn über die harte Prosa seiner langen Fußwanderung liebevoll hinweg. Aber auch in Wien wollten sich die Erwartungen, die er sich gemacht, nicht so bald realisiren; beinahe ein halbes Jahr war er, wie in Prag, auf „Nichts“ angewiesen. Endlich wurde er in das Haus eines Kaufmanns als Lehrer empfohlen und wurde – Hofmeister von fünf Knaben. Bei einer alle seine Kräfte so sehr in Anspruch nehmenden Beschäftigung war an eine Fortsetzung der Studien vor der Hand nicht zu denken. Aber seine Lage war nun eine freundliche; der geistige Druck, der in den letzten Jahren harter Entbehrungen schwer auf ihm gelastet, war gehoben und die poetische Stimmung, welche bereits auf dem Jungbunzlauer Gymnasium erwacht und durch das Zusammenleben mit gleichgestimmten Seelen lebendig erhalten worden war, begann sich von Neuem zu regen. Jedoch hat K. die Arbeiten aus dieser Zeit bei einer späteren Prüfung derselben den [406] Flammen übergeben. Unter diesen Verhältnissen kam das Jahr 1840 heran. Da ließ er sich von der lebhaften Schilderung eines ungarischen Pußtadorfes so sehr hinreißen, daß er die Stelle, die ihn nährte, aufgab und mit seinen Ersparnissen auf einem Dampfschiffe die Donau hinabschwamm, um sich mitten in Alföld, jener Tiefebene, die so viel des eigenthümlichsten Lebens enthält, für einige Zeit häuslich niederzulassen. Erst die beginnende Ebbe seiner Barschaft mahnte ihn an den Rückzug. Auch drängte es ihn, seine Studien fortzusetzen. Als er in Preßburg ankam, wo damals Adolph Neustadt die „Preßburger Zeitung“ und das mit ihr verbundene belletristische Beiblatt „Pannonia“ redigirte, und einen Kreis tüchtiger Fortschrittsmänner, die daselbst von den Censurplackereien weniger gequält waren, um sich versammelte, schlug K., der sich mit Neustadt und mehreren seiner Mitarbeiter befreundet hatte, einstweilen dort seinen neuen Wohnsitz auf und fand sich bald so behaglich, daß er vor der Hand in Preßburg seinen bleibenden Aufenthalt nahm. Eine in Szegedin fertig gewordene Arbeit, betitelt „Pußtabilder“, wurde von Neustadt in seiner Zeitung aufgenommen, und mit derselben betrat K. zum ersten Male die Oeffentlichkeit. Der Erfolg war ein günstiger; die ungarische Zeitschrift„Eletkepek“, d. i. Zeitbilder, brachte bald eine Uebersetzung dieser in der „Pannonia“ mitgetheilten Skizze. Den Pußtabildern folgte eine Novelle: „Die Heineanerin“; auch trat K. mit dem damals so beliebten Wiener Wochenblatt: „Die Sonntagsblätter“, welches Dr. L. A. Frankl redigirte, in Verbindung und diese brachten seinen Aufsatz über Wallenstein’s Gebeine in Münchengrätz. Das Feld der Schriftstellerei war einmal betreten und K. arbeitete fleißig; er schrieb Gedichte, Theaterkritiken, ungarische Skizzen, Novelletten u. dgl. m. „Die Grabschrift auf ein Pferd“ erregte größere Aufmerksamkeit und war die Veranlassung, daß ihn Georg Graf Andrassy kennen lernte. Kompert gab nun die Studien auf und ging als Lehrer in das gräfliche Haus nach Hossuréth im Gömörer Comitate. Das war 1843. Wie sein Biograph Neustadt bemerkt: „Aus der Münchengrätzer „Gasse“, von der Entbehrung hinweg in das Schloß eines einflußreichen, mächtigen Magnaten zu kommen, ist keine kleine Wandlung“. Er wurde bald der Liebling der Herrschaft, der geehrte Erzieher des jungen Grafen und wurde ihm schon nach Jahresfrist der zugesagte Jahrgehalt, ohne daß er selbst ein Verlangen gestellt hätte, auf das Doppelte erhöht. In dieser angenehmen und ihn geistig so fördernden Stellung hatte er Muße genug, sich in sein Inneres zu vertiefen, und damals begann er jene Geschichte zu schreiben, die ihm später einen in der Literatur so geachteten Namen und so viele Freunde erworben. Den Winter 1846 auf 1847 verlebte K. mit der gräflichen Familie in Wien. Da traf ihn Ende Juli 1847 die Trauerbotschaft von dem Tode seiner Mutter. Der Drang, die zum zweiten Male unterbrochenen Studien fortzusetzen, erwachte in ihm von Neuem und, sein Verhältniß im gräflichen Hause lösend, begab er sich nach Wien, um dort die Medicin zu studiren. Das Jahr 1848 vereitelte diesen Plan. Die Journalistik, welche einen ungeahnten Aufschwung nahm, gewann an K. eine achtbare Kraft; Ende 1848 übernahm er die Redaction des Feuilletons des „Oesterreichischen Lloyd“, dieses nach so mannigfaltigen Wandelungen noch heute als „Constitutionelle österreichische Zeitung „ bestehenden [407] Blattes, gab sofort die Studien ganz auf und widmete sich ausschließlich der Literatur. Leider mißlang sein Versuch, neben dem politischen Organ ein Volksblatt erscheinen zu lassen, um auf das größere Publicum zu wirken, obwohl K. dieser Zeitschrift viele Sorgfalt zuwandte; bei der politischen Erregtheit jener Tage kümmerten sich die Leser wenig um ästhetisch, kritische Abhandlungen, die zudem noch ganz in Kompert’s Geiste den vermittelnden Charakter an sich trugen. Als nun gar in der Redaction des Blattes ein Personenwechsel eintrat, da der bisherige Redacteur Löwenthal nach Triest übersiedelte, um dort die Redaction einer deutschen Zeitung zu übernehmen, und Warrens, früher nordamerikanischer Consul in Triest, der damals die politische Seele des Blattes war, als Ausländer die Redaction nicht nominell führen konnte, so wurde die ganze Leitung des Journals an Kompert übertragen. Aber dieses ruhe- und rastlose Treiben auf dem Felde der Politik wollte K. nicht lange behagen; bereits 1852 gab er, ebenso aus körperlicher Uebermüdung wie geistiger Abgespanntheit, die Redaction ab und nahm den Antrag, in das Haus des k. preuß. Consuls Goldschmidt, Procuraführers des Hauses Rothschild, als Erzieher einzutreten, an. Fünf Jahre lang blieb er in dem ihm bald so angenehm gewordenen und ihn geistiger Seits vielfach anregenden Verhältnisse. In dieser Periode knüpfte er Verbindungen mit literarischen und künstlerischen Persönlichkeiten an, trat in schriftlichen Verkehr mit den bedeutendsten Schriftstellern Deutschlands und, nachdem er eine Fortsetzung seiner Studien für immer aufgegeben, warf er sich mit allem Eifer auf das Studium der Geschichte und Literaturwissenschaft. Im Jahre 1857 erhielt K. eine Anstellung in der Creditanstalt, in welcher aber unser Poet es nicht lange aushielt. Auch heirathete er im genannten Jahre die Tochter eines durch sein gemeinnütziges und wohlthätiges Wirken geachteten Mannes, Namens Levi, des ehemaligen Vorstandes der Pesther israelitischen Gemeinde, und an der Seite seiner geistig reich begabten und hochgebildeten Frau lebt nun K. ausschließlich seinen ästhetischen Studien und Arbeiten; denn eine in den letzten Jahren mit der „Constitutionellen österreichischen Zeitung“ eingegangene Verbindung, welcher zufolge K. das Feuilleton dieses Blattes redigirte und für dasselbe fleißig schrieb, war auch nur von kurzer Dauer gewesen. Kompert’s literarische Arbeiten sind in der Folge ihres Erscheinens: „Aus dem Ghetto. Geschichten“ (Leipzig 1848, Grunow; 2. Aufl. ebd. 1850, Herbig; 3. Aufl. 1859, 8°.); wurde in’s Französische von Emanuel Stauben (Pseudonym für August Vidal, Professor in Douai), in’s Holländische von Ondik von Putten übersetzt, letzterer Uebertragung eine Biographie Kompert’s vorausgeschickt; einzelne Erzählungen daraus sind übersetzt erschienen, und zwar französisch: „Der Dorfgeher“, in der „Revue germanique“, und englisch: „Die Kinder des Randar“; – „Böhmische Juden. Geschichten“ (Wien 1851, Jasper, Hügel und Manz; 2. Aufl. Prag 1861, Kober, 8°.); gleichfalls in’s Französische von dem obengenannten Emanuel Stauben übersetzt; – „am Pflug. Eine Geschichte“, 2 Bände (Berlin 1855, Duncker, 8°.); erschien zu Moskau in einer Zeitung in russischer Uebersetzung und wurde in einer New-Yorker deutschen Zeitung nachgedruckt; – „Neue Geschichten aus dem Ghetto“, 2 Bde. (Prag 1860, Kober und Marggraf, 8°.). Außerdem bringt das [408] Wertheimer’sche „Jahrbuch für Israeliten“ seit Jahren in jedem Jahrgange einen Beitrag aus Kompert’s Feder, u. z. der Jahrg. III (1856/57): „Reb Eisik’s Brille“; Jahrg. IV (1857/58): „Die Prinzessin“, französisch übersetzt in der „Revue des deux mondes“; Jahrg. V (1858/59): „Julius Arnsteiner’s Beschau“; Jahrg. VI (1859/60): „Korporal Spitz“;Jahrg. VII (1860/61): „Jahrzeit. Eine Geschichte“, französisch übersetzt in der „Revue européenne“; Jahrg. VIII (1861/62): „Das S’chus. Eine Geschichte“; Jahrg. IX (1862/63): „Christian und Lea“, italienisch übersetzt; Jahrg. X (1863/64): „Die Annehmerin“; Jahrg. XI (4864/65): „Die Sängerin“, eine Geschichte; – ferner das von Isidor Busch herausgegebene „Jahrbuch für Israeliten“ die Erzählung „Alt Babele“ und die ausführliche „Biographie des Regierungsrathes von Hönigsberg“. Sonst sind mir von Kompert’s Arbeiten, die ihrer Innigkeit und Sinnigkeit wegen ausgezählt zu werden verdienen, noch bekannt: „Die Seelenfängerin“, im Taschenbuche Libussa; „Ohne Selbstlaut“, im polit. Journale die Ost-Deutsche Post; „Die zwei Schwerter“, in der Neuzeit; „Ich bin ein Edelmann“, in der Novellen-Zeitung. Demnächst aber soll in Berlin ein neues Werk unter dem Titel: „Geschichte einer Gasse“, in zwei Bänden erscheinen. Ueber Kompert’s literarische Charakteristik vergleiche die Quellen.

Libussa. Jahrbuch, herausgegeben von Paul Alois Klar (Prag, Taschenbuchformat), XIX. Jahrg. (1860), S. 349–376: „Biographische Skizze“ von Adolph Neustadt. – Frankl (L. A. Dr.), Sonntagsblätter (Wien, gr. 8°.) Jahrgang 1848, im Literaturblatte Nr. 12: „Literarische Charaktere“ von Ferd. Nürnberger. – Jüdisches Athenäum. Gallerie berühmter Männer jüdischer Abstammung u. s. w. (Grimma und Leipzig 1851, Verlags-Comptoir, br. 8°.) S. 118. – Jahrbuch für Israeliten 58616 (1853–1856), herausgegeben von Joseph Wertheimer (Wien 1855, Knöpflmacher, 8°.) Neue Folge, zweiter Jahrgang, S. 190. – Truska (Heliodor), Oesterreichisches Frühlings-Album (Wien 1854, 4°.) [in einem der wenigen Exemplare, denen kurze Lebensskizzen jener Poeten beigegeben sind, welche zum Album beigesteuert haben. Daselbst ist der 5. statt 15. Mai 1822 als K.’s Geburtsdatum angegeben]. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1863, Nr. 358 [Kompert’s Preßproceß, in den er in Folge einer Denunciation verwickelt worden]. – Wiener Mittheilungen. Zeitschrift für jüdische Interessen. Herausgegeben von Dr. Letteris (Wien, 4°.) 1856, Nr. 9; „Leopold Kompert und die Revue des deux mondes“. – Zur Literatur und Kritik der Schriften Kompert’s. Ueber seine „Böhmischen Juden“: Europa 1850, Nr. 102; – Der Humorist von M. G. Saphir 1850, Nr. 297; – Blätter für literarische Unterhaltung 1851, S. 945; – über „Aus dem Ghetto“: Die Presse 1849, Nr. 107; – Blätter für literar. Unterhaltung 1851, S. 950; – über die „Neuen Geschichten aus dem Ghetto“: Ost-Deutsche Post 1860, Nr. 141; – Wiener Zeitung 1860, Nr. 24 (von Hieronymus Lorm); – Blätter für literar. Unterhaltung 1861, S. 436; – über „Am Pflug“: (Leipziger) Novellen-Zeitung 1855, Nr. 21, S. 335, von Robert Gisecke, – das Literatur-Beiblatt der Wiener politischen Zeitung „Die Donau“ 1855, Nr. 216; – Blätter für literar. Unterhaltung 1855, S. 830. – Der Beurtheiler Kompert’s in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ sagt über ihn: „Kompert hat es sich zur Aufgabe gemacht, die tiefe Poesie, die im orthodoxen Judenthume liegt, die Frucht des gläubigsten Gehorsams und des unterwürfigsten Glaubens, zu veranschaulichen. Aus diesem Gehorsam gegen das Gesetz der Väter entspringt viel Großes und Schönes. Treue des Juden gegen den Juden, tiefste Liebe, heldenmüthige Resignation, aber es sind lauter Blumen, die im Verborgenen blühen; blühen, weil sie müssen, auf Gräbern, unter dem Schutt der Zeiten, zwar überall am Wege, aber nicht geahnt von den Darüberwandelnden. Mit zarter Sorgfalt, damit er keinen Staubfaden beschädige, keinen Kelch knicke, [409] sein Blatt bestäube, räumt Kompert den Schutt der Zeit weg und zeigt der erstaunten und beschämten christlichen Welt: Seht, so wird da geliebt, geglaubt, gebetet und gesegnet, wo ihr meint, das Recht zu haben, hassen und verfolgen zu müssen, weil ihr nur seit Jahrtausenden die rauhe, borstige, stachelige, schmutzige Schale kennen lernen, aber nie begreifen konntet, daß sich darunter das süßeste Fleisch der süßesten Frucht, die Barmherzigkeit und Treue der gläubigen Liebe birgt.“ – Giesecke bemerkt über Kompert anläßlich seiner Beurtheilung des Romans „Der Pflug“: „In Kompert’s Geschichte finden sich nicht bloß Ansichten über Emancipation, es sind auch nicht moderne Kaufmannsfiguren, die zufällig jüdisch sprechen, wie in einzelnen Romanen der [Fanny Lewald|Lewald]], noch abenteuerliche Romantypen, wie sie ja wohl Spindler zuerst für phantastische Bedürfnisse zugerichtet hat; Kompert gibt in seinem Werke (und das gilt von allen Arbeiten dieses gemüthvollen tiefempfindenden Dichters) ein Stück nationalen Lebens, den Versuch des ewig wandernden Juden an der Scholle haftend, wieder eine Heimat zu finden, den Kampf des Racen-Bewußtseyns, das unter dem Drucke entartet, in die ursprünglichen Zustände des alttestamentarischen Patriarchenthums zurückzukehren strebt. Kompert’s Erzählung bietet nicht nur logische Reflexionen dar, sondern individuelles, durch den Verstand nicht zu berechnendes, nur aus der unmittelbaren Auffassung zu begreifendes Leben.“ – Kürnberger schrieb bald nach Kompert’s erstem Auftreten in der Literatur: „Ich möchte Kompert in Ansehung der Art und Eigenthümlichkeit seines Talentes den Koryphäen der Dorfpoesie an die Seite stellen. Weniger Aehnlichkeit hat er mit Rank und dessen mehr subjectiver, sentimentaler und breiterer Schreibart; näher stelle ich ihn zu Auerbach. Mit Auerbach hat er die Schärfe der Beobachtung, den Scharfblick in die menschliche Seele, die strenge objectiv epische Form, die Präcision und Naivetät in der Behandlung gemein. Beiden aber reiht er sich an durch die schlichte Wahrheit und Naturtreue seiner Schilderungen, durch ein glückliches Streben nach echter Schönheit der Kunstform, durch Tendenz und leidenschaftslose Selbstständigkeit in Beherrschung seines Stoffes, mit einem Worte durch jenen hohen Grad künstlerischer Ruhe, die diesen Dichter vor den demokratischen Literaten der zwei nächstvergangenen Decennien (1830–1848) so vorzüglich und zu einer bleibenden Werthbestimmung auszeichnet.“ – Hieronymus Lorm, der seit Jahren die schöngeistige Literatur seiner geistvollen Beurtheilung unterzieht, sagt bei einer Gelegenheit, nachdem er das nationale (jüdische) Element, welches allen Schöpfungen Kompert’s gemeinschaftlich ist, berührt hat: „nicht das nationale Moment könnte den Schriften Kompert’s die Bedeutung geben, die ihnen zugeschrieben wird. In mehreren Auflagen verbreitet, gegenwärtig auch in das Französische übersetzt, sind sie in Kreise gedrungen, werden sie von Gesellschaftsclassen gelesen, die den jüdischen Gebräuchen und Traditionen völlig fremd und daher selbstverständlich ohne Sympathien gegenüber stehen. Die Sympathien, die sich die Bücher trotzdem erworben, sind somit ausschließlich das Verdienst des Poeten. Das Stoffliche begünstigt ihn nicht unmittelbar, nicht durch ein so hohes Interesse des Gegenstandes an sich, daß es dem Dichter die Mühe erleichtern würde, Interesse zu erregen. Das Stoffliche begünstigt ihn nur insoferne, als es der specielle Boden ist, auf dem dieser Antäus einzig und allein dichterische Kraft gewinnen zu können scheint. Was Kompert’s Schriften so viele Anerkennung erworben hat und ferner sichern wird, ist vor Allem die warme tiefe Farbengebung, die allem Genre unerläßliche realistische Darstellung. In der engen Wirklichkeit, die K. umschreibt, ist zum Glück nicht Alles von so äußerlicher Beschaffenheit, daß ein bloßer Copist hinreichen würde, sie wiederzugeben oder schon ein oberflächliches Idealisiren sie poetisch machen konnte. In dieser kleinen Welt ist die „Volksseele“ eine lebendige Wahrheit und es muß schon ein echter Poet durch sein Geschick und durch sein Gemüth veranlaßt worden sein, sich in sie hineinzuleben um sie künstlerisch zu reproduciren. Aus dieser Volksseele stammt der tiefe Familiensinn; der kaustische Witz als die Waffe des Schwachen stammt ohnehin schon aus den historischen Schicksalen. Eigenthümlich ist ihm aber auch die dem Oriente überhaupt innewohnende Lust, die Dinge dieser Welt bis auf die kleinsten Attribute der Alltäglichkeit symbolisch aufzufassen, die Weisheit in ein Gleichniß, die Lebenserfahrung in Märchen zu kleiden. Diese Specialitäten des Nationalcharakters sind sämmtlich in K.’s Geschichten zu Gestalt und Leben gekommen, manchmal durch ein ermüdend hartnäckiges Hin- und Herwenden einer und derselben Idee, manchmal [410] aber auch mit einer Größe der Erfindung, daß der beschränkte Boden, den der Verfasser wählte, ihm unter den Füßen schwindet; daß ein Gedicht auftaucht, welches weit über das Genre hinausreicht, so daß man nur mit Bedauern sehen kann, wie es gewaltsam in das „Ghetto“ zurückgezwungen wird …“. – Auch darf nicht übersehen werden, daß Leopold Kompert einer der wenigen Prosaisten des jungen Oesterreich ist, die zu allgemein deutschem Ruf gelangten und daß gerade die plastische Bestimmtheit, der realistische Reiz seiner Darstellung die Anklagen verstummen machte, die man so oft gegen Ueberschwenglichkeit und Unklarheit der belletristischen Prosa in Oesterreich gerichtet hat. – Welche Würdigung K. im Auslande gefunden, dafür sprechen die ausführlichen Beurtheilungen seiner Werke in der Revue des deux mondes, in welchem Weltjournale sie einer so umständlichen Analyse unterzogen werden, daß kein deutsches Blatt Aehnliches aufzuweisen hat. Die Revue, die seit ihrem Bestehen die Idee der religiösen Gleichberechtigung vertritt – traurig genug, daß etwas, was sich bei Menschen von echter humanistischer Bildung von selbst versteht, erst vertreten werden muß – bemerkt über Kompert und seine Schriften: Was mich in dem sympathetischen Bilde dieses Schriftstellers am meisten frappirt, ist die sanfte Resignation, mit welcher die Juden alle Leiden über sich ergehen lassen. Und die ausführliche Darstellung schließt er mit den Worten: Im sechzehnten Jahrhunderte lebte ein portugiesischer Jude Namens Samuel Usque, der sich, mit seinen Stammgenossen aus Portugal vertrieben, nach Italien zog und in Ferrara niederließ. Hier schrieb er ein Buch unter dem Titel: „Trost in der Trübsal Israels“ und dieses Buch ist in den Jahrbüchern jüdischer Literatur berühmt geblieben. Auch Leopold Kompert hat eine israelitische Trostschrift verfaßt; der Roman „Am Pflug“, sowie die „Ghettogeschichten“ und die „Böhmischen Juden“ verdienen wohl den Titel, welchen Samuel Usque seiner frommen Homilie gegeben. Ja, hier ist noch mehr, es ist eine männliche Ermahnung, eine zarte und strenge Initiative in dem Geist der modernen Gesellschaft. Die enterbten Armen, welche dieses Handbuch der praktischen Moral lesen, werden darin nur hochherzige Inspirationen finden; getröstet und geläutert werden sie trotz all’ dem Mitglieder der freisinnigen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhundert sein.