Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Feuerwaffen der Neuzeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 599–602
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Feuerwaffen der Neuzeit,
namentlich
Miniébüchsen und Lancasterkanonen.

Die Ereignisse in Bomarsund haben der Ungewißheit über die Wirksamkeit mehrerer der neuerfundenen Kriegswerkzeuge ein Ende gemacht und es ist jetzt klar, daß die stärkstgebauten Batterien, selbst wenn sie aus fest mit Klammern verbundenen Granitblöcken bestehen und mit Eisenplatten kasemattirt sind, in Trümmer gehen müssen, wenn eine schwere Metallmasse auf geschickte Weise gegen sie gerichtet wird. Eben so klar ist, daß ein mit der Miniébüchse bewaffnetes Infanteriepeloton selbst bei Belagerungsoperationen eine höchst wirksame Hülfe leisten kann und daß die Spitzkugel würdig ist, der Vollkugel und Bombe der weittragenden Kanone und des Mörsers an die Seite gestellt zu werden. Es sind in der letzten Zeit so viele Verbesserungen mit diesen Feuerwaffen vorgenommen worden, daß eine kurze Beschreibung der neuesten für unsere Leser nicht ohne Interesse sein wird.

Schon im Jahre 1827 lenkte Delavigne, Offizier bei der Garde du Corps Karl’s X., die Aufmerksamkeit des Königs auf mehrere Verbesserungen an der Büchse, wobei sein Hauptzweck vermehrte Leichtigkeit des Ladens war. Er war der Erste, welcher den Kammerstoß vorschlug, der jetzt seinen Namen trägt. Dieser Stoß war in der Kammer, welche das Pulver enthält, nach Art dessen in einem Mörser gebildet und die Kugel rollte frei in den Lauf hinein, bis sie auf den Vorspringen oder Schultern dieser Kammer liegen blieb, wo sie dann mit dem Ladestock einige kräftige Stöße erhielt, um sich ein wenig in die Breite zu drücken. Anstatt dies aber zu thun, nahm die Kugel meistentheils dadurch eine unregelmäßige Gestalt an, welche ihren Flug wesentlich beeinträchtigte. Um diesem Mangel abzuhelfen, erfand Delavigne eine längliche Kugel mit Furchen oder Einschnitten, welche den Zweck hatten, die Reibungsfläche oder Friction zu vermindern. Kurz darauf bemerkte Tamassier, daß solche gefurchte oder mit Einschnitten versehene Kugeln weit richtiger gingen als glatte und schloß daraus, daß die Atmosphäre auf sie eben so wirke, wie auf die Federn eines Pfeils. Deswegen begann man überall sie einzuführen. Bald nachher verbesserte Oberst Thouvenin die von Delavigne erfundene Stoßkammer dadurch, daß er einen stählernen Dorn in den Stoß der gewöhnlichen Muskete einschraubte, auf welchen die Kugel zu sitzen kam, während das Pulver vollauf Raum zur Explosion hatte. Diese einfache Vorrichtung, welche als eine große Verbesserung der Idee Delavigne’s betrachtet ward, ist diejenige, welche noch jetzt an den Büchsen der Jäger von Vincennes angebracht ist.

Die Miniékugel, nach welcher die Miniébüchsen benannt sind, ward von dem Capitain Minié, einem Offizier der französischen Armee, erfunden, und war die erste, die unten mit einem [602] hohlen Kegel und einem eisernen in die Höhlung passenden Einsatz versehen war. Die Kugel läuft ohne Zwang in den Lauf hinein und ruht auf dem Pulver; wenn das letztere explodirt, so wird der eiserne Einsatz in die Höhlung hineingetrieben und die dadurch ausgedehnte Kugel füllt die Furchen oder Züge des Laufes, ehe sie vollends hinausgestoßen wird.

Es sind jedoch im Laufe der Zeit mit der Miniékugel so wie auch mit der Büchse, die diesen Namen trägt, verschiedene Verbesserungen vorgenommen worden. Die letzte, auf welche wir uns hier beschränken werden, ist die jetzt bei der englischen Armee eingeführte und die sich sowohl in Bezug auf die Form der Kugel, als auf die Züge des Laufes von der ersten Erfindung unterscheidet. Wir schicken hierbei die Bemerkung voraus, daß die Züge des Büchsenlaufes auch die Wirkung haben, daß der Kugel dadurch eine rollende oder drehende Bewegung mitgetheilt wird. Diese Züge gehen von einem Ende des Laufs bis zum andern und zwar in spiralförmiger Richtung. Da die Kugel von weicherem Metall ist, als der Lauf, so nimmt sie, wenn sie durch das Pulver fortgetrieben wird, die Richtung der Züge und erlangt dadurch zugleich eine drehende Bewegung auf einer der Spirallinie des Laufes entsprechenden Axe. Aus mehreren Beobachtungen hat sich ergeben, daß die Schnelligkeit der Kugel, wenn sie den Lauf verläßt, auf zweitausend Fuß in der Secunde zu schätzen ist, während sie in demselben Zeitraum zugleich ungefähr achthundert Umdrehungen macht.

Die Kugel der gewöhnlichen Muskete durchschneidet ihre Bahn in ziemlich horizontaler Linie und wenn man damit auf einen, wir wollen sagen, hundert und zwanzig Schritt entfernten Gegenstand zielt, so muß sie einen solchen von gleicher Größe treffen, welcher sich ihr auf diesem Wege entgegenstellt.

Die Kugel der Miniébüchse dagegen macht einen so bedeutenden Bogen, daß sie, wenn man gerade auf die Brust eines vierhundert Schritt entfernt stehenden Mannes zielt, beinahe zwei und ein halb Fuß über den Kopf eines andern in derselben Linie stehenden hundert Schritt von dem Schützen entfernten Mannes hinwegfliegt. Die Miniékugeln werden nicht gegossen, sondern gepreßt und zwar mit Hülfe einer sinnreich construirten Maschine, welche jetzt Tag und Nacht arbeitet und in kurzer Zeit eine ungeheure Menge solcher Kugeln liefern kann.

Die Lancaster-Kanone.

A. Horizontaler Längendurchschnitt. B. Vertikaler Längendurchschnitt. C. Querdurchschnitt der Kammer. D. Querdurchschnitt der Wendung. E. Kegelförmige Hohl- oder Vollkugel.

Der durch die Miniébüchse erreichte Hauptzweck ist offenbar große Tragweite, diese reicht aber nicht aus, um die Bedingungen zu erfüllen, welche man an eine gute Schußwaffe stellt, denn Sicherheit des Schusses ist eben so wichtig. Um diese Eigenschaft sicher herbeizuführen, müssen zunächst die Kräfte untersucht werden, welche die Kugel von dem ihr angewiesenen Wege abziehen. Denken wir uns eine Linie A D als den Lauf einer Büchse und A C als die Fortsetzung der Axe des Laufes oder die Linie, in welcher die Kugel sich bewegen würde, wenn blos die treibende Kraft des Pulvers darauf einwirkte. Flüchtige Beobachtung aber lehrt schon, daß sie sich in dieser Linie nicht bewegt, sondern eine Kurve (krumme Linie) unter derselben beschreibt. Früher glaubte man allgemein, die Kugel beschriebe eine richtige parabolische Kurve und die Atmosphäre setze ihrem Fluge nur wenig Widerstand entgegen; jetzt aber ist bewiesen, daß der Widerstand der Atmosphäre gegen Körper, die sich mit großer Geschwindigkeit bewegen, bedeutend ist, wornach sich jene Theorie als unhaltbar erweist. Während des Fluges der Kugel ist ihre Schwerkraft fortwährend thätig und zieht sie von der gedachten Linie A C abwärts und da die Wirkung der Schwerkraft auf einen Körper, derselbe möge nun senkrecht fallen oder in horizontaler Richtung aus einem Geschütz geschleudert werden, in einem gegebenen Zeitraume dieselbe ist, so kann man ihre Wirkung leicht bemessen. Ein Körper, den man senkrecht fallen läßt und der in der ersten Secunde sechzehn Fuß fällt, fällt in der zweiten vierundsechzig Fuß, in der dritten hundertvierundvierzig und so fort nach dem Verhältniß von 1, 4, 9 etc. Darnach läßt sich auch die beschriebene Kurve bemessen. Die Schwerkraft ist hier als einfache Kraft betrachtet, welche die Kugel von ihrem natürlichen Wege abzieht und da ihre Thätigkeit sowohl in Bezug auf Richtung als Quantität eine beständige ist, so läßt sie sich auch leicht berechnen und dadurch, daß man über den zu treffenden Gegenstand hinauszielt, ausgleichen.

Diese Theorie ist es, auf welcher die ganze Kunst des Schießens in der Hauptsache beruht und die auf Kriegsgeschosse angewendete Wissenschaft wird nach den Prinzipien bestimmt, welche sie der Praxis nach in sich schließt. Die französischen Chasseurs lieferten einen schlagenden Beweis von der Wahrheit der Theorie durch ihr Feuer bei der Belagerung von Bomarsund und haben die Büchse zu der vernichtendsten unter den kleinen Kriegswaffen gemacht.

Die elliptische Lancaster-Kanone, von welcher wir hier eine Abbildung beifügen, verspricht diese Theorie auf noch wirksamere Weise zu entwickeln und bildet gegenwärtig die gigantischste Anwendung des Schußwaffenprinzips.

Die Haupteigenthümlichkeit dieser Kanone besteht darin, daß die innere Fläche des Rohres glatt ist, anstatt wie bei allen gezogenen Läufen mit Einschnitten versehen zu sein. Statt dieser Einschnitte oder Züge hat man dem innern Raume des Rohrs die Form einer Ellipse gegeben, deren größere Axe die kleinere um einen halben Zoll übertrifft, indem die eine acht Zoll und die andere acht und einen halben Zoll mißt. Die Ellipse hat eine Drehung von ungefähr 1/2 auf die ganze Länge des Rohrs. Unsere Abbildung zeigt die genaue Form der Ellipse; der lange Durchmesser liegt bei Fig. A an der Kammer horizontal und an der Mündung senkrecht; bei Fig. B ist der Fall umgekehrt. Die Querdurchschnitte C und D zeigen dieselben Formen, während E die Gestalt der Kugel veranschaulicht, die zuweilen voll und zuweilen hohl ist und in beiden Fällen aus gegossenem Eisen besteht. Eins dieser gigantischen Geschütze, welches gegenwärtig bei der Belagerung von Sebastopol mit thätig ist, schleudert eine Kugel von fündundneunzig Pfund über zehntausend Fuß weit und legt auf siebentausend Fuß noch Bresche.