Die Abbassiden − 6. Gesang
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Sechster Gesang.
Auf der Magierstadt indessen schwebte
Manch Verhängniß, einem Sturm vergleichbar.
Schehriar ergrimmte gegen Assads
Holde Gattin. Lebenslanger Kerker
Außerhalb der Stadt besaß ein altes,
Festes Schloß er zwischen rauhen Bergen:
Himmelhohe Mauerthürme schützten
Im Geviert es, und es wand ein Strom sich
Kahle Hügel ragten menschenfeindlich,
Nie bebaut umher, und lehmige Schluchten,
Ausgehöhlt von wilden Regengüssen,
Fielen jählings ab und wellenförmig
Dunkle Schattendächer bloß verhüllten
Dort und hier die totenstille Wildniß.
Dieses Schloß zum Aufenthalt bestimmte
Schehriar der schönen Diwisade:
Beigesellt, und wenige Frau’n umgaben
Dort der Fürstin frühbegrabene Jugend.
Auf den Zinnen stand sie oft und blickte
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Ueber’s öde Gefild und bis zur Salzflut:
Sohn des Harun Alraschid in Bagdad,
Sprich, wo weilst du? Zeigt ein liebender Traum dir
Meinen Kerker nicht, und ziehst du niemals
Mit dem Jagdspieß dieses Thal hinunter?
Schlanke Form war wie des Walds Cypresse;
Stolz und Liebe mischten sich in deines
Auges Blick, und diese schöne Mischung
Ueberwand das Herz und hob die Seele,
Schließt die Magierstadt in ihre Mauern
Meinen Gatten? Oder wiegt das Meer dich
Unbekannt in unbekannte Buchten?
Also klagt die Tochter Abdorrachman’s.
Für des Neumonds nächstes Jubelfest vor:
Ausgerüstet wird ein großes Fahrzeug,
Welches Behram selbst befehligen sollte,
Um das Opfer nach dem Feuereiland
Ward befreit der jüngste Sohn des Harun.
Schwebenden Schritts, die Hände vor den Augen,
Durch das Licht geblendet, wandelt Assur:
Seine kerkermüde Seele strebte
Lebensmut verließ den holden Jüngling.
Schweigend stieg er auf’s Verdeck des Fahrzeugs,
Kaum die Stadt und kaum das Meer betrachtend;
Aber Behram ließ die Anker lichten.
Blies der Wind jedoch gewaltsam westwärts,
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Und zu Behram sprach der kluge Meister,
Der das Steuer lenkte: Sohn des Königs!
Allzuwidrig ist der Gegenwind uns;
Besser scheint’s in einem sichern Haven
Uns zu bergen. Nahe liegt die schöne
Palmenstadt der Königin Selmira:
Dort erwarten laß die günstige Luft uns.
Jeden sonstigen Ort beträt’ ich lieber,
Als die Palmenstadt; denn allzufeind ist
Jene Königin dem Magierglauben.
Wenn den Haven auch sie nicht verschließt uns,
Quälen uns und, wie sie kann, bedrücken!
Doch das Leben lieb’ ich mehr, als eines
Weibes Grimm ich fürchte; laß dem Wind uns
Folgen, Freund, und steure klug das Fahrzeug!
Bald empor des Strandes Vorgebirge.
Wie ein zugespitzter Keil, in’s Meer sich
Streckend, lag die Stadt, und tausend Palmen
Ragten mächtig über stolze Bauten
Abgeplattet, und von einem schritt man
Leicht zum andern; denn zu Straßen dienten
Diesem Volk die Dächer. Alle waren
Durch Orangenlauben vor der Sonne,
Wohl geschützt. Das Schiff indessen wand sich
Zwischen kleinem, ringsverstreuten Inseln,
Die zum Sommeraufenthalt dem reichen
Bürger dienten, durch und fuhr der Stadt zu.
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Dann, mit Ruderhülfe, ward das Steuer
Nach dem Strand, der Kiel in’s Meer gewendet,
Emsiglich. Die Königin Selmira,
Kaum vernehmend, daß ein Magierfahrzeug
Eine Schaar Trabanten aus, die Mannschaft
Alsogleich vor ihren Thron zu führen.
Unter einem Säulendach von schlanken
Marmorschäften, die dem Stamm des Palmbaums
Baldachin der Königin Selmira.
Blendendschön, im vollsten Glanz der Jugend,
Saß die Fürstin. Reigerbüsche wehten
Hoch vom Turban ihr, Rubine blitzten
Als sie Behram mit den Seinigen wahrnahm,
Ward verdüstert ihre Stirn; da fiel ihr
Blick zuvörderst auf den Abbassiden,
Und ein ungewohnter Schauer schlich sich
Seines Auges melancholische Tiefe,
Seine Jugend, sein getrübtes Aussehn
Schmolz der Königin bewegten Busen.
Ueberrascht vergaß sie eine Zeitlang
Gegen Behram hingewendet also:
Was begehrt ihr, schnöde Götzendiener,
Hier im Vaterland des wahren Glaubens?
Welch Geschäft trieb euch an meine Küsten?
Die den Auswurf aller Völker auswarf?
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Steuert ihr zur Feuerinsel etwa,
Eurem lästerlichen Brauch zu fröhnen,
Um den Holzstoß euren falschen Göttern
Ja, des Menschenopfers blutige Gräuel,
Die der Herr und sein Prophet verabscheut,
Gotteslästerlich entmenscht zu feiern?
Aber Allah − Hier begegnete wieder
Und im Weibe ging die Herrin unter.
Ihr versetzte drauf der listige Behram:
Hohe Königin! Von deiner Weisheit
Ist die Erde voll, und nicht allein hier,
Magierland gepriesen deine Milde!
Kurze Freistatt nur für wenige Stunden
Oder wenige Tage sei vergönnt uns
Hier im Haven, den des Windes Ungunst
Nicht zum Opfer eilen wir; ein Kaufmann
Bin ich selbst, und Diese sind Matrosen:
Einzutauschen Spezerei’n in Indien
Fuhr ich aus. Was unsere Waarenfässer
Dir gewidmet; aber laß die Heimat
Wiedersehn uns, Aeltern und Geschwister,
Weib und Söhne wiedergrüßen laß uns!
Wie den starren Reif der heiße Südwind
Strömen läßt von überfrornen Dächern:
Alsoleicht bezwang der Fürstin Busen
Menschlichkeit, und mit der Hand dem Behram
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Winkend, schon entläßt sie ihn. Da kehrte,
Thränenvolles Auge noch einmal sich
Nach der schönen Königin Selmira.
Tief erschüttert saß die stolze Fürstin,
Und dem Mitleid mußte zugestehn sie,
Gegen Scham in ihrem Herzen kämpfte
Mitgefühl; sie rief den eiligen Behram
Noch einmal zurück und sprach die Worte:
Zeuch in Frieden sammt den Deinen! Wähne
Güter dich berauben; doch verkünde
Noch das Eine! Jener sanfte Jüngling,
Der so schwermutsvoll den Blick hinabsenkt,
Dessen Gang und Tracht und edle Haltung
Wer es ist, verkünde mir und gehe!
Ihr versetzte drauf der listige Behram:
Deine Huld, o Königin, ergießt sich
Gnadespendend über Alles! Dieser
Meines Oheims jüngstes Söhnchen ist er,
Dient als Schreiber uns im Schiff. Geschieden
Aus dem Arm der hochbesorgten Mutter,
Peinigt Heimweh sein Gemüt, in diesem
Aber länger hält sich nicht der Jüngling;
Mächtig tritt er aus dem Kreis des schnöden
Schiffervolks, die Schüchternheit bezwingend.
Würdigen Schritts und königlicher Miene
Beugt ein Knie er voll bescheidener Anmut.
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Edle Herrscherin! das Netz der Lüge,
So beginnt er, spinnt um deines Auges
Ewige Klarheit ihre falschen Schleier!
Lockten einst in dieses Volks Gewalt mich;
Als ein Opfer ward ich auserlesen,
Das sie jährlich nach dem Feuereiland,
Ihrem Götzendienst zu fröhnen, schleppen.
Mich des Glaubens aller Mosleminen:
Assur ist mein Name, meines Vaters
Name Harun Alraschid, Beherrscher
Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!
Und der silberstoffene Mantel rauschte
Hinter ihr. Dem knieenden Sohn des Harun
Reicht sie dar die lilienweise Rechte:
Stehet auf, erlauchter Fürst, begann sie,
Eure Sklavin hier zu knien im Staube!
Gegen Behram aber hingewendet,
Fuhr sie fort: Verdank’ es meiner Milde,
Wenn ich nicht dein eigen Haubt und deiner
Augenblicks auf meines Schlosses Zinne
Heften lasse! Fleuch, und nie betrete
Mehr die Palmenstadt! Der Tod bezahle
Für des Windes Laune, wenn sie jemals
Meine Langmut gönnt die heutige Nacht dir,
Doch, sobald der Morgenstern im Osten
Flimmert, ehe dein verhaßtes Fahrzeug
Meinen Strand verlassen, wehe, dreimal
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So die Königin. Es neigte Behram
Mit den Seinen sich und schlich von dannen.
Assur aber nahm das Wort und sagte:
Nimm das Leben, das du selbst gerettet,
Deinem Dienste widm’ ich jede Stunde
Dieses Daseins. Ihm versetzt Selmira:
Sohn des Harun, der der Sohn Mohadi’s:
Wenig thät’ ich, wenn das Leben bloß ich
Aller Sklaven hätt’ ich gegen Willkür,
Wo Gerechtigkeit es heischt, vertheidigt.
Nicht ja Schutz allein verleiht den Bürgern
Einer Stadt die hochgethürmte Mauer,
Nimm das Dasein; aber nimm zugleich auch
Was es Liebliches uns gewährt, und Alles,
Was du siehst, als Eigenthum betracht’ es!
Meine Länder, dieses Schloß und diese
Nenne dein und deines großen Vaters,
Welcher Bagdad als Kalif und alle
Welt befehligt, Eigenthum! Vergönne
Mir indessen, daß auf kurze Zeit ich
Brust zu sammeln, und zugleich mit meinen
Frau’n und Sklaven dir ein Fest zu ordnen,
Würdig eines Abbassiden! − Also
Spricht Selmira, dann entfernt sie schnell sich
Innere Glut verbergend. Assur sieht ihr
Lange nach, und aus dem Schlund der Hölle
Glaubt er plötzlich sich versetzt nach Eden.
Also mag sich ein Verdammter fühlen,
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Sieht geschliffen; aber plötzlich hört er
Gnade schrei’n, und ihn begrüßt das frohe
Tausendstimmige Lebehoch des Volkes.
Um der Seele vollen Drang zu stillen,
Allen Lüften seine Lust und Liebe,
Eilt hinunter nach den Gärten Assur,
Die vom Meer bespült und weit verbreitet
Rings der Königin Pallast umgaben.
Ocean, um schlafend, wie es alter
Völker Glaube war, in goldnem Kahne,
Längs der Erde morgenwärts zu schiffen.
Assurs Auge trank der letzten Stralen
Grüne Wände, durch der Myrtenbüsche
Wohlgeruch beflügelt seinen Gang er,
Rosen pflückend für den schönsten Busen,
Und dem jungen Abendstern die eigne
Als die Nähe seines Bruders Assad.
Immer aber wandte sein Gedanke
Nach der schönen Königin Selmira,
Wie die Blume nach dem Licht zurück sich.
Und gelangt an einen prächtigen Springquell,
Der mit silberklaren Fluten über
Blanke Marmorstaffeln niedertanzte:
Unten theilend sich in Doppelarme,
Hingeführt er, welche, ganz bekleidet
Mit Jasmin, nur duftige Hecken schienen;
Schritt vor Schritt auf jener Mauer standen
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Lange Reihn von schöngehenkelten Urnen,
Rein empor, wie eine schlanke Lilje.
Allzulieblich schien die Stelle, sanftes
Murmeln scholl umher und Nachtigallen
Tauschten Wehmut. Auf den Wiesenteppich,
Zwischen Müdigkeit und innerer Sehnsucht,
Halb in ruhigen, halb in ruhelosen
Traum geschaukelt. Und zuletzt entschläft er.
Unterdessen stand der finstre Behram
Samt dem Lauf der Sterne, wohl beachtend.
Endlich, als des Abendrotes letzte
Streifen unter’m Horizont verborgen
Lagen, hob sich sanft ein günstiger Fahrwind.
Seine Schaar des Schehriars Erzeugter,
Und er sendet einen Theil der Mannschaft,
Einzuschöpfen süßes Wasser eilig,
Um das Ankertau sodann zu lösen,
Hinter sich zu lassen, jenes Machtworts
Eingedenk der Königin Selmira.
Mit Gefäßen auf der Schulter wandeln
Jene Wasserträger fort. Doch scheu’n sie,
Stand und reichlich aus dem Mund der Sphinxe
Fluten warf in schöngehauene Tröge;
Aber jene scheu’n den Hohn der Bürger,
Und vermeiden drum die Stadt, sie wandeln
Angelehnt ein kleines Seitenpförtchen,
Das zum Park der Königin sie führte,
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Nach dem Strande ging die Thüre, deren
Oft bediente sich die schöne Fürstin,
Kühlere Luft zu schöpfen, eine Seefahrt
Auf bemalter Gondel wagte. Dieses
Offene Pförtchen fand die Schaar des Behram.
In den Garten tretend, hören fern sie
Bald sie nach dem Brunnen, wo entschlummert
Assur lag. Sie trauen kaum den eignen
Augen; Einer zeigt dem Andern flüsternd
Diesen Fund, der Kühnste giebt den Anschlag.
Weg, und laden auf die starken Schultern
Ihn, den lang sich sträubenden Sohn des Harun,
Mit den Schärpen ihm den Mund verbindend.
Triumphirend durch das Pförtchen eilen,
Nach dem Ufer; schleunig folgen ihnen
Ihre Freunde mit gefüllten Krügen.
Tiefer sinkt die Nacht, am Borde stehn sie.
Einer löst das Seil, die Andern schreiten
Leichten Gangs. Der überraschte Behram
Sieht sich unverhofft am Ziel der Wünsche,
Und empfängt aus ihrer Hand ein Opfer,
Dem er knirschend schon entsagt. Es eilen
Wird das Schiff gedreht, und durch der Sterne
Widerschein, der aus den Wogen glänzte,
Gräbt der schneidende Kiel beschäumte Furchen.