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Autor: August Graf von Platen
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Titel: Die Abbassiden − 5. Gesang
Untertitel:
aus: Gesammelte Werke des Grafen August von Platen, Band 4 von 5
Herausgeber: Einführung von Karl Goedeke
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828−1830
Erscheinungsdatum: 1847
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erläuterungen siehe Die Abbassiden
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[267]

 Fünfter Gesang.


Außerhalb der Stadt und längs der schönen
Gärten Bagdads, trabten jene Beiden,
Prinz Amin und ihm zur Seite Mesrur.
Endlich nahm das Wort der Sohn des Harun:

5
Länger nicht verhehle mir, Vertrauter

Meines Vaters, wie so schnell Alasnam
Sich zum Weib die Abbassidentochter,
Meine Schwester sich zum Weib erworben?

Ihm versetzte drauf der greise Mesrur:

10
Huldigung dem Oberherrn des Glaubens

Und Geschenke bringend, kam von Cairo
Prinz Alasnam. Galt’s ein Roß zu tummeln,
Galt’s ein Lied zu dichten für die Laute,
Galt’s des Gliederbau’s harmonische Fülle

15
Schlank und leicht zu drehn in Reigentänzen,

Kam dem Fremdling Keiner gleich, er glänzte
Wie ein thauiger Morgenstern der Jugend.

Eines Abends, als der Fürst des Glaubens,
Um die Schwermut über seiner Söhne

20
Flucht zu mildern, durch die Straßen Bagdads

Mit dem Großwesir verkleidet schweifte,
Ließen ermüdet unter eines Hauses
Hohem Altan, der von Palmen reichlich
Ueberschattet war, sich Beide nieder.

25
Da vernahmen vom Balkon herunter

Zweier Männerstimmen leis Gespräch sie.
Einer sagte: Höre mich, Alasnam,
Meinem Rat gehorche, fleuch von Bagdad!
Im Gewühl der sittenlosen Haubtstadt

30
Suchst du stets umsonst das stets Gesuchte,

[268]

Immer trübt sich dein metallener Spiegel,
Welcher nie ein weiblich Bild zurückwarf.
Unvernehmlich blieb des Prinzen Antwort,
Welcher seufzend bald verließ den Altan;

35
Aber Harun ward von Neubegierde

Diese ganze Nacht hindurch gepeinigt.
Als zu grau’n begann der nächste Morgen,
Läßt entbieten er in’s Serai den Prinzen,
Offenbart ihm, was des Nachts erlauscht er,

40
Fordernd Auskunft, um Erklärung bittend,

Jener rätselhaften Worte wegen.

Voll Bestürzung sah der Prinz zur Erde,
Dann sich fassend, fing er an: Beherrscher
Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!

45
Manches Kleinod hinterließ Abdalla,

Mein Erzeuger, mir im alten Cairo:
Unter diesen einen Zauberspiegel,
Dessen wunderbar’n Gebrauch er sterbend
Lehrte mich, wofern ich eine Gattin

50
Wollte wählen aus des Landes Mädchen.

Nur die Unschuld kann in jenem Spiegel
Schau’n sich selbst; nur einer reinen Jungfrau,
Deren Inneres nie geheimer Vorwitz
Nach verbotener Lüsternheit bewegte,

55
Wird das eigene Bild entgegentreten

Aus der Fläche meines goldenen Spiegels:
Jede trübere Seele trübt sogleich ihn,
Und er zeigt ihr, statt bestimmter Formen,
Bloß gestaltlos einen feuchten Anhauch.

60
Laß, Kalif, mich dir’s gestehn! So mancher

Jungen Schönheit, sei es hier in Bagdad,
Sei’s in Cairo, hielt ich vor den Spiegel:
Jedem Eindruck unempfänglich aber
Blieb verschleiert sein geschliffnes Eirund.

[269]

65
So beschloß der Prinz. In langes Schweigen

Blieb versunken dein erlauchter Vater,
Endlich sprach er dieses Wort: Alasnam,
Sohn Abdalla’s, der geherrscht in Cairo!
Willst du mir auf weniger Tage Frist nur

70
Anvertrauen deinen Zauberspiegel?


Diesen knieend überreicht Alasnam
Deinem Vater. Der entließ den Prinzen,
Und zum Fraungemache, halb mit schnellen,
Halb mit bangen Schritten, eilte Harun,

75
Seine Tochter suchend. Diese trifft er

Auf dem Lager noch in süßem Schlummer.
Leis’ und nicht aus ihrem Schlaf sie weckend,
Hält den Spiegel er ihr mit Zuversicht zwar
Vor’s Gesicht; doch bebten seine Hände.

80
Sieh, und leuchtend warf die goldene Fläche

Stirne, Wang’ und Mund und alle Züge
Jenes seelenvollen Angesichtes,
Das du kennst, zurück in höchster Klarheit.
Thränen stürzten aus den Augen Haruns;

85
Lange noch sein theures Kind betrachtend,

Schlich er fort, und väterliche Rührung
Schien im Kampf mit seiner Vaterfreude.

Wenige Tage drauf entbot den Prinzen
Abermals zu sich der Fürst des Glaubens.

90
Wiedergebend ihm den Spiegel, sprach er:

Sohn Abdalla’s, der geherrscht in Cairo!
Eine jahrelang erprobte Freundschaft
Knüpfte mich an deinen Vater, der mir
Nicht Vasall war, wie so Viele, der mir

95
Kampfgefährte war und Zeltgenosse,

Der die Schlüssel meines Herzens führte.
Untergebne schmeicheln unserm Ehrgeiz,

[270]

Unserer Sinnlichkeit geliebte Weiber;
Doch der schönste Ruheplatz der Seele,

100
Außer Gott, ist eines Freundes Busen.

Aber nicht bloß deines Vaters wegen
Schenkt’ ich meine Gnade dir, Alasnam;
Nein − um deiner selbst, von deines Körpers
Ebenmaß, von deiner Sitten Zauber,

105
Deiner Kunst zu reden hingerissen;

Doch es stellt dich höher noch die Sehnsucht,
Nur das seelenreinste Weib als Gattin
Heimzuführen. Deinen Wunsch gewähr’ ich;
Denn ich kann’s. Ich habe deinen Spiegel

110
Wohl geprüft; er warf ein Bild zurück mir,

Meines großen Reiches größtes Kleinod;
Doch ich schenk’ es dir, o Sohn Abdalla’s!

Dieses redete dein erlauchter Vater.
Was geschehn, errätst du; nur Alasnam

115
Schien so froh mir nicht zu sein, so dankbar

Als ein solch Geschenk verdient von einem
Solchen Geber. So der greise Mesrur.

Aber kaum beschloß er seine Rede,
Als Amin gen Himmel blickt und plötzlich

120
Durch die Lüfte hin den Flügelrappen

Schweben sieht, und allzudeutlich glaubt er
Wahrzunehmen seine Heliodora,
Sammt dem Zauberer, der das Pferd gebildet.
Pfeilgeschwind und kaum dem greisen Mesrur

125
Lebewohl zurufend, jagt er über

Berg und Thalschlucht, über Feld und Haide
Hinter jenem Meteor von dannen.
Nur zu bald verschwand der flüchtige Rappe
Seinem Blick; doch eher nicht beschließt er

130
Umzukehren, bis er Heliodorens

[271]

Spur gefunden und die Spur des Räubers,
Sollt’ er jagen bis zum fernsten Indien.

Schreckensbleich und diese Flucht für Wahnsinn
Haltend, bleibt zurück der greise Mesrur,

135
Zweifelnd, soll er eine solche Heimkehr

Seinem Herrn verhehlen oder melden.
Bald im Zug erschien der edle Harun
Als Kalif mit allen Würdezeichen,
Ihm zunächst sein Großwesir, es ritten

140
Hinter ihm Begleiter und Trabanten.


Staunend hört er aus dem Mund des Dieners
Seines Sohns Geschick und schwebet unstät
Zwischen Furcht und Hoffnung. Soll er freu’n sich,
Daß Amin sich eingefunden, soll er,

145
Daß er wiederum verschwand, beklagen?

Aber Mesrur tröstet ihn und läßt ihn
Stund’ um Stunde, Tag um Tag den theuren
Sohn erwarten; doch er harrt vergebens.
Als der zehnte Tag herangekommen,

150
Bringt des Mohren pergamentne Tafel

Ihm der Fischer, die der Fürst des Glaubens
Oeffnet, liest, und diese Worte findet:

Harun Alraschid, Kalif in Bagdad!
Einer, den in ungerechter Haft du

155
Lange hieltest, sagt ein Lebewohl dir!

Wie den Stolz ich deines Sohns bestrafte,
Mag er selbst verkünden; meine Rache
Gegen dich war Schweigen erst, und jetzo
Seien’s Worte. Als es dich zu warnen

160
Zeit gewesen, warnt’ ich nicht, ich warn

Jetzt, da fruchtlos wurde jede Warnung.
Wisse, daß ich einst im Land Egypten

[272]

Deinen Eidam wohlgekannt, an seinem
Hof als Gastfreund manchen Tag verlebte.

165
Höre nun, Kalif, die lautere Wahrheit,

Wem du deine Tochter gabst, vernimm es!
Manches Kleinod hinterließ Abdalla,
Sein Erzeuger, ihm in der Todesstunde:
Sohn Alasnam, sprach der Greis, ich gebe

170
Dir die Schlüssel meines Schatzes, nutz’ ihn

Dir zum Trost und Andern; doch bezähme
Deines flüchtigen Sinns Verschwenderlaune!
Aber sollte dir ein böser Zufall
Mangel je bereiten, höre, wie du

175
Dich befrei’n kannst aus dem Netz des Uebels!

Wo der siebenarmige Nil sich mündet,
Tritt ein Eiland aus dem Schooß der Welle,
Das dem Volke heißt die Geisterinsel.
Dort, in einer Höhle haust ein Derwisch,

180
Hundertjährig, ausgeschmückt mit jeder

Wissenschaft, in jeder Kunst erfahren,
Den ich ehmals meinen Lehrer nannte.
Diesen suche, diesem Greis vertraue
Deine Not an und erwarte Hülfe.

185
Also sprach und dann verschied Abdalla;

Doch Alasnam, der sich unbeschränkter
Herrscher sah, ließ seiner Leidenschaften
Zügel schießen, jedem Pomp und Aufwand
Zugethan. Palläste ließ er thürmen,

190
Brücken schlagen und Moscheen vergolden;

Wo er ging, umgab ein namenloses
Heer von Dienern ihn, Eunuchen ritten
Auf arabischen Rossen, schöne Weiber
Zogen hinter ihm in Purpursänften.

195
Wie ein Sämann Körner streut, verstreute

Seine Hand den Dürftigen Gold und Silber.

[273]

Gegen Freunde kannt’ er keine Gränzen:
Was dem Einen wohlgefiel, dem Andern
Wünschenswert schien, Alles gab Alasnam!

200
Kam ein Spielmann, kam ein fremder Dichter,

Sein Serai besuchend, wog er ihnen
Jedes Wort mit Perlen auf, und jeden
Weichen Flötenton mit Edelsteinen:
So versiechte bald der Schatz Abdalla’s.

205
Bald, den Nil auf einer Gondel abwärts

Zog der Prinz, nach jenem alten Derwisch,
Nach der stillen Geisterinsel fragend.
Mild empfing der edle Greis den Jüngling.
Dieser klagt ihm sein Geschick, der Derwisch,

210
Bei der Hand ihn fassend, gab zur Antwort:

Sohn Abdalla’s, der geherrscht in Cairo!
Nicht ich selbst besitze Gold und Güter:
Alles, was ich widmen kann den Erben,
Ist ein Krug, ein Alcoran und diese

215
Betkorallen. Thätig unter Menschen

Lebt’ ich ehmals; aber mein Gedanke
Wuchs in mir von Jahr zu Jahr, bis endlich
Dieser Schatz mir ganz allein genügte.
Aber dennoch hoff’ ich, Prinz Alasnam,

220
Dich zu retten. Meine Wissenschaft hat

Mit dämonischen Wesen eng verknüpft mich,
Welche tief im Erdengrund des Reichthums
Wächter sind. Du siehst die Pyramide,
Welche dort sich aus dem Sand emporhebt:

225
Wenigen Menschen ward’s vergönnt, in ihren

Schlund hinabzusteigen, der des hohen
Geisterköniges unterirdischer Sitz ist.
Ihn erblickt kein sterblich Auge, seine
Stimme tönt jedoch dem weisen Forscher.

230
Deinethalb befragt’ ich ihn, das Leben,

Das du führtest, blieb mir kein Geheimniß.

[274]

Dein Besuch, noch ehe du mein gedachtest,
Schwebte mir im Geiste vor, und ehe
Her du kamst, um Hülfe heischend, half ich.

235
Diesen Schlüssel nimm, o Sohn Abdalla’s,

Denn er öffnet jene Pyramide.
Steig hinab, und wenn in einem großen
Saal du anlangst, dessen gläserne Wände
Tausendfach dein eigenes Selbst verdoppeln,

240
Wirst du finden sechs metallne Bilder

Aus massivem Gold, Juwelenkronen
Auf dem Haubt und diamantene Zepter
Jede haltend. Diese magst du laden
Auf ein Schiff und gegen Cairo führen;

245
Denn sie sind dein Eigenthum, und willig

Ueberläßt sie dir der Geisterkönig.
Aber höre, was er mild hinzufügt!
Noch ein siebentes Bild besitzt in seinem
Schatzgewölb’ er, ein unschätzbar Kleinod,

250
Das allein, wiewohl ein einziges, höhern,

Millionenmale höhern Werts ist,
Als die sechs genannten. Jenes Bildniß
Bietet gern dir an der Geisterkönig;
Doch bedingnißweise nur, du mußt ihm

255
Einen Dienst erzeigen. Höre, welchen!

Eine Jungfrau, welche sechzehn Sommer
Ueberschritten hat, jedoch in höchster
Herzensunschuld keines bösen Triebs sich
Je bewußt war, eine solche mußt du

260
Als ein Opfer für den Geisterkönig

Meinen Händen überliefern! Nimm hier
Diesen Spiegel! Nur der reinen Jungfrau,
Deren Innres nie geheimer Vorwitz
Nach verbotener Lüsternheit bewegte,

265
Wird ein Bild aus ihm entgegentreten;

Jede trübere Seele trübt sogleich ihn.

[275]

Draus vermagst du, die du suchst, zu kennen;
Aber willst du, solch ein Weib zu suchen
Dich entschließen, mußt du erst in meine

270
Hände schwören einen heiligen Eidschwur,

Nie die Aufgefundene selbst mit weltlich
Frechem Sinn zu berühren, nein − als Opfer
Jene widmend für den Geisterkönig,
Mir hieher sie zu führen, Sohn Abdalla’s!

275
So der Derwisch. Was darauf erfolgte,

Leicht errätst du das, o Fürst des Glaubens!
Jene sechs Bildsäulen schleppt Alasnam
Gegen Cairo, nach der siebenten aber
Ward er mehr von Tag zu Tag begierig;

280
Denn sie schien auf ewige Zeiten jedes

Mangels ihn zu überheben. Seinen
Wunderspiegel fängt er an zu prüfen,
Leistend erst den begehrten Schwur dem Derwisch.
Was geschehn, Kalif, du weißt es besser,

285
Als ich selbst. Dein eigenes Kind, Amine,

Die du mir versagtest, hast du jenem
Abenteuerer gläubig aufgedrungen.
Wenn du liesest diese Zeilen, ist sie
Heimgefallen schon dem Geisterkönig.

290
Lebe wohl, Kalif! Verbiete künftig

Deinen Schmeichlern, dich das Bild der Weisheit,
Dich den Vater alles Glücks zu nennen!

So des Mohren Brief. Der gute Harun
Steht zerschmettert, todesblaß; Verzweiflung

295
Hebt das edle Gleichgewicht der Seele

Stürmisch auf, und jammernd ruft er also:
Harun Alraschid, du bist am Ziele
Deines Lebens, deiner stolzen Laufbahn,
Die so schön begann, so schrecklich endet.

[276]

300
Ehedem an diesem Busen ruhte

Mein Amin und neben Assur Assad:
Diese flohn, Amine blieb, und thöricht
Stürzt’ ich auch die Tochter in’s Verderben!
Meine Throne stehen leer, ich steige

305
Selbst herunter, ich zerreiße diesen

Blutigen Purpur! Wem darnach gelüstet,
Nehm’ ein Stück sich hin! Für ewige Tage
Mög’ aus Bagdad fliehn Gesang und Freude!
Brecht entzwei die Flöten, und in Trümmer

310
Schlagt den schöngewölbten Bau der Laute!

Jeder Ton verstumme! Schweigende Nacht nur
Lehre mich, in’s eigene Grab zu blicken!

So der Fürst. Und augenblicklich schickt er
Seinen Großwesir mit einem Heere

315
Nach Egypten, um zu retten, wäre

Rettung möglich, oder um zu strafen.

Doch Alasnam, der die schönste Beute
Trug von hinnen, fühlte tief im Busen
Größern Schmerz noch, als der Schmerz des Harun,

320
Halb von Reue, halb verzehrt von Liebe,

Durch des Mädchens holden Reiz. In Thränen
Schwamm der ehedem so heitere Jüngling.
Aber hoffend, daß der kluge Derwisch
Ihn und seine Braut beschützen werde,

325
Bringt den Raub er nach der Geisterinsel.

Knieend fleht den Greis er an, die Holde
Nicht zu weihn dem unterirdischen Dämon,
Gern verzichtend auf das letzte Kleinod.
Ihm versetzte drauf der alte Derwisch:

330
Was du wolltest, ist geschehn. Am zweiten

Morgen wirst du jenes siebente Bildniß

[277]

Tief im Schlund der Pyramide finden.
Uebergieb indeß die Tochter Haruns
Ihrem Schicksal; denn du hast geschworen!