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Immer trübt sich dein metallener Spiegel,
Welcher nie ein weiblich Bild zurückwarf.
Unvernehmlich blieb des Prinzen Antwort,
Welcher seufzend bald verließ den Altan;

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Aber Harun ward von Neubegierde

Diese ganze Nacht hindurch gepeinigt.
Als zu grau’n begann der nächste Morgen,
Läßt entbieten er in’s Serai den Prinzen,
Offenbart ihm, was des Nachts erlauscht er,

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Fordernd Auskunft, um Erklärung bittend,

Jener rätselhaften Worte wegen.

Voll Bestürzung sah der Prinz zur Erde,
Dann sich fassend, fing er an: Beherrscher
Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!

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Manches Kleinod hinterließ Abdalla,

Mein Erzeuger, mir im alten Cairo:
Unter diesen einen Zauberspiegel,
Dessen wunderbar’n Gebrauch er sterbend
Lehrte mich, wofern ich eine Gattin

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Wollte wählen aus des Landes Mädchen.

Nur die Unschuld kann in jenem Spiegel
Schau’n sich selbst; nur einer reinen Jungfrau,
Deren Inneres nie geheimer Vorwitz
Nach verbotener Lüsternheit bewegte,

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Wird das eigene Bild entgegentreten

Aus der Fläche meines goldenen Spiegels:
Jede trübere Seele trübt sogleich ihn,
Und er zeigt ihr, statt bestimmter Formen,
Bloß gestaltlos einen feuchten Anhauch.

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Laß, Kalif, mich dir’s gestehn! So mancher

Jungen Schönheit, sei es hier in Bagdad,
Sei’s in Cairo, hielt ich vor den Spiegel:
Jedem Eindruck unempfänglich aber
Blieb verschleiert sein geschliffnes Eirund.

Empfohlene Zitierweise:
August Graf von Platen: Die Abbassiden. J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1847, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Abassiden_(Platen).pdf/48&oldid=- (Version vom 31.7.2018)