Der 2. Glaubensartikel/Aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters

« Am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten Hermann von Bezzel
Der 2. Glaubensartikel
Von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten »
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Joh. 12, 32. 
Aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten
Gottes, des allmächtigen Vaters.
 


 Eine dreifache Erhöhung des Herrn Jesu haben wir in diesen Wochen betrachtet. Die erste: „Wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden“ (Joh. 3, 14) – die Erhöhung am Kreuze. Eingetreten in die Vorwochen der Passionszeit, nahe herangekommen wieder an das alljährlich sich verneuende Geheimnis seiner Leiden, hereingezogen in die große Gemeinschaft, die immer wieder sein Kreuz umgibt und an seinem Kreuze sich tröstet, blicken wir, wie dort die Männer, um dem Fluch der Schlange zu entgehen, hinan zu dem, der der Schlange Kopf zertrat, zu dem am Kreuz Erhöhten. Denn wunderbar – in der Stunde, in der sein Leiden den größten Tiefgang nahm, als er verachtet und kaum einem Menschenbilde ähnlich am Kreuze hing, hub seine wahrhaftige und wirkliche Erhöhung an. In der Stunde, in der die Leute ihr Antlitz vor ihm verbargen, hat der Himmel sein Antlitz ihm erschlossen. In der Stunde, da die Erde ihm die Wohnung verweigerte, hat der Himmel ihm seine Pforten aufgetan.

Am Kreuz du hangest angehaft’,
Die Erd’ bewegest du mit Kraft.

 Wir wissen, in der Stunde, da seine tiefste Erniedrigung der Welt sich offenbarte, begann seine Erhöhung. Und wer ein wenig sich in der Heiligen Schrift auskennt, weiß, wie er selbst – Matth. 22 – von seinem eigenen Leiden spricht und dabei die Worte aus Psalm 110: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis dich deine Feinde zum Schemel deiner Füße| trage,“ hereingezogen und hereingenommen hat. Dort – Matth. 22 –, wo er sein Antlitz wendet gen Jerusalem um zu sterben, hat er das Wort von der sich durchs Kreuz vollziehenden Erhöhung gesprochen. Sonst wäre es auch gar nicht denkbar, daß die Gemeinde unter dem Kreuze zu hoffen beginnt, und daß von dem Kreuze her der Glaube seinen Anfang nimmt. Am Kreuze ist Jesus ja gestorben, und die Gemeinde hätte ihr gutes Recht zu sagen: „nun ist es vorüber, wieder eine Täuschung mehr und wieder ein Irrtum, der unser Leben beschattet.“ Aber am Kreuze, in der Stunde der Schwachheit und Erniedrigung, hebt der Glaube an, und seit der Zeit blicken wir mit den Augen des Glaubens zum Kreuze empor und sprechen: „Hilf uns!“ Zu einem Erniedrigten, zu einem selbst aller Hilfe Beraubten, zu einem dem Tode Ausgeantworteten und der Schmach Überlieferten spricht nun eine ganze Menge von Menschen: „erbarme dich unser!“ Habt ihr schon etwas Törichteres gehört? Das Wort vom Kreuz bleibt ein Ärgernis, aber denen, die es glauben, wird es eine Gotteskraft. Das Wort vom Tode Jesu bleibt ein Widersinn, aber denen, die Jesu Tod festhalten, ist er der Eingang ins Leben. Daß Gott sterben kann, ist eine Torheit, aber denen, die diese Torheit ins Herz nehmen, ist sie göttliche Weisheit. Darum: vom Kreuze geht die Erhöhung an.


I.
 „Aufgefahren gen Himmel!“ Über alles, was sichtbar ist, hoch erhaben über alles, was greifbar erscheint, weil entfernt von allem, was begreiflich sich geltend macht, ist unser Herr und Heiland aus der Sichtbarkeit in die Unsichtbarkeit, aus dem Lande des Scheines in die heilige, selige Wirklichkeit zurückgetreten. Seine Jünger sahen, wie er allmählich die Erde nicht mehr berührte, seine Füße nicht mehr auf der Erde weilten, sein verklärter Leib vom Raum nicht mehr gehalten ward. Sie sahen| noch eine kleine Weile, wie die Wolke, von der Sonne goldumsäumt, ihren Herrn und Gebieter emportrug, oder noch besser hinaustrug in das Land der seligen Vollendung. Hier auf Erden ein Knecht, in der Heimat drüben ein Herr. Hier in der armen Herberge ein Fremdling, in dem Reiche der seligen Wirklichkeit der hohe, ewig begnadete Haussohn. Hier auf Erden wie einer, der nur über Nacht bleibt, eilend – denn er hatte keinen Raum in der Herberge und wußte nicht, wo er sein Haupt hinlegte –, zum Danke dafür kehrt er in das Reich ein, da man nicht mehr Raum hat und nicht mehr Zeit kennt und nicht mehr Tage zählt, sondern da man alles in der Vollendung der Unräumlichkeit und Unzeitlichkeit besitzt.

 „Aufgefahren gen Himmel!“ Solange die Gemeinde Jesu auf Erden weilt, sieht sie ihm nach, ihm, der alle Örter der Tiefe und alle Örter des Glanzes, alle Räume der Finsternis und alle Räume des Lichtes durchwaltet und durchzogen hat. Sie weiß es, sie tröstet sich auch damit: kein so finsterer Gedanke wird in den Tiefen der Hölle ausgesonnen und kein so satanisches Wort in der Erfindsamkeit des Feindes erdacht und gesprochen, keine so mächtige Tat vollbracht und ausgewirkt, in die nicht mein Herr und Heiland hinabgestiegen, hinein sich versenkt hätte, um sie in ihrer Gewalt zu zerstören. Sie weiß es: dazu ist Jesus gekommen, daß er die Werke des Teufels zerstöre, ihre Zusammenhänge können mir nichts mehr tun, ihr Aneinandergereihtsein kann mich nicht mehr binden, ihre Gewalt kann mir nichts mehr anhaben: „Jesus ist Sieger!“

 Weißt du, Gemeinde des Herrn, was es heißt: auch die finsterste Finsternis ist von ihm besucht, auch der entlegenste Raum, in dem der Feind heimlich seines Sieges sich freut, ist von ihm erhellt, auch die finstersten Gedankengebilde, an denen der Feind sich berauscht, um Gottes heiliges Werk zu zerstören, sind von ihm innerlich erfahren und erfaßt. Da ist keine Sprache, noch| Rede der Finsternis, da man nicht die Stimme des Gottessohnes hört: „Ich bin das Licht der Welt!“ (Joh. 8, 12.) Da ist kein Abgrund so unwegsam und so tief, so jäh und so steil, den er nicht gefunden, und gesprochen hätte: „Ich bin der Weg!“ (Joh. 14, 6.) Da ist keine Lüge so mit der Schminke der Wahrheit geschminkt und keine Falschheit so mit den Kräften der Lüge begabt, und nichts von Schein und Schatten, von Trug und Täuschung, da er nicht majestätisch hineingeredet hätte: „Ich bin die Wahrheit!“ (Joh. 14, 6.) Nun reißen die Nebel auseinander, und die Finsternis muß ihre Zusammenhänge meiden, und die unwegsamsten Pfade der Hölle werden gebahnt, und die Kräfte der Lüge werden gelähmt: „Jesus ist Sieger!“

 Was ist das für ein Trost: am Kreuze erhöht, damit er die Finsternis bestehe, in die Nacht hinabgesenkt, damit die Nacht nicht Nacht bleibe, in die großen Gegensätze der Reinheit, der Heiligkeit, des Lichtes, der Herrlichkeit hineingelebt und hineingelitten, damit er sie endlich überwinde! Und wie dir das dein Trost sein soll, wenn du ratlos vor den Pforten der Finsternis stehst, und wenn sie überall hereinquillt und herandrängt in dein Leben; wie das deine einzige Zuversicht sein muß, wenn du dich gar nicht mehr auskennst vor der Gewalt der Lüge, die dich umgibt und umtost, so ist das dein anderer Trost: kein Licht, kein Ort, den die Sonne der Gnade erhellt, kein Raum, über den der Glanz des Himmels ausgegossen ist, den der Herr nicht bei seiner Himmelfahrt besucht hätte. Was wäre auch aller Glanz ohne ihn! Er wäre frostige Klarheit der winterlichen Sonne, die das Leben nicht weckt, sondern tötet, kalte Unnahbarkeit einer nur scheinbaren Lichtquelle und Lichteswelle, in deren Wehen und Walten alles erstirbt. Was wäre ein Glanz, in den Jesus nicht das Leben hineinbrächte, und ein Licht, in das er nicht die Liebe hineingösse, und alle Herrlichkeit, in der nicht seine Leutseligkeit erschiene?


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II.
 Ich bin das Licht der Welt! Seht, wenn Jesus auferstanden wäre um seinetwillen, und wenn er jetzt im ewigen Leben wäre um seinetwillen, und wenn er jetzt zur Rechten der Majestät säße um seinetwillen, was wäre es für uns? Wir würden vielleicht sagen: „Du kannst gut reden vom Leid, es ist ja vorüber. Du magst viel sprechen von der Sünde, dich ängstet sie nicht mehr. Du hast das deine für dich, dein Feierabend ist angebrochen, wir aber stehen im Kampfe und wissen nicht, wie er geraten wird.“ Im Gegenteil, es schliche in unsere Seele etwas wie Neid und Mißtrauen: „Du hast es überwunden, wir aber sind um deinetwillen im Streite“; denn, wieviel glücklicher wären wir – ich rede töricht – wenn wir Jesum nicht hätten! Wie viele Kämpfe wären mir erspart, wenn ich nie etwas von Jesus gehört hätte! Mit wie vielen Streitfragen, mit wie vielen Zweifelsnöten, mit wie vielen Einreden, Einwänden, Gegensätzen, leidigen Erfahrungen müßte ich mich nicht quälen, wenn ich nicht Jesu Diener wäre! Wie oft sagt die Seele: „hätte ich nie etwas von ihm erfahren, so wäre mein Leben vielleicht nicht lichter, aber leichter.“ Wenn solche Gedanken kommen – und solche Gedanken haben auch ihr Recht – dann merkt man: ja, er ist ja nicht gen Himmel gefahren um seinetwillen, sondern um meinetwillen. Er ist jetzt daheim, damit ich eine Heimat hätte; er sitzt jetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe, damit ich wüßte, wohin ich gehöre. Wenn in Jesu Leben, in seinem leidenden und in seinem triumphierenden Leben, in seiner Niedrigkeit und in seiner Auferstehung nur ein einziges Moment wäre, wo er nur an sich gedacht hätte, so wäre er an einer Stelle seines Lebens von der Selbstsucht verwundet, und diese eine Stelle wäre meinem Seufzen unzugänglich. Nun aber steht von der Krippe bis zum Kreuze, vom Kreuze bis zur Krone, von der Krone bis zu seiner einstigen Wiederkunft nur ein Wort: für dich! Ja, mein Christ,| wenn er nur einen Schritt, nur einen einzigen Schritt für sich gegangen wäre, nur zu seinen Gunsten, zu seinem Heil, zu seinem Genießen, so würde ich sagen: „in der Stunde hast du meiner nicht gedacht, dem Feinde mich doch gelassen und wer weiß, ob nicht auf diese Stunde der Selbstsucht noch andere folgten.“ – Das ist dein Trost und den schreibe dir tief ins Herz und sage es dir jeden Tag aufs neue: „für mich und meine Sünde in den Tod gegeben und um meiner Gerechtigkeit willen auferwecket.“ (Röm. 4, 25.)

 Ja, sagt nur selbst, was wäre denn Ostern, was hätte denn Ostern für eine Bedeutung, wenn er nicht für mich auferstanden wäre? Dann ist Ostern eben ein Erinnerungsfest, vielleicht eine geschichtliche Feier, aber nicht dieses große Sieges- und Ehrenfest, an dem wir sagen:

Weil du vom Tod erstanden bist
Kann ich im Tod nicht bleiben!

Und wenn wir an Himmelfahrt nur bedächten, daß er gen Himmel gefahren ist, ohne daß wir wüßten und uns trösteten: er hat uns den Weg bereitet und die Heimat erschlossen, so wäre Himmelfahrt ein Siegesfest für einen König ohne Heer, für einen Sieger ohne Gefolge, für einen Meister, der sein Kunstwerk ließ, für einen Herzog, dem niemand folgte. Dann wäre das Fest der höchsten Freude eigentlich sehr verlegenheitlich. Wir würden sprechen: „Du hast dich gerettet, aber, die du zu retten gekommen bist, ließest du allein. Du kehrtest heim, und uns hast du in der Fremde gelassen.“

 Ja, mein Christ, dann wäre Jesus Christus umsonst auf die Erde gekommen. Wenn er nur wieder den Stand bekommen hätte, den er vordem schon hatte, was wollte er dann auf der Erde? Dann würde ja seine Himmelfahrt nur sagen: er hat wenigstens nichts verloren, er hat den alten Stand behalten. Aber dann| könnte nicht der Himmel triumphieren, und die Hölle nicht darob erschrecken und die Erde nicht darüber lobsagen: Christ fährt gen Himmel und zieht die Seinen nach sich!

 Die Allermeisten denken gar nicht weiter, was es heißt: für mich! Und welche unendliche Tiefe liegt in dem Wort: „ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen.“ (Joh. 12,32) Ein Weinstock ohne Reben, ein Baum ohne Zweige, ein Zweig ohne Früchte – was wäre das? Jesus ohne seine Jünger, der Meister ohne das Werk seiner Hände, der Feldherr ohne die, die er erstritten hat.

 Das ist ja alles Leerheit, Torheit, Eigennutz und Selbstliebe. Nein, darum spricht deine Seele und jauchzt darüber: „du bist hingegangen, mir die Stätte zu bereiten und hast zu mir gesagt: in meines Vaters Haus sind viele Wohnungen (Joh. 14, 2); für dich und deine Sünde bin ich in den Tod gegeben, für dich und deine Heimat bin ich heimgekehrt, aufgefahren gen Himmel.“


III.
 Die Gemeinde weiß, daß von jetzt an seine Wirkungen so im Himmel wie auf Erden weitergehen. Gemeinde des Herrn, ich will dich etwas fragen: worin unterscheidet sich die Wirksamkeit des Herrn Jesus von der Wirksamkeit des Genies? Goethe wirkt auch weiter, Schiller wirkt auch weiter, Shakespeare wirkt weiter; jetzt in diesen Zeiten des Kampfes mit Italien greift mancher zu Dantes „Göttliche Komödie“, um sich zu sagen: aus diesem Volke dieser Mann und dieses Werk! Und so wirken sie weiter! Aber es wirken eben bloß ihre Ideen weiter, das, was sie einst in ihre Werke legten, oder, um es richtiger zu sagen, was Gott durch sie in ihre Werke legte. Die Ideen lösen sich ja ab, das kann man schon in äußerlichen Dingen sehen. Gar mancher zitiert Goethe und weiß es gar nicht. Sehr viele Leute führen häufig Schillersche Worte im Munde, und wenn man sie fragt, in| welchem Zusammenhange sie geschrieben wurden, so bleiben sie stumm. Und manch einer spricht davon: „wer hier eintritt, laß alle Hoffnung fahren!“ und ist dann sehr verwundert, wenn er vernimmt, das Wort sei von Dante. So lösen sich Begriffe und Ideen von den Menschen ab.

 Aber unser Herr und Heiland wirkt als der Gegenwärtige und Lebendige. Denn das, was er auf Erden einst in der Niedrigkeit tat, tut er jetzt noch in der Majestät der Herrlichkeit. Jetzt noch heilt er dich, jetzt noch tröstet er dich, heute noch spricht er zu dir. Er ist einmal gestorben, gewiß, aber dieses „Einmal“ gilt allen nachdrängenden und nachwachsenden Geschlechtern. „Er vertritt uns“, sagt der Apostel (Röm. 8, 34), indem er auf der einen Seite Gott dem Herrn die erlöste Menschheit darbietet, auf der andern Seite die Menschheit erlöst.

 Und ein Anderes: alle die großen Dichter und Denker wirken nur auf einen gewissen Raum, nur in gewissen Seelen, unter gewissen Vorbedingungen. Aber der Herr Christus wirkt allenthalben: „siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matth. 28, 20.) „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ (Matth. 28, 18.) Er erfüllt alles. Es kann einer wohl selig sterben, der nie Schiller oder Goethe verstanden hat. Es kann einer wohl im Frieden seines Gottes scheiden, der nie von Shakespeare las oder hörte. Und ihr werdet wohl zugeben, daß einer die ewige Heimat erreichen kann, ohne daß er je etwas von Dante gewußt hat. Aber ohne Jesum, ohne sein Kreuz und seine Treue, ohne seine Gnade – und wenn es gleich nur der Saum der Gnade gewesen wäre, den der Sterbende erfaßt und ans lechzende Herz drückt – kann niemand heimkommen. Denn das Fortwirken Jesu ist ein persönliches, ein in ewiger Lebensfrische sich immer wieder vollziehendes.

 Ich, erhöhet von der Erde, will jedem Geschlecht neu werden. Jeder Mensch, der auf die Erde| kommt, feiert sein Weihnachten, seine Passion, seine Ostern und seine Himmelfahrt. Und alle Völker, die über diese Erde gehen, müssen den alten Herrn Jesus neu erleben, und er erlebt sich in ihnen neu. Denn das Wort „für dich“ ist nicht einmal gesprochen, daß es veralte, verklinge, verhalle, sondern es ist dazu gesprochen, daß es alle Welt erfülle bis an die Grenzen der Erde. Das Wort: „für dich in den Tod gegeben und für dich heimgekehrt“ erfüllt nun aller Völker Geschichte und Zeiten bis zu dem Moment, wo er selbst aller Weltgeschichte ein Ende macht, wenn er wiederkommt, zu richten die Lebendigen und die Toten. Es gibt keine Weltgeschichte ohne Jesum.

 „Sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters“, fährt deswegen unser Glaubensbekenntnis weiter; nicht, als ob man damit einen Raum bezeichnen wollte. Unsere Väter haben ganz recht: die Rechte Gottes ist überall, überall – und doch in einem Raum. Ich will es an einem Beispiel zu erklären suchen: die Luft erfüllt alles – und doch hat sie einen gewissen Punkt, von dem sie ausgeht. Wenn am hohen Mittag die Sonne über die Erde hinscheint, so glüht und glänzt alles: die Wärme, die Leuchtkraft der Sonne durchdringt alles. Und doch, auch diese allumfassende, alles bestrahlende, alles beleuchtende Sonne geht von einem bestimmten Punkte aus. So ist’s bei deinem Herrn Jesus. Er erfüllt alles; er ist überall; die Rechte Gottes ist aber gleichwohl ein fester Punkt, von dem aus er alles erreicht, es ist die Nähe seines Vaters.

 Wunderbar! Der Allmächtige und der Gnädige sind nun beisammen. Der Allmächtige, der alles aus seinem Willen schuf, und der Barmherzige, der alles aus seinem Willen verneute. Der Allmächtige, der alles schuf und über dem Entschlafenen zürnte, denn es war Fleisch, und der, der den Zorn des Allmächtigen getragen und gezahlt hat, sie sind nun eines geworden.

|  So nahe ist die triumphierende Gnade an die Allmacht herangerückt, daß sie sagen darf: ich vermag alles! So nahe ist die Allmacht zur Gnade herangekommen, daß sie sprechen mag: ich verzeihe alles! So innig ist die schöpferische Allmacht und die erlösende Gnade miteinander eins geworden, einig geworden um einen Groschen zum Tagelohn – und dieser Groschen ist deine und meine Seele. Das ist der Preis der Allmacht-Arbeit, das ist der Lohn des Gnaden-Werkes, das ist der Ertrag einer vieltausendjährigen Geschichte – daß ein Mensch Gottes sei vollkommen. Oder, wenn du so willst, mein Christ: daß ein irrender, fehlender, tastender Mensch ein einziges Wort mit vier Buchstaben aus tiefstem Seelengrunde sprechen kann: heim!

Ich war verirrt und lief verblendet,
Ich suchte dich und fand dich nicht.
Ich hatte mich von dir gewendet
Und liebte das geschaffne Licht.
Nun aber ist’s durch dich gescheh’n,
Daß ich dich hab erseh’n!

 Das ist das dürftige, ärmliche, klägliche Ergebnis des Streites der Allmacht mit der Gnade.

 Sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters! Höher kann es nicht gehen, als daß meine arme Seele, die manchem Menschen schwer ist und mir selbst am meisten, Jesu eine Freude und seinem Vater ein Glück bezeichnet. Höher, reicher, reiner kann die Selbstlosigkeit ihre Dornenpfade nicht mehr beschreiten, denn daß am Ende eine Seele, die es nicht wert, daß die Sonne sie beschien, das Wort hören und auf sich beziehen und es einlösen darf: sie ist daheim!

 Die meisten Menschen wissen gar nicht, was sie mit dem Wort: Mittleramt, Fürbitteramt anfangen sollen. Ihr seid mit so vielen Lehrsätzen, die ihr nie innerlich erfahren habt,| angeödet. In euerem Konfirmanden-Unterricht habt ihr gehört, gelernt vom Mittler- und Fürbitteamt Jesu, habt aber wohl niemals weiter darüber nachgesonnen, was das heißt und ist.

 Das ist sein Mittleramt, daß er Ideal und Wirklichkeit vermählt. Vor ihm steht das Ideal einer geheiligten und gereinigten Menschenseele, und auf der andern Seite steht die Karikatur meines Lebens. Vor ihm steht das Bild, wie es werden soll und die Wirklichkeit, wie es ist.

 Und nun betet er und arbeitet er und ringt er und wirbt er und müht er sich, bis die Wirklichkeit dem Ideale endlich, endlich gleich, und ein armer Mensch in sein Ebenbild verklärt wird, und dann spricht er: siehe, was ich gemacht habe, es ist gut!

 Sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters! Mit der unermeßlichen, unabsehbaren, unerträglich schweren und in ihrem kleinsten Gelingen doch so seligen Arbeit und Mühe, Menschen nach dem Ideal heimzubringen, das Mensch heißt – sitzt er zur Rechten des Vaters. Wenn er an dir und an mir die letzte Arbeit getan hat, sei es, daß die Karikatur nie mehr zum Ideale will, sei es, daß das arme, zerrissene, verunehrte und verzeichnete Menschenbild zum göttlichen Ebenbilde gehen will, spricht er: nun gehe heim!

 Keiner stirbt früher, als bis er fertig ist, die Lehre von einer noch nachfolgenden späteren Umbildung und Entwicklung ist ein gut gemeinter, leerer Traum. Kein Mensch stirbt, wenn er nicht fertig ist. Der Eine stirbt dann, weil er fertig ist ohne Jesum, der Andere, weil er fertig ist mit Jesus.

 So bleibt heute am Schlusse unserer Betrachtung ganz kurz folgendes:

 Erstens: Jesus erhöht am Kreuze ist erhöht worden über alles Geschaffene, damit er das Geschaffene vollende.

 Zweitens: Jesus ist erhöht worden nicht sich zugute, sondern um meinetwillen.

|  Drittens: Jesus ist nicht heimgekehrt aus Selbstsucht, sondern aus Liebe, und darum kehrt er nicht mit leeren Händen heim, sondern mit der Fülle der Beziehungen zur Menschheit.


IV.

 Viertens: Jesu heilige Ruhe wird erst dann anheben, wenn er diese Fülle von Beziehungen ganz ausgearbeitet, wenn er die heiligen Anfänge alle vollendet hat. Und als solcher wird er herrschen in deinem Leben in der verklärten Welt und in dem verklärten Himmel.

 Er wird herrschen in deinem verklärten Leibe, in deinem verklärten Leben, wenn Leib und Seele sich vereinen in dem lebendigen Gott, daß aus deinem Leben und aus deinem Leibe nicht mehr gebrochen und stückweise, sondern voll und klar sein Bild erscheine. Er hat deine Menschen- und Fluchgestalt einst angenommen, und du hast jetzt seine Herrlichkeitsgestalt empfangen.

 Und dann wird er herrschen in der verklärten Welt. Auch das Unkraut wird dann heilig sein, und auch die wildesten und reißendsten Tiere werden dann selig sein. Und die ganze Mißstimmung und Disharmonie der Kreatur wird in einen einzigen Lobgesang eines gnadenreichen Heilandes ausmünden; denn er hat es vollendet. Die Sünde ist ausgetan, das Böse ist ausgetilgt, das Halbechte ist vergangen; denn: „siehe, ich mache alles neu!“ (Off. 21, 5) Eine neue Welt, in der jeder Mensch den andern bis auf den Grund des Herzens kennt, und jeder Mensch dem andern sich vertraut. Jetzt nehmen wir uns vor Menschen, und Menschen nehmen sich vor uns in acht: „jetzt sind wir, die wir doch auf einen Christus getauft sind, wider einander. Aber einst wird die Welt kommen, da man sich nimmer mißversteht, gar nicht mehr mißverstehen kann, „sondern sie werden alle von Gott gelehrt sein.“ (Joh. 6, 45.)

|  Und dann wird er auch im Himmel herrschen, nicht in einem unfaßlichen Etwas, nicht in einem sich verflüchtigenden Äther- und Luftgebilde, sondern in der großen, wundersamen Wirklichkeit der Vollendung.

 Christen, ihr verwechselt Ideen und Ideale! Ideen sind immer etwas Wandelbares und Zerrinnendes. Aber Ideale – und der sie geschaffen hat – bleiben und werden erst aufhören, wenn sie erfüllt sind.

 Der zur Rechten Gottes Erhöhte, der große Werkmeister seiner Gemeinde, der heilige Lebensherr und Lebensfürst, der jetzt unablässig seine betenden Hände emporhebt, die zugleich Hände eines treuen Arbeiters sind, bete für euere und für meine Seele und arbeite an uns allen! „Vater, hier bin ich und die, die du mir gegeben hast.“ (Joh. 17, 24) – In der Stunde wird die Allmacht und die Gnade sich freuen über Einen, der heimgekommen ist.

Amen.



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