Der 2. Glaubensartikel/Am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten

« Niedergefahren zur Hölle Hermann von Bezzel
Der 2. Glaubensartikel
Aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
2. Kor. 15. 
Am dritten Tage wieder auferstanden von den
Toten.
 


 Wir treten heute an die Betrachtung der großen, das ganze Leben des Herrn Jesu beherrschenden Tatsache heran: am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten. Wie der dritte Glaubensartikel mit dem Worte schließt: ich glaube eine Auferstehung des Fleisches, und mit diesem Bekenntnis sich eng an all das anklammert, was eben nicht schaubar und begreiflich, sondern rein ein Gegenstand des Glaubens ist, so schließt der zweite Glaubensartikel mit dem größten Geheimnis: daß man tot gewesen sein muß, um leben zu können, daß man in der Nacht gewesen sein muß, um des Lichtes mächtig zu sein, daß man die Schrecken der Hölle durchkostet haben muß, sie durchlitten und erfahren und erlebt, um die Freude der Heimat vollkommen zu genießen. Jesus Christus, gekreuzigt in der Schwachheit, verlassen von der Kraft, einsam, von seinem Vater dem Tod, der Sünde und Hölle ausgeantwortet, ohne Hilfe und Heil, ohne Leben und Licht, ohne Trost und Rettung, ward ins Grab gesenkt. Und über dem geschlossenen Grabe triumphierte alles, was widergöttlich ist, und an dem verriegelten Grabe jauchzte alles, was wider die Wahrheit ist; und am Todestage des Herrn erlöschten alle Lichter, und alle Sterne erbleichten. Aber die Wahrheit ist eben doch stärker als die Lüge, und die Liebe ist doch größer als der Tod, das Licht ist doch reicher als die Finsternis der Nacht, und das Leben muß triumphieren, wenn es anders Leben ist.


I.
 „Am dritten Tage,“ sagt die Kirche, um nur ihre Gedanken irgendwie in das Geheimnis des Todes zu versenken, weil sie| weiß, daß der nie leben kann, der nicht sterben könnte, und daß der nicht sterben kann, der nicht leben könnte; denn alles, was dem Sterben nicht entspricht, entspricht auch nicht dem Leben, und was in der Todesstunde als reubar dir erschien, das war auch nicht wert, in deinem Leben zu erscheinen. Am dritten Tage, als die Welt sich darauf einrichtete, ohne Erlöser und ohne Erlösung dem Tode auf ewig verfallen zu sein, und die kleine, verzagte, geängstete Christengemeinde mit dem Gedanken sich abfand, es sei auch ihre Hoffnung vergeblich – am dritten Tage, da die Sonne sich besann, ob sie noch einmal über dieser Erde aufgehen sollte, über dieser Erde, die ein großes Grab ihres Gottes und Schöpfers in sich barg, hat die Sonne endlich den Mut gefunden, über alles Gewölk des Todes, und über alle Schatten der Hölle, und über alle Finsternis und alles Grauen der Verwesung siegreich aufzugehen. Am dritten Tage, als es Morgen ward, da schien die Sonne, als ob es nie eine Nacht gegeben hätte und triumphierte, als ob sie nie über ein Grab hätte hinleuchten müssen, und war groß, majestätisch und gewaltig wie ein Held, zu laufen ihre Bahn (Ps. 19, 6.), als ob sie nie ihren Schein hätte, verloren und nie der großen Finsternis hätte weichen müssen, drei volle Stunden. Am dritten Tage um den Morgen ging es durch die Welt wie ein Frühlingsahnen: „Dein Tau ist wie ein Tau des grünen Landes, aber das Land der Toten wirst du stürzen.“ (Jes. 26, 19.) Am dritten Tage ist der, den sie leblos, leidlos, teilnahmslos in die Erde senkten, vom Tode auferstanden und lebt! Während dreier Tage schien er ganz ausgetan, man vermißte ihn, aber er vermißte nichts; denn er war tot. Man suchte ihn und er begehrte niemand; denn er war tot. Über seinem Grabe zogen die Wolken hin, er achtete ihrer nicht; denn er war tot. Über seinem Grabe wurde es Morgen, Abend, und ihn kümmerte es nicht; denn er war tot. Es ist furchtbar, wenn wir durch die Leichenäcker und zwischen den Gräbern hingehen: welch| eine Summe von Tatenlosigkeit liegt hier begraben, welch eine Majestät vollkommener Trägheit liegt da beisammen! Es ist etwas so Demütigendes, etwas so Erschreckendes, Ermüdendes, immer zu lesen auf den Grabsteinen, was jemand war und gewesen ist und sich sagen zu müssen: Das ist ja vorüber. Und es ist für den eigenen, alten Adam, für seinen Hochmut und seinen Ehrgeiz und für sein Verlangen nach Schöne, Genuß, Ehre und dergleichen ungemein erziehlich, wenn er darüber nachdenkt, wie bald es heißt: gewesen! Und zwar gewesen und doch sein, ja, und doch sein: teilnahmslos, ausgetan! Ob in der Welt Revolution ist oder große Stille, ob Kriegsgetümmel oder süßer Friede, ob Herrschaft des Guten oder Tyrannei des Bösen, das ficht ihn alles nicht mehr an, der im Grabe zerfällt. Und ob es auf der Welt mit dem Siege des Rechtes, der Wahrheit und des Lichtes weitergeht, oder ob der Hohn über alles Wahre endlich siegt, was kann das den stören, den sie unter die Erde gelegt haben! Einst hat er auch mitgearbeitet zum Siege des Guten, einst hat er auch mitgelitten unter der Niederlage des Guten, einst hat er auch sich beeifert und ereifert, wenn die Wahrheit fiel und die Lüge herrschte. Jetzt ist ihm das alles gleich; denn er ist ja tot. Und er ist doch noch! Wenn er nur vergangen wäre, aber er ist noch und kann nicht helfen und kann nicht arbeiten; denn die Nacht ist gekommen, da niemand wirken kann. (Joh. 9, 4.) Tot sein, ist schwerer als leben. Ich weiß wohl, daß manche sagen: „ich möchte am liebsten sterben, dann wäre es auf einmal still.“ Und so reden am meisten diejenigen, die nie gelebt haben, sondern schwärmten, träumten, nicht arbeiteten und nie von dem Ernst und der Härte der Wahrheit etwas erfuhren. Das sind die Leute, die ernten wollen, ohne gesät zu haben, und an der Blumen Duft sich erfreuen wollen, ohne sie gepflegt und begossen zu haben. Und wenn dann die Blumen nicht duften und die Ernte ausbleibt, dann möchten sie am liebsten sterben. Es ist aber dann keine Stille, wie diese sie| meinen, sondern man kann sich nur nicht rühren und nicht helfen. Man muß an seinem Grabe alles vorüberziehen lassen, selbst aber ist man tatenlos. Das hat dein Herr, der Herr Himmels und der Erde, der alle Dinge mit seinem allmächtigen Worte trägt (Hebr. 1, 3), dein Heiland, der umhergegangen ist und hat Wunder getan und gepredigt – und sein Werk war wunderbar und wunderbar war sein Wort – auch erfahren. Tatenlos lag er im Grabe.
.
 Und am dritten Tage, da es hieß: „nun ist die größte Tatkraft für immer ausgetan und gelähmt!“, und da die einen über solchen Tod jubilierten, und den andern über solchen Tod des Geliebten das Herz brechen wollte, da geht es durch die Lande, und da läutet es mit österlichen Glocken, und da ist’s Frühling auf Erden, weil’s Frühling in der Heimat geworden ist: Jesus lebt! Auferstanden, nicht aus dem Grabe gestohlen von den Jüngern, daß sie dann mit dem Toten ihren Kultus und mit dem zerfallenden Menschenbilde ihren Dienst trieben, nicht mühsam vor Verwesung und Verfall geschützt, wie dort in den Pyramiden Ägyptens, in den Königsgräbern, die Herrscher, sondern in der Fülle der Lebensmajestät, in der Größe der unmittelbaren Lebenswahrheit, in der überzeugenden Gewalt, daß Jesus nicht sterben darf forthin, in der alle Zweifel ermächtigenden und allen Widerspruch niederschlagenden und aller Ärmlichkeit der Verneinung spottenden Majestät ist er auferstanden: er lebt! Nicht ein kümmerliches Leben, daß man ihn lieber wieder im Grabe sähe, nicht ein altersschwaches Dämmern, da jeder Nerv versagt, und jeder Muskel der Mühe und Anstrengung sich weigert, nicht ein schwächliches, wehmütiges Erinnern an ein früheres Leben und dessen Kraft, sondern, wie der Frühling allerenden hervorbricht, quellend in seiner Gewalt, knospend in seiner Freude, die Welt mit dem Überfluß an Lebensgütern überschüttend und bewegend, so ist unser Heiland aus dem Grabe hervorgegangen, nicht ein| Lebendiger, sondern das Leben. Er hat den Knechtesleib getragen, aber in der Glorie des Siegers; er hat den Menschenleib an sich gehabt, aber in der Majestät der paradiesischen Schöne; keine Miene war mehr vom Schmerz bewegt, kein Blick mehr von der Wehmut getrübt, kein Einziges mehr, daß sich irgendwie seiner Kraft hemmend in den Weg stellte, sondern in der Fülle der Gottheit hat er die Menschheit bereichert, erfüllt und verklärt, und in der Echtheit der Menschheit hat er die Gottheit verwirklicht und bezeugt. Ganz Mensch, der da mit den Seinen das Brot brach nach seiner Auferstehung, ganz Mensch, der am jenseitigen Ufer stand und dem Petrus das Herz schwellen ließ, daß er sich ins Wasser warf, Jesus entgegen; denn „es ist der Herr!“ (Joh. 21, 7.) Ganz Mensch, da er dem tastenden Zweifler in seine Nägelmale die Finger, und seine Hand in seine Seite bergen und legen ließ. (Joh. 20, 27.) Ganz Mensch, und dabei doch Gott: „rühre mich nicht an!“ (Joh. 20, 17.) Ganz Mensch, so daß das arme, schwache Weib meint, es sei der Gärtner – ganz Gott, so daß sie untereinander sagen: „brannte nicht unser Herz!“ (Luk. 24, 32.) Ganz Mensch, daß die Jünger von Emmaus sagen: „bleibe bei uns, denn es will Abend werden!“ (Luk. 24, 29) – ganz Gott, der durch verschlossene Türen einkehrt und aus verschlossenen Türen wieder scheidet. (Joh. 20, 19.)

 Jesus ist am dritten Tage wieder auferstanden! Das ist Gottes Bekenntnis nicht nur zu seinem Sohne, sondern zu all dem, was leben, bleiben und ewig regieren will, daß das Leben dennoch auferstehen muß, daß alles, was es vergehen und enden läßt, was es herniederzwingt, nur zur Förderung wahren Lebens gereichen soll. Je größer die Steine, mit denen man es beschwert, je fester die Siegel, die man aufs Grab prägt, desto machtvoller werden die Steine weggewälzt und die Siegel gesprengt und des Todes Gewalt verbannt und vertrieben werden; denn das Leben hat das letzte Wort.


|
II.

 Gemeinde des Herrn! Nun laß mich dich fragen: „was wäre es, wenn er nicht auferstanden wäre?“ Denn das müssen wir fragen in einer Welt, da die einen mit Gewalt ihn ins Grab wieder zurücklegen wollen, und die andern mit Lächeln über unserm schwachen Glauben, der an Jesum sich hält, sich hinwegwenden.

 Was wäre es, wenn Jesus nicht auferstanden wäre? Dann wäre zum ersten die ganze Predigt der Kirche vergeblich, ja ich gehe weiter und sage: sie wäre verbrecherisch. Dann hätte ein Knecht Jesu Christi, der jetzt über 25 Jahre das Wort vom Kreuz verkündigt, sich selbst so lange betrogen, bis er die eherne Stirne und den eisernen Mut gefunden hätte, euch zu betrügen. Dann hätte unsereines so lange sich künstlich in eine Begeisterung hineingesteigert und mühselig in einen Glauben hineingequält, der doch nichts ist. Und die Kanzeln wären Stätten bewußter oder unbewußter Lüge, und die Kirchen wären ein Sammelort bezahlter Heuchler. Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unsere Predigt vergeblich; denn wir predigen vom Leben, während er im Grabe zerfallen ist, sein Staub in alle Winde verstreut. Wir leben von einer Kirche, die auf das offene Grab sich aufbaut, und unserer Kirche Grund- und Eckstein ist der abgewälzte Grabstein Jesu: und der Stein ist doch nicht weggewälzt. Wir predigen, daß das Leben das gewaltigste sei und sagen uns selbst: nein, das Nichts, der Tod, des Lebens Verneinung, das ist das einzig Bleibende und Gewisse.

 Und noch mehr. Unsere Predigt wäre dann nicht nur vergeblich, weil sie von einem Phantom lebte, das einmal war, weil sie von einem Gespenst sich leiten ließe, statt sich vom Lebensfürsten tragen zu lassen. Unsere Predigt wäre nicht nur vergeblich, sie wäre auch verbrecherisch. Denn wir wären, wir Knechte Jesu seit| der Apostel Zeiten, die wir uns zu den 500 Brüdern gesellten, die ihn gesehen, mit ihm gelebt hatten, wir wären in den großen Bund all derer, die die Welt getäuscht haben, eingetreten, wir hätten an viel armen Seelen uns verschuldet. Rein äußerlich zunächst: welche Unsummen von Geld hat diese Predigt von dem auferstandenen Christus gesammelt! Kirchen wurden gebaut. Schulen gegründet, Anstalten ins Leben gerufen – und es war alles Trug. Hätten wir um dieses Geld Theater gebaut, statt dem sogenannten Auferstandenen Häuser zu gründen. Hätten wir mit diesem Geld das Volk amüsiert, statt es an Lug und Trug zu gewöhnen. Falschmünzer, Räuber, Toren wären wir, die andern das Geld abreden, um sich selbst etliche gute Tage zu bereiten. Das wäre die christliche Kirche – eine Versammlung von Betrügern, und die Priester wären gedungene Söldlinge. Ist Christus nicht auferstanden, so wären wir als falsche Zeugen erfunden. (1. Kor. 15, 15.) Wie nennt ihr einen, der Geschichte fälscht? Wie heißt ihr einen solchen Mann, der Dinge erzählt, so lange, bis er sie selbst glaubt? Den nennt man einen ehrlosen Wicht – und das wären wir Geistliche, Seelsorger genannt, und müßten dann eigentlich Seelenverderber heißen. Seelenhirten habt ihr gemeint vor euch zu haben, ihr hättet uns aber Verführer benennen sollen.
.
 Christus nicht auferstanden – und nun predigt man schon 1800 Jahre von einer seligen, fröhlichen Osterzeit, von einer Welt, die in Banden lag und von einem Christus, der den Banden sie entnahm; und es ist alles nur Schein! Aber ich gehe weiter: ist Christus nicht auferstanden, so ist unser ganzer Glaube grundlos. „Ich glaube an Jesum Christum.“ Glaubt ihr auch an Goethe, an Bismarck, glaubt ihr, um den uns teuersten unter den Menschen zu nennen, glaubt ihr an Luther? Du wendest dich ab: „nein, ich verehre, ich liebe, ich schätze, ich ehre sie, sie sind mir sehr nah und teuer, aber an sie| glauben, das kann ich nicht!“ Aber als du ein Kind warst, da lehrte dich die Mutter die Hände falten und lehrte dich Gebete, und du faltetest immer wieder, heranwachsend, deine Hände. Deine Lehrer, insoweit sie ihrer Pflicht eingedenk waren, machten’s dir zur Pflicht, und ließen’s nicht bloß geschehen; dann kam dein Konfirmandenunterricht, da wurdest du erst recht unterwiesen, deine Hände zum Gekreuzigten zu falten und zum Auferstandenen zu beten, zu beten zu ihm! Und als du älter wurdest, vielleicht am Traualtar, am Sarge eines geliebten Kindes, am Tauftag deines Erstgeborenen vernahmst du und sprachst vielleicht mit: im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – und war alles nur Schein! Wer tauft denn ein Kindlein auf einen Toten? Wer setzt denn ein junges Leben in Beziehung mit einem Toten? Meine Gemeinde, wenn du das bedenkst, dann merkst und ahnst du etwas von dem, was es heißt, die Auferstehung Jesu leugnen. Das heißt nicht, den Glauben zurückstellen, modern sein, das heißt nicht, wissenschaftlich sein – denn Wissenschaft betrügt – sondern es heißt, den Glauben wissentlich, geflissentlich zerstören, zerpflücken, zerwerfen. „Ist Christus nicht auferstanden“, sagt der Apostel, so „ist euer Glaube eitel“ (1. Kor. 15, 17), das ist gewiß. Dann haben wir uns, bald 1900 Jahre, mit einem Artikel getröstet, der nichts war, und haben unsern Glauben auf eine Tatsache gegründet, die vor dem klaren, vernichtenden Auge der Wissenschaft zerfällt. 1800 Jahre lang ist der Glaube betört, und der Gläubige betrogen worden; denn an einen Toten, der vielleicht in der Ewigkeit noch weiterlebt, aber doch nicht die Kraft hat, sich das Leben zu erwirken, glaubt man nicht. Ich glaube nur an einen, der des Todes Gewalt hat; denn der muß mir von der Kraft des Todes helfen.
.
 Und ein Drittes: ist Christus nicht auferstanden, so sind wir noch in unsern Sünden und alle, die in Christo entschliefen, sind verloren.| (1. Kor. 15, 17, 18.) Wir sind noch in unseren Sünden, und der Artikel von der Vergebung ist nichts. Christus sagt zu uns: ich habe dich frei machen wollen, aber es ist mir nicht gelungen. Sein Kreuz predigt mir: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht mich rein von aller Sünde!“ (1. Joh. 1, 7.) Aber das Grab spottet und sagt: er wollte, aber er konnte nicht. Er ist genug für sich gestorben, er hat das eigene Leben verwirkt, wie kann er dir die Freude am Leben, Vergebung der Sünden, schenken? Wir sind noch in unseren Sünden. Du gehst zur Beichte. Du bist doch ein Tor zu glauben an die verkündete Vergebung deiner Sünden im Namen Jesu, im Namen dessen, der gestorben, vergangen, gewesen, dessen Grab man nicht einmal mehr kennt. Man vergibt doch nicht Sünde in der Kraft eines selbst der Sünde Verfallenen, man macht doch nicht von Banden frei durch Einen, der selber gebunden ist. Ein gefesselter Kerkermeister nimmt dir die Fesseln nicht ab, einer, der einen Balken im eigenen Auge hat, kann auch vom Splitter nicht frei machen, ein durch und durch kranker Arzt kann die Heilmittel, die bei ihm nicht verfingen, bei euch nicht heilkräftig machen. Ihr seid in eueren Sünden. Wartet noch einige Jahrtausende, vielleicht kommt dann ein Heiland! Man erwartet ihn ja jetzt bei der Aufklärung in den nächsten Jahrzehnten, er kommt aber nicht von oben herab, sondern von unten herauf, ein Heiland, der nie Gott war, sondern Mensch war und vergöttlicht wurde.
.
 Nein, ist Christus nicht auferstanden, so ist der Einzige, der sich als Arzt anpries in guter Meinung, nicht imstande gewesen, uns zu heilen, und der Einzige, der an unsern Ketten rüttelte in der guten Absicht, sie zu lösen, dazu nicht fähig gewesen, er hat uns nur fester an sich und durch sich an die Sünde gebunden. So seid ihr noch in euren Sünden und alle, die da gebetet haben: „in Christo Wunden schlaf ich ein“ – die sind betört. Geht hinaus auf die Gottesäcker und werfet die Kreuze um und stellt die abgebrochene| Säule ans Grab, oder die abgebrochene Rose, oder, noch besser, errichtet einen großen, die ganze Welt mit Zwang einigenden Feuerofen! Ist Christus nicht auferstanden, so sind die Tausende, die wir damit getröstet haben: „Du bist nicht tot, er wird dich auferwecken am Jüngsten Tage,“ verloren. Sie haben sich ja alle mit ihrem letzten Seufzer einem Toten verlobt. Sie haben, als der letzte Lebensgang anzutreten war, sich an das Gewand eines Selbsttoten gehängt, die Toren und ihre Verführer, die da predigen: „Jesus lebt“ – und er ist doch noch im Grabe.
.
 Ja, das sind große, schwere, erdrückende Gedanken, die den Tag unerträglicher machen als die Nacht, und die den Schlaf als die einzige Weisheit des Lebens erscheinen lassen. Wenn er nicht auferstanden ist, so sind alle, die sich an seine Auferstehung hielten, verloren. Und während wir bei den Lieben, die wir begraben haben, unwillkürlich an ihr Fortleben denken, vielleicht nur zu viel, vielleicht zu sehr uns mit einem Wiedersehen trösten – Wiedersehen ist nicht immer erfreulich, es ist oft auch Enttäuschung –, während wir am Sarge unserer Geliebten, wenn das Grab sich über ihnen schließt, unwillkürlich sagen: über ein Kleines und ich werde dich Wiedersehen, und mein Herz wird sich freuen, müßten wir, so wir wahr und aufrichtig sein wollen, sagen: es ist ja vorüber; der teure Vater, die geliebte Mutter sind gewesen und nimmermehr. Und wenn ich noch so sehr über die Gefilde der Seligen mich freue und noch so sinnige Blumen auf die geliebten Hügel pflanze und sie noch so poetisch mit Kranz und Schmuck umziere, deswegen bleibt das Grab doch geschlossen. Der Tod ist gewaltiger als das Leben, und die Unseren sind uns genommen für immer. Für immer – du kannst deine Lieben nicht mehr um Verzeihung bitten, kannst ihnen nicht mehr sagen, wie ihr Heimgang für dich ein Lebenseingang geworden ist, kannst ihnen nimmer erzählen, was sie dir jetzt geworden sind, da sie nicht mehr neben dir wandeln. Es ist vorüber, laß alle Hoffnung| fahren! Wenn Christus nicht auferstanden ist, so sind die, welche mit dem toten Christus lebten und in ihm entschliefen, verloren.

 Und endlich: ist Christus nicht auferstanden, so ist alles, das ganze Leben, das ganze Dasein vorbei. Seht, wenn er im Tode blieb, dann ist unser ganzes Dasein zwecklos. Wir arbeiten – ich weiß nicht, wofür; wir heiligen uns – ich weiß nicht, wozu; wir leben, – ich weiß nicht, warum; wir enthalten uns der fleischlichen Lüste – wir sind Toren, daß wir uns so einschränken, es gibt ja doch keine Ewigkeit. Die ganze Welt, die ganze, große, reiche Welt mit dieser Fülle von Gedanken, mit diesem wonnesamen Schatz von Schönem, Großem und Edlem, zerstiebt wie die Seifenblase, die dem Kinde enteilt – in ihrer Farbe spiegelt sich noch eine Zeitlang die Sonne, und dann zerrinnt und zerflattert sie. Das ist dann kein Leben gewesen. Und über dem großen Massengrab, Welt genannt, über der großen Eiszeit, daß ich so sage, die dann beginnt, da alles Leben erfriert und alle Liebe erstarrt und alles Denken zerrinnt, über diese großen Trümmer- und Eisfelder, über diese unabsehbare Wüste ewigen Schnees und furchtbaren Winters spricht eine Stimme: „Eitelkeit der Eitelkeiten – alles ist eitel.“ (Pred. 2.) Und dann ist auch diese Klage eitel, und das Ganze löst sich in ein Nichts auf, und um dieses Nichts hat die Welt viel tausend Jahre gerungen.

 Aber, „gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten ist im Himmel.“ (1. Petr. 1, 3.) Solche Töne höre ich im Staube, sie treffen mein Ohr und Herz und trösten mich auf Erden, solche Wahrheiten ziehen durch leidvolle Herzen. Er spricht: „weine nicht; denn es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda.“ (Off. 5, 5.)

|  Christliche Gemeinde, willst du dir das auch rauben lassen, diesen höchsten Trost, von dem die Kirche singt?:

Weil du vom Tod erstanden bist,
Soll ich im Tod nicht bleiben,
Mein höchster Trost dein Auffahrt ist,
Tod’sangst kann sie vertreiben.

 Willst du dir diesen Trost auch rauben lassen von den Überverständigen, von der Untreue und Phantasterei eines Christentums, das Christum aus dem Mittelpunkte stößt? Willst du das, so laß dich weiterhin betrügen. Aber etliche bleiben bei dem österlichen Geheimnis am offenen Grabe ihres Herrn und Heilandes und sprechen: „ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen,“ ach, damit, wenn mein Leben sich endet, es mit deinem Ende schließe, damit es in deinem Anfang, dem Anfange ewigen Lebens, neu beginne. „Wer so stirbt, der stirbt wohl.“

 Ich glaube, daß Jesus Christus am dritten Tage auferstanden ist von den Toten nach der Schrift (1. Kor. 15, 4) und ist ein Erstling geworden unter denen, die da schlafen. (1. Kor. 15, 20.) Das ist ein großer und seliger Trost und eine wahrhaftige und felsenhafte Gewißheit. Und in dieser Gewißheit sprechen wir auch angesichts des Grabes:

Es wird mir sein ein Kämmerlein,
Drin ich auf Rosen liege,
Weil ich nun durch deinen Tod
Tod und Grab besiege.

Amen.



« Niedergefahren zur Hölle Hermann von Bezzel
Der 2. Glaubensartikel
Aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).