| Eph. 4, 8–10.
Niedergefahren zur Hölle.
Mit dem eben bekannten Worte treten wir in das allerunbekannteste und geheimnisvollste Gebiet ein, so daß der neunte Artikel der Konkordien-Formel, des letzten Bekenntnisses unserer evangelischen Kirche, darüber sagt: „wie solches geschehen ist, darüber wollen wir nicht weiterfragen, sondern wollen es einfältig glauben und auf die Zeit verschieben, wo uns vieles andere noch klar werden wird, was wir jetzt kindlich glauben, und mit unserer blinden Vernunft nicht fassen können.“ – Wer die Bekenntnisschriften seiner Kirche ein wenig kennt – die meisten wissen kaum, daß es solche gibt – der möge einmal den letzten Teil derselben, eben die Konkordienformel mit ihren neun Artikeln lesen. Dieser Artikel hat die Überschrift: „Über die Höllenfahrt des Herrn!“ und geht auf jene Predigt zurück, die Luther im Jahre 1533 in Torgau gehalten hat, in jenem Torgau, in dem 20 Jahre später seine Gattin, Katharina von Bora, beerdigt wurde. Man hat so viel gefragt: wer ist in die Hölle gefahren – der erniedrigte, der arme, der getötete Herr Jesus oder der verklärte? Man hat weiter gefragt, ob er nach seinem Geiste in die Hölle gefahren oder nach Leib und Seele? Man hat ferner gefragt: ist die Hölle der Ort der Abgeschiedenen oder der Verdammten? Denn ihr wißt, im Alten Testament gibt es eigentlich keinen Himmel, sondern nur eine Hölle als Ort der Abgeschiedenen mit den zwei Behältnissen, derer, die auf den Herrn warten, und derer, die den Herrn verachten. Man hat endlich gefragt: zu welchem Zweck ist er in die Hölle gefahren? Die einen unserer Väter sagen: zur Predigt des Heiles! und die anderen: zur Predigt der Verdammnis. Wenn jemand seine Bibel kennt und
| sie mit Heilsbegierde, nicht mit Neugierde, liest, so merkt selbiger, daß an einer Stelle, die Luther eine unheimliche und düstere nennt, über die Höllenfahrt Jesu (1. Petr. 3, 19) gesagt wird, daß der Herr hinabgestiegen sei zu den Geistern im Gefängnis, die zu den Zeiten Noahs etwa nicht glaubten.
Ich will nun versuchen, der Gemeinde das bekanntzugeben, was unsere Kirche von der Höllenfahrt Jesu lehrt, unsere Kirche; denn die reformierte Kirche kennt die Lehre von der Höllenfahrt des Herrn nicht. Wenn ihr den Heidelberger Katechismus, der ganz hervorragend schöne Stellen hat, einmal aufschlagt mit seinen 129 Fragen, der schönen Frage am Anfange: „Was ist dein höchster Trost im Leben und im Sterben? Daß ich im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines Herrn Jesu Christi bin, der mich erlöset und erkauft hat!“ – Wenn ihr diesen Katechismus aufschlagt, so findet ihr in der 44. Frage: „Jesus, unser Herr, ist in die Hölle gefahren; was bedeutet das? Daß er am Kreuze sterbend die Qualen der Hölle erlitt und mich so von der Pein des Höllentodes errettet und erlöset hat?“ Ein Weiteres lehrt darüber die reformierte Kirche nicht. Und die katholische Kirche lehrt zwar die Höllenfahrt des Herrn, aber mehr im Sinne einer Evangeliumspredigt, daß der Herr sich denen, die im Fegefeuer waren, nahte, um ihnen sein Heil zu verkündigen.
Was lehrt nun unsere Kirche?
I.
Erstlich: in die Hölle ist gefahren der Herr Christus mit Leib und Seele. Nachdem sein heiliger Leib ins Grab gelegt war, ist seine heilige Seele an ihren Ort gegangen: „heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“ (Luk. 23, 43), spricht er. Seine Seele ist zum Anschauen des himmlischen Lichtes und des himmlischen Friedens gekommen, aber Leib und Seele waren noch getrennt; der Leib
| war im Garten des Joseph von Arimathia, und die Seele im himmlischen Garten, dahin ihre Gedanken gerichtet waren. Als aber der Morgen des Ostertages graute und unser Herr Christus sich rüstete, der Gemeinde der Jünger, an Leib und Seele verklärt, zu erscheinen, da erhielt er von seinem himmlischen Vater die Weisung, mit dem verklärten Leibe, der die Siegelmale seines Leidens und Sterbens trug, mit dem Todesleibe, über den Unsterblichkeit hingegossen war, in dem Körper, in dem er so oft vom Feinde versucht ward, und mit der Seele, die ganz rein und heilig, ganz selig und gnadenreich war, vereint, in das Reich des Abgrundes hinabzusteigen. Also der verklärte Herr, der Herr, der von seinem himmlischen Vater das Wort hören durfte: „heute, mein Sohn, heute, aus dem Leiden des Gehorsams gekrönt, aus der Vollendung des Gehorsams verklärt, heute, mein Sohn!“, der die Herrlichkeit der Verklärtheit erhielt. Und diese Herrlichkeit der Verklärtheit sollte er drei Reichen zeigen: Dem Reiche der Hölle, dem Reiche der Erde und dem Reiche des Himmels.
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Dem Reiche der Hölle – bei seiner Höllenfahrt. So ist unser Herr, verklärt an Leib und Seele, ein König, dem kein König gleichet, ein Sieger, an dessen Lorbeer nie irgendwie die Zeit hinreichen darf, über alle Gewalt des Abgrundes, über alle Schrecken der Sünde erhöht und erhaben, hinabgestiegen in das Reich des Teufels. Freilich, man kann die Höllenfahrt nicht lehren und nicht glauben, wenn man von dem Reiche des Teufels nichts wissen will. Wenn man sagt, das sind Bilder, die aus der alten Zeit herüber in unsere lichte, reine, schöne Zeit ragen, Bilder, über denen noch etliche alte Theologen wachen, weil sie meinen, zu ihrer Predigt sie nötig zu haben, während doch im zwanzigsten Jahrhundert vor der Schärfe der Lupe und vor dem Reichtum der Gedanken und vor der Herrlichkeit der Selbstverklärung die Hölle weichen muß. Wenn ihr zwar an jemandem
| recht schwer traget und euch jemand mit seinen Launen und Leidenschaften das Leben verbittert, wenn ihr einen Dienstboten habt, der störrisch, ungehorsam, unpünktlich, unwahrhaftig ist, und ihr könnt euch sein Wesen gar nimmer erklären, dann sagt ihr – im zwanzigsten Jahrhundert –: „wie besessen!“ Und wenn ihr von Vorkommnissen in der Zeitung lest, daß eine Mutter ihr Kind quält, verfolgt, haßt, mit ausgesuchten Martern peinigt, so findet ihr dafür auch keine andere Erklärung als: „sie ist wie vom Teufel besessen.“ Und wenn ihr Schauerliches vernehmt, vielleicht in euerem eigenen Kreise, so sagt ihr: „da merkt man den bösen Geist.“ Seht, unwillkürlich sind wir – und das ist ein Trost mitten im Elend, – an und bei der alten Lehre vom persönlichen Bösen angelangt. Das Böse muß sich in Persönlichkeiten ausgestalten; das Böse muß eine Leiblichkeit haben. Ihr sprecht von der leibhaftigen Lüge, ihr redet von der personifizierten Gemeinheit, ihr denkt, da jede Sünde persönlich ist, wenn ihr vom Haß redet, unwillkürlich an eine Person, die haßt; wenn ihr von Eifersucht redet, tritt eine eifersüchtige Persönlichkeit vor euer inneres Auge. Ihr könnt euch gar keine Sünde denken und klar machen, so wenig wie eine Tugend, wenn ihr sie nicht mit einer Persönlichkeit verbindet, mit Fleisch und Blut umkleidet. Und der große Apostel, der von der Sünde jedenfalls mehr weiß, als ein Zeitungsschreiber des zwanzigsten Jahrhunderts, auch als ein Theologe, sagt: „wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den bösen Geistern, die im Luftbereich herrschen.“ (Eph. 6, 12.) Und Luther setzt hinzu: „der Teufel sei uns weit näher als der Rock.“
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Ja, wir sind von einer solchen Fülle böser Gewalten, schwer uns anfechtender Feinde, hart uns anlaufender Dämonen umgeben, daß es eine Gnade Gottes ist, wenn wir sie nicht erblicken müssen. So ist im Reich der Finsternis, in dem nur
ein Gedanke herrscht, Jesu Werke zu vernichten, eine furchtbare Geschlossenheit
| der Lüge, ein System der Gottesfeindschaft, in dem der oberste aller feindlichen, fluchwürdigen und verfluchten Gewalten und Gestalten regiert und thront. Die Heilige Schrift spricht so keusch über diese Dinge: „die Engel, die ihr Fürstentum nicht behielten, sondern verließen ihre Behausung, hat er behalten auf den Tag des Gerichts in den Banden der Finsternis.“ (Jud. 6.) Aus dem tief psychologischen Grunde, daß die Liebe zu Gott, sobald sie innerlich erfahren und empfunden wird, immer von Gleichgültigkeit zum Haß übergeht, gibt es also eine Menge Geister und Gewalten, die Gott aus tiefster Seele hassen, denen es höchstes Glück ist, wenn ein Gotteswerk zerfällt, die in dieser Kriegszeit triumphieren, weil die Lüge zu siegen scheint und die Barbarei herrschend einhergeht. Es gibt eine Unermeßlichkeit des Bösen, das nur von der Vernichtung des Guten lebt, das, ich rede bildlich, das Blut der Erschlagenen einschlürft, um sich von ihm zu nähren, das in all den Lügen, Entstellungen, Verdrehungen, Fälschungen, Zersetzungen seine eigentliche Herrlichkeit entfaltet.
In dieses Reich der Dämonen, da das Gift gebraut wird, mit dem die Seelen frühzeitig verderbt und verheert werden, in dem der Mordstahl geschärft wird, der in das Herz des Bruders sich bohrt, in dem all die Lügen ausgesponnen und angesponnen werden, und all die Ränke und Listen, Intriguen und Hinterlisten geschürzt werden, die durch die Welt hin wie Spinnengewebe sich ziehen, in dieses Reich der Finsternis, in dem es nur einen einheitlichen Gedanken gibt: „lasset uns zerreißen seine Bande und von uns werfen seine Seile!“ (Ps. 2, 3), in dem es nur ein Triumphgeschrei gibt: Jesus ist tot! Gott ist gestorben! Das Kreuz ist gewaltiger als der Thron, der Tod ist stärker als das Leben, die Hölle hat das letzte Wort und die Sünde wird den Sieg behalten! In dieses Reich dämonischer Funde ist der Herr Jesus hinabgestiegen.
| In der Stunde, in der durch die Hölle das Geheul aller Gefangenen, aller Gebundenen, aller Gottesfernen und Gottlosen erscholl: „Christus ist tot für immer, Gott hat seines einigen Sohnes nicht verschont, sondern er hat sich seiner beraubt,“ kam er. In dieses Reich ist der Herr Christus, an Leib und Seele verklärt, eingedrungen. In der oben erwähnten Predigt von Torgau erzählt Luther in seiner bildlich darstellenden Art, daß, wie er mit dem Kreuze hingeschlagen habe an die Pforte der Hölle, alle erbebten. So lesen wir auch Jes. 14, wie alle auffahren, weil der Morgenstern, nicht der gefallene, sondern der aufgehende erscheint, wie alle Gewalten der Hölle erschauern: den wir tot glaubten, über dessen Tod wir jauchzten, der steht vor dem Tore der Hölle. Das ist übermenschliche Phantasie; denn das ist göttliche Offenbarung. Das ist übermenschliche Dichtung; denn es ist göttliche Wahrheit.
In der Stunde, da die Hölle ihre ganze Gewalt entfesselt und ihre ganze Größe entriegelt und die Lüge hohnlachend auf den Thron sich setzt, da doch die Wahrheit verdorben und gestorben sei, in der Stunde erschien die Wahrheit, sieghaft, sonnenklar, heldenstark, göttlich groß: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig geworden und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ (Off. 1, 18.)
Wißt ihr, was das heißt? Ihr habt viel tausendmal den Pfarrer am Altar sprechen hören: niedergefahren zur Hölle – und habt euch nichts dabei gedacht, während es doch wie heilige Scheu durch die Seele gehen müßte. Was hat mein Jesus für mich getragen! Denkt euch, er geht an einen Ort, wo kein Einziger auch nur einen leisen Gottesgedanken hat. Er kommt an eine Stätte, wo jeder Gedanke ein Pfeil ist, gegen ihn angelegt, und ein Speer, gegen ihn gezückt. Wie ist es euch zumute in einer fremden Versammlung, wo euch niemand kennt und ihr scheu, schüchtern euch fühlt und verlassen euch vorkommt. Er aber ist in
| das Reich der Dämonen eingekehrt und sah noch auf ihren Gesichtern die Schadenfreude und hörte, um wieder mit Luther zu sprechen, den alten Schadenfroh jubeln und preisen: „nun ist Gott seines Sohnes verlustig gegangen!“ An die Stätte kam er.
Ist das Jesus? „Ich bin Joseph, euer Bruder, den ihr verkauft habt.“ (1. Mos. 45, 4) So ist er zu uns armen Menschen gekommen. „Ich bin es“: so ist er erschienen den Armen. „Ich bin es, den ihr gekreuzigt, verleugnet, verlassen habt.“ Milde, ladend, alle Unbill vergessend, alles Leid und alle Tränen hinter sich weisend, erscheint der Auferstandene mit dem einzigen Gruß, vor dem alle Angst weicht, wie ein Frühlingshauch das Eis zersprengt und alle winterliche Haft löst: „Friede sei mit euch!“ (Joh. 20, 19.) Auf die Erde ist er wieder gekommen, und wird einst wiederum kommen als ein Erlöser und Durchbrecher aller Bande: „Kennt ihr mich? Ich bin der, der für euch gelitten, für euch den Tod erfahren und das Grab erschaut hat. Es ist alles vorüber, ich bin frei!“ – Aber in die Hölle kam er nicht mit dem Brudergruß des Friedens, sondern mit dem Siegesgruß der Allmacht, nicht mit dem lockenden, ladenden Worte: „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ (Matth. 11, 28), sondern mit dem verurteilenden und verwerfenden: „gehet weg von mir in das ewige Feuer, ihr Verfluchten.“ (Matth. 28, 41.) In die Hölle kam er nicht, wie etliche lehren, werbend, gewinnen wollend, suchend, lockend, ladend, sondern mit dem stillen, stolzen Triumph: „ich bin Sieger! Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ (1. Kor. 15, 55.)
II.
Niedergefahren zur Hölle: um seine Herrlichkeit zu zeigen, um das Weh der Verdammten zu steigern, um unsere Angst zu erlösen. – Um seine Herrlichkeit zu zeigen.| Nun weiß es der geringste der Dämonen, nun sieht es der verlorenste der Teufel; bis in die entferntesten Höllenschlünde, bis in die entlegensten Höllenwinkel, bis in des Abgrundes Heimlichkeiten dringt das Licht, klingt die Mär: Jesus ist Sieger! Er zeigt seine Herrlichkeit: „Du hast mir die Herrlichkeit versprochen auf der Zinne des Tempels, und ich habe sie erlangt auf der Höhe des Kreuzes! Du hast mir die Reiche der Welt ausgetan dort auf dem Berge, wenn ich niederfallen und dich anbeten würde, und ich habe draußen auf Golgatha gelitten und alles verlassen und alles geopfert und alles vermißt. Nun hat mir Gott einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Kennst du mich? Du hast die Steine für Brot mir dargeboten und hast von meinem Gott mich scheiden heißen und hast meine Seele geängstet bis in den Tod und hast mit Höllenqualen mich belastet. Und jetzt ist alles vorüber, alles ist neu geworden!“
Was war das für eine Stunde, wir werden es einst erfahren, als der Fürst der Welt das Lamm Gottes erschaute. Der der Welt Sünde erregte, sah den, der der Welt Sünde trägt. Der die ganze Welt ins Arge versenkte, erschaut den, der die Welt aus dem Argen herausriß. In der Stunde begegnet der Fürst des Lebens, auf dessen heiligem Diadem die Inschrift prangt: „Gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze!“ (Phil. 2, 8) dem Fürsten des Todes, auf dessen furchtbarem Antlitz steht: „weg mit Gott!“
Ahnt ihr, was es heißt, niedergefahren zur Hölle? In der Stunde, da sie auf Erden noch fragen: „wo ist der, den sie ans Kreuz schlugen?“, da noch der Jünger Herz, müde in Hoffnungslosigkeit, sprach: „Wir hofften, er sollte Israel erlösen“ (Luk. 24, 21), in der Stunde hat der Fürst des Lebens seine Herrlichkeit dem Todesherrn gezeigt. Gehorsam und Trotz, Wahrheit und Lüge, Echtheit und Schein, Treue und Untreue sind einander begegnet, und die Treue hat das letzte Wort im Himmel und auf Erden, und die Wahrheit hat gesiegt und das Leben bleibt.
| Aber er ist auch in die Hölle gefahren,
um das Weh der Verdammten zu steigern. Ich weiß wohl, in diesem Augenblick denken etliche unter euch – Luther würde sie nennen:
doctores misericordiae, das ist Lehrer des Erbarmens – wo bleibt das Erbarmen? Es ist merkwürdig, daß viele Menschen mit der Hölle mehr Erbarmen haben als mit der Welt, mehr Erbarmen haben mit den Verbrechern, als mit den Gefallenen. Es ist merkwürdig, daß der Mensch sich viel mehr um die Höllenstrafen als die Himmelsfreuden kümmert, mehr von der Hölle als von der Heimat wissen möchte. Es ist merkwürdig, daß die allermeisten davon reden: ewiges Leben, das leuchtet mir ein, aber ewige Verdammnis ist Gottes nicht würdig. Ich aber sage: ein Gott, der nicht verdammen kann, der kann auch niemand froh machen. Eine Liebe, die nicht zürnen kann, ist Lauheit. Und Wahrheit, die der Lüge einen gewissen Raum verstattet, ist eben nicht echt. Nein, damit die Flamme wirksamer glühe und brenne, und damit die großen, schweren Schrecken dieser Gottverlassenheit recht zum Bewußtsein kommen – so nahe dem Leben und so ferne von ihm – ist Christus in der Hölle erschienen. Nun sollten sie es alle wissen, die gegen ihn Hohn und Trotz aufboten, wie nahe man Jesus kommen kann, um doch ewig von ihm ferne zu sein; wie nahe – nur mit einem Tropfen kalten Wassers könnte man Labung haben und nur mit dem kleinen Finger könnte man errettet werden. Und der Tropfen erquicklichen Wassers wird nicht gereicht und der Finger wird nicht dargeboten. Denn er ist der Heilige in Israel und doch der Heiland. Daß die Qual gesteigert werde durch die Nähe der Tröstung, die sich ihr entzieht, daß die Ferne vergrößert wird durch die Nähe der Heimat, die dann entschwindet, kam er. Ein Gruß des Siegers: „gehet hin!“ Ein Wort des Herrschers: „ich kenne euch nicht!“ Eine Rede des Triumphators: „ihr habt an mir kein Teil!“ Und dann scheidet er, und die Finsternis flutet herein und das Licht tritt immer ferner
| und geht immer weiter. Nun wendet er sich und es ist vorbei für immer. Das ist’s:
niedergefahren zur Hölle! Daß seitdem die Feinde Jesu einander sagen, um ihre Qual zu steigern: „wir haben ihn einmal gesehen. Wie huldvoll muß der sein können, der so drohen kann; wie trostvoll muß der sein, der so zürnen kann“. Es geht seitdem durch die Hölle eine fürchterliche Rede: „es war einmal! Da ist er gekommen, um uns auf ewig aneinander zu binden, um uns für immer an das Böse zu schmieden. Wenn wir da einen einzigen Gedanken hätten haben können: „erbarme dich unser!“ so wäre aus der Hölle ein Himmel, aus der Verdammnis eine Heimat und aus der Ferne eine ewige Nähe geworden, und die Flammen wären erloschen, und das Feuer wäre niedergebrannt und es wäre Frieden gewesen. Aber wir konnten nicht.“ Das ist ja das Höllenleid: man kann nicht! Man kann nicht mehr zurück, man darf nicht mehr zurück. Man will zurück, aber nur, um zu murren; man will die Heimat, aber nur, um sich selbst zu bedauern. Es heißt dann: es ist vorbei! Was eine Minute ausgeschlagen, das bringt keine Ewigkeit zurück, wenn ihr auch tausendmal von einer endlichen Erlösung der Verlorenen fabelt. Einmal – und die Entscheidung ist für immer gefallen; einmal – und die Wahl ist vorbei. Es ist nur eine Minute, eine halbe Minute, um welche die törichten Jungfrauen zu spät kommen, und diese halbe Minute hat ihr ewiges Los entschieden. Wenn ihr es besser wißt, so korrigiert eueren Heiland, daß er so kleinlich ist, um einer halben Minute willen eine ewige Entscheidung zu vollziehen.
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Aber damit der Trost nicht fehle, sagen wir, und das nicht aus Leichtigkeit und Lauheit, sondern aus heißem Danke:
er ist deshalb in die Hölle hinabgestiegen, damit er uns von der Qual der Hölle befreie. Niedergefahren zur Hölle: und wenn dir oft auch bangt und graut, als sei die Höll’ auf Erden, dann kannst du deiner Seele sagen:
| „Jesus ist Sieger! Schüttle nur deinen Kopf! Fluch du alte Schlange!“ Seht, so oft der böse Feind und Lügenvater zu euch sagt: „Hältst du noch fest an ihm? Glaubst du noch die Mythe von Jesus? Glauben auch deine erleuchteten Theologen an ihn? Das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, sei verflucht! Wie, der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts, des philosophischen Jahrhunderts, der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts mit seinen Erfindungen, Entdeckungen, Forschungen und großen Erkenntnissen, der glaubt noch an Jesus?“ Und so oft er dir Jesum in Nebel auflösen will, zuerst in eine Lichtgestalt, dann in einen Schatten, dann in ein Schemen und zuletzt in ein wesenloses Nichts – Gott hat mich genarrt, Gott hat mich betrogen – so oft kannst du sagen: „laß das, Jesus ist Sieger!“ Und so oft die Hölle dich umrauscht mit ihrer Versuchung: „komm her zu mir, ich gebe dir das Glück, der Himmel gibt dir nur Schein und Schatten!“ kannst du sagen: „was hast du für mich getan? Weiche du Übeltäter und Versucher! Jesus ist Sieger; denn er hat für mich gelitten!“ So oft sie dir vorgaukelt, bei ihr sei Befriedigung, kannst du sagen: „ach, nicht Befriedigung will meine Seele, sie verlangt nach Frieden!“ – Sind das, immer wieder muß ich so fragen, sind das Lehren, sind das Erfindungen, von spitzdenkenden Köpfen ersonnen? Oder sind das die Tröstungen, die die Seele ergötzen, daß, „wo die Sünde ist mächtig worden, die Gnade noch mächtiger wurde?“ (Rm. 5, 20.) Sind das Lehrsätze oder sind das Lebensgüter, sind das dürre Stäbe in Jahrhunderten verletzt und zerbrochen, oder sind es Lebenszweige, die da grünen, blühen, Früchte tragen? Entscheidet selbst!
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Niedergefahren zur Hölle. Nun ist keine Versuchung mehr da, und wenn sie über Menschenvermögen geht, die er nicht bestanden, besiegt und zertreten hat. Nun gaukelt kein farbiger Schmetterling mehr durch meinen Gesichtskreis, den er nicht als elende Verführung entlarvt hätte. Nun geht nichts mehr
| durch meine Seele – es sei Süßes oder Bitteres, Seliges oder Schweres, es sei ein halber Traum des Morgens oder nächtens schwere Enttäuschung, seien es Engel des Lichtes oder Gespenster der Hölle, Geister der Finsternis – zu denen ich nicht sagen dürfte: Jesus hat euch überwunden.
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Ganz verlegen, von der Kirche lange nicht erfaßt, erst seit dem siebten Jahrhundert völlig aufgenommen ins Bekenntnis:
niedergefahren zur Hölle. Wenn wir es nicht wissen sollten, wenn es nicht in unserem Glaubensbekenntnis stünde, wenn nun der Feind sagte: „seht, darüber schweigt er, ob er auch meiner Herr geworden ist; darüber redet die Kirche nicht, ob die Hölle entmächtigt ist!“ – was wäre es dann? Brich ein einziges Glied aus der heiligen Kette, die vom Himmel zur Erde und von der Erde zum Himmel reicht, und die ganze Kette zerfällt. Nimm ein einziges Stück, einen einzigen Stein, sei es auch ein grauer, morscher, brich ihn heraus aus dem Gottesbau, der über Jesu Grab sich erhebt, und der ganze Bau stürzt zusammen und begräbt auch dich unter seinen Trümmern. Nein, sagt es selbst, wenn dieses Wort nicht dastünde, wir müßten es erfinden. Doch es ist da, gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns wiedergeboren hat, zu einer Hoffnung, die in Jahrhunderten nicht altert, nicht vergeht, noch einfarbig und eintönig wird, sondern die weit über Berg und Tal, über Abgrundstiefe und Höllenreiche und Schrecken der Finsternis triumphiert. Alle Glocken läuten es durch die Kirche, alle Chöre singen es durch die Herzen, alle Bekenner in der Heimat rühmen es auf die Erde herab: „Jesus ist der Siegesfürst, er hat alles überwunden.“ Sage es deiner Seele, wenn sie im Staube liegt, und deinem Leben, wenn es versucht wird, und der enteilenden Stunde, die dich ängstet: „Ewigkeit – und ist keine Errettung mehr da!“ sage es ihr: „bringe mich hin zu ihm, der mich erlöst hat; denn er ist treu!“ Während es durch die Hölle geht wie
| das Seufzen der zertretenen Ohnmacht: „wir dachten, er sei gefallen, vergessen, verlassen,“ zieht es durch die Herzen der Jünger und durch die Hallen der Kirche: „wo ist ein Feind, den Jesus nicht bestünde? Wo ist ein Schrecken, vor dem ich nicht zu ihm fliehen dürfte?“
Das will geglaubt sein. Wer es aber glaubt, dessen Herz ist freudenvoll. Und diese Freude soll niemand von euch nehmen!
Auch die Hölle nimmt mir nicht.
Was mein Jesus mir verspricht.
Amen.