Der 2. Glaubensartikel/Gestorben und begraben
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Gestorben und begraben.
In einer einsamen Waldbucht an der Bergstraße, unfern dem Orte Auerbach, das so vielen schon freundliche Linderung und erquickliche Stille bereitet hat, liegt, von Eichen umrauscht und von Birken umsäumt, eine einsame Stätte, die im Volksmund den Namen „Not Gottes“ führt. In alter Zeit stand dort, wahrscheinlich auf Anregung des aus Speyer herübergekommenen Bernhard von Clairvaux erbaut, eine Kapelle, welche dem Leiden des Herrn Christus geweiht war. Die Kapelle ist längst zerfallen. Aber eine erlauchte Frau hat an der Stelle, die das Volk „Not Gottes“ heißt, ein wunderbar liebliches und feierliches Kruzifix aufrichten lassen. Und nun weiß das Volk wieder, warum der längst verklungene Name: „Not Gottes“ an dieser Stelle genannt wird. Es ist der Tiefsinn des Volksglaubens, die tiefgrabende Poesie des Volksgemüts, welche an der Stätte, da man das Kreuz Jesu Christi aufrichtet, von der „Not Gottes“ spricht; „denn Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selbst.“ (2. Kor. 5, 19.) Und Gott hat, da der Sohn litt, des Sohnes Not ertragen und erfahren.
Not Gottes! Drei Worte mögen der Gemeinde dargeboten werden, drei Worte, die sie von altersher kennt.
Das eine Wort: und er schlief.
Das andere Wort: und es ward Nacht.
Und das dritte Wort: gestorben und begraben.
Aber in dieser Armut und Ohnmacht liegt Allmacht und Reichtum. Er schläft, weil auch dem Schlafe die heilige Treue nicht gebricht. Er schläft, weil auch der Ruhe die Allmacht nicht entweicht. Er schläft, weil er auch im Schlafe die Seinen schützt; er ruht, weil seine Ruhe den Seinigen Frieden bringt. Wenn der Meister schläft, so ist die Gefahr nicht groß; wenn der Arzt ruhig ist, so ist die Krankheit nicht zum Tode. Wenn er, der Heiland, sich in den Frieden des Schlafes birgt und bettet, dann kann der Feind die Seinen nicht besiegen. Jesus schläft, das sei nicht Gegenstand deiner Trauer und deiner Angst, sondern deiner innerlichen und seligen Friedensgewißheit: „Weil er schläft, darum werde ich wohl bleiben, er hilft mir frühe.“ (Ps. 46, 6.)
Und in dieser heiligen, gebefreudigen Stunde, in der Stunde, da er eine Gabe spendet, die Welt, Sünde, Tod und Hölle in sich beschließt, wird es Nacht. Eben noch das Licht, das alle Herzen durchflutet, eben noch die Leuchte, aus der Ewigkeit für die Ewigkeit entzündet, eben noch das Licht, das den verirrten Wanderer an sich lockt, wird er in Nacht versenkt. Seine Jünger werden an ihm irre. Der eine erwählt die Verleugnung, der andere den Verrat, die übrigen verließen ihn. Der Dank für die Stiftung seines allgegenwärtigen Heilswunders ist die Untreue des Zweifels, und das Lob für seine Großtat, die er in das wundersame Zeichen des Liebesgeheimnisses einsetzte, ist die verleugnende, ihn preisgebende Ungeduld. Da ward es Nacht. Da ward es Nacht im Herzen des ewigen Lichtes: „Du hast mir Mühe gemacht mit deinen Sünden und hast mir Arbeit gemacht mit deiner Missetat.“ (Jes. 43, 24.) Und alle Engel bezeugen es, und alle höllischen Gewalten bestätigen es, und der Vater der Wahrheit bekräftigt es: ja, Mühe mit der Sünde und Arbeit mit der Missetat!
Aber wenn nur diese Mühe gesegnet und diese Arbeit von Erfolg gekrönt wäre! In dieser Nachtstunde, da unser aller großer Fürbitter um eine kurze Wachsamkeit seiner Jünger bittet, da heißt es: „ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich!“ (Jes. 49, 4.)
Da ward es Nacht, als ihm der Feind seine Erfolge zeigte; das ist dein Judas und das ist dein Petrus und das sind deine andern Jünger alle: „sie verließen dich und flohen.“ (Mk. 14, 50.) Da ward es Nacht, als über dem kurzen Schlaf dort im Schifflein die Jünger in Müdigkeit gerieten und die Treue mit Undank vergalten. Da ward es Nacht, als schweigend das Kreuz erschien und vor ihm aufstieg, der Hohn der Heiden, die Angst des Leidens, als die Gewalten der Hölle, die Schrecken des Todes ihn umfingen, und es war niemand, der ihn tröstete.
Wunderbar! Nicht aus Menschensinn und nicht aus Menschenmeinung! Den Reinen läßt Gott allein und den Unreinen zieht er an sein Herz. Den ewig Heiligen läßt er in den Tod versinken, als wäre er ihm nie nahe gestanden, und all die Fernen der Welt, all die Verkommenen der Erde, all die Verwahrlosten und Ungetreuen, das Heer der Sünder, die Menge der Gottverlassenen und Verlorenen ruft er: „Kommet her zu mir!“ Sie kommen am Kreuze vorüber: dort schläft ihr Herr. Sie ziehen am Marterholze vorbei in ungezählten Scharen: dort ist ihr König gestorben. Sie wallen seitdem durch die Jahrhunderte immer wieder, immer wieder am Kreuze vorbei, und das Einzige, was sie sagen können, ist: „wir danken dir, Herr Jesu Christ!“ Und St. Johannes, ehe er stirbt, schreibt in sein Tagebuch, und sein Tagebuch haben wir und sollen es durchlesen, durchleben, durchleiden und durchlieben: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde!“ (1. Joh. 1, 7.) Und er sagt weiter: „Ob jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christ, der gerecht ist.“ (1. Joh. 2, 1.)
Das ist die Not Gottes, daß der Vater die Sünder zu seinen Kindern und seinen Sohn zum Fluch machen muß. Das ist die Not Gottes, daß die Heiligkeit den Heiligen verwirft und den Unheiligen annimmt. Und wiederum: das ist die Not Gottes, daß die Reinheit am Kreuze den Tod des Sünders erleidet.
Und damit niemand zweifle und alle Zweifler genesen, fährt das Glaubensbekenntnis schüchtern und doch so tiefgründig fort –| was sage ich, nicht nur der Glaubensartikel, sondern die Heilige Schrift, ja fährt der Herr der Geschichte weiter: begraben. „Laß du die Toten ihre Toten begraben“ (Luk. 9, 60), sagt der Herr zu dem Jünger und er selbst wird in ein kühles Grab gesenkt. Und dieses Grab ist seitdem aller Zweifel Ruheort und aller Trostlosen Rast und Frieden und aller Schwergeängsteten liebster Aufenthalt geworden: „So ruhest du, o meine Ruh in deiner Grabeshöhle und erweckst durch deinen Tod meine tote Seele.“Seht, alles, was der Feind zum Hohn des Heiligen, zur Schmach des Allmächtigen, zur Vernichtung des Lebens getan hat, ist schließlich zu seiner Verherrlichung geworden, auf daß man siehet: „der rechte Gott wohnt zu Zion.“ (Ps. 84, 8.) Das Holz der Schmach ist nun der Lebensbaum geworden; das Grab des Gestorbenen ist der Friede der Seinen.
Und begraben! Aber schon spielt um das geschlossene Grab der Morgenschein eines neuen und ewigen Tages; schon regt sich um die schlummernden Gebeine das Geheimnis eines ewigen Frühlings. Von allen Seiten, die den Verstorbenen beweinen, von allen Nöten, die mit ihm ins Grab gesenkt sind, aus allen Sünden, die er mit sich in den Tod genommen hat, blüht und grünt es ihm entgegen, lauter Ehrenpreis des Gekreuzigten:
Liebe, die sich tot gekränket
Und für mein erkaltet Herz
In ein kaltes Grab gesenket,
Ach, wie dank’ ich deinem Schmerz!
Die Not Gottes ist sein Triumph geworden, und das Grab des Ärmsten unter den Menschen hat der Menschheit ihren Reichtum gegeben, und an dem Stein im Garten des Joseph von Arimathia hat die arme Kirche ihren Grund- und Eckstein gewonnen: „seht, ich lebe und habe überwunden!“
| Seht, meine Christen, das ist Gottes Not, die er überwand. Und nun ist noch eine Not Gottes, die der Prophet in ein kurzes Fragewort fügt: „wer glaubt unserer Predigt? Und wem wird der Arm des Herrn offenbart? (Jes. 53, 1.)“Es war vor wenigen Tagen, als ich im Mausoleum des Kaisers Friedrich und seiner englischen Gemahlin, und wiederum an der Grabstätte König Friedrich Wilhelms IV. und seiner erlauchten bayerischen Gemahlin stand. Das ist eine Predigt ohne Worte. Hier wie ein Geheimnis: der Hoffnung Armut. So prunkvoll und so herrlich, so sinnig und so zart das Mausoleum in der Friedenskirche in Potsdam sich erhebt, mit den wunderbarsten Farben, in Marmor und Gold, fein, rein und schön, und so mächtig die Pietà von Rietschel herüberwinkt auf die beiden Sarkophage des erlauchten Kaiserpaares, so wenig geht es durch den Raum wie Hoffnung. Und herüber in dieses einsame, in kaltem Prunk leuchtende Grabmal schaut jenes einsame Gemach, in dem der größte aller Preußenkönige sein Leben aushauchte, das letzte Gemach droben in Sanssouci. Die eine Grabstätte predigt der Hoffnung Armut. Und an den andern Gräbern steht in einfacher Ausführung mit schlichten, nüchternen Buchstaben: „Hier ruht im Glauben an seinen einigen Herrn, Hirten und Heiland weiland König Friedrich Wilhelm IV., der auf Verdienst Jesu Christi eine ewige Vergebung und eine selige Auferstehung erwartet.“ Und neben ihm seine fromme Gemahlin: „eins mit ihrem Gemahl im Glauben der Kirche wartet sie auf eine selige Auferstehung und freut sich im Frieden der Heimat“ – so ungefähr lauten die beiden Inschriften. Mitten zwischen diesen beiden Gegensätzen hat die Seele wieder das Gleichgewicht gefunden: „gestorben für unsere Sünde nach der Schrift“ (1. Kor. 15, 3) und begraben in die Schmach der Erde, damit er alle Suchenden zu sich ziehe und alle Gramverlorenen tröste und allen Heimatfernen die Heimat bereite.
| Not Gottes – Friede der Seelen; Einsamkeit Christi – Gemeinschaft des Lebens. Gottesferne und Kreuzesschmach – Himmelsnähe und ewiges Leben. Das sind die Gegensätze, die der Heiland am Kreuze in seinem heiligen Leiden und Sterben vereint hat.Jesu, meines Lebens Leben,
Jesu, meines Todes Tod,
Der du dich für mich gegeben
In die tiefste Seelennot,
In das äußerste Verderben,
Nur daß ich nicht möchte sterben,
Tausend, tausendmal sei dir,
Liebster Jesu, Dank dafür.
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