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 Aber er ist auch in die Hölle gefahren, um das Weh der Verdammten zu steigern. Ich weiß wohl, in diesem Augenblick denken etliche unter euch – Luther würde sie nennen: doctores misericordiae, das ist Lehrer des Erbarmens – wo bleibt das Erbarmen? Es ist merkwürdig, daß viele Menschen mit der Hölle mehr Erbarmen haben als mit der Welt, mehr Erbarmen haben mit den Verbrechern, als mit den Gefallenen. Es ist merkwürdig, daß der Mensch sich viel mehr um die Höllenstrafen als die Himmelsfreuden kümmert, mehr von der Hölle als von der Heimat wissen möchte. Es ist merkwürdig, daß die allermeisten davon reden: ewiges Leben, das leuchtet mir ein, aber ewige Verdammnis ist Gottes nicht würdig. Ich aber sage: ein Gott, der nicht verdammen kann, der kann auch niemand froh machen. Eine Liebe, die nicht zürnen kann, ist Lauheit. Und Wahrheit, die der Lüge einen gewissen Raum verstattet, ist eben nicht echt. Nein, damit die Flamme wirksamer glühe und brenne, und damit die großen, schweren Schrecken dieser Gottverlassenheit recht zum Bewußtsein kommen – so nahe dem Leben und so ferne von ihm – ist Christus in der Hölle erschienen. Nun sollten sie es alle wissen, die gegen ihn Hohn und Trotz aufboten, wie nahe man Jesus kommen kann, um doch ewig von ihm ferne zu sein; wie nahe – nur mit einem Tropfen kalten Wassers könnte man Labung haben und nur mit dem kleinen Finger könnte man errettet werden. Und der Tropfen erquicklichen Wassers wird nicht gereicht und der Finger wird nicht dargeboten. Denn er ist der Heilige in Israel und doch der Heiland. Daß die Qual gesteigert werde durch die Nähe der Tröstung, die sich ihr entzieht, daß die Ferne vergrößert wird durch die Nähe der Heimat, die dann entschwindet, kam er. Ein Gruß des Siegers: „gehet hin!“ Ein Wort des Herrschers: „ich kenne euch nicht!“ Eine Rede des Triumphators: „ihr habt an mir kein Teil!“ Und dann scheidet er, und die Finsternis flutet herein und das Licht tritt immer ferner