Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Fünfundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Sechsundzwanzigstes Kapitel
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Fünfundzwanzigstes Kapitel.




Am 25. Oktober kamen wir wieder in Lissabon an. Die Insurgenten hatten sich in Oporto befestigt, von wo aus eine Junta mit der Königin unterhandelte. Die Hauptstadt selbst jedoch war ruhig, der Hof, die Gesandtschaften und der Adel dahin zurückgekehrt. Ich machte zuerst der Lady H. de W. meine Aufwartung. Diese edle Dame hatte nicht aufgehört, für mich zu sorgen und ihren Einfluß für mich zu verwenden, ging auch jetzt mit der herzlichsten Theilnahme auf meine Verhältnisse ein. Sie versicherte mich, daß ich in Kurzem eine sehr einträgliche und angenehme Stellung einnehmen werde, rieth mir, ein Quartier [227] zu miethen, mir ein Maulthier und Dienstleute anzuschaffen, und erbot sich, mir jede Hülfe zu leisten, deren ich bedürfe. Mit einer besonderen Empfehlung von ihr ausgerüstet, begab ich mich zu Frau von K., der Gemahlin des schwedischen Gesandten, die mich sehr wohlwollend aufnahm, sogleich für den gesammten Unterricht ihrer vierzehnjährigen Tochter engagirte und mir eine alte englische Dame, Namens Frau S., empfahl, welche Möbelzimmer vermiethete. Mein nächster Gang war zu dieser, wo ich sogleich eine reizende Wohnung mit einem Balcon ermiethete, von welchem aus ich die herrlichen Gärten von Buenos Ayres, den Palast Necessidades, die Mündung des Tajo und das Meer überblickte. Da mein Engagement bei Madame D. geendet war, so bezog ich auch mein neues Engagement sogleich und fuhr fort, mich den Familien, denen mich meine Beschützerin empfohlen hatte, zu präsentiren. Ueberall wurde ich mit Auszeichnung aufgenommen und als Lehrerin engagirt; aber da die Wohnungen allzu weit aus einander lagen, der Weg auch durch bergige und schmutzige Straßen führte, so mußte ich mir ein Maulthier miethen. Gern hätte ich es gleich gekauft, allein es fehlte in meiner Nähe an Stallung; und so ging ich denn mit Freudigkeit und Energie in meinen neuen Wirkungskreis.

Die Reise durch Spaniens schönste Gegenden hatte mein Gemüth und meine Gesundheit merkwürdig restaurirt, meinem Geist eine Elastizität und Klarheit verliehen, welche jeden Gegenstand und jede Empfindung meisterhaft auffassen und beherrschen ließ. War meine Seele schon früher durch Religion, Philosophie und Leben geläutert worden, so erhob sie sich jetzt zu einer begeisterten Anschauung abstracter Dinge, die mich über das Irdische erhöhete und alle früheren Leiden als einen Verklärungs-Prozeß für höhere Contemplation erscheinen ließ. Daß mir dabei der Sinn für materielle Intentionen, Schmeichelei und Huldigung der Männer, schaale Genüsse und hohles Wesen mehr und mehr entschwand, mußte in der Ordnung erscheinen. Dabei war ich unendlich heiter und froh, ich ergoß oft den Jubel meines Herzens in schwellenden Tönen und rollenden Cadenzen, gleich der Lerche, die sich fröhlich jauchzend in den Aether schwingt.

Maria, die vortreffliche alte Frau, die mich nach Olumiares begleitet und in meiner Krankheit gepflegt, ward mein Factotum und versah ihren kleinen Dienst bei mir mit musterhafter Umsicht und Treue. Frau S., deren Zimmer getrennt von den meinigen waren, besuchte [228] mich oft und bemühete sich, durch listige Ausforschungen meine Verhältnisse, Gesinnungen und Gefühle zu ergründen, wobei sie zu meinem Verdrusse verrieth, daß sie bereits mehr von dem Zwecke meiner Reise wußte, als ich eben für nöthig hielt. Glücklicher Weise besitze ich die Fähigkeit, Unverschämtheiten auszuweichen und zu imponiren, woran auch ihre Neugierde scheiterte. Sie ging dann auf ein anderes Thema über, indem sie mir ihren Sohn vorstellte und denselben als den Inbegriff aller Qualitäten eines vollkommenen Gentleman pries. Leider ging mir das Verständniß derselben gänzlich ab, so daß ich in dieser Krone der Ritterschaft nichts als einen simpeln Laffen erblickte, der das sehr begreifliche Glück genoß, von seiner Frau Mama vergöttert zu werden. Es wurde mir sonach keineswegs schwer, mich von diesen zwei Pracht-Exemplaren der englischen Population Lissabons in geziemender Entfernung zu halten. Mein Wirkungskreis erweiterte sich mittlerweile immer mehr, und bald war ich nicht allein in den bereits erwähnten Familien, sondern auch in portugiesischen Häusern heimisch, von welchen ich nur das des Marquis von V., eines der reichsten Hidalgos, anführen will. Ich fühlte mich unaussprechlich glücklich, namentlich im Umgange mit meiner großmüthigen Wohlthäterin, deren bloßer Anblick mir schon innerliches Wohlbehagen bereitete. Es war mir Bedürfniß, diese himmlisch gute Frau zu sehen und mich ihrer Theilnahme an meinem Schicksale sowie ihres herzerhebenden Umganges zu erfreuen. Milady H. de W. war mein Schutzengel und meine Liebe zu ihr unbegrenzt, ich trug diese auch offen zur Schau, so daß mich meine portugiesischen Freunde manchmal fragten: „Verstehen alle deutsche Frauen so zu lieben und dankbar zu sein wie Sie?“

Eines Tages theilte sie mir mit, daß sie und ihre Familie nach England zurückkehren würden. „Kommen Sie mit uns, sagte sie mit dem Ausdrucke himmlischer Güte, ich werde für Sie sorgen; Portugal ist ein zu bewegtes Land, jeden Tag kann eine Revolution ausbrechen und Sie in sehr precäre Verhältnisse bringen. Die Gesandschaft wird in einem besonderen Schiffe reisen, und ich biete Ihnen hiermit ganz freie Rückfahrt an. Uebrigens wissen Sie ja, daß Sie unter allen Umständen auf mich rechnen können.“

Obwohl mir nun der bloße Rath dieser seltenen Frau schon Gesetz war, so wirkte doch die Vorstellung von dem Aufsehen, das mein Bruch mit v. T. machen werde, von der Schadenfreude über die Ursache desselben, [229] die Erinnerung an die außerordentlichen und harten Schicksale, welche ich in England erlebte, die Furcht vor den Verfolgungen jener scheußlichen Menschen, mit denen ich dort unglücklicher Weise in Berührung gekommen war, so stark auf meine Phantasie, daß diese über meinen Verstand siegte. Ich ergriff ihre Hand, und indem ich sie mit Inbrunst an meine Lippen drückte, erwiederte ich: „Halten Sie mich nicht für undankbar, Milady, wenn ich dieses großmüthige Anerbieten nicht mit Freudigkeit ergreife; ich fühle mich so glücklich in dem Wirkungskreise, den ich Ihnen verdanke, daß es mir nicht möglich ist, denselben aufzugeben.“

Lady H. drang nun nicht weiter in mich, aber sie heftete ihre schönen milden Augen einige Augenblicke fragend auf mich; vielleicht erwartete sie eine Erklärung, denn wahrscheinlich schrieb sie meiner Anhänglichkeit andere Motive zu, allein ich war mir keiner anderen bewußt. Demungeachtet schlug ich die Augen nieder, denn mein eigenes Herz zieh mich des Undankes, indem ich meiner Wohlthäterin nicht nach England folgte. Wer aber jenes paradiesische Land kennt und sich einen Begriff von meiner angenehmen Stellung darin zu machen versteht, dabei einen Vergleich mit dem Gouvernantenleben in England anstellen kann, den wird mein Verhalten weniger befremden. Wohin ich nur kam, war ich die Gefeierte, mußte an allen Festlichkeiten und Gesellschaften Theil nehmen, ja die Gastlichkeit der portugiesischen Damen ging so weit, daß ich, wenn ich um die Mahlzeit ankam, auch daran Theil nehmen mußte. Eine solche Herzlichkeit bewirkte natürlich eine große Anhänglichkeit auf meiner Seite. Als Lady H. meinen Entschluß sah, wünschte sie mir noch viel Glück und Wohlergehen, worauf ich unter Thränen mich verabschiedete. Ich habe oft für das Wohl dieser unvergleichlichen Frau gebetet, ihr Andenken wird mir unvergeßlich bleiben. Das war ein herber Verlust, der mich lange schmerzlich verstimmte; mir war, als hätte ich meinen Schutzengel verloren. Wäre die Lady nicht so plötzlich abgereist, so hätte ich sie gewiß noch begleitet. Indeß bemüheten sich meine Freunde, mir mein Leben und Wirken so angenehm wie möglich unter ihnen zu machen, und durch diese unverstellte Zuneigung fühlte ich mich bald heimisch in Lissabon. Der Aufwand für Mundprovision kostete mich fast nichts, denn bei einer Familie mußte ich frühstücken, bei der andern zu Mittag speisen, bei einer dritten zu Abend, und so rücksichtsvoll waren sie, daß sie an Fasttagen [230] Fleischspeisen für mich bereit hielten. Die Küche der Portugiesen, obwohl etwas fett und schwer, hatte nichtsdestoweniger meinen Beifall, worüber sich diese guten Menschen herzlich freuten. Während mir so unzählige Beweise von Achtung Seiten der höchstgestellten und achtbarsten Personen zu Theil wurden, legten mir einige englische Abenteurer und Wüstlinge Fallstricke, griffen zu den schmählichsten Mitteln, mich unglücklich zu machen, indem sie, aus Rache für die ihnen gezeigte Verachtung, mit einigen Buhlerinnen beleidigende Gerüchte über mich aussprengten, um mir den Aufenthalt in Lissabon zu verleiden.

Mistreß S. sprach bisweilen von Herrn v. T., obgleich ich seiner niemals gegen sie erwähnt hatte. Sie behauptete ihn genau zu kennen und erzählte mir allerlei Geschichten, um ihn in meinen Augen herabzusetzen, was mich immerhin schmerzlich berührte. Oft begegnete ich auch v. T., der mich jedesmal traurig und sehnsüchtig anblickte, was mich trotz meiner Bemühungen stets träumerisch in meinem Berufe machte. Meine englischen Freundinnen redeten ihm viel Schlechtes nach und warnten mich vor einer Aussöhnung mit ihm; die portugiesischen gaben vor, ihn nicht zu kennen. Eines Tages brachte mir Mistreß S. die Nachricht, daß Herr v. T. mit einer Baronesse verlobt sei, und erzählte mir zugleich allerlei kränkende Aeußerungen, die er in Beziehung auf mich gethan haben sollte. Tausend Gefühle bemächtigten sich meiner in diesem Augenblick und folterten mich Tag und Nacht mit entsetzlichen Bildern. Von jetzt an betrachtete ich v. T.’s Annäherungsversuche als Tücke und Hohn, und erwiederte sie mit Spott und Verachtung. Während es also innerlich in mir stürmte, trugen auch die klimatischen Verhältnisse dazu bei, meine Lage zu verschlimmern. Der Winter hatte sich eingestellt und ein kalter, schwerer Regen strömte Tag und Nacht ununterbrochen vom Himmel, gegen welchen kein Schirm mich zu schützen vermochte. Das Fahren ist aber in Lissabon äußerst kostspielig, wodurch mein Einkommen sehr geschmälert ward. Dazu kam, daß in meinen Zimmern nach Landessitte kein Ofen war, nicht einmal ein Kamin, so daß ich des Abends nach des Tages Mühseligkeiten heftig fror. Frau S. schürte indeß das Feuer des Hasses auf das emsigste, indem sie mir fortwährend die empörendsten Nachrichten und sogar Aufträge von Herrn v. T. hinterbrachte, welche mich zu Repressalien reizten. Eines Tages theilte sie mir sogar mit, und zwar unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses, daß v. T. mir nach dem Leben trachte. Wenn [231] ich ihn daher an einsamen Oertern meiner harren, mir entgegen kommen oder mir folgen sah, glaubte ich fest, daß er mich mit dem Stilett verfolge. Er hatte mir mehrmals geschrieben, allein ich hatte seine Briefe stets unerbrochen zurückgeschickt, und so war denn die Kluft zwischen uns unübersteigbar geworden. Als Mistreß S. dies bemerkte, rückte sie ganz sacht und pfiffig mit einem Plane hervor, den sie schon längst auf dem Herzen hatte. Sie gab sich nämlich alle erdenkliche Mühe, zwischen mir und ihrem Sohn eine Heirath zu Stande zu bringen! Dieser Mensch brachte auf mich die Wirkung der Ipecocuanha hervor, so daß mich bei einem solchen Gedanken die Gänsehaut überlief, dazu war er kränklich, ohne Bildung und Vermögen, ja ohne Profession, lebte einzig von dem ungewissen Erwerbe seiner eben nicht scrupulösen Mutter, und es kann daher nur gebilligt werden, wenn ich dem erwähnten Heirathsgesuche mit der schneidendsten Kälte begegnete. Es würde einen zu großen Raum einnehmen, wenn ich alle die Kabalen und schlechten Streiche erzählen wollte, deren sich diese beiden Personen bedienten, um ihren Zweck zu erreichen; genug, es erforderte alle meine Energie und Besonnenheit, um nicht das Opfer ihrer Speculation zu werden.

Endlich verging auch dieser traurige Winter, der März brachte schon den bezaubernden Frühling, welcher dieses gesegnete Land zu einem Eden macht. – Ich hatte nie aufgehört, mich meiner Kindespflichten zu entledigen, aber aus Schonung meinen Eltern immer nur möglichst günstige Nachrichten gegeben, indessen konnte ich ihnen die Auflösung meines Verhältnisses zu v. T. unmöglich verschweigen. Mein Vater hing mit der zärtlichsten Liebe an mir, Alter und eine langjährige Blasenkrankheit hatten ihn sehr geschwächt, aus seinen Briefen sprach eine düstere Todesahnung in Form ängstlichster Sehnsucht nach mir und theilte sich unmerklich meinem Herzen mit. Bald ging mein Streben nur dahin, in seine Arme zu eilen, um ihm allen Trost und alle Unterstützung zu gewähren, die in meiner Macht standen. Eines Nachts, als ich mich in Sorgen und Aengsten schlaflos auf meinem Bette wälzte, ward es plötzlich ganz hell vor meinen geschlossenen Augen, und als ich sie aufschlug, sah ich meinen Vater von einem Lichtstrom umflossen vor mir, seine Arme segnend über mich ausbreitend. Ich schrie laut auf und streckte ihm meine Hände entgegen, aber er war in demselben Augenblick verschwunden und ich wußte, daß er mir in die Ewigkeit [232] voran gegangen war. Einige Zeit darauf erhielt ich die Nachricht, daß er in jener Nacht des April 18..[WS 1]verschieden war. Die Zeit hat meinen Schmerz um ihn zwar gemildert, aber das Heimweh nach dem Himmel und die Sehnsucht nach ihm werden mein Herz erfüllen, bis es aufhört zu schlagen.

Ich erzählte Frau von K. von dem Verfahren der Mistreß S. gegen mich, und diese Dame war gütig genug, mir bis zur Auffindung eines anderen annehmbaren Quartiers ihr Haus zum Asyl anzubieten. Ich machte davon Gebrauch auf einige Wochen, während welcher ich mit Freundlichkeit und Wohlwollen behandelt ward. Es gelang mir inmittelst, von einer verarmten Kaufmannsfamilie ein sehr schönes Logis auch in Buenos Ayres gegen einen billigen Miethzins zu erhalten. Die Töchter dieser Familie, zwei einfache gute Mädchen, besuchten mich oft und weiheten mich einigermaßen in das Innere des bürgerlichen Lebens in Portugal ein. Ich mußte die überaus zarten und sittlich richtigen Gefühle, die Häuslichkeit und Zurückgezogenheit der Frauen und Mädchen in jenem Lande verehren. Indessen steht der portugiesische Typus dem spanischen an Schönheit und Seelengröße nach, hingegen sind die Söhne Lusitaniens weichmüthiger und bei weitem nicht so rasch zum Blutvergießen wie die Spanier. In Portugal wie in Spanien werden die Mädchen sehr eingezogen gehalten, die Etiquette fordert, daß kein Bewerber vor dem Hochzeittage Eintritt in ihr Haus erhalte, weshalb alle derartige Aspiranten unter den Fenstern ihrer Holden seufzen müssen, bis ihnen Hymens Fackel in’s Brautgemach leuchtet. Wenn die Schöne in den höheren Regionen wohnt, muß dies für das Genick des Liebhabers seine Schattenseiten haben. Im Vorübergehen habe ich unzählige solche Unterhaltungen mit angesehen, wo ich nicht begreifen konnte, wie bei der Gefahr des Halsbrechens noch Liebesgedanken aufkommen konnten. – An meinen Zöglingen nahm ich im Allgemeinen große Bildungsfähigkeit wahr, und unter ihnen zeichneten sich die Söhne des Marquis von N., eines Nachkommens des Vasco de Gama, durch seltene Fassungskraft aus. Denn obgleich erst acht und neun Jahre alt, waren sie doch schon in sieben Sprachen weit vorgerückt und trieben dabei noch Mathematik und Musik mit Erfolg.

Ueberaus liebenswürdig fand ich die portugiesischen Frauen, sie sind die sympathischesten Wesen von der Welt, es genügt, daß ein Mensch unglücklich sei, um ihr Mitgefühl zu erregen. Ich sah oft eine [233] Menge Armer in den Höfen der Reichen Speisen und Almosen erhalten, ohne daß Jemandem einfiel, nach Namen und Würdigkeit sie auszuforschen. Das hochfahrende, hartherzige Wesen, das man bei so vielen Frauen der Nordländer findet, ist ihnen ganz fremd.

Die Familie, welche sich am meisten für mich interessirte, war die des Grafen P. Diese guten und edeln Menschen wollten mich gern glücklich machen und erboten sich, mir ihre sämmtlichen Kinder in Erziehung und zu Errichtung eines Pensionates ein Haus zinsfrei zu geben. Ja sogar die Zöglinge wollten sie mir zuführen, und zwar so viele, wie ich nur haben mochte. Freilich war aber die Bedingung, daß ich zur katholischen Kirche übergehen sollte. Sie gaben sich deshalb alle erdenkliche Mühe, mich von der Untrüglichkeit der alleinseligmachenden Kirche zu überzeugen, sowie von der Gefahr, wenn ich im Ketzerthume verbliebe. Oft luden sie ihren Beichtvater, einen irländischen Jesuiten, der Pater I. genannt wurde und auch Beichtvater der Königin war, zu Gaste, um das Werk meiner Bekehrung zu betreiben. Er gab sich damit alle Mühe, groß und mannigfaltig waren die Vortheile, die er mir in der gegenwärtigen wie zukünftigen Welt versprach. Glücklicher Weise kannte ich die Geschichte, die Lehr- und Grundsätze der Schüler Loyola’s genug, um mich durch ihre Beredsamkeit nicht blenden zu lassen. Selbst Protestanten riefen mir die gebotenen Vortheile in’s Gedächtniß, ich selbst war keinesweges blind dafür, aber ich konnte nicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß mich die römische Kirche befriedigen werde und ich meinen Uebertritt zu ihr vor mir selbst würde rechtfertigen können. Und doch bin und war ich zwar stets streng religiös, aber nichts weniger als bigott, Protestant wie Katholik war meinem Herzen gleich theuer, mein Gemüth befand sich aber in der Stimmung, wo man das Märtyrerthum der Feigheit vorzieht.

Es kam der Sommer heran und mit ihm neue Prüfungen für mich. Die Hitze nahm von Tag zu Tag zu, aber während sich alle Menschen in dunkeln Gemächern hinter undurchdringlichen Jalousieen verbargen, ritt ich von früh sechs Uhr an unter den fast senkrechten Sonnenstrahlen auf unwegsamen Straßen umher, wo mein Thier bald auf dem greulichsten Pflaster stolperte, bald in die Kloake sank, deren Ausdünstung mir den Athem versetzte. War ich am Abend auf dem Heimwege begriffen, so durchschauerte ein kalter, schneidender Westwind meinen erhitzten Körper, der sich dort stets erhebt, sobald die Sonne [234] im Atlantis versunken ist. Das wirkte so nachteilig auf meine Gesundheit, daß ich fast niemals frei von Fieber war. Nicht nur meine Freunde bedauerten mich, sondern viele mir Begegnende sagten gutmüthig: „Quouta dinha!“ oder: „Huma tam boa rapariga nao precisa gastar taes penas!“ – Ich hatte mich aufrichtig an meine Freunde angeschlossen und nahm den wärmsten Antheil an den Schicksalen dieses schönen Landes und seines Volkes, dessen Geschichte zu den innigsten Sympathieen berechtigt, dessen Helden die Banner Portugals in den entferntesten Theilen der Erde aufpflanzten und während zweier Jahrhunderte den Ruhm ihres Vaterlandes in der ganzen Welt erglänzen ließen.

Unter anderen lernte ich auch den sehr populären Edelmann Dom Carlos de M. kennen, dessen Ahnherr mit Silveira de Manoses im 16. Jahrhundert die Herrschaft Portugals in Ostindien behauptete. Dom Carlos war der Typus männlicher Schönheit und ritterlichen Sinnes, er hatte sich schon damals, obwohl noch jung, viel Verdienst um sein Vaterland erworben. Das Schutz- und Trutzbündniß, das Portugal bei der Vermählung Catharina’s von Braganza mit Karl II. mit England schloß, wird wegen der darin bedingten Zinsbarkeit als die Ursache seines Verfalles mit Recht bezeichnet. Man beschuldigt nicht nur das englische Cabinet des unheilvollsten Einflusses auf die portugiesische Regierung, sondern man behauptet sogar, daß englische Emissäre alle nationalen Manufacturen niederbrennen, um die Einfuhr englischer Fabrikate unentbehrlich zu machen. Gewiß ist, daß, so oft ein industrielles Etablissement sich erhebt, es sogleich ein Raub der Flammen wird. Die Portugiesen hassen daher die Engländer und seufzen nach der Befreiung vom englischen Joche.

Anfangs Juli umwölkte sich der politische Horizont, überall ertönten Klagen und Verwünschungen wegen der unerschwinglichen Abgaben und despotischen Maßregeln der Regierung. Die Aristokratie zog sich wieder auf ihre Landgüter zurück und alles trug den Schein innerer Gährung. Graf und Gräfin P. warnten mich vor den schwankenden Zufällen, welchen mein Beruf ausgesetzt war, sie drangen in mich, mir durch den Uebertritt zur Landes-Religion eine unabhängige Stellung zu sichern, indem sie mich zur Directrice des ersten Töchter-Seminars in Lissabon zu machen versprachen. Allein ich war unerschütterlich und lehnte diese wohl gemeinten und wahrhaft großmüthigen Offerten mit [235] dem Ausdrucke der innigsten Dankbarkeit ab, nahm von allen meinen Freunden Abschied und schiffte mich mit dem festen Vorsatze ein, sobald als möglich in mein geliebtes Vaterland zurückzukehren.

So hatte ich denn abermals meinem Schicksale rasch und kurzweg eine neue Wendung gegeben, wie es in kritischen Lagen meine Art war. Mein körperlicher Zustand war durch die erwähnten Einflüsse des Klima’s und die immerwährende Furcht vor den Nachstellungen v. T.’s ein derartiger geworden, daß er eine Fortführung meiner bisherigen Beschäftigung unmöglich machte; ganz bedenklich aber schien es mir, als Protestantin eine Gouvernantenstelle einzunehmen, hier hätte mich der Zelotismus der Beichtväter, die in den großen Familien eine entscheidende Stimme haben, sicher gestürzt. Vielleicht hätte ich direct nach Deutschland gehen sollen, allein ich hoffte in England meine pecuniären Mittel noch zu verstärken, um desto wirksamer in meinem Vaterlande auftreten zu können. – Während der Vorbereitungen zu meiner Abreise erfuhr ich, daß Mistreß S. in Folge eines Schenkelbruches gestorben war und mir noch unter Schmerzen die Bitte um Vergebung ihrer Handlungsweise zugerufen hatte. Ich bedauerte unendlich, sie nicht noch gesprochen zu haben, denn wer weiß, was sie mir noch entdeckt hätte! allein der Tod hatte sie als Folge einer Amputation des Beines allzu plötzlich überrascht.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. lt. Eintrag im Kirchenbuch von Kreischa verstarb Carl Steinmann am 16.03.1847 kurz vor seinem 71. Geburtstag.