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Menge Armer in den Höfen der Reichen Speisen und Almosen erhalten, ohne daß Jemandem einfiel, nach Namen und Würdigkeit sie auszuforschen. Das hochfahrende, hartherzige Wesen, das man bei so vielen Frauen der Nordländer findet, ist ihnen ganz fremd.

Die Familie, welche sich am meisten für mich interessirte, war die des Grafen P. Diese guten und edeln Menschen wollten mich gern glücklich machen und erboten sich, mir ihre sämmtlichen Kinder in Erziehung und zu Errichtung eines Pensionates ein Haus zinsfrei zu geben. Ja sogar die Zöglinge wollten sie mir zuführen, und zwar so viele, wie ich nur haben mochte. Freilich war aber die Bedingung, daß ich zur katholischen Kirche übergehen sollte. Sie gaben sich deshalb alle erdenkliche Mühe, mich von der Untrüglichkeit der alleinseligmachenden Kirche zu überzeugen, sowie von der Gefahr, wenn ich im Ketzerthume verbliebe. Oft luden sie ihren Beichtvater, einen irländischen Jesuiten, der Pater I. genannt wurde und auch Beichtvater der Königin war, zu Gaste, um das Werk meiner Bekehrung zu betreiben. Er gab sich damit alle Mühe, groß und mannigfaltig waren die Vortheile, die er mir in der gegenwärtigen wie zukünftigen Welt versprach. Glücklicher Weise kannte ich die Geschichte, die Lehr- und Grundsätze der Schüler Loyola’s genug, um mich durch ihre Beredsamkeit nicht blenden zu lassen. Selbst Protestanten riefen mir die gebotenen Vortheile in’s Gedächtniß, ich selbst war keinesweges blind dafür, aber ich konnte nicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß mich die römische Kirche befriedigen werde und ich meinen Uebertritt zu ihr vor mir selbst würde rechtfertigen können. Und doch bin und war ich zwar stets streng religiös, aber nichts weniger als bigott, Protestant wie Katholik war meinem Herzen gleich theuer, mein Gemüth befand sich aber in der Stimmung, wo man das Märtyrerthum der Feigheit vorzieht.

Es kam der Sommer heran und mit ihm neue Prüfungen für mich. Die Hitze nahm von Tag zu Tag zu, aber während sich alle Menschen in dunkeln Gemächern hinter undurchdringlichen Jalousieen verbargen, ritt ich von früh sechs Uhr an unter den fast senkrechten Sonnenstrahlen auf unwegsamen Straßen umher, wo mein Thier bald auf dem greulichsten Pflaster stolperte, bald in die Kloake sank, deren Ausdünstung mir den Athem versetzte. War ich am Abend auf dem Heimwege begriffen, so durchschauerte ein kalter, schneidender Westwind meinen erhitzten Körper, der sich dort stets erhebt, sobald die Sonne