Textdaten
Autor: Carl Philipp Emanuel Bach
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Titel: [Lebensskizze]
Untertitel:
aus: Charles Burney: Tagebuch seiner Musikalischen Reisen Durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland Band 3, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Johann Joachim Christoph Bode, Verlag Bode, Hamburg 1773, S. 199–209 (Burneys Begegnung mit CPE Bach in Hamburg: S. 186–217)
Herausgeber: Johann Joachim Christoph Bode
Auflage:
Entstehungsdatum: 1773
Erscheinungsdatum: 1773
Verlag: Bode
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Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: pdf bei Commons
Kurzbeschreibung: Autobiographische Mitteilungen von CPE Bach, auf Bitten von Bode – dem Übersetzer und Herausgeber von Burneys Schrift – geschrieben und anstelle von Burneys eigenem Text in das Buch eingefügt.
Der Text firmiert in der Sekundärliteratur auch als „Autobiographie“, „Selbstbiographie“ etc.
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Carl Philipp Emanuel Bach: [Lebensskizze]

[199] Ich, Carl Philip Emanuel Bach, bin 1714 im März, in Weimar gebohren. Mein seliger Vater war Johann Sebastian, Kapellmeister einiger Höfe, und zuletzt Musikdirektor in Leipzig. Meine Mutter war Maria Barbara Bachin, jüngste Tochter, von Johann Michael Bachen, einen gründlichen Komponisten. Nach geendigten Schulstudien auf der leipziger Thomasschule, habe ich die Rechte sowohl in Leipzig als nachher in Frankfurt an der Oder studiert, und dabey am letztern Orte sowohl eine musikalische Akademie als auch alle damals vorfallenden öffentlichen Musiken bei Feyerlichkeiten dirigiert und komponiert. In der Komposition und im Clavierspielen habe ich nie einen andern Lehrmeister gehabt, als meinen Vater. Als ich 1738 meine akademischen Jahre endigte und nach Berlin ging, bekam ich eine sehr vortheilhafte Gelegenheit einen jungen Herrn in fremde Länder zu führen: ein unvermutheter gnädiger Ruf zum damaligen Kronprinzen von Preussen, [200] jetzigen König, nach Ruppin, machte, daß meine vorhabende Reise rückgängig wurde. Gewisse Umstände machten jedoch, daß ich erst 1740 bey Antritt der Regierung Sr. preussischen Majestät förmlich in Dessen Dienste trat, und die Gnade hatte, das erste Flötensolo, was Sie als König spielten, in Charlottenburg mit dem Flügel ganz allein zu begleiten. Von dieser Zeit an, bis 1767 im November, bin ich beständig in preussischen Diensten gewesen, ohngeachtet ich ein paarmal Gelegenheit hatte, vortheilhaften Rufen anderswohin zu folgen. Se. Majestät waren so gnädig, alles dieses durch eine ansehnliche Zulage meines Gehalts zu vereiteln. 1767 erhielte ich die Vocation nach Hamburg, als Musikdirektor an die Stelle des seligen Herrn Kapellmeisters Telemanns! Ich erhielte nach wiederholter allerunterthänigsten Vorstellung, meinen Abschied vom Könige, und die Schwester des Königes, der Prinzessinn Amalia von Preußen Hoheit, thaten mir die Gnade, mich zu Höchstdero Kapellmeister bey meiner Abreise zu ernennen. Ich habe zwar, seit meinem Hierseyn wiederum ein paarmal sehr vortheilhafte Rufe anderswohin gehabt, ich habe sie aber jederzeit abgeschrieben. Meine preussischen Dienste haben mir nie so viele Zeit übrig gelassen, in fremde Länder zu reisen. Ich bin also in Deutschland geblieben und habe nur in diesem meinem Vaterlande einige Reisen gethan. Dieser Mangel an auswärtigen Reisen, [201] würde mir bey meinem Metier mehr schädlich gewesen seyn, wenn ich nicht von Jugend an das besondre Glück gehabt hätte, in der Nähe das Vortreflichste von aller Art von Musik zu hören und sehr viele Bekanntschaften mit Meistern vom ersten Range zu machen, und zum Theil ihre Freundschaft zu erhalten. In meiner Jugend hatte ich diesen Vortheil schon in Leipzig, denn es reisete nicht leicht ein Meister in der Musik durch diesen Ort, ohne meinen Vater kennen zu lernen und sich vor ihm hören zu lassen. Die Größe dieses meines Vaters in der Komposition, im Orgel und Clavierspielen, welche ihm eigen war, war viel zu bekannt, als daß ein Musikus vom Ansehen, die Gelegenheit, wenn es nur möglich war, hätte vorbey lassen sollen, diesen großen Mann näher kennen zu lernen. Von allem dem, was besonders in Berlin und Dresden zu hören war, brauche ich nicht viele Worte zu machen; wer kennt den Zeitpunkt nicht, im welchem mit der Musik sowohl überhaupt als besonders mit der accuratesten und feinsten Ausführung derselben, eine neue Periode sich gleichsam anfieng, wodurch die Tonkunst zu einer solchen Höhe stieg, wovon ich nach meiner Empfindung befürchte, daß sie gewissermassen schon viel verlohren habe. Ich glaube mit vielen einsichtsvollen Männern, daß das itzt so beliebte Komische, hieran den größten Antheil habe. Ohne Männer anzuführen, welchen man vielleicht vorwerfen könnte, daß sie entweder gar nichts, oder [202] nur wenig Komisches gemacht haben, will ich einen der itztlebenden größten Meister im Komischen, Signor Galuppi, nennen, welcher mir in meinem Hause zu Berlin vollkommen beypflichtete und einiger sehr lächerlichen Vorfälle, welche er sogar in einigen Kirchen Italiens erlebt hatte, bey dieser Gelegenheit erwähnte. Genug ich mußte mich begnügen, und begnügte mich auch sehr gerne, ausser den grossen Meistern unsers Vaterlandes, das Vortreffliche von aller Art zu hören, was die fremden Gegenden uns nach Deutschland herausschickten; und ich glaube nicht, daß ein Artikel in der Musik übrig sey, wovon ich nicht einige der größten Meister gehört habe.

Es sollte mir nicht schwer fallen, einen grossen Raum von blossen Namen der Komponisten, Sängerinnen, Sänger und Instrumentisten von aller Art auszufüllen, wenn ich weitläufig seyn und mein Gedächtniß anstrengen wollte, welche ich habe kennen gelernt. Soviel weiß ich gewiß, daß sich darunter Genies finden, welche noch nicht in dieser Art und Grösse wiedergekommen sind. Diesem allen ohngeachtet, läugne ich nicht, daß es mir ungemein lieb und auch vortheilhaft würde gewesen seyn, wenn ich hätte können Gelegenheit haben, fremde Länder zu besuchen.

Anno 1744 habe ich mich in Berlin mit Jungfer Johanna Maria Dannemannin, eines dasigen [203] damals lebenden Weinhändlers jüngsten Tochter verheyrathet, und aus dieser Ehe 2 Söhne und eine Tochter am Leben. Der älteste Sohn prakticirt hier als Liecentiat Juris, die Tochter ist noch bey mir zu Hause, und mein jüngster Sohn ist itzt in Sachsen und studiert auf den Mahlerakademien in Leipzig und Dresden, sein Hauptmetier, die Mahlerey. Mit meinem Wissen und Willen sind folgende Arbeiten von mir im Druck erschienen:

(1) Anno 1731 eine Menuet mit übergeschlagenen Händen aufs Clavier gesetzt. Eine natürliche und damals sehr eingerissene Hexerey. Diese Menuet habe ich selbst in Kupfer radiert.
(2) 1742, sechs in Nürnberg von Schmidt gestochene und verlegte Claviersonaten.
(3) 1744, sechs von Hafnern in Nürnberg verlegte Claviersonaten.
(4) 1745, ein Flügelconcert mit Begleitung aus dem D dur, in Schmidts Verlage zu Nürnberg.
(5) 1751, von demselben Verlage, zwey Trio, wovon das erste aus dem C moll mit 2 Violinen und Baß mit Anmerkungen, und das Zweyte aus dem B dur mit einer Flöte, Violin und Baß ist.
(6) 1752, von demselben Verlage, ein Flügelconcert aus dem B dur mit Begleitung.
(7) 1753, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mit Exempeln und 6 Sonaten [204] in 26 Kupfertafeln, erster Theil, in Verlag des Verfassers.
(8) Von 1755 bis 1765 hat Hafner in Nürnberg in seinen Miscellanwerken, 10 Claviersonaten, von mir, nemlich: F dur, D moll, E dur, B dur, H moll, C dur, B dur, A dur, A moll, und E dur, drucken lassen.
(9) 1757 und 1758, sind in der Breitkopfischen Raccolta 2 Claviersonaten von mir, nemlich: D dur, und D moll, nebst einigen einzeln Clavierstücken und einer Fuge, gedruckt erschienen.
(10) 1758, ist eine zweystimmige Clavierfuge von mir aus dem D moll von Marpurgen in seiner Fugensammlung gedruckt worden.
(11) 1759, hat Winter in Berlin meine Melodien zu Gellerts geistlichen Liedern gedruckt.
(12) 1758, sind meine 12 kleinen und 2 und 3 stimmigen kurzen Stücke in Taschenformat bei Wintern, herausgekommen.
(13) 1759, kam der erste Theil meiner Reprisensonaten bey Wintern heraus.
(14) 1759, hat Schmidt in Nürnberg eine Sinfonie mit 2 Violin, einer Bratsche und Baß, aus dem E moll, von mir, in Kupfer gestochen.
(15) 1760, hat Winter ein Flügelconcert von mir, aus dem E dur, gedruckt.
(16) 1761, hat derselbe die Fortsetzung meiner Claviersonaten gleichfalls gedruckt.

[205] (17) 1761, kam von meinem Versuche in meinen Verlage der 2te Theil, welcher die Lehre des Accompagnements und der freyen Fantasie abhandelte, heraus.
(18) 1761, gab Wever in Berlin eine Odensammlung von mir im Drucke heraus. Bey Gelegenheit der Oden muß ich anmerken, daß schon vorher in der gräfischen, krausischen, langischen und breitkopfischen Odensammlung, von mir der gleichen anzutreffen sind.
(19) 1762, druckte Winter die zweyte Fortsetzung meiner Claviersonaten.
(20) 1764, kam bey demselben die erste Sonatine aus dem C dur fürs Clavier und mehreren Instrumenten, von mir heraus.
(21) Erschien in demselben Jahre bey ebendenselben, der Anhang zu Gellerts Oden.
(22) 1765, druckte Winter die 2te und 3te Sonatine, aus dem D moll und Es.
(23) 1765, kamen bey Breitkopfen, meine 6 leichten Claviersonaten heraus.
(24) 1765, druckte Birnstiel den ersten Theil der von mir gesammleten 4stimmigten Choräle meines Vaters.
(25) 1765, kam die erste Sammlung der Clavierstücke verschiedener Art, bey Wintern heraus.
(26) 1765, erschien ebenfalls durch Wintern, die erste Sammlung meiner 12 kleinen und kurzen Anfangsstücke fürs Clavier.

[206] (27) 1766, kam bey eben denselben, Philis und Thirsis, eine Cantate, von mir im Druck heraus. Ferner:
(28) Erschienen bey Wintern, ebenfalls in demselben Jahre, der Wirth und die Gäste, eine gleimische Singode.
(29) 1768, druckte Winter, die 2te Sammelung meiner 12 kleinen und kurzen Anfangsstücke fürs Clavier.
(30) 1770, gab Hummel in Amsterdam, meine Sonaten für Damens im Stiche heraus,
(31) 1771, kam hier bey Bocken, das musikalische Vielerley heraus, welches ich besorgt hatte und worinnen viele Arbeiten von mir stehen.

Ich muß bey dieser Gelegenheit, da ich alles von mir gedruckte anführen soll, erwähnen, daß im dritten Bande, der marpurgischen Beyträge, ein canonischer Einfall, in desselben Abhandlung von der Fuge, unterschiedene dahin gehörige Exempel und Canons, besonders alle diejenigen Exempel, welche zu Ende des 2ten Theiles den Beytrag zum ersten Theile betreffen, und veranlasset haben, von mir zu finden sind. In den marpurgischen kritischen Briefen, in dem musikalischen Allerley und Mancherley, in Marpurgs praktischen Unterricht vom Clavierspielen, in Wevers Tonstücken, in Birnstiels Nebenstunden und kleinen Clavierstücken, in Speuers Clavierstücken, in den Unterhaltungen und in der münterschen Sammlung [207] geistlicher Lieder, stehen auch viele meiner Arbeiten. Der 2te Versuch in Hexametern ist auch von mir.

(32) 1770, stach hier Schönemann 12 zwey und 3stimmige kleine Stücke im Taschenformat, von mir in Kupfer.
(33) 1772, kamen in meinem Verlage 6 leichte Flügelconcerte mit Begleitung, im Drucke heraus.
(34) 1773, habe ich auf Verlangen, sechs vierstimmige Sinfonien gesetzt.

Singestücke für die Kirche und unterschiedene Feyerlichkeiten habe ich in ziemlicher Anzahl verfertiget, es ist aber nichts davon gedruckt worden. Ueberhaupt bestehen meine Kompositionen ohngefehr, in ein Paar Dutzend Sinfonien; in 30 Trios fürs Clavier und andere Instrumente; in 18 Solos für andere Instrumente, als das Clavier; in 12 Sonatinen für ein Clavier, mit Begleitung; in 49 Concerten fürs Clavier und andre Instrumente, (welche letzten ich aber auch aufs Clavier gesetzt habe,) unter den Flügelconcerten ist eins mit 2 Flügeln; in 170 Solos fürs Clavier, welches mehrentheils Sonaten sind, einige darunter bestehen aus kleinen Sammlungen charackterisirter und anderer kleinen Stücke, aus Concerten, Sinfonien und Fugen. [208] Weil ich meine meisten Arbeiten für gewisse Personen und fürs Publikum habe machen müssen, so bin ich dadurch allezeit mehr gebunden gewesen, als bey den wenigen Stücken, welche ich bloß für mich verfertigt habe. Ich habe sogar bisweilen lächerlichen Vorschriften folgen müssen; indessen kann es seyn, daß dergleichen nicht eben angenehme Umstände mein Genie zu gewissen Erfindungen aufgefodert haben, worauf ich vielleicht ausserdem nicht würde gefallen seyn.

Da ich niemahls die allzugroße Einförmigkeit in der Komposition und im Geschmack geliebet habe, da ich so viel und so verschieden Gutes gehört habe, da ich jederzeit der Meinung gewesen bin, man möge das Gute, es stecke wo es wolle, wenn es auch nur in geringer Dosi in einem Stücke anzutreffen ist, annehmen: so ist vermuthlich dadurch und mit Beyhülfe meiner mir von Gott verliehenen natürlichen Fähigkeit, die Verschiedenheit in meinen Arbeiten entstanden, welche man an mir bemerkt haben will. Bey dieser Gelegenheit muß ich anführen, daß die Herrn Kritiker, wenn sie auch ohne Passionen, wie es doch selten geschieht, schreiben, sehr oft mit den Kompositionen, welche sie recensiren, zu unbarmherzig umgehen, weil sie die Umstände, die Vorschriften und Veranlassungen der Stücke nicht kennen. Wie gar sehr selten trift man bey einem Kritiker Empfindung, Wissenschaft, Ehrlichkeit und Muth im gehörigen Grade [209] an. Vier Eigenschaften, die in hinlänglichem Maasse bey jedem Kritiker schlechterdings seyn müssen. Es ist dahero sehr traurig für das Reich der Musik, daß die sonst sehr nützliche Kritik, oft eine Beschäftigung solcher Köpfe ist, die nicht mit allen diesen Eigenschaften begabt sind.

Unter allen meinen Arbeiten, besonders fürs Clavier, sind blos einige Trios, Solos und Concerte, welche ich mit aller Freyheit und zu meinem eignen Gebrauch gemacht habe.

Mein Hauptstudium ist besonders in den letzten Jahren dahingerichtet gewesen, auf dem Clavier, ohngeachtet des Mangels an Aushaltung, so viel möglich sangbar zu spielen und dafür zu setzen. Es ist diese Sache nicht so gar leicht, wenn man das Ohr nicht zu leer lassen, und die edle Einfalt des Gesanges durch zu vieles Geräusch nicht verderben will.

Mich deucht, die Musik müsse vornemlich das Herz rühren, und dahin bringt es ein Clavierspieler nie durch blosses Poltern, Trommeln und Harpeggiren, wenigstens bey mir nicht.[WS 1]



Zum Text (Wikisource)

Bei diesem Text handelt sich um die einzigen überlieferten autobiographischen Mitteilungen von Carl Philipp Emanuel Bach. Er hat sie auf Bitten von Johann Joachim Christoph Bode einem Hamburger Buchverleger und Übersetzer/Herausgeber von Charles Burneys musikalischem Reisetagebuch geschrieben, der sie anstelle von Burneys eigenem Text in das Buch eingefügt hat. Auffallend sind die in vielen Fußnoten, Anmerkungen und Zusätzen der Übersetzer zu Burneys Text, die oft ablehnend, gelegentlich fast feindselig sind. Der Grund liegt wohl darin, dass Burney eine ungenannte Quelle (es handelt sich um Louis Devisme, einem englischen Gesandten in Bayern) mit den Worten zitiert: If innate genius exists, Germany certainly is not the seat of it; though it must be allowed, to be that of perserverance and application – „daß, wenn es angebohrnes Genie gebe, Deutschland gewiß nicht der Sitz desselben sey; ob man gleich zugeben müsse, daß geduldiger Fleiß und Application darin zu Hause gehören“ (Bd. III, S. 11–12). Diese Geringschätzung der deutschen Musik empörte nicht nur die beiden Übersetzer (Christoph Daniel Ebeling sandt am 20. Juni 1773 einen Brief mit einer „Declaration of war“ an den Autor) sondern die zeitgenössische deutsche Musikwissenschaft insgesamt. Die Übersetzer haben die als unangemessen empfundenen Stellen nicht etwa gestrichen, sondern in Anmerkungen außerordentlich penibel und teils sarkastisch alle Irrtümer oder Ungenauigkeiten des Autors richtig gestellt. „Bode und Ebeling glichen die Widersprüche zwischen Burneys und ihrer eigenen Sicht der Dinge nicht aus. Ihre Anmerkungen zielten im Gegenteil auf eine Zuspitzung der Kontroverse. Der Text erhielt hierdurch eine neue Note, und im Konzert der widerstreitenden Stimmen wurde im Hintergrund die des gekränkten deutschen Patriotismus unüberhörbar“ (Christoph Hust: Charles Burney – Tagebuch einer musikalischen Reise, Kassel: Bärenreiter 2003, S. 16*).

  • Burneys schrieb The Present State of Music in Germany, the Netherlands, and United Provinces im Jahr 1772 – er wurde London: Becket 1773, in zwei Bänden publiziert.
  • Carl Burney’s der Musik Doctors Tagebuch seiner Musikalischen Reisen, war der Titel der Übersetzung von Johann Joachim Christoph Bode, die Hamburg 1773 in dessen Verlag erschien. Bachs Lebensskizze ist Bestandteil des Dritten Bandes: Durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland. Mit einigen Zusätzen und Anmerkungen.

Burneys Aufenthalt in Hamburg

Charles Burney erreichte Hamburg am Freitag, den 9. Oktober 1772 und besuchte zunächst seinen Brief-Freund Ebeling, der den ersten Band von Burneys musikalischem Reisebericht ins Deutsche übersetzt hatte und der CPE Bach bereits auf den Besuch vorbereitet hat. „An dem nehmlichen Morgen meiner Ankunft“[WS 2] besucht Burney Bach (wohl in seinem Haus), wo dieser ihm auf dem Fortepiano vorspielt. Bach bittet Burney wieder zu kommen und ein Konzert mit seiner Musik am Folgetage nicht zu hören. Den Rest des Tages gibt Burney Briefe auf, besucht die Stadt und trifft Buchhändler, darunter auch den späteren Übersetzer der Schriften, Bode. Am Abend trifft er Ebeling und Professor Büsch.
Am Samstag, 10. Oktober wird Burney von dem Arzt Jacob Mumssen zu Klopstock geführt; danach (S. 191) das Konzert mit Bachs Werken in der „Catharinen Kirche“; anschließend ein Gespräch zwischen beiden „von der Kirche nach seinem Hause“; „Des Abends“ (S. 193) ein Hauskonzert bei Ebeling mit „hamburgischen Musikern und Liebhabern“.
Sonntag 11. Oktober Besuch Burneys bei Engländern in einem Landhaus (S.195). „Diesen Abend“ (S. 196) ein Dilettantenkonzert bei dem Musikalienhändler Westphal.
Montag 12. Oktober: Besuch im „Waarenlager“ Westphals (S. 196). Anschließend Besuch in Bachs Haus (S. 211, dazwischen steht die Lebensskizze Bachs), wo er auch die Frau, die beiden Kinder und drei Freunde Bachs antrifft. Dieser führt Burney durch sein Musikzimmer, seine Bildergalerie und spielt ihm auf einem „Silbermannischen Clavier“ (= Clavichord) vor. Nach einer Mahlzeit spielt Bach „fast bis um Eilf Uhr des Abends“ (S. 213) am „Clavier“ vor.
Dienstag, den 13. Oktober 1772 führt Bach Burney vormittags (S. 215) zur kürzlich fertiggestellten Orgel in die Michaeliskirche, dann in die Jacobi-, Nicolai- und Johanniskirche, schließlich in die „Sanct Peterskirche“. Burney trifft dann noch den italienischen Sänger Ansani und scheint noch am gleichen Tag nach Amsterdam weitergereist zu sein, wo er am 20. Oktober 1772 eintrifft (S. 225). In Bremen hat er „bloß einige Stunden verbracht“ (S. 220) und in Groningen (S. 222) besuchte er den Organisten Lustig und hörte Glockenspiele (= Carillons).

Charles Burney: [Begegnung mit Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg]

[186] [WS 3]Hamburg besitzt gegenwärtig ausser dem Herrn Kapellmeister, Carl Philip Emanuel Bach, keinen hervorragenden Tonkünstler, dagegen aber gilt dieser auch für eine Legion! Ich hatte schon längst seine eleganten und original Kompositionen mit dem höchsten Grade von Vergnügen betrachtet; und sie hatten ein so heftiges Verlangen in mir erzeugt, ihn zu sehen und zu hören, daß es keiner andern musikalischen Versuchung brauchte, mich nach dieser Stadt zu locken.

Herr Ebeling war schon vor meiner Ankunft so gütig gewesen, die Uebersetzung, die er mir die Ehre erzeigt hat, im Deutschen von meiner italiänischen Reise zu machen, Herrn Bach mitzutheilen, und ihm zu sagen, daß ich gesonnen wäre, nach Hamburg zu kommen; und itzt führte er mich an dem nehmlichen Morgen meiner Ankunft zu ihm. Herr Bach empfing mich sehr gütig, sagte aber, daß er sich schämte, wenn er daran dächte, wie wenig mir meine Mühe belohnt werden würde, daß ich Hamburg besucht hätte. „Funfzig Jahr früher, sagte er, da hätten Sie kommen sollen!“

Er bespielte ein neues Fortepiano, und mit einer, Art als ob er kaum ans Spielen dächte, warf er seine Gedanken und solche Sachen hin, worauf sich ein jeder andrer hätte etwas zu gute thun können. Er verlangte von mir, ich sollte eine Zeit bestimmen, wann ich wieder zu ihm kommen wollte, [187] [WS 4]denn, sagte er, er müßte mich einen ganzen Tag allein haben, und der würde nur halb zureichen, uns unsre Ideen mitzutheilen. Er that mir das Anerbieten, mich nach einer jeden Kirche in Hamburg zu führen, worin nur eine gute Orgel zu finden; er wollte einige alte und seltne Sachen für mich aussuchen, und sagte mir beym Weggehen, es würde Morgen eine armselige Musik von seiner Komposition aufgeführt werden, die er mir riethe, nicht anzuhören. Sein spaßhafter Ton entfernte gleich allen Zwang, ohne mir die Achtung und Ehrerbietung zu benehmen, die mir seine Werke schon in der Entfernung eingeflößt hatten.

Nachdem ich vom Herrn Bach weggegangen, brachte ich das Uebrige des Tages damit zu, daß ich Briefe abgab, die Stadt besah und die Buchändler besuchte, deren es in Hamburg viele giebt. Unter – –:[H 1]
[…]
[191] Nach diesem Besuche brachte mich Herr Bach nach der Catharinen Kirche, woselbst ich eine schöne Musik von seiner Komposition hörte, die aber für die grosse Kirche zu schwach besetzt war, und die auch von der Versammlung zu unaufmerksam angehört wurde. Dieser Mann war ohne Zweifel gebohren, für grosse und stark besetzte Orchester von sehr geschickten Spielern, und für ein sehr feines Auditorium zu komponiren. Itzt scheint er nicht völlig in seinem Elemente zu leben. In einer jeden Stadt oder in jedem Lande, wo die Künste kultivirt werden, haben solche ihre Ebbe und Fluth, und in diesem Betracht ist der gegenwärtige Zeitpunkt für Hamburg nicht der glänzendste.[H 2]

Auf dem Wege von der Kirche nach seinem Hause hatten wir ein Gespräch, das für mich sehr interessant war. Unter andern sagte er: „Wenn auch die Hamburger nicht alle so grosse Kenner und Liebhaber der Musik sind, als Sie und ich es wünschen möchten: so sind dagegen die meisten sehr gutherzige und umgängliche Personen, mit denen man ein angenehmes und vergnügtes Leben führen kann; und ich bin mit meiner gegenwärtigen Situation sehr zufrieden; freylich möchte ich mich zuweilen ein wenig schämen, wenn ein Mann von Geschmack und Einsicht zu uns kommt, der eine bessre musikalische Bewirthung verdiente, als womit wir ihm aufwarten können.“

[192] Nach diesem lenkte sich unser Gespräch auf die gelehrte Musik. Er sprach mit wenig Ehrerbietung von Canons, und sagte, es wäre trocknes, elendes, pedantisches Zeug, das ein jeder machen könnte, der seine Zeit damit verderben wollte. Ihm wäre es aber allemal ein sichrer Beweis, daß es demjenigen ganz und gar am Genie fehle, der sich mit einem so knechtischen Studieren abgeben, und in so unbedeutende Arbeiten, verliebt seyn könnte.

Er fragte mich, ob ich in Italien viel große Contrapunktisten angetroffen hätte? und auf meine verneinende Antwort, versetzte er: nun! es würde auch noch nicht viel sagen, wenn sie auch hätten; denn wenn man den Contrapunkt auch recht gut versteht, so gehören doch noch viel andre wesentliche Dinge dazu, wenn man ein guter Komponist werden will. Er sagte, er habe einst an Hasse geschrieben, er wäre der ligstigste Betrüger von der Welt; denn, in einer Partitur von zwanzig vorgezeichneten Stimmen, liesse er selten mehr als drey wirkliche arbeiten; und mit diesen wüßte er so himmlische Wirkungen hervorzubringen, als man niemals von einer vollgepfropften Partitur erwarten dürfte. Bey dieser Gelegenheit machte ich die Anmerkung, daß, wie ein weiser Mann bey einem Gespräche immer wartet, bis er eine Gelegenheit findet, etwas Zweckmässiges zu sagen, ehe er spricht; so sollte es ein guter Komponist eben so machen, wenn er die Füllstimmen schreibt. Und nicht gleich [193] den ewigen Schwätzern,[WS 6] welche immer Etwas sagen wollen, wo nichts zu sagen ist, die Zuhörer mit Noten die Ohren betäuben, die noch schlimmer sind, als die Nichtssagenden, welche in der Musik allen Gesang und Ausdruck verderben; wie eine grosse Gesellschaft, wo alle auf einmal reden, das Gespräch verdirbt, und man anstatt Vernunft, Witz und muntern Scherz nichts zu hören bekömmt, als Unsinn, Toben und Lärmen. – Er war völlig meiner Meinung.

Des Abends war Herr Ebeling so gütig, so viel hamburgische Musiker und Liebhaber zusammen zu bringen, als ihm möglich gewesen, um mich mit einem Concert zu tracktiren, und Herr Bach war da zum Presidio. Ich habe grosse Ursache für die viele Mühe dankbar zu sein, die man sich bey dieser Gelegenheit gab, mir ein Vergnügen zu schaffen. Es wurden verschiedene von Herrn Bachs Singekompositions gemacht, in welchen allen grosses Genie und grosse Originalität steckte, ob sie gleich nicht die Verschönerung erhielten, die Sänger von der ersten Classe möchten gegeben haben. Herr Bach hat ein deutsches Passionsoratorium in Musik gesetzt, und aus dieser vortrefflichen Komposition wurden heute Abend einige Stellen gemacht. Besonders ward ich von einem Chor[H 3] entzückt, welches in Ansehung der Modulation, der Ausarbeitung und der Wirkung, es wenigstens dem besten Chore in Händels unsterblichen Messias gleich that. Eine Adagioarie, da Petrus [194] innig weint, als ihn der Hahn zur Reue weckt, war so innig rührend, daß fast alle Zuhörer den Jünger mit ihren Thränen begleiteten.

Es wurden noch verschiedene Sinfonien, einzelne Arien und unter andern auch eine Flügel-Sonatina, mit Begleitung von Instrumenten, gemacht, die aus einer sehr angenehmen Vermischung von langsamen und Bravourasätzen bestund, in welchen die Instrumentisten viele Arbeit hatten. Und ob diese gleich nicht in so beständiger Uebung sind, als ein Orchester, das sich völlig eingespielt hat; so machten sie doch einige sehr schwere Stücke, mit einem ziemlichen Grade von Accuratesse.

Es ist, um die Biegsamkeit eines Genies zu beweisen, daß ich der Sing- und vermischten Komposition des Herrn Kapellmeister Bachs erwähne. Aber nicht sowohl darauf, als auf seine Arbeiten für sein eignes Instrument, das Clavier und Fortepiano, möchte ich seinen Ruhm gründen; denn hier steht er allein, ohne einen Nebenbuhler,[H 4] und hiervon werde ich hernach Gelegenheit haben zu sprechen. Was seine übrige Komposition betrift: so haben vielleicht andre ebenso gute Arien, Chöre und Sinfonien gemacht. Sein Genie ist zwar allgemein für jedes Fach in der Musik, allein er hat weder die Uebung und Erfahrung, noch die Sänger und das Orchester, wofür er schreiben könnte, als andre vor ihm gehabt haben. Indessen muß ein jeder aufrichtiger Hörer und Bemerker in [195] seinen unbeträchtlichsten Arbeiten jeder Gattung, solche Originalzüge in der Modulation, dem Accompagnement oder der Melodie entdecken, welche ein großes und erhabnes Genie beweisen.
[…]
[196] Montag, den 12ten. Dies war einer der geschäftigsten Tage auf meiner deutschen Reise. Den frühen Morgen brachte ich bey den Merkwürdigkeiten meines Freundes, Herrn Ebeling, und das Uebrige desselben in Herrn Westphals musikalischen Waarenlager zu. Herr Westphal steht mit allen bekannten Musikdruckern und Händlern in Europa in Briefwechsel und Handel; daher ist sein Catalogus nicht bloß lokal und auf Hamburg oder selbst auf Deutschland eingeschränkt, sondern ist general und für ganz Europa. Ausser gedruckten und gestochnen Sachen hat er eine große Sammlung geschriebner Musikalien, die er zu sehr billigen Preisen [197] verkauft. Es war mir izt nicht möglich, nur den halben Innhalt seines Verzeichnisses zu untersuchen, eh’ es Zeit wurde zu Herrn Bach zu gehen, bey dem ich mich zum Mittagsessen und auf den ganzen Tag versagt hatte.

Allein, eh’ ich meine Leser mit den Talenten und dem Charakter dieses vortrefflichen Tonkünstlers genauer bekannt mache, will ich ihnen einige wenige Umstände aus seinem Leben vorlegen, welches durch eine Liste von seinen Werken wichtiger werden wird, als durch seine Begebenheiten.

Wenn die Erzählung von den stillen oder fruchtvollen Arbeiten eines Genies am Schreibpulte, ein Buch ebenso unterhaltend machen könnten, als die öffentlichen Thaten im Felde: so, würde die Lebensbeschreibung eines Philosophen, eines Gelehrten oder eines Künstlers, eben so begierig gelesen werden, als die Leben und Thaten eines Cäsars oder Alexanders.

So aber erfährt itzt die Nachwelt genau Tag und Stunde, wann Städte verwüstet oder Armeen geschlagen sind; hingegen ist man selten bekümmert die Zeit richtig anzumerken, in welcher die nützlichsten Entdeckungen für die Menschheit gemacht, oder die grössesten Produkte des Genies gezeugt worden.

Man würde also denjenigen für einen sehr elenden Biographen halten, der in dem Leben eines [198] Tonkünstlers umständlich das Jahr, den Tag, die Stunden und den Ort bemerkte, wo diese oder jene Sonate komponiert wurde, ob solche gleich wegen ihrer Vortrefflichkeit sicher wäre, Liebhaber der Musik so lange zu entzücken, als das gegenwärtige System der Harmonie Bestand haben wird.

Und dennoch lieset man einen Geschichtsschreiber mit einer Art von unmenschlichem Vergnügen, der uns in dem Laufe der Begebenheiten erzählt, um welche Zeit Thomas Kuli-kan, oder sonst ein andrer Tyran, seinen Entwurf zu einer Schlacht machte, in welcher ein solches Gemetzle entstund, daß die Menschlichkeit so lange dafür erschrecken und schaudern muß, als die Erzählung davon die Geschichtbücher des menschlichen Geschlechts beflecken wird. –



Einschub Bode

[198] Carl Philip Emanuel Bach, zweyter Sohn – –[WS 7]

(Man ist immer am besten daran, wenn man aus der Quelle schöpfen kann; – Der Uebersetzer des gegenwärtigen Buches, glaubte, die Leser würden die Lebensumstände dieses Mannes, wo nicht lieber, doch gewiß eben so lieb, von ihm selbst erzählen hören. Sollten einige Anmerkungen des Herrn D. Burney darüber verlohren gehen, so wird die simple Wahrheit hingegen dabey gewinnen. [199] Der Herr Kapellmeister Bach hat sich durch seine gütige Freundschaft gegen mich bewegen lassen, mir folgendes mitzutheilen. Ich darf wohl nicht erst anmerken, daß es den Liebhabern des Claviers und der bachischen Komposition angenehm seyn muß, hierdurch ein zuverlässiges Verzeichnis aller der Arbeiten zu erhalten, die er für die seinigen erkennt.)



CPE Bach Lebensskizze

[siehe oben]

Fortsetzung Burney

[209] Man muß gestehen, daß der Styl dieses Komponisten so sehr von den übrigen abweicht, daß [210] man sich nothwendig erst ein wenig daran gewöhnen muß, eh man ihn recht empfinden kann. Quintilian hielt es für ein Zeichen, daß ein junger Redner in seinen Studien fleissig gewesen, wenn er den Werken des Cicero Geschmack abgewonnen hatte; und Bachs Werke können zum Probiersteine dienen, ob ein junger Musikus Geschmack und Urtheil hat. Man hat seine Stücke beschuldigt, daß sie lang,[H 5] schwer, tiefsinnig und weit hergesucht wären. Ueber den ersten Punkt läßt sich nicht so viel für ihn sagen, als über die andern; dennoch läßt sich der Fehler entschuldigen: denn Länge wird in Deutschland von einer musikalischen Komposition so sehr erwartet, daß man einen Autor für arm an Ideen hält, der eher aufhört, bis er alles gesagt hat, was sich über sein Subjekt[H 6] sagen läßt.[H 7]

Leicht und Schwer sind relative Ausdrücke; das Wort, welches eine Person ohne Erziehung für schwer hält, kann für einen Gelehrten sehr gemein und ihm geläufig seyn. Die Werke unsers Verfassers sind nicht sowohl schwer zu spielen, als gehörig auszudrücken. Was das Tiefsinnige und Weithergesuchte anbetrift, so können [211] diese Beschuldigungen sehr gemildert werden, wenn man dagegen in Betrachtung zieht, daß seine kühnsten Züge, sowohl in der Melodie als in der Modulation, niemals gegen die Regeln sind, und beständig von grosser Gelehrsamkeit unterstützet werden; und daß sein Flug kein wüstes Schwärmen der Unwissenheit und Raserey, sondern die Ergiessung eines kultivirten Genies ist. Bey genauer Untersuchung also wird man finden, daß seine Kompositions so reichhaltig an Erfindung, Geschmack und Gelehrsamkeit sind, daß bey allem was ihnen übelgesinnte Kritiker zur Last legen wollen, jede Zeile, die man einzeln heraushebt, mehr neue Ideen an die Hand geben kann, als man in ganzen Seiten mancher Komponisten vergebens suchen würde, welche doch mit Beyfall aufgenommen sind.




Als ich nach seinem Hause kam, fand ich ihn mit drei oder vier vernünftigen und wohlerzogenen Personen, von seinen Freunden[H 8], ausser seiner [212] Familie, die aus Madame Bach, seinem Sohn den Licentiaten, und seiner Tochter bestund. Der jüngste Sohn hält sich in Leipzig und Dresden auf, um die Mahlerey zu studiren. Den Augenblick, da ich ins Haus trat, führte er mich die Treppen hinauf in ein schönes grosses Musikzimmer, welches mit mehr als hundert und funfzig Bildnissen von grossen Tonkünstlern, theils gemahlt, theils in Kupfer gestochen, ausgeziert war. Ich fand darunter viele Engländer und unter andern auch ein Paar Originalgemählde in Oel von seinem Vater und Großvater. Nachdem ich solche besehen hatte, war Herr Bach so verbindlich, sich an sein Lieblingsinstrument, ein Silbermannisches Clavier[WS 8] zu setzen, auf welchem er drey oder viere von seinen besten und schweresten Kompositions, mit der Delikatesse, mit der Precision und mit den Feur spielte, wegen welcher er unter seinen Landsleuten mit Recht so berühmt ist. Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrücken hat, weiß er mit grosser Kunst einen beweglichen Ton des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrumente zu ziehen, der nur auf dem Clavichord, und vielleicht nur allein ihm, möglich ist hervorzubringen.

Nach der Mahlzeit, welche mit Geschmack bereitet, und mit heiterem Vergnügen verzehrt wurde, erhielt ichs von ihm, daß er sich abermals ans Clavier setzte; und er spielte, ohne daß er lange dazwischen [213] aufhörte, fast bis um Eilf Uhr des Abends. Während dieser Zeit gerieth er dergestalt in Feuer und wahre Begeistrung, daß er nicht nur spielte, sondern die Miene eines ausser sich Entzückten bekam. Seine Augen stunden unbeweglich, seine Unterlippe senkte sich nieder und seine Seele schien sich um ihren Gefährten nicht weiter zu bekümmern, als nur so weit er ihr zur Befriedigung ihrer Leidenschaft behülflich war. Er sagte hernach, wenn er auf diese Weise öfter in Arbeit gesetzt würde, so würde er wieder jung werden. Er ist itzt neun und funfzig[WS 9] Jahr alt, ist eher kurz als lang von Wuchs, hat schwarze Haare und Augen, eine bräunliche Gesichtsfarbe, eine sehr beseelte Miene, und ist dabey munter und lebhaft von Gemüth.

Sein heutiges Spielen bestärkte meine Meinung, die ich von ihm aus seinen Werken gefaßt hatte, daß er nemlich nicht nur der grösseste Komponist für Clavierinstrumente ist, der jemals gelebt hat, sondern auch, im Punkte des Ausdrucks, der beste Spieler. Denn, andre können vielleicht eine eben so schnelle Fertigkeit haben. Indessen ist er in jedem Style ein Meister, ob er sich gleich hauptsächlich dem Ausdrucksvollen widmet. Er ist, glaub ich, gelehrter als selbst sein Vater,[H 9] [214] so oft er will, und läßt ihn, in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Modulation, weit hinter sich zurück. Seine Fugen sind allemal über neue und sinnreiche Subjekte, und er bearbeitet solche mit eben so viel Kunst als Genie.

Unter verschiedenen andern Sachen spielte er mir auch seine sechs Concerte vor, die er neulich auf Subscription herausgegeben, und in welchen er sich bestrebt hat, leicht zu setzen, und zwar oft, wie ich glaube, auf Kosten seiner gewöhnlichen Art original zu seyn. Indessen leuchtet der grosse Tonmeister aus jedem Satze hervor, und vermuthlich wird dieses Werk um desto mehr mit Beyfall aufgenommen werden, als es mehr Aehnlichkeit mit der Musik aus dieser Welt hat, wie seine vorigen Sachen, die für eine andre Sphäre, wenigstens für ein andres Jahrhundert gemacht zu seyn scheinen, in welchem man vielleicht dasjenige für leicht und natürlich hält, wovon man itzt sagt, es sey schwer und weithergesucht.

In den Charakteren des jüngern Scarlatti und Emanuel Bachs sind sich verschiedene Züge sehr ähnlich. Beyde hatten grosse und berühmte Komponisten zu Vätern, welche von allen ihren Zeitgenossen für das Panier der Vollkommenheit gehalten wurden, nur nicht von ihren Söhnen, welche neue Wege zum Ruhme zu entdecken wußten. Domenico Scarlatti wagte schon vor funfzig [215] Jahren Noten von Wirkung und Geschmack, an die andre Musiker erst vor kurzer Zeit gelangt sind, und mit welchen das Ohr des Publikums sich erst seit kurzem vertragen hat. Emanuel Bach scheint gleichfals sein Zeitalter hinter sich zurück zu lassen.

Herr Bach zeigte mir zwey geschriebene Bücher von seines Vaters Komposition, die er schon lange für seine Schüler gemacht hatte. Jedes Buch enthielt vier und zwanzig Vorspiele und vier und zwanzig Fugen aus allen Tonarten, worunter einige fünfstimmig und sehr schwer waren. Er schenkte mir verschiedene von seinen eignen Sachen, und drey oder vier seltne alte Bücher und Abhandlungen über die Musik, aus seines Vaters Sammlung, und versprach mir dabey, in Zukunft mir allemahl mit mehrern an die Hand zu gehen, wenn ich ihm nur schreiben wollte, was ich nöthig hätte.

Dienstag, den 13. Diesen Vormittag brachte ich ganz damit zu, Kirchen zu besehen und Orgeln zu hören, und Herr Bach war so gütig, mich herum zu führen. Das erste Werk, das wir hörten, war die Orgel in der neuen Michaliskirche, welches ein Geschmackvolles und prächtiges Gebäude ist.
[…]
[217] Herr Bach hat in so langer Zeit nicht mehr auf der Orgel gespielt, daß er sagt, er wisse nichts mehr auf dem Pedal zu machen, welches durch ganz Deutschland für so wesentlich nothwendig gehalten wird, daß man den für keinen guten Organisten achtet, der es nicht zu gebrauchen weiß. […]

Anmerkungen (H)

  1. Da Herr Ebeling in diesem Theile öfters mit verdientem Ruhme genannt wird, so finde ich bey dieser Stelle, wo der Herr Verfasser, seinem guten Herzen zu folge, auch meiner erwähnt, für schicklich, zu sagen, daß Herrn Ebelings Geschäfte ihm nicht erlaubt haben, die Uebersetzung dieser beyden letzten Bände zu übernehmen. Ich wünschte, daß das Publikum nichts mehr dabey verlieren möchte, als die Stelle hier, die mich selbst betrift, und die ich billig weglasse.
    Der Uebersetzer.
  2. [286] Vom Hamburger Tonkünstlern, würde ich besonders wegen des Urtheils, daß Herr Burney im letzten Bande, S. 191. darüber fället, gerne eine umständlichere Nachricht geben, und sowohl Tonkünstler von Profession, als Musikliebhaber und Liebhaberinnen nennen, deren ganz unpartheyische Beschreibung diesem Urtheile alle Kraft benehmen würde. Allein, da ich Ursach zu besorgen habe, daß man mich errathen, Auswärtig, mich für partheyisch und diejenigen, die ich etwa aus Versehen nicht nennte, mich für ungerecht[WS 5] halten möchten, will ich nur überhaupt ein Paar Anmerkungen machen, ohne mich in etwas Besonders einzulassen. Sänger und Sängerinnen von der ersten Größe hat Hamburg, da es gegenwärtig keine Opern hat, und beym Gottesdienste Sängerinnen noch nicht gerne zugelassen werden will, keine Gelegenheit zu unterhalten. Da vor einigen Jahren die Subscriptionsconcerte den Winter durch im Gange waren, hätte Herrn Burney diesen Mangel gegen Hamburg nicht aufbringen sollen; und wäre er nur nicht so schnell, fast wie durch eine Poststation, durch gereist: so hätte er auch [287] Stimmen hören können. – Er hat gewiß Sängerinnen gelobt, die gewiß nicht besser sind, als die Liebhaberinnen, die ich hier in Gedanken habe, Die beyden Concerte die Herr Burney hier angehört hat, sollten ihn nicht verleitet haben, von dem Zustande der Musik in Hamburg überhaupt ein Urtheil zu sprechen. Sogar das Erste, was der Herr Magister Ebeling veranstaltete, war in der Eile zusammenberufen, und bestund halb aus Liebhabern. Von dem Zweyten, beym Herrn Westphal, hätte ich, wäre ich an seiner Stelle gewesen, nichts gesagt, weil Liebhaber, die Freyheit haben müssen, sich nach ihren Kräften zu vergnügen, sobald sie es nur unter sich thun, ohne Zuhörern zur Last fallen zu wollen. Und das war bey dem letzten gewiß die Meinung nicht, denn man hatte nicht darauf gerechnet, daß Herr Burney hinkommen würde. Ob indessen die Liebe zur Musik (vom Geschmack mag hier die Rede nicht seyn!) in Hamburg so gering sey, mag man daraus schliessen, daß sich hier gewiß über achtzig (einige wollen über hundert sagen) Personen befinden, die davon leben, daß sie Unterricht in der Musik geben. Daß dieses nicht alle Meister sind, ist leicht begreiflich; aber das ist auch wahr, daß man in Hamburg ein Orchester zusammen bringen kann, womit ein jeder Kenner zufrieden seyn wird. Besonders wird man selten bessre Notenleser antreffen; das haben noch alle Kapellmeister mit Verwundrung bezeugt, die mit Operngesellschaften [288] hier gekommen sind, und mit einem, freylich nicht miteinander eingespielten Orchester, gearbeitet haben.
  3. [312] Es war der: „Fürwahr er trug unsre Krankheit.“ Die Adagioarie: „Wende dich zu meinem Schmerze.“
  4. [312] Viele Nebenbuhler Bachs im deutschen Kirchenstyle, würde Herr Burney wohl auch nicht aufweisen können, obgleich Herr Bach, ohne daß ich seine Gründe errathen kann, seiner Kirchenstücke in seiner Lebensbeschreibung keine Erwähnung thut.
  5. [312] Ueber die Länge der bachischen Stücke, kann man folgendes Experiment machen: Man nehme sein längstes Concert, aus der neu in Berlin bey Wintern gedruckten das dritte aus E dur, z. E. – man nehme die Tempo’s so langsam als möglich, mache die zwey Cadenzen jede etwa 4 bis 5 Tacktlängen – es dauert gerade 20 Minuten. Sollte man das Werk eines der ersten Genieen nicht so lange anhören können! Die arme Musik! Wer doch mit der Poesie so kurz wegkäme, [313] oder – mit diesen Reisen, und diesen Noten dazu! – Das Schlechte ist freylich zu lang, währte es auch nur eine Minute. Die Langeweile bey einem Stücke, muß wohl an etwas anderm, als an seiner Länge liegen.
  6. [313] Eine Wette von Drey gegen Zwey, Herr Dokter Burney, Bach weiß über seine bearbeiteten Subjekte noch was vorzubringen, daß des Hörens werth ist.
  7. Soll wohl abermals ein Vorwurf für die geduldigen Deutschen seyn! den man aber unbeantwortet hingehen lassen kann, es sey denn, daß jemand an die ewigen Rondeaux denken wollte, welche die Engländer itzt so ganz geduldig anhören.
  8. Diese waren keine andre, als der durch seine medicinische Schriften allgemein bekannte Herr Docter Unzer, seine ebenfals durch Schriften bekannte Ehegattinn, und ihr Bruder, Herr Ziegler. Aber dergleichen läßt sich von einem Reisenden, der nur Musik in der Seele und zum Zweck hat, vergessen, ohne, daß er deshalb Vorwürfe verdiene.
    Der Uebersetzer.
  9. Der Uebersetzer hat es mehr als Einmal aus Herrn Bachs eignem Munde gehört, daß man nicht gelehrter in der Musik seyn könne, als es sein Vater gewesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hier endet Carl Philipp Emanuel Bachs autobiographische Lebensskizze; der folgende Text ist wieder von Charles Burney.
  2. S. 186, die Fehlpaginierung der Vorlage druckt: S.187
  3. Fehlpaginierung im Original: 187.
  4. Fehlpaginierung der Vorlage: 186.
  5. Vorlage: ungegerecht.
  6. statt Vorlage: Schwätzer – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  7. Den folgenden Einschub hat der Übersetzer Johann Joachim Christoph Bode veranlasst; die Bemerkungen in Klammern sind von ihm.
  8. ein Clavichord
  9. recte: 58

Die von Bode ausgelassene Passage Burneys über CPE Bach

[in Burneys Original: S. 260–266] Google

[260] […] Carl Philip Emanuel Bach, second son of Sebastian Bach, music-director at Leipsic, was born at Weimar, in Upper Saxony, and territory of Thuringis, [261] 1714. In his youth he studied the law, both at Leipsic, and at Frankfort on the Oder, having been intended for a civilian; but his father discovering in him such a strong propensity to music, as would prevent his applying sufficiently to any other art, indulged his natural inclination, and suffered him to make it his profession.

It was at Frankfort upon the Oder that he first turned his talents to account, by composing and directing the music, at the academy, as well as at all other public exhibitions in that city, even while he continued his studies at the university.

In 1738 he went to Berlin, not with out expectation that the prince royal of Prussia, who was then secretly forming a band, would invite him to Ruppin; he was not disappointed, the fame of his performance soon reaching this prince’s ears, his royal highness sent for him to his court, and heard him with so much [262] satisfaction, that he afterwards frequently commanded his attendance; but from the circumscribed power of the prince at that time, he did not take him into actual service till his accession to the throne, in 1740, and then M. Bach had alone the honour to accompany his majesty upon the harpsichord in the first flute-piece that he played at Charlottenberg, after he was king.

During his residence at Berlin, M. Bach does not seem to have enjoyed that degree of favour to which his merit entitled him; for though music was extremely cultivated by his Prussian majesty, who supported operas with great expence and magnificence, and who had in his service musicians of the first abilities, yet he honoured the style of Graun and Quantz more with his approbation, than that of any other of his servants, who possessed greater originality and refinement; but his majesty having early attached himself to an instrument which, [263] from its confined powers, has had less good music composed for it, than any other in common use, was unwilling, perhaps, to encourage a boldness and variety in composition, which his instrument would not allow him to participate.

But though Bach’s style did not insinuate itself into the favour it deserved at the court of Berlin, it has been imitated and adopted by the performers upon keyed instruments in every other part of Germany. How he formed his style, where he acquired all his taste and refinement, would be difficult to trace; he certainly neither inherited nor adopted them from his father, who was his only master; for that venerable musician, though unequalled in learning and contrivance, thought it so necessary to crowd into both hands all the harmony he could grasp, that he must inevitably have sacrificed melody and expression. Had the son however chosen a model, it would certainly have been his father, whom he highly reverenced; but [264] as he has ever disdained imitation, he must have derived from nature alone, those fine feelings, that variety of new ideas, and selection of passages, which are so manifest in his compositions.

The works which he produced, during his residence at Berlin, are so numerous, and, in general, so unknown in England, that I shall specify the principal of them here, for the satisfaction of those who may wish to procure them.

I. Six Sonatas for the Harpsichord, dedicated to the King of Prussia. Published by Schmidt, at Nuremberg, 1742.
II. Ditto, dedicated to the duke of Würtemberg, published the same year, and in the same city, by Windter. Many of his admirers look upon this as the best of his works.
III. Two Trios for Violins, and a Base, with remarks by the author. Printed by d°. In these pieces, the composer has endeavoured to support a dialogue between two persons of different characters.
IV. Three Harpsichord Concertos. Printed seperately, by d°. [265]
V. An Essay on the Art of Playing the Harpsichord, with examples, on twenty-six copperplates, written in the German language, and printed for the author, 1753.
VI. Ten Sonatas for the Harpsichord, printed by Hafner, at Nuremberg, in his Miscellanies, from 1755, to 1765.
VII. Two Sonatas for the Harpsichord, with some detached pieces, and a Fugue, in Breitkopf’s Collection, Leipsic, 1757.
VIII. Melodies to Gellerts Hymns, by Winter, at Berlin, 1759.
IX. Twelve short Pieces for two and three Voices, in a pocket form. d°.
X. Six Sonatas, with his own Graces, book first: this work has been printed in London, by the late Mr. Walsh.
XI. Second Part of d°. 1761.
XII. Essay upon the Art of Playing the Harpsichord, vol. II. which treats of accompaniment, and voluntary playing, Berlin, d°.
XIII. A Collection of Odes d°.
XIV. Six Sonatas for the Harpsichord, d°. 1762.
He has likewise composed a great number of simphonies, many of which have been printed [266] separately. The whole of his works, include thirty trios for the harpsichord, and other instruments; eighteen solos, for different instruments; twelve sonatines, of which some are for two harpsichords, with accompaniments; fortynine concertos for the harpsichord; a hundred and seventy lessons for d°. besides smaller pieces, and single fugues.