Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Meißler
Band: 17 (1867), ab Seite: 290. (Quelle)
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Meißner, Alfred (Dichter und Schriftsteller, geb. zu Teplitz in Böhmen 15. October 1822). Alfred Meißner’s Vater, Eduard (geb. zu [291] Dresden 12. März 1785), war Badearzt zu Karlsbad und feierte in den letzten Tagen des März 1858 sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum. Sein Großvater, August Gottlieb, ist der seiner Zeit beliebte Schriftsteller, und der in vielen Bändchen herausgegebenen „Skizzen“ wegen sogenannte „Skizzenmeißner“, dessen Lebensskizze S. 301 folgt. Alfred’s Mutter, Karolina, eine geborne Invernay (gest. im Jahre 1861, 77 Jahre alt), war eine Schottin von Geburt. So geschah es, daß Alfred das Englische zugleich mit dem Deutschen fließend sprechen erlernte. Im Jahre 1831 – Alfred zählte damals 9 Jahre – übersiedelten die Eltern von Teplitz, wo sie bis dahin gewohnt, nach Karlsbad, der Sohn kam auf das Gymnasium nach Schlackenwerth und von dort später auf jenes in der Altstadt zu Prag. Die freiere Bewegung daselbst im Kreise ihm befreundeter Altersgenossen, mannigfaltige und anregende Lectüre, endlich der Besuch des Theaters, weckten und förderten den Geist des strebsamen Knaben. Unter solchen Umständen begann er frühzeitig zu dichten, und er war kaum 15 Jahre alt, als das damals von Rudolph Glaser [Bd. V, S. 207] redigirte Unterhaltungsblatt „Ost und West“, bald die Musenhalle der deutsch-böhmischen Poeten, schon von ihm gedichtete Balladen veröffentlichte. Es herrschte damals unter den deutschen Schulgenossen Meißner’s ein reger Sinn und ein durch das „junge Deutschland“ geweckter poetischer Geist; das junge Deutschland hatte ein „junges Böhmen“ zur Folge gehabt, zu dessen deutschen Vertretern ganz tüchtige und später viel genannte Namen zählten, es seien hier nur beispielsweise erwähnt: Friedrich Bach [Bd. I, S. 110; Bd. XIV, S. 386], der Dichter der Sensitiven, Moriz Hartmann [Bd. VIII, S. 4], Isidor Heller [Bd. VIII, S. 272], Leopold Kompert [Bd. XII, S. 404]. Die von den deutschen Dichtern Böhmens begonnene Verherrlichung Čechiens, wie solche Hartmann in seinem „Kelch und Schwert“, Meißner in seinem „Žižka“ unternommen, hat der čechische Löwe den Deutschen in neuerer und neuester Zeit durch Verfolgung und Schmähung des deutschen Elementes in Schule, Amt und Leben erwiedert. Auch Meißner, wie andere seiner böhmischen Sanggenossen, erlitt für seine poetischen Opfergaben das Martyrthum der Verbannung, wie dieß weiter unten berichtet wird. Nach beendeten philosophischen Studien, als es galt, sich für ein Brotstudium zu entscheiden, wählte M. als solches die Medicin, und begann 1840 das Studium derselben an der Prager Hochschule. Er hatte dasselbe vollendet, am 2. Juni 1846 daraus die Doctorwürde erlangt, und bei dieser Gelegenheit die lateinisch geschriebene Dissertation: „De Helminthiasi intestinorum“ herausgegeben. Ein Jahr früher schon, 1845, aber waren seine bisher in neunter und verbesserter Auflage gedruckten „Gedichte“ erschienen. Die vielen socialen Anklänge in diesen Dichtungen, in welchen auch die Frauen nicht vergessen waren, wie die Gedichte „George Sand“, „An die Frauen“ u. a., beweisen, erwarben M. einerseits, was damals als ein nicht Geringes galt, die Einreihung unter die politischen Dichter des Tages, und andererseits die lohnende Theilnahme der Frauen, die in M. ihren Sänger ehrten und verehrten. Um jene Zeit war M. als praktischer Arzt im Spitale thätig, und die Muße seines Berufes ging in Arbeit an seiner Dichtung „Žižka“, theils in Studien der böhmischen [292] Geschichte, besonders der Hussitenzeit, theils in poetischer Durchdringung dieses reichen Stoffes auf. Nachdem ein Theil des Gedichtes vollendet, dessen Druck in Oesterreich aber damals (1846) nicht möglich war, begab sich Meißner damit nach Leipzig, wo er bald einen Verleger dafür fand. Wenn dem schärferen kritischen Auge eine Verschiedenheit in der Behandlung der einzelnen Theile der Dichtung nicht entgeht, so erklärt sich dieß einfach aus der Thatsache, daß nur ein Theil des Gedichtes in seiner letzten Feile vollendet war, als er schon dafür in Leipzig einen Verleger suchte. Bei der schwungvollen Behandlung des im hohen Maße anregenden Stoffes war bei den damaligen, täglich unerträglicher werdenden Verhältnissen bald ein Verleger gewonnen, der nun das „noch unvollendete“ Gedicht bereits zu drucken begann, während der Dichter noch an einzelnen Abtheilungen desselben arbeitete. Daß eine solche Situation der künstlerischen Vollendung der Form nicht zuträglich sein konnte, bedarf keiner Erläuterung, wie denn auch die namhafte Feile in den späteren Auflagen dieses ursprüngliche, durch den oberwähnten Umstand veranlaßte Gebrechen nie ganz zu beseitigen vermochte. In Leipzig selbst, wo sich damals viele Flüchtlinge aus Oesterreich zusammen gefunden hatten, war der Verkehr mit befreundeten Sangsgenossen ein vielfach anregender. Karl Beck [Bd. I, S. 212], Herloßsohn [Bd. VIII, S. 370], Ignaz Kuranda [Bd. XIII, S. 407], Eduard Mautner [S. 158 dieses Bds.], der schon erwähnte Moriz Hartmann, ferner Johannes Nordmann, Hermann Rollet und Andere lebten damals in Leipzig. Da gab es Anregung genug, bei wechselseitigem Austausche von Hoffnungen, überstandenen Leiden und Klagen, über bevorstehende Unfälle und Sorgen, mitunter um das tägliche Brot. Nachdem der „Žižka“ erschienen war, wurde der Name des Dichters bald viel genannt, dieser durch die so eigenthümlich veränderte Richtung von seinem bisherigen Lebenswege abgelenkt und dem Stande des ausübenden Arztes mit einem Male entfremdet. Prag und Karlsbad. ja selbst Leipzig waren ihm mit einem Male zu klein geworden, und fort gings nach Paris, wo er in der Rue du Faubourg Poissonière Nr. 41, in der Straße, in welcher Heinrich Heine wohnte, sein Absteigequartier nahm, und nun französische Zustände studirte. Außer Heine, der ihm näher trat, als Anderen, die sich um ihn drängten, lernte M. den unglücklichen Gerard de Nerval kennen, mit dem er sich auch bald befreundete. Seine literarische Thätigkeit dieses ersten Pariser Aufenthaltes umfaßt die Aenderungen der zweiten und dritten, mittlerweile nöthig gewordenen Auflagen des „Žižka“, und Skizzen des literarischen und politischen Lebens in Paris und Frankreich, welche die damals eben im vollen Aufschwunge begriffenen „Grenzboten“ Kuranda’s brachten. Nach einem zehnmonatlichen Aufenthalte in Paris kehrte M. nach Prag zurück, wo er sich anfänglich im dramatischen Fache versuchte, aber das um jene Zeit entstandene Stück: „Die Ehre des Hauses“ später selbst zurücklegte. Indessen hatten die politischen Wirren des Jahres 1848 den Blick von aller Poesie, aber auch die Fortsetzung aller politischen Maßregelungen, die nach seiner Rückkehr wieder in Angriff genommen wurden und eben im besten Zuge begriffen waren, als die Märztage in’s Land brachen, von ihm abgelenkt. M. hatte nämlich gegen die Censurvorschriften überhaupt und um so schwerer sich versündigt, als [293] das von ihm im Drucke erschienene Werk in Oesterreich nie die Druckerlaubniß, auch für das Ausland nicht, erhalten haben würde. In jenen bewegten Tagen wurde Meißner in den böhmischen Nationalausschuß gewählt, auf welchen Platz er aber bereits im Mai d. J. verzichtete und sich nach Frankfurt am Main begab. Dort warf er sich ganz in publicistische Thätigkeit, stand in engen persönlichen Beziehungen zur demokratischen Partei, dem Clubb der sogenannten äußersten Linken, bis das große parlamentarische, mit so mächtigen Hoffnungen von allen Gebildeten gezimmerte Gebäude wegen Uneinigkeit in seinem Schooße und Hinausschießen über das zu erstrebende Ziel in sich zusammenbrach. Meißner kehrte nun wieder in die Heimat zurück. Dort machte er sich an die Verarbeitung der in seinem ersten Pariser Aufenthalte, dem noch ein zweiter zu Weihnachten 1848 gefolgt war, empfangenen Eindrücke, und es erschienen seine „revolutionären Studien aus Paris“ und das kleine komische Epos: „Der Sohn des Ata Troll“. Der Umschwung der politischen Verhältnisse, welcher den Stürmen der Jahre 1848 und 1849 gefolgt war, und in allen Hoffenden auch die kleinsten Keime eines Besserwerdens geknickt hatte, blieb auch auf Meißner’s Schaffen nicht ohne nachhaltige Wirkung. Mit lyrischen Bekehrungsversuchen und begeisterten Confessionen in Reimen auf die Welt zu wirken, hatte er aufgegeben, und alle wahre Poesie als einen Spiegel auffassend, in welchen das Bild der Welt mit vertieften Farben fällt, ließ er seinen früher so feurig überströmenden Enthusiasmus in sich zu einem nachhaltigen und in Zaum gehaltenen Feuer abklären. Oertliche Veränderung that zu diesem Umschwunge seines Geistes das Ihrige hinzu. Er begab sich im Jahre 1850 auf einige Zeit nach London, wo er im Hause des Lord Russel, mit dessen Neffen er befreundet war, lebte. Dort zu objectivem Schaffen sich sammelnd, dichtete er sein Drama: „Das Weib des Urias“. Weit entfernt, den biblischen Stoff in einem conventionellen Style zu behandeln, unternahm er es, den heiligen König David von den später aufgetragenen Lasuren der Zusammensteller des alten Testaments reinigend (?), in ganz menschlicher Weise darzustellen. Diese profane Behandlung des Stoffes wurde jedoch von tüchtigeren Bibelkennern, als Meißner einer ist, sehr übel aufgenommen, wie es hinwieder auch nicht an anerkennenden Stimmen fehlte. Heinrich Heine, freilich in biblischen Sachen kein Gewährsmann, erwähnt dieses Drama’s in der Vorrede seiner „Allemagne“, und es mit Hebbel’s „Judith“ zusammenstellend, that er den in Meißner’s Biographien oft citirten Ausspruch, worin er Meißner als „heritier presomptif de la gloire de Frederic Schiller bezeichnet. Julian Schmidt, kühler urtheilend als Heine, findet im „Weib des Urias“ einen Fortschritt über den „Žižka“ hinaus. Daß ein Stück, wie das Weib des Urias, unter den bestehenden Bühnenverhältnissen nicht zur Ausführung gelangen konnte, begreift sich leicht. Dem genannten Drama folgte bald das zweite: „Reginald Armstrong, oder die Welt des Geldes“, das er während einer Sommerfrische des Jahres 1851 am Gmundnersee gedichtet. Dieses Stück, dessen Wirksamkeit zunächst an die Tüchtigkeit eines Darstellers gebunden ist, hatte einen wechselnden Erfolg. Während es in Prag, wo Friedrich Haase die Rolle des Glendower in [294] meisterhafter Weise spielte, entschieden gefiel, kam es in Wien nicht über einen Succes d’ estime, und wurde schon nach wenigen Aufführungen bei Seite gelegt, hingegen wieder auf mehreren Bühnen Norddeutschlands mit Beifall gegeben. Ein drittes Stück: „Der Prätendent von York“, machte noch weniger Glück. Zuerst in Weimar, dann in Prag gegeben, fand es von Saphir in dessen Humoristen (1857, Nr. 307) eine harte Verurtheilung. Als es in Druck erschien, begeisterte es, wie früher das „Weib des Urias“, über welches Joseph Bayer in der „Prager Zeitschrift“ (1851, Nr. 22–39) eine ganze ästhetische Abhandlung geschrieben, einen deutschen Schriftsteller, Karl Wach in Hamburg, derart, daß er eine Abhandlung darüber veröffentlichte, welche länger als das Drama selbst ist. Andere, auch in diesen Tagen entstandene dramatische Werke Meißner’s: „Die Fürstin von Tscherbidoff“, „Die Abenteuer des Herzogs von Montmorenci“ und das Lustspiel „Ich und mein Titel“, sind nicht im Drucke erschienen. Die dramatischen Erfolge Meißner’s waren nicht darnach angethan, ihn auf diesem Gebiete beharren zu lassen. Er betrat nunmehr dasjenige des Romans und der Novelle, und hatte auf diesem bis zur Gegenwart ein entschiedenes Glück, wenn auch die Kunstkritik an diesen Werken einer fruchtbaren und schöpferischen Phantasie bald mit Recht, bald mit Unrecht mäckelt. Es entstanden nun in ziemlich rascher Folge die novellistischen Arbeiten und die Romane: das Skizzenbuch „Am Stein“; – „Der Freiherr von Hostiwin“; – „Der Pfarrer von Grafenried“, oder wie es in zweiter Auflage heißt: „Zwischen Fürst und Volk“; – „Sansara“, dessen Titel der Philosophie Schoppenhauer’s entnommen ist, und so viel heißt, als Endliche Selbstabgeschlossenheit, endliche Friedensruhe; – „Neuer Adel“; – „Die Charaktermasken“; – „Zur Ehre Gottes“; – „Seltsame Geschichten“, und viele kleinere in den besten schöngeistigen Zeitschriften der Gegenwart, wie im „Illustrirten Familienbuche“, in Westermann’s „Monatsschrift“ u. dgl. m. abgedruckte Novellen, unter denen nur beispielsweise „Was hängt, laß hängen“, „Die Tage des Teufels“ erwähnt seien. [Die bibliographischen Titel der selbstständig erschienenen Werke Meißner’s in chronologischer Folge, sowie die kritischen Stimmen über den Dichter und seine Schöpfungen folgen weiter unten.] Die bisher angeführten Romane und Novellen des Dichters fanden von Seite des lesenden Publicums eine sehr günstige, von Seite der Kritik eine getheilte Aufnahme. Eigentliches Aufsehen erregen sollte erst ein größerer Roman mit dem herausfordernden Titel: „Schwarzgelb“, der die österreichischen Zustände des sechsten Jahrzehends unseres Jahrhunderts in grellster Weise zeichnet. Meißner, sich gleichfalls berufen glaubend, an der Lösung politischer, kirchlicher und socialer Fragen mitzuwirken, hat gleich Anderen zu dieser ebenso großen als herrlichen Aufgabe die Form des Romans gewählt. Alles in diesem Roman ist Tendenz; keine charakteristische Seite unserer Zeit bleibt unberührt, alle widerstrebenden und vorwärtsdrängenden Kräfte haben ihre Repräsentanten darin, welche sich nicht bloß in Gesinnungsausbrüchen, sondern in lebendig entwickelten Charakteren und spannenden Situationen darstellen. Aber ein Haupteinwurf gegen diese sechsbändige Arbeit bleibt es doch, daß der Dichter es unternahm, aus dem Skandal und Kehricht seines Vaterlandes diesen [295] Romankoloß zusammenzukitten, und während er ein Kunstwerk zu schaffen die Absicht hatte, nur ein Pamphlet in die beliebtere Form eines Romans brachte. Ja, in einer der darin gezeichneten Journalistengestalten soll eben derselbe Mann, der, als Meißner seinen „Žižka“ hatte erscheinen lassen, am meisten zu des Dichters Lob und Preis in die Posaune gestoßen und für seinen Ruhm thätig gewesen, in ganz entstellter Weise förmlich verhöhnt sein! – Von den Feinden Oesterreichs wurde dieser Roman für eine heroische That bezeichnet, und gewiß ist es kein geringes Zeichen der Zeit, daß, während die Verhandlungen über den Ausgleich mit Ungarn in der Luft hingen, dieses Romanmonstrum in einer ungarischen Uebersetzung erschien, eine Auszeichnung, welche die stolze ungarische Nation bisher wenig deutschen Romanen hat zu Theil werden lassen. Aber der ungarische Uebersetzer hat sich doch gescheut, seinen Namen zu nennen. „Schwarzgelb“ hielt den so eigenthümlich erworbenen Ruhm des Dichters wieder für einige Zeit über dem Wasser. Was die örtlichen Beziehungen des Dichters betrifft, so lebte er seit 1850 den Winter über meist in Prag, im Sommer trieb es ihn bei seiner stets regen Wanderlust auf Reisen, entweder in die Ferne oder in die herrlichen Gebirgsgegenden Salzburgs, Tirols und der Schweiz. Im Jahre 1857 war es ihm gegönnt, längere Zeit in Weimar zu verweilen, an das ihn Franz Liszt und dessen geistvolle Freundin, die Fürstin Witgenstein, fesselten. Im nämlichen Jahre wurde er auch auf einer Reise durch Italien dem Herzog Ernst von Coburg bekannt, der bei seinem Interesse für deutsche Schriftsteller dem Dichter zu wiederholten Malen Gastfreiheit in seinem Hause bot und ihn auch im Jahre 1860 mit seinem Orden auszeichnete. Ununterbrochen literarisch thätig, veröffentlichte M. in den letzten Jahren größere und kleinere Arbeiten in den besten deutschen Unterhaltungs-Zeitschriften, und zwar in der Janke’schen „Deutschen Roman-Zeitung“ einen Roman: „Lemberger und Sohn“, der dann auch im nämlichen Verlage selbstständig erschienen ist; mehrere kleinere Novellen und touristische Skizzen seiner Reisen in Westermann’s „Monatschrift“, in der „Freya“ und in der „Gartenlaube“. Seine neueste That ist der Roman „Babel“, der in Nr. 12 des vierten Jahrganges der Janke’schen „Roman-Zeitung“ anhebt, und in der Tendenz, Form, Charakteristik und Situation sich an den oberwähnten Roman „Schwarzgelb“ anschließt, welch letzterer aber doch den Reiz der Neuheit vor ihm voraus hat, denn darin kommen nicht nur dieselben Gestalten vor, wie in „Schwarzgelb“, sondern dieselben haben manchmal gar die nämlichen Erlebnisse. Was seine Charakteristik als Mensch, Dichter und Schriftsteller betrifft, so wird bezüglich der beiden letzteren Momente auf die weiter unten folgenden Aussprüche der Fachkritik hingewiesen. Sonst rühmt eine erst jüngst erschienene, von einer dem Dichter sehr befreundeten Dame, die selbst Dichterin ist, verfaßte Lebensskizze an M. ganz besonders die Ueberzeugungstreue, die durch sein ganzes Leben geht, daneben das rastlose Streben und Ringen einer echten Künstlernatur nach der Lösung immer neuer Aufgaben, nach immer größerer Vervollkommnung, den Ernst des Schaffens, den er sich bewahrt, die Höhe des Ideals, zu der er klimmt. Es gibt für ihn kein bequemes Ruhen auf leicht errungenen Lorbern, kein Sichgenugthun [296] auf irgend einem Gebiete der Literatur, kein leichtsinniges Produciren, keine eitle Selbstüberschätzung. Er hat im Kampfe dieser Zeit, in den sich die ganze begeisterungsfähige Jugend opferfreudig stürzte, redlich mitgekämpft, und ist, wo andere unterlagen, die einstigen Ideale verläugneten, verriethen, sich selbst und ihrem Volke untreu wurden, treulich M. auf der Bahn geblieben, welche vorwärts führt. Aber es ist ein Vorwärts, das nicht mehr im unklaren Drange auf die gewaltsame Umgestaltung aller Verhältnisse gerichtet ist – es ist ein Vorwärts, das er sich selbst zuruft, indem er immer gediegenere (?), vollendetere (??) Werke schafft, welche der Nation einen Spiegel vorhalten und sie unmerklich an der Hand der poetischen Unterhaltung zwingen, sich selbst zu betrachten und selbst muthig vorwärts zu schreiten, trotz aller Hindernisse der Gegenwart, in eine bessere Zukunft.“ Insbesondere bemerkenswerth erscheint es, wie M. seine eigene Mission als politischer Dichter ansieht. „Unsere Zeit“, schreibt er in einem „Vormärz-Poeten“ überschriebenen Feuilleton der „Presse“ (1862, Nr. 119), „nimmt, freilich in veränderter und vielfach umgebildeter Form, die Fragen des März wieder auf. Sie faßt sie ruhiger und kälter, mit einem Worte praktischer, der idealistische Humanismus ist nicht mehr da, der damals die Gemüther aller Gebildeten ohne Unterschied des Standes und Ranges erfüllte, und mit einer sentimentalen, vielleicht wehleidigen Zärtlichkeit selbst die von diesem Erdenleben unzertrennlichen Leiden und Nöthen heilen wollte; alles aber, was jene Zeit wollte und anstrebte, wird darum doch nicht mehr, wie es einst geschah, in Bausch und Bogen als Utopie und Chimäre verurtheilt. Eine Zeit, die die Politik nicht mehr als Sache der Cabinete, sondern als Sache des Volkes auffaßt, erkennt jedesmal auch die Berechtigung einer politischen Poesie an. Mit andern Augen nimmt der Jüngling, mit andern der Mann die Fragen der Zeit auf, das ist der ganze Unterschied zwischen der Vormärz-Poesie, die eine Jünglings-Poesie war, und einer anderen, deren Vertreter wir in der That noch erwarten. Man habe Nachsicht mit der Ueberschwenglichkeit des Gefühls, die die Verse jener Tage charakterisirte, und entschuldige manchen Schuß, der über das Ziel hinausging, um der vielen anderen Schüsse willen, die ganz richtig in’s Schwarze trafen. Was sich der Wald erzählt, ja selbst die Liebe der Traube zum Kräutlein Waldmeister, ist allerdings ein artiger dichterischer Vorwurf, nie aber möge man einer anderen Lyrik ein Verbrechen daraus machen, daß sie den Vorwurf wagte, die Menschheit auf ihrem Entwickelungsgange zu begleiten, ein Versuch, der zwar über die Kräfte jener Dichter ging, doch wohl weder auf ihr Herz, noch auf ihren Charakter einen Schatten zu werfen geeignet ist.“ Gewiß ist diese bescheidene Art der Auffassung seiner poetischen Mission ein nicht zu unterschätzender Charakterzug ebenso des Dichters, wie des Menschen.

I. Chronologische Uebersicht seiner Werke nebst Angabe der wichtigeren Beurtheilungen. „De Helminthiasi intestinorum. Dissertatio inauguralis“ (Prag, 4°.), anläßlich seiner am 2. Juni 1846 erfolgten Promotion zum Doctor der Arzneiwissenschaft. – „Gedichte“ (Leipzig 1845, Ph. Reclam jun., 12°.); zweite stark verm. Aufl. (Leipzig 1846, Herbig, 8°.); dritte verm. Aufl. (ebd. 1850, 16°.); vierte verm. Aufl. mit zwei Radirungen (ebd. 1851, 16°.); unveränd. Aufl. mit einer Radirung (ebd. 1852, 16°.); sechste Aufl. (ebd. 1854, 16°.); siebente Aufl. (ebd. [297] 1856, 16°.); achte Aufl. (ebd.); neunte Aufl. (ebd. 1865, 8°.). [Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) Jahrgang 1845, S. 945.] – „Žižka. Gesänge“ (Leipzig 1846, Herbig. 8°.); zweite Aufl. (ebd. 1847, 8°.); dritte Aufl. (ebd. 1850, 16°.); vierte Aufl. mit zwei Radirungen (ebd. 1851, 16°.); fünfte unveränd. Aufl. mit zwei Radirungen (ebd. 1852, 16°.); sechste Aufl. mit einem Kupferstich und in Kupfer gest. Titel (ebd. 1855, 16°.); siebente verb. Aufl. (ebd 1856, 16°.); achte Aufl. (ebd. 1862); neunte Aufl. (ebd. 1865, 8°.). [Grenzboten (Leipzig, Herbig, 8°.) 1847, Bd. I, S. 1–14.] In čechischer Uebersetzung unter dem Titel: Žižka. Báseň ve čtyrech zpěvích. Překladen J. Ervína Spindlera (Prag 1864, Kober, 16°.). – „Im Jahr des Heils 1848. Ein Gedicht“ (Leipzig 1848, Herbig 12°.). – „Revolutionäre Studien aus Paris“ [1849], 2 Bände (Frankfurt a. M. 1849, literarische Anstalt, 8°.). [Blätter für literarische Unterhaltung 1850, S. 729 u. f.] – „Der Sohn des Ata Troll“. Kölnisches Epos (Leipzig 1850, 8°.). – „Das Weib des Urias. Tragödie in fünf Acten“ (Frankfurt a. M. 1851, 8°.); zweite Aufl. (ebd. 1859, 8°.). [Blätter für literarische Unterhaltung 1851, S. 1139; 1859, S. 463, von August Henneberger. – Prager Zeitschrift. Chronik für österreichische Literatur, Kunst und Geschichte, 1851, Nr. 22–39: Ausführliche Besprechung des Drama’s von Joseph Bayer.] – „Reginald Armstrong, oder: Die Welt des Geldes. Trauerspiel in fünf Aufzügen“ (Leipzig 1833, Herbig, 16°.), auch der dramatischen Werke 2. Band. [Theater-Zeitung von Adolph Bäuerle 1852, Nr. 115 u. 116.] – „Der Freiherr von Hostiwin. Roman in zwei Bänden“, in der von I. L. Kober herausgegebenen „Bibliothek deutscher Originalromane“ (Prag, 16°.). – „Am Stein. Ein Skizzenbuch vom Traunsee“ (Leipzig 1853, Herbig, 8°.). [Blätter für literarische Unterhaltung 1854, S. 473. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1865, Nr. 241, im Feuilleton: „Poetische Bädeker“ von J. Lobmaier.] – „Der Pfarrer von Grafenried. Eine deutsche Lebensgeschichte“. 2 Theile (Hamburg 1855, Hoffmann u. Campe, 8°.); zweite Auflage unter dem Titel: „Zwischen Fürst und Volk. Die Geschichte des Pfarrers von Grafenried“, 3 Bände (ebd. 1861, 8°.). [Blätter für literar. Unterhaltung 1855, S. 695, von Willibald Alexis. – Presse 1861, Nr. 132.] – „Heinrich Heine. Erinnerungen“ (Hamburg 1856, Hoffmann u. Campe, 8°.). – [Blätter für literar. Unterhaltung 1856[WS 1]“ S. 1066, in der Anmerkung: Meißner’s Aufsatz: „Vom Krankenbett Heinrich Heine’s“; 1856, S. 597, von Theophil Pisling und ein Nachwort von Hermann Marggraff.] – „Der Prätendent von York. Trauerspiel in fünf Aufzügen“ (Leipzig 1857, Herbig, 8°.), auch der dramatischen Werke 3. Band. [Humorist. Herausg. von M. G. Saphir, 1855, Nr. 307, besprochen von M. G. Saphir. – Oesterreichische Zeitung 1855, Nr. 430.] – „Durch Sardinien. Bilder vom Festland und Insel“ (Leipzig 1859, 8°.) – „Sansara. Roman in vier Bänden“ (Leipzig 1858, Herbig, 8°.). [Blätter für literar. Unterhaltung 1861, S. 291, von Ernst Willkomm. – Europa, herausg. von Gustav Kühne, 1858, Nr. 46, S. 1486.] Erschien in französischer Uebersetzung im Journal de Francfort 1861, im Feuilleton. – „Neuer Adel. Roman in drei Bänden“ (Leipzig 1861, Grunow, 8°.). [Blätter für literar. Unterhaltung 1861, S. 219, von August Peters. – Prager Morgenblatt 1861, Nr. 2.] – „Charaktermasken. Drei Bände“ (Leipzig 1862, Grunow, 8°.). [Blätter für literar. Unterhaltung 1862, S. 407; 1863, S. 918, von Emil Müller-Samswegen.] – „Zur Ehre Gottes. Eine Jesuitengeschichte. Zwei Bände“ (Leipzig 1862, 8°.). [Blätter für liter. Unterhaltung 1861, S. 291, von Ernst Willkomm. – Presse 1861, Nr. 132.] – „Dichtungen“, 2 Theile (Leipzig 1862). – „Schwarzgelb. Roman aus Oesterreichs letzten zwölf Jahren“. Vier Abtheilungen, jede zu zwei Bänden (Berlin 1862–1864, Janke, 8°.), auch als Ergänzungsband zu Janke’s deutscher Roman-Zeitung. [Blätter für lit. Unterh. 1863, S. 344, von Herm. Neumann. – Süddeutsche Zeitung 1863, Nr. 30, im Feuilleton. – Zeitung für Norddeutschland 1862, Nr. 4243. – Presse 1862, Nr. 188. – National-Zeitung (Berlin) 1863, Nr. 39. von K. Fr(enzel). – Prager Morgenpost 1862, Nr. 207.] In magyarischer Uebersetzung unter dem Titel: „Schwarzgelb. Történeti korrajz a múlt évtizedből“ (Pest 1865, 8°.), ohne Angabe des Uebersetzers; in čechischer Uebersetzung unter dem Titel: „Černožlutí. Roman z dob reakce Rakouska na jazyk český uvedl [298] V. Vávra-Haštalský“. – „Seltsame Geschichten“, in dem bei J. P. F. E. Richter in Hamburg herausgegebenen Sammelwerke: „Der blinde Passagier“ (Hamburg 1863, 8°.). [Wiener Zeitung 1859, Abendblatt Nr. 274, von HieronymusLorm.] – „Lemberger und Sohn“ (Berlin 1865, Janke, 8°.). – „Novellen“, zwei Bände (Leipzig 1865, 8°.). – „Unterwegs. Reisebilder“ (Leipzig 1866, E. J. Günther, 8°.) [Wiener Zeitung 1866, Nr. 275.] – „Babel. Roman in drei Bänden“, in der in Otto Janke’s Verlag in Berlin erscheinenden „Deutschen Roman-Zeitung“. vierter Jahrgang (1867). Bd. I, S. 911.
II. Zur Biographie Alfred Meißner’s. Moderne Classiker. Deutsche Literaturgeschichte der neueren Zeit in Biographien, Kritik und Proben (Cassel, Balde, 16°.) [eines dieser Bändchen behandelt A. Meißner und seine Dichtungen]. – Album österreichischer Dichter (Wien 1858, Pfautsch u. Voß, 8°.) Neue Folge, S. 385–409: Biographische Skizze von Dr. Mannel, nebst Auswahl aus seinen Dichtungen. – Libussa. Taschenbuch von Paul Alois Klar (Prag, kl. 8°.) Jahrg. 1855: Biographie. – Elberfelder Zeitung (Fol.) 1863, Nr. 43 u. 44: „Alfred Meißner, literarhistorische Skizze“, von Carl Siebel. – Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt (Leipzig, E. Keil’s Verlag, gr. 4°.) Jahrg. 1867, S. 68: „Der Sänger des Žižka, von L. O.Grenzboten, herausgegeben von Ignaz Kuranda (Leipzig, gr. 8°.) Jahrg. 1847, Bd. I, S. 1–14: „Die jüngsten Poeten“, von Kuranda. – Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts. Von Friedrich Bran (Jena, 8°.) Jahrg. 1847, Bd. I, S. 246. – Oesterreich im Jahre 1840. Staat und Staatsverwaltung, Verfassung und Cultur (Leipzig 1840, Otto Wigand, gr. 8°.) Bd. II, S. 318. – Gottschall (Rudolph), Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch, und kritisch dargestellt (Breslau 1861, Ed Trewendt, 8°.) Zweite vermehrte und verbesserte Auflage, Bd. II, S. 249: Vergleich mit Moriz Hartmann; Bd. III, S. 113–116: über seine Gedichte, revolutionären Studien aus Paris; Zizka, Sohn des Ata Troll; S. 460 bis 462: über seine Dramen: Reginald Armstrong, Prätendent von York; S. 591: über seinen Roman Sansara. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) IV. Suppl. Band, S. 612. – Brockhaus’ Conversations-Lexikon, 10. Aufl. Bd. X, S. 342. – Kritische Blätter (Prag, Kober, 8°.) II. Jahrg. 1. Bd. S. 4. – Mosenthal (S. H.)[WS 2], Museum aus den deutschen Dichtungen österreichischer Lyriker und Epiker (Wien 1854, 8°.) S. 504. – Schütze (Karl Dr.), Deutschlands Dichter und Schriftsteller von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (Berlin 1862, Albert Bach, 8°.) S. 224 [bemerkt ziemlich treffend: „M. besitzt ebensowohl eine glühende Phantasie, welche mit echter Dichterbegeisterung edle und richtige Gedanken, prachtvolle Bilder in Menge zeugt, als auch eine Meisterschaft in der Form; nur lehnt er sich mehr an Frankreich und seine zügellosen Romantiker, als an den Ernst und die Keuschheit der deutschen Bildung“]. – Nouvelle Biographie générale ... publiée par MM. Firmin Didot frères, sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris 1850, 8°.) Tome XXXIV, p. 779. – Slovník naučný. Redaktor Dr. Fr. Lad. Rieger, d. i. Conversations-Lexikon. Redigirt von Dr. Franz Lad. Rieger (Prag 1859, Kober, Lex. 8°.) Bd. V, S. 221. – In den jüngst erschienenen „Briefen von Heinrich Heine“ (Hamburg 1866, Hoffmann u. Campe, 8°.) im 3. Bande [der „Sämmtlichen Werke Heinrich Heine’s “ 21. Bande] befinden sich auch mehrere Briefe Heines an Meißner, u. z. vom 12. März 1848 (S. 114), vom 1. November 1850 (S. 156), vom 1. März 1852 (S. 236), vom 13. October 1852 (S. 293), vom 4. Mai 1854 (S. 348).
III. Meißner’s Handschrift charakterisirt Adolph Hentze in seinem Schriftchen: Die Handschriften der deutschen Dichter und Dichterinnen mit 305 Facsimiles (Leipzig 1855; Bernh. Schlicke), folgendermaßen: „Ausdruck und Leben, Ungenirtheit und Glätte“.
IV. Porträte. 1) Lithographie vonStadler, 1858. Druck von J. Haller in Wien. Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: Alfred Meißner (8°. u. 4°.), auch im zweiten Bande des Pfautsch’schen Albums österreichischer Dichter. – 2) Stahlstich nach Krüger von Weger und Singer (Leipzig, Baumgartner, gr. 4°.). – 3) Facsimile des Namenszuges: Dr. Alfred Meißner. Darunter: geb. den 15. October 1822 zu Töplitz in Böhmen. J. Bucker aus Worms pinx. 1849, Stahlstich von Carl Mayer’s Kunstanstalt in Nürnberg [299] (8°.) [auch in Klar’s „Libussa“ 1855]. – 4) A. Alboth sc. (4°.). – 5) Holzschnitt von AN. aus W. Aarland’s xylographischer Anstalt [in der „Gartenlaube“].
V. Kritische Stimmen über Alfred Meißner den Dichter und Schriftsteller. Rudolph Gottschall in seinem Werke: „Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“, schreibt über Meißner, nachdem er ihn mit Moriz Hartmann verglichen [siehe diese Parallele in der Lebensskizze Hartmann’s, in diesem Lexikon, Bd. VIII, S. 9: „Urtheile über Hartmann“]. Folgendes: „Meißner lehnt sich in seinen Gedichten an Lord Byron und George Sand an, die er in dithyrambischer Breite feiert. In seiner Melancholie mit den Satzungen der Gesellschaft zerfallen, sucht er düstere Naturscenen, die Gebirgswüste, die Haide, „die Urstille der Welt“, und tröstet sich unter den todten Riesenleibern wüster Felskolosse, durch die resignirende Einsicht, daß die Natur so wenig, wie die Menschheit ein Mitgefühl und Verständniß für tiefe Leiden habe. In der Schilderung dieser Natureinsamkeit, deren Colorit mit der Stimmung der Seele vollkommen übereinstimmt, offenbart Meißner die ganze Kraft und düstere Pracht seiner Begabung. Meißner’s Melancholie erinnert, besonders in den einfach hingehauchten lyrischen Gedichten, an Lenau, aber sie geht nicht aus einem inneren krankhaften Schwanken hervor; sie steigert sich nicht zu dämonischer Selbstqual; das erstrebte Ideal steht klar vor seiner Seele, nur der Schmerz, es nicht verwirklicht zu sehen, beseelt die Elegien dieses Poeten. Die Färbung, die er seinem Ideale gibt, erinnert an den neufranzösischen Socialismus, dessen Stichwörter sich bei Meißner wiederfinden. Der Dichter hielt sich selbst, angezogen von den Bewegungen des französischen Geistes, zweimal, 1847 und 1849, in Paris auf und hat die Documente seines letzten Aufenthaltes in den glänzend geschriebenen „Revolutionären Studien aus Paris“ niedergelegt, in denen ihn indeß sein dichterischer Prophetengeist, die irrige deutsche Auffassung des französischen Wesens, zu mancherlei Illusionen über die Gegenwart und Zukunft Frankreichs hinriß. Doch die Hinneigung zu den Theorien socialer Reform und selbst socialer Revolution gibt seinen „Gedichten“ Schwung und Eloquenz, während das eigentliche politische Pathos ihnen fern liegt. Er besingt die Frauen, die Armen, er liebt es, selbst mit der Prostitution zu kokettiren, einer „Gefallenen“ eine Elegie zu singen, deren Text sich nicht ganz für eine Predigt in einem Magdalenenstifte eignen dürfte. Meißner’s größere Dichtung „Žižka“ erinnert durch die Apotheose des Ketzerthums und die lockere Verknüpfung der einzelnen Gedichte an Lenau’s „Albigenser“, denen sie auch vollkommen ebenbürtig ist, was die düstere Gluth der Schilderung und den durch alle Kämpfe hindurchtönenden Rhythmus des Gedankens betrifft. Nur ist Meißner’s Pathos noch schwunghafter, melodischer, getragener, und seiner klaren Anschauung fehlt jenes dämonische Element, welches bei Lenau so unheimlich, aber gewaltig wirkt. Žižka gehört ganz in das Gebiet der lyrischen Epik und läßt bei aller Pracht farbenreichster Schilderung, glühender Volks- und Schlachtbilder, ergreifender Balladen und reizender Idyllen doch die epische Plastik und Ruhe vollkommen vermissen. Mit der Schattenhaftigkeit Ossian’s steigen die Helden aus dem Schlachtgewühle empor, ohne es zu einer bestimmten Individualität zu bringen. Daß Meißner Talent zu satyrischen Arabesken hat, bewies er in seinem „Sohn des Ata Troll“, obgleich er sich in diesem Gedichte fast sclavisch an das Vorbild Heine’s anlehnte.“ – Was Meißner’s Dramen betrifft, so schreibt Gottschall im Hinblick auf das „Weib des Urias“, worin M. im Gegensatze gegen die sentimentale und pathetische Liebe, die in den deutschen Theaterjamben gang und gebe ist, ähnlich wie in den Hebbel’schen Dramen die tragische Krisis der Liebe durch ihre physiologische Krisis herbeiführt: „daß die Composition dieser Tragödie künstlerisch ineinandergreift und die Charakteristik sich weit über die allgemeine verwaschene Art und Weise der Jambentragik erhebe. Die Sprache ist frei von jeder Ueberladung, correct und gemessen, aber indem sie das Lyrische allzu ängstlich vermeidet, in den Augenblicken der Leidenschaft ohne mächtigen Schwung. Der Grundfehler des Stückes liegt wohl darin, daß der Dichter die Heldin fortwährend sehr edel zu schildern sucht, ohne bei uns Sympathie für sie erwecken zu können. Denn ihre Liebe zu dem alten Könige, ihre Untreue gegen einen tapferen, kräftigen, braven Genial ist durch die verwirrende Glorie der Majestät nur schwach motivirt. Wir können durch die Reaction des edlen sittlichen Gefühls in dieser ehebrecherischen Maitresse nicht zu ihren Gunsten bestochen werden. Ueberdieß [300] wird man zu deutlich auf das körperlich Pathologische der Heldin hingewiesen, um nicht auch hierin Consequenz zu verlangen. Die Schwangerschaft ist ein weiblicher Ausnahmezustand, der stets besondere psychologische Symptome mit sich führt. Die Heldin ist daher nicht vollkommen zurechnungsfähig; man kann wenigstens ihrer Exaltation eine rein körperliche Grundlage unterschieben. Dieß ist in der Tragödie immer störend. Auch erinnert die Art und Weise, wie sich der Posthumus zur rechten Zeit empfiehlt, zu sehr an einen Vortrag in einer geburtshilflichen Klinik; und wenn auch nichts Menschliches der Natur widerstrebt, so widerstrebt doch Manches der Kunst. – Meißner’s „Reginald Armstrong“ erinnert nicht nur vielfach an Clavigo, in dem besonders der Carlos nicht zu verkennen ist, sondern ist auch zu sehr dramatisch skizzirt, nur mit Naturlauten der Empfindung und der Leidenschaft ausgestattet. Das Skizzenhafte bleibt aber ein für alle Mal im Drama ein Fehler. Es ist die Klippe von Meißner’s Talent, die er auch in seinem Trauerspiele „Der Prätendent von York“ nicht umschifft hat. Der Stoff der Tragödie ist von dem altbritischen Dramatiker John Ford bearbeitet und von Schiller in seinem Warbeck-Fragment benützt worden. Meißner hat diesen Warbeck eher nach dem Plane des „Demetrius“ ausgeführt, indem er seinen Helden nicht gleich von Anfang an zu einem absichtlichen Betrüger macht, sondern in der Enthüllung des unfreiwilligen Betruges auch für ihn selbst die Peripetie herbeiführt. Gegen den Gang der Handlung und die Composition des Stückes läßt sich wenig einwenden, doch ist die Ausführung bei aller Glätte und Geschmeidigkeit matt und ohne Tiefe. Nicht als ob es diesem Talente an Pracht der Farben und lyrischem Zauber fehlte – das hat er im „Žižka“ und den „Gedichten“ zur Genüge bewiesen – aber die Einsicht in die Unzulänglichkeit des Lyrischen im Drama treibt ihn an, den hierin glänzenden Reichthum seiner Begabung gleichsam zu ignoriren; er will nur durch dramatische Mittel und Hebel wirken; aber er kann jenen Ausfall noch nicht ersetzen; und so kommt eine gewisse Nüchternheit und Farblosigkeit in seine Dramen, die störender wirkt, als ein Uebermaß der lyrischen Fülle, das ja bei Shakespeare und Schiller so glänzende Antecendentien findet.“ – Endlich über Meißner als Romandichter faßt Gottschall folgendes Urtheil, indem er dessen Hauptwerk, „Die Sansara“, in welchem M. noch künstlerisch zu gestalten versuchte, während er in den folgenden Werken nur geistreiche Nahrung dem lesenden Publicum bietet, mit folgenden Worten beleuchtet: „Ein Emancipationsroman im großen Styl ist die „Sansara“, eine Umarbeitung und Fortführung des „Freiherrn von Hostiwin“. Der Held in seiner ursprünglichen Gestalt das Ideal eines modernen „Don Juan“, der von einer Liebe zur andern fliegt, wird durch eine tiefe reine Liebe bekehrt. Der deutsche „Don Juan“ unterscheidet sich überhaupt dadurch vom spanischen, daß ihn nicht der Teufel holt, sondern daß er vorher durch irgend einen Engel gebessert wird, freilich nicht, ohne dabei aus der Rolle zu fallen. So ist auch der „Freiherr von Hostiwin“ in den beiden letzten Bänden des Romans nur ein sentimentaler Liebhaber, den der Autor glücklich zu machen kein Bedenken trägt. ... Es wäre gegen den Entwickelungsgang und die Schlußmoral dieses Romans gar Nichts einzuwenden, wenn nicht die erste Hälfte desselben als eine Verherrlichung zügelloser Lebens- und Liebeslust auf die sentimental bußfertige Wendung des Helden und seiner Schicksale keineswegs gefaßt machte. Wir wollen in Don Juan einen hartgesottenen Sünder sehen, den der steinerne Gast am Schlusse pünctlich abholt und an die Hölle abliefert. Doch diese träumerischen Hamlet-Don Juan’s sind Zwittergeschöpfe – und am wenigsten Don Juan ein Stamm, auf dem sich mit Erfolg ein Werther pfropfen läßt. So flößt der Hauptheld in diesem Romane des blinden Weltlebens kein warmes Interesse ein, und auch die einen geringen Raum einnehmenden komischen Charaktere erinnern meistens an die Figuren einer opera buffa oder an die Typen einer italienischen Komödie, dagegen sind die Tiroler Landschaftsbilder mit köstlichem Colorit gemalt, die Stimmungen der Helden oft mit dem Schmelz echt lyrischer Empfindung ausgesprochen, und ein bedeutender Gedankenreichthum erhebt das Werk hoch über die Productionen der Masse. Die letzte Hälfte des Romans ist auch spannend durchgeführt und wir vermissen keineswegs grelle Effecte recht stoffartiger Natur. Kampf um Leben und Tod auf schwankem Kahne auf unergründlichen Bergsee’n an hohen Felsenabhängen – das erregt bei lebendiger Schilderung Schwindel und regen Nervenreiz. Dagegen fehlt es gänzlich [301] an lüsternen frivolen Schilderungen, wie sie ein französischer Autor bei einem Roman von solchem Inhalte sich schwerlich würde entgehen lassen. Meißner’s zweiter Roman: „Der Pfarrer von Grafenried“, eine politische Zeitstudie, ist von geringerem Interesse.“ – Andere kritische Stimmen über Meißner’s literarische Thätigkeit in ihrer Gesammtheit liegen nicht vor, denn die Beurtheilungen seiner Biographen kommen vor lauter Bewunderung zu keinem eigentlichen Urtheile; ja dem einen derselben im „Album österreichischer Dichter“, neue Folge (Wien 1858, Pfautsch u. Voß, 8°.) passirt sogar folgender Ausspruch: „Meißner ist aus der Schaar der vormärzlichen „politischen Dichter“ der einzige Ueberlebende“ (und [BLKÖ:Auersperg, Anton Alexander Graf von|Anastasius Grün]]?). Was aber die Urtheile seiner einzelnen Werke betrifft, so sind dieselben, in soferne sie in Fachblättern vorkommen oder sonst maßgebend erscheinen, bei denselben in Klammern gewissenhaft verzeichnet, und dürften manche bei einer Gesammtbeurtheilung des Dichters und seiner zahlreichen Leistungen immerhin zu berücksichtigen sein, und muß insbesondere, wenn immer und immer wieder von der poetischen Schönheit und Klarheit seines Styls, von der Tadellosigkeit, ja Musterhaftigkeit seiner Prosa gesprochen wird, zur Einschränkung dieser Uebertreibungen auf die Kritik des „Prätendent von York“ von Saphir (Humorist 1858, Nr. 307) und auf jene des „Sansara“ von Gustav Kühne (Europa 1858, Nr. 46, Sp. 1486= hingewiesen werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1850 (berichtigt nach handschriftlicher Korrektur in der Vorlage).
  2. Vorlage: Mosenthal (S. G.).