Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Czerveny, J.
Band: 3 (1858), ab Seite: 105. (Quelle)
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Czerny, Karl (Componist, geb. zu Wien 21. Febr. 1791 [nach der Angabe in Czerny’s Testament das einzig richtige Datum], gest. ebenda 15. Juli 1857). Sein Vater, ein geborner Böhme [wohl identisch mit dem in Dlabacz’s Lexikon I. Bd. Sp. 300 angegebenen Wenzel Czerný], war seit 1785 als Claviermeister in Wien ansäßig und unterrichtete seinen Sohn in der Musik mit so großer Sorgfalt, daß er im frühen Alter große Gewandtheit im Niederschreiben eigener Ideen, in Kenntniß der Partituren und im Vortrag jeder Gattung von Tonwerken erlangte. Dabei war Czerny’s, des Vaters, Haus ein Sammelplatz der vorzüglichsten Musiker jener Zeit, u. z. des Abbé Gelinek, des Joseph Lipowski, des Tonsetzers Wanhall, des Orgelspielers Raphael, des Violinisten Krumpholz und selbst Beethovens; Letzterer übernahm den jungen Czerny in Unterricht. Im J. 1804 – und nicht wie Gräffer meldet 1818 – erschien das erste Werk von C.: „Concertante Variationen für Clavier und Violine über ein Thema von Krumpholz“. Im J. 1805 – im Alter von 14 Jahren – fing er schon an, Unterricht zu geben und die Zahl seiner Schüler vermehrte sich bald so, daß er den größten Theil des Tages seinen Lectionen widmen mußte. Unter die vorzüglichsten seiner Schüler gehören die Königin Victoria, Lißt (1818–21), Döhler, Rudolph von Vivenot, Caroline Belleville später vermälte Oury (1816), Fräulein Winkler von Foraczest nachmalige Gemalin des Oldenburg’schen Concertmeisters und berühmten Violinisten Pott, Friederike Bäuerle u. A. Eine 1818 bei Anton Diabelli erschienene Composition, ein „Rondeau sur une Cavatine di Caraffa à quatre mains. Op. 2“, machte bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen, und seit dieser Zeit erhielt C. von Seite der Verleger so vielfältige Bestellungen, daß die Zahl derselben bis an seinen Tod auf 848 angewachsen ist. Im J. 1827 erlitt C. zwei schmerzliche Verluste, am 26. März den seines hoch verehrten Lehrers Beethoven, bald darauf den seiner Mutter und 5 Jahre später seines Vaters. Bis 1835 setzte C. seine Beschäftigung des Unterrichtgebens fort, von dieser Zeit übernahm er nur selten und dann nur solche Schüler, deren Talent Bedeutendes versprach. 1836 machte er eine Erholungsreise nach Leipzig, 1837 nach London und Paris, 1846 in die Lombardie. Seit dieser Zeit verließ er Wien nicht wieder, lebte ausschließlich seiner Kunst, und war bis an seinen Tod namentlich mit Componiren und Arrangiren beschäftigt. C.’s Werke sind bei verschiedenen Verlegern in Wien, Leipzig, Berlin, Mainz, Bonn, London, Paris und vielen andern Städten erschienen und theilen sich in drei Classen: a) in jene, so zur Ausbildung der Schüler bestimmt, als: „50 vierhändige Uebungsstücke. Eine praktische Pianoforte-Schule zu 4 Händen“. 4 Lieferungen (Leipzig, Hofmeister); – „101 Passage-Uebungen … Mit Bezeichnung des Fingersatzes“. 3 Lfgn. (Wien 1833, Haslinger, Fol.); – „Die Schule der Geläufigkeit auf dem Pianoforte“ (Wien 1834, Diabelli, Fol.); – „Die [106] Schule des Legato und Staccato auf dem Pianoforte“, 5 Lfrgn. (Ebenda 1834, Fol.); – „Uebung der Tonleitern und nothwendigen Passagen in allen 12 Dur-Arten“. Op. 500; – „Die Schule des Vortrags und der Verzierungen. Sammlung beliebter Nationalmelodien“. Op. 575; – „Praktische Taktschule“. Op. 824; – „Praktische Fingerübungen jeder Gattung“. Op. 802; – „Die Kunst der Fingerfertigkeit. 50 Studien“. Op. 740; – „Die Schule des Virtuosen. Studien der Bravour und des Vortrages“. Op. 365; – „Die Schule des Fugenspieles“. Op. 400; – „Die Schule der linken Hand“. Op. 399. – b) in brillante und elegante, der herrschenden Mode huldigende Clavier-Compositionen mit und ohne Begl., z. B.: „10 Rondeaux brillants et agreables sur des thèmes italiens fav.“ Op. 373 (Wien, Fol.); – „6 Rondeaux militaires“. Op. 646; – „24 Etudes élégantes“. Op. 672; – „Melodisch-brillante Studien. 48 Original-Melodien mit Etuden, Variationen, Cadencen …“ 4 Hefte. Op. 829; – „Le Golfe de Naples. Tableau nocturne … in As“. Op. 253; – „Rondeau à la Barcarole … in A“. Op. 255; – „Introduction et gr. Polonaise brillante … in As“. Op. 257; – „Les Charmes de l’amitié. Thème de L. v. Beethoven varié … in A“. Op. 55. c) in jene, worin ein ernsterer Styl vorzugsweise berücksichtigt ist, z. B.: op. 7, 10, 13, 57, 65, 75, 76, 82, 124, 143, 144, 145, 178, 268, 730 u. A. Außerdem führte er aus die Arrangements aller Symphonien[WS 1] Beethovens, der besten von Haydn, Mozart, Spohr, die bedeutendsten Oratorien älterer und neuerer Zeiten, vieler Opern, einer großen Menge der besten Ouverturen, sowohl für zwei als vier Hände, die mit Fingersatz und Vortragszeichen versehene Herausgabe des wohltemperirten Claviers von Joh. Seb. Bach [eine der verdienstlichsten Arbeiten C.’s], die Verdeutschung des voluminösen Reicha’schen Werkes über die Harmonielehre und den dramatischen Tonsatz – ferner 24 Messen, 4 Requiems, gegen 300 Graduale und Offertorien, Symphonien, Concerte, Quartette, Quintette und Trios, welche sich noch handschriftlich in seinem Nachlaß befinden. Daß der Werth dieser Compositionen bei der großen Menge derselben nicht gleich sei, versteht sich von selbst; doch ist das Urtheil im Artikel: „Die bedeutendsten Componisten der neueren Zeit“ (Conversations-Lexikon der Gegenwart, I. Bd. S. 478): „Er ist ein ausschließlicher Verehrer des großen Beethoven, was man jedoch aus seinen Arbeiten nicht vermuthen sollte“ gelinde gesagt hart und unbegründet. In letzterer Zeit gab C. noch heraus den „Umriss der ganzen Musikgeschichte. Dargestellt in einem Verzeichniss der bedeutenderen Tonkünstler aller Zeiten, nach ihren Lebensjahren und mit Angabe ihrer Werke“. 815. Werk 1. Abtheilung bis 1800 (Mainz 1851, Schott Söhne, qu. gr. 4°., IV und 192 Seiten). Als Mensch war C., den man mit Recht den Rossini der Clavierspieler nennen könnte, anspruchslos, bescheiden, zuvorkommend; Musikus mit Leib und Seele, war er nie verletzend in seinem Urtheile über andere Künstler, aber gegenüber den Bewunderern in hohem Maße gefaßt. Bezeichnend ist folgender Zug aus seinem Leben. Als Paganini sein erstes Concert gab, wendete sich ein von Paganini’s dämonischem Spiel leidenschaftlich Aufgeregter zu dem zufällig neben ihm sitzenden Czerny. Dieser seine Dose öffnend und eine Prise nehmend, erwiederte ganz gelassen: „Sehr rein gespielt“. Charakteristisch und die große Zahl seiner Arbeiten zum Theil erklärend, ist seine Art zu componiren. Gewöhnlich componirte er an mehreren Arbeitspulten zugleich, auf einem lag ein Etudenwerk, auf dem zweiten eine Sonate u. s. w. War er nun an einem Pulte mit einem Blatte zu Ende gekommen, so ging er, um so die [107] durch Einstreuen und Umwenden verloren gehende Zeit zu ersparen, zu dem zweiten Pulte und schrieb dort weiter u. s. w. – Joseph (Musiker, geb. 1785, gest. zu Wien 22. Sept. 1831). Mit dem Vorigen nur dem Namen nach verwandt. Componirte auch für das Clavier, aber nur Weniges und nichts eben Bedeutendes. Eine von ihm verfaßte Clavierschule, betitelt: „Der Wiener Clavierlehrer, oder theoretisch-praktische Anweisung, das Pianoforte nach einer neuen erleichterten Methode in kurzer Zeit richtig, gewandt und schön spielen zu lernen“. 1 Thl. (Wien 1833, Haslinger, Fol.), seine verdienstlichste Arbeit, erlebte mehrere Auflagen und ist noch heut sehr beliebt.

Presse (Wiener Blatt) 1857, Nr. 161 (im Feuilleton: Nekrolog). – Dieselbe Nr. 162 (Notiz, sein Testament betreffend). – Dieselbe Nr. 167 (im Feuilleton: C.’s Testament). – Wiener Theater-Zeitung, redigirt u. herausgeg. von Adolph Bäuerle. 1857, Nr. 166: „Karl Czerny’s Testament“ [darin gibt C. selbst den 21. Februar 1791 als sein Geburtsdatum an]. – Nr. 169 u. 170: „Karl Czerny’s Nekrolog.“ Verfaßt von F. Luib [nach diesem geb. zu Wien 20. Februar 1791, welche Angabe C.’s Testament widerlegt]. – Nr. 165: „Vier Briefe von L. van Beethoven an K. Czerny.“ Mitgetheilt von F. Luib. [Während eines 26jährigen freundschaftlichen Verkehres mit Beethoven wechselte C. mit diesem Tonheros auch mehrere Briefe. Die aus der früheren Zeit geriethen in Verlust, von der späteren hat er viele an Freunde verschenkt, welche Autographen von Beethoven zu haben wünschten. Zuletzt bewahrte er noch 19 als ein Kleinod. Aus der Zahl dieser 19 sind die obigen 4.] – Ostdeutsche Post 1857, Nr. 162 [gibt auch den 21. Febr. 1791 als Geburtsdatum an]. – Oestr. Zeitung 1857, Nr. 322: „Nekrolog.“ – Abendblatt der Wiener Zeitg. 1857, Nr. 262 [nach dieser ist C. 1790 geb.]. – Wiener Zeitung 1857, Nr. 161, S. 2066. – Ergänzungsblätter von Steger 13. Bd. Nr. 8. – Schilling (G. Dr.), Das musikalische Europa (Speyer 1842, F. C. Neidhard, gr. 8°.) S. 64. – Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur. In vier Bänden (Leipzig 1832, Brockhaus, gr. 8°.) I. Bd. S. 478. – (Brockhaus) Conversations-Lexikon (10. Aufl.) IV. Bd. S. 532. – Catalogo delle Opere pubblicate dall’ I. R. Stabilimento nazionale … di Tito di Gio. Ricordi in Milano (Maild. 1855, coi tipi di Ricordi, 4°.) S. 2, 5, 15, 26, 75, 273, 274, 276, 277, 293, 294, 295, 296, 340, 434, 435, 463, 466, 471, 472, 541, 547, 703. – Frankfurter Konversationsblatt 1857, Nr. 187, S. 748: „Czerny und Lißt.”[BN 1]Testament. Auszug des Wesentlichsten aus des Tonkünstlers Testament: „… Mein Vermögen besteht aus: A. 84 Stück 5percentige Metalliques zu 1000 fl.; B. 10 Stück Bankactien. …; C.3000 Dukaten in Gold. D. 72 Napoleonsd’or. E. Ungefähr 600 bis 800 fl. in Silberzwanzigern. F. Gegen 5000 fl. in Banknoten. … G. 2 Salm’sche Lose, ein Stück St. Genois-Los, ein Keglevich-Los, ein Staatsanleihe-Los vom Jahre 1839. H. Außer meiner Hauseinrichtung, Kleidung, Wäsche, Bibliothek u. Musikaliensammlung noch an werthvollen Sachen mehrere goldene Dosen und Schmucksachen. … Das Gesammtvermögen mag daher ungefähr 100,000 fl. CM. betragen. Ueber alles dieses verfüge ich wie folgt: … Sollen 20 Stück 5% Metalliques à 1000 fl., sammt Zinsen vom Todestage, bei Gericht hinterlassen werden, welche ich denjenigen meiner erbfähigen Verwandten nach Stämmen vermache, die sich binnen sechs Jahren als solche legal ausweisen werden. … Meiner Wirthschafterin Maria Malek vermache ich 12 Stück 5perc. Metalliques à 1000 fl., damit sie eine jährliche Rente von 600 fl. besitzt. … Ihrem Bruder Joseph Machatschek ebenso 4 Stück 5perc. Metalliques à 1000 fl., also eine Rente von 200 fl. … Ich widme 1000 fl. CM. zu einem einfachen anständigen Denkmale auf meinem eigenen Grabe, mit der Inschrift:
Karl Czerny, Tonkünstler,
geboren in Wien, den 21. Februar 1791, gestorben …
Alle gestochenen Musikalien von meiner Composition, sowie alle Musikalien von anderen Autoren (worunter viele vorzügliche Werke sind) erhält die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. 2 Originalmanuscripte von Beethoven 1. das Violinconcert Op. 61 und die Partitur der Ouverture Op. 114, die ich einst Gelegenheit hatte zu kaufen, gebe ich der k. k. Hofbibliothek. Da ich sehr viele eigene, noch ungestochene Manuscripte hinterlasse (Symphonien, Concerte, Violin-Quartette, Quintette, Trios, Sonaten, Duos, Trios, Quartette etc. mit Clavier, alles im ernsten Style), so vermache ich alle diese Compositionen (mit Ausnahme der Kirchensachen) Herrn Hof-Musikalien-Händler Karl Spina. Ich wünsche, daß die brauchbaren davon gestochen werden. Alle meine Kirchencompositionen [108] (circa 24 Messen, 4 Requiem, gegen 300 Graduale und Offertorien etc. etc.) soll Herr Joseph Doppler, Buchhalter bei Karl Spina, als Eigenthum erhalten. … Jene Gegenstände, über die ich nicht verfügt habe (insbesondere meine Bibliothek von beinahe 3000 Bänden, Landkarten, wissenschaftliche Sammlungen etc.) bitte ich Herrn Dr. Leopold Sonnleithner anzunehmen. … Ich wünsche, daß zu meinem Andenken jährlich an meinem Todestage (oder dem nächsten geeigneten Tage) in der Augustiner-Hofpfarrkirche entweder ein Requiem oder eine von meinen größeren letztern Messen sammt Einlage aufgeführt werden. Ich widme hierzu als Stiftungscapital 1000 fl. 5perc. Metalliques; von deren Zinsen sollen jedes Mal 40 fl. für die Musik und der Rest für die Kirche gehören. Als Erben meines gesammten übrigen Nachlasses setze ich die nachbenannten Anstalten zu vier gleichen Theilen ein. I. Ein Viertheil erhält die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. II. Ein Viertheil hinterlasse ich dem Vereine zur Unterstützung dürftiger Tonkünstler in Wien. (Die Zinsen dieses Erbtheils genießen einstweilen 2 verdiente Künstler.) III. Das dritte Viertheil widme ich zu gleichen Theilen dem Vereine zur Versorgung erwachsener Blinden und dem Taubstummen-Institute in Wien. (Auch die Zinsen dieses Viertheils geniessen lebenslänglich zwei taubstumme Töchter einer Witwe.) … IV. Das letzte Viertheil soll zur Hälfte dem Kloster der barmherzigen Brüder in Wien, und zur andern Hälfte dem Institute der barmherzigen Schwestern in Wien zufallen. … Dies ist mein letzter Wille, welchen ich durchaus eigenhändig geschrieben und unterfertigt habe. Wien, am 13. Juni 1857.
Karl Czerny m/p.

Berichtigungen und Nachträge

  1. E Czerny, Karl [Bd. III, S. 105].
    Hamburger Theater-Chronik von C. A. Sachse, 1854, Nr. 23–25: „Charakterbilder künstlerischer Zeitgenossen“. – Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde und des Conservatoriums in Wien befinden sich von Czerny’s eigener Hand „Erinnerungen aus meinem Leben“, geschrieben im Jahre 1842, 30 Seiten in Folio; – dabei „Czerny’s Ableben“ von Sonnleithner, und wieder 4 Folioseiten von Czerny selbst: „Erinnerungen aus der Zeit meiner Kindheit und Jugend“. [Band 26, S. 372]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Simphonien.