BLKÖ:Berger, Johann Nepomuk

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 1 (1856), ab Seite: 303. (Quelle)
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Berger, Johann Nep. (Advocat und Fachschriftsteller, geb. zu Proßnitz in Mähren 16. Sept. 1816).[BN 1][BN 2] Ist der Sohn wohlhabender Eltern; der Vater war fürstl. Liechtenstein’scher Beamter zu Feldsberg in Nieder-Oesterreich, die Mutter eine geborne Abl, die getaufte Tochter convertirter israelitischer Eltern, welche aus Offenbach nach Oesterreich übersiedelten. Im Alter von 4 Jahren verlor Berger seinen Vater und da die Mutter in ihrer contemplativ-sentimentalen Richtung dem vielverzweigten Geschäfte nicht gewachsen war, geriethen auch die Vermögensverhältnisse in Verfall. Der Knabe erhielt anfänglich eine militärische Erziehung, begann aber später zu studiren und besuchte das Gymnasium zu Olmütz mit trefflichem Erfolge. Selbst noch Schüler der 4. Grammatical-Classe begann er dürftigkeitshalber, während er lernte, zu lehren. Im Alter von 15 Jahren verlor B. nun auch die Mutter und stand ganz sich selbst überlassen da. Während er mit Noth und Entbehrungen rang, wußte er doch seinen Geist in beständiger Frische und Heiterkeit zu erhalten; der in jener Zeit schlechte Unterricht machte B. zum Autodidakten, und insbesondere fühlte er sich zur Mathematik hingezogen. Die Bekanntschaft eines k. k. Officiers war Veranlassung, daß B. die umfassenden Werke Vega’s durchstudirte. Als er die Philosophie hörte, wirkte der als Lehrer hochgeachtete und zu früh hingeschiedene Prof. Michael Canaval auf den Jüngling in sehr anregender Weise, und aus eigenem Eifer betrieb B. das Studium der analytischen Geometrie und Differentialrechnung, deren Kenntniß [304] damals manchem Professor der Mathematik fehlte. Diese in Allem sich beurkundende Tüchtigkeit bewirkte es, daß, als der Fürst-Erzbischof von Olmütz, Graf Chotek, für seinen Neffen, Otto Grafen Chotek, nach einem Correpetitor suchte, die Wahl auf B. fiel. Um seine Studien fortzusetzen, begab sich B. Mitte 1834 nach Wien, begann die Rechte zu studiren, besuchte aber in seiner Vorliebe für die Mathematik auch die astronomischen Vorlesungen des ausgezeichneten Littrow und trug sich einige Zeit mit der Idee herum, einen Dienst auf der Sternwarte anzutreten. Littrow, den heißblütigen Jüngling ganz erfassend, machte ihm begreiflich, wie es ober seinem Haupte wohl Myriaden Sterne, aber auf Erden nur sehr wenig Sternwarten gebe. Nach kurzem Kampfe widmete sich B. ganz den Rechtsstudien und wurde 1841 zum Doctor graduirt. Neben den eifrigst betriebenen Studien der Brodwissenschaft schrieb B. für belletristische Journale; Novellen, humoristisch-satyrische Artikel brachte Saphirs Zeitschrift „Humorist;“ später betheiligte er sich an L. A. Frankls „Sonntagsblättern,“ und schrieb bald unter eigenem Namen, bald unter dem Pseudonym Sternau. Resultate seiner wissenschaftlichen Studien legte er aber in Wagners, später von Stubenrauch fortgesetzten „Zeitschrift für östr. Rechtsgelehrsamkeit“ und in Wildners „Jurist“ nieder, in welchen er den Kampf gegen die traditionelle östr. Jurisprudenz als Vorkämpfer für die philosophisch-geschichtliche Behandlung der Rechtswissenschaft in Oesterreich aufnahm. In seinen kritischen Besprechungen von Perthalers „Recht und Geschichte,“ von Höpfners „Monographie über den Nachdruck,“ von Rößlers „Die Geschichte im östr. Rechte“ u. a.; – in seinen Abhandlungen: „Privatrecht und bürgerliches Recht nach ihrem begrifflichen Unterschiede und ihrer systematischen Gliederung;“ – „Die Rechtsphilosophie als letzte Entscheidungsquelle im östr. Privatrechte“ zeigt er sich ebenso als scharfsinnigen Dialektiker, wie er in der Art, die Ergebnisse seiner Studien zusammenzufassen, auf der Höhe der Wissenschaft stand. 1844 wurde B. zum Assistenten der Lehrkanzel des Natur- u. Kriminalrechtes an der k. k. Theresianischen Ritterakademie ernannt. Im Jahre 1848 fand B. öfter Gelegenheit, seine wissenschaftlichen Theorien in die Praxis zu übertragen, was denn auch der Fall war bei Berathung des ersten und zweiten Preßgesetz-Entwurfs, welcher er als Abgeordneter des Wiener Schriftstellervereins und als dessen Vicepräsident beiwohnte u. bei dieser Gelegenheit herausgab: „Die Pressfreiheit und das Pressgesetz“ (Wien 1848, Tendler). Als die Wahlen zur deutschen National-Versammlung nach Frankfurt a/M. stattfanden, wurde B. zu Schönberg in Mähren zum Abgeordneten und in der Leopoldstadt in Wien zum Stellvertreter gewählt. Seine Wirksamkeit als Parlamentsmitglied ist in mehreren Schriften über das deutsche Parlament, als von Laube, Biedermann u. A. hervorgehoben und seine Eigenschaften als Redner auf der Tribune von Kalisch in seinen „Shreppnells“ treffend gezeichnet worden. Klarheit, Schärfe, Witz und Schlagfertigkeit sind die Vorzüge in B.’s Reden, und Biedermann erwähnt insbesondere der „ätzenden Säure des Oesterreichers,“ da er von B. spricht. Den Höhenpunct seiner parlamentarischen Beredsamkeit erreichte B. in seiner im März 1849 gehaltenen Rede gegen den Welker’schen[WS 1] Antrag: „Auf Annahme der deutschen Reichsverfassung en bloc und Uebertragung der deutschen Kaiserwürde an Preußen“ B. war der einzige Oesterreicher, der in dieser denkwürdigen Debatte, in welcher sich alle parlamentarischen Kräfte maßen, sprach, [305] und als er mit dem Sprichworte: „die Morgenstunde hat Gold im Munde“ die Metamorphose, welche in Welker von einem Abend auf den nächsten Morgen vorgegangen war, ironisch charakterisirte, brach in den weiten Hallen der Paulskirche ein Bei- und Mißfallssturm los, welcher das Andenken an jenes Stachelwort B.’s zu einem populären machte, ohne daß es durch eine auch gegen Berger gerichtete Schrift Gustav Pfitzers,[WS 2] des politischen Freundes Welkers, verwischt werden konnte. Als die Abgeordneten von Frankfurt abgerufen wurden, trat B. seine mittlerweile in Wien erhaltene Advocatur an, und setzte seine durch das Jahr der Bewegung unterbrochene wissenschaftliche Thätigkeit wieder fort. Nach dem Erscheinen des neuen Wechselgesetzes gab B. heraus „Die östr. Wechselordnung vom 25. Jänner 1850 in ihrem Unterschiede von dem früheren Wechselrechte erläutert“ (Wien 1850, Manz), wovon in 3 Monaten 2 Auflagen und eine Uebersetzung in’s Italienische erschien. In jüngster Zeit machte sein Angriff des Werkes von Dr. Joseph Unger „System des östr. allgemeinen Privatrechts“ (Leipzig 1856, Breitkopf u. Härtel, I. Bd.), welchen B. in dem Werke „Kritische Anträge zur Theorie des östr. allgem. Privatrechts“ (Wien 1856, Manz) zusammenfaßte, in wissenschaftlichen Kreisen Aufsehen. Unger antwortete unverweilt in den „Oestr. Blättern für Literatur etc.“ 1856, Nr. 30 u. 31. Der Kern dieser wissenschaftlichen Fehde ist: Indem man Bergers Standpunct in der Rechtswissenschaft als den philosophischen bezeichnete, stellte man ihn dem Dr. Unger entgegen, der die geschichtliche Richtung vertreten sollte. Diese Gegenstellung Beider ist aber mehr Ergebniß der Beurtheiler, als im Wesen der Beurtheilten begründet. Beide verfolgen ein Ziel, nur auf verschiedenen Wegen. Unger, indem er die österreichische Gesetzgebung in das System der deutschen Rechtswissenschaft umzuschmelzen bestrebt ist, sucht der ersteren die Resultate der letzteren anzueignen; Berger hat aber nicht sowohl die österreichische, als vielmehr die in einer Umformung begriffene deutsche Rechtswissenschaft im Auge, er geht in die principielle Reform der deutschen, die von der österreichischen schon erreicht ist, zunächst ein und will dieser letzteren nicht blos die Gegenwart der deutschen, sondern im kürzesten Wege auch ihre Zukunft gewinnen und in diesem Sinne mochte Berger seinen Standpunct wohl auch als den der Kritik bezeichnen, die er dem „System“ entgegenstellt. Die Polemik wurde auf beiden Seiten mit einer der Wissenschaft entsprechenden Mäßigung in Wort und Ausdruck geführt. Endlich bot sich mit der Einführung der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit des Strafverfahrens dem Dr. Berger neuerdings Gelegenheit, seine glänzende Rednergabe an den Tag zu legen, und als gerichtlicher Redner zählt er zu den gesuchtesten. Sein Name wurde bald neben dem allseitig anerkannten des Dr. Mühlfeld genannt.

(Brockhaus) Conversations-Lexikon (10. Aufl.) II. Bd. S. 543. – Frankl (L. A.), Sonntagsblätter 1847. Beilage „der Wienerbote“ S. 69. – Stubenrauch (Moriz Dr. von), Bibliotheca juridica austriaca (Wien 1847, 8°.) S. 35 [daselbst werden B.’s im „Juristen“ und der „Oestr. Zeitschrift für Rechts- u. Staatswissensch.“ enthaltenen Aufsätze Nr. 290–301 aufgezählt). – Conversations-Lexikon der Gegenwart. – Die Männer des deutschen Volles (Frankf. 1848–51, Schmerber, Imp. -4°.) III. Bd. 7. Liefg., daselbst sein ziemlich gelungenes Porträt. – Laube (Heinrich), Das erste deutsche Parlament (Leipzig 1849, Weidmann, 3 Bde.). – Biedermann (Karl), Erinnerungen aus der Paulskirche (Leipzig 1849, O. Meyer). – Kalisch (L.), Shrapnells (Frankfurt a. M. 1849, Liter. Anstalt). – Pfitzer (Gustav), Weder jetzt das Directorium, noch das Habsburgische Kaiserthum später … (!!!) (Stuttgart 1849, Neff).

Berichtigungen und Nachträge

  1. E Berger, Johann Nepomuk [Bd. I, S. 303], im Ministerium Giskra (1868 bis Anfang 1870) Minister ohne Portefeuille.
    Waldheim’s Illustrirte Zeitung (Wien, kl. Fol.) 1863, S. 797. – Bozner Zeitung 1868, Nr. 11, im Feuilleton. – Bohemia 1868, Nr. 4, im Feuilleton. – Wiener Kirchen-Zeitung 1868, Beilage zu Nr. 7: „Dr. Berger und die Ermordung Latour’s“; 1870, Nr. 5: „Exminister Berger, seine heutigen Gegner und die „Kirchen-Zeitung“. – Augsburger Allgemeine Zeitung 1868. Beilage Nr. 4. – Gartenlaube (Leipzig, Ernst Keil, gr. 4°.) 1869, S. 264: „Oesterreichische Berühmtheiten. Von Sigmund Kolisch“. – Neues Wiener Tagblatt 1868, Nr. 3, im Feuilleton: „Der Minister ohne Portefeuille“. – Didaskalia (Frankfurter Unterhaltungsblatt, 4°.) 1860, Nr. 318: „Zum Processe Richter“. – Mährischer Correspondent (Brünn, Fol.) 1861, Nr. 155, im Feuilleton: „Zur Lösung der österreichischen Verfassungsfrage“. – Presse 1861, Nr. 271: „Erster Leitartikel“. – Gratzer Zeitung 1864, Nr. 167 u. 168, im Feuilleton: „J. N. Berger über die Todesstrafe“. – Fremden-Blatt. Von Gust. Ritter v. Heine (Wien, 4°.) 1868, Nr. 314, in den Notizen. – Neue freie Presse 1868, Nr. 1324: „Wiedergefundener Bruder des Ministers Berger“. [Band 22, S. 480]
  2. Berger, Johann Nepomuk [Bd. I, S. 303; Bd. XXII, S. 480] (gest. zu Wien 9. December 1870).
    Der Osten (Wiener politisches Blatt, 4°.) III. Jahrg. (1870), Nr. 50. – Fremden-Blatt. Von Gust: Heine (Wien, 4°.) 1870, Nr. 341. – „Nekrolog“, und 342. – Figaro (Wiener Witzblatt, 4°.) 14. Jahrg. (1870), Nr. 58: „Dr. J. N. Berger’s Testament“. – Neue freie (Wien, kl. Fol.) 1871, Nr. 2619: „Zu Berger’s Todestage“. [Band 23, S. 361]

Anmerkungen (Wikisource)