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Artikel „Ziemssen, Theodor“ von Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 201–204, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ziemssen,_Theodor&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 10:09 Uhr UTC)
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Ziemssen: Theodor Z., verdienter Geistlicher und Pädagog, ältester Sohn des damaligen Diakonus zu St. Marien, späteren Generalsuperintendenten und Prokanzlers der Universität Dr. F. Ziemssen (s. oben), geboren zu Greifswald am 18. Februar 1777, † am 20. October 1843. Er besuchte das Gymnasium der Vaterstadt und studirte ebendaselbst seit 1794. Zum Lebensberuf wählte er [202] nach dem Vorbild des Vaters die Theologie, betrieb nebenher jedoch die allgemeineren philologischen, historischen, mathematischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien. Bei seinem Abgang von Greifswald nach vierjährigem Aufenthalt hielt er eine Abschiedsrede, in welcher er den Einfluß der Philosophie auf die Theologie historisch darzulegen versuchte und ging auf ein Jahr nach Jena, um dort Philosophie zu studiren. Hatte er sich zu Greifswald mit Kantischer Kritik beschäftigt, so besuchte er in Jena vornehmlich Fichte’s Vorlesungen und gewann durch ihn die vorherrschende Tendenz auf Vernunft und Sittlichkeit in der Philosophie und Religion. In der Theologie waren Paulus, Niethammer und Griesbach seine Lehrer, durch vertrauten Umgang mit Schütz und Griesbach gelang es ihm Schiller, Goethe und Wieland persönlich kennen zu lernen (sowie später auch Schelling). Sich sofort nach Beendigung seiner Studien amtlicher Thätigkeit zuzuwenden wünschte er nicht und begab sich zu weiterer Ausbildung nach der Schweiz, woselbst er zu Bern bei dem Landvogt Sinner eine Hauslehrerstelle übernahm. Näheren Umgang pflog er hier mit Herbart, der bereits sechs Jahre in gleicher Stellung in der Schweiz gelebt hatte, ohne darum für dessen philosophische Richtung gegen den Idealismus gewonnen zu werden. In der Begeisterung für Pädagogik wußten beide sich eins; ihren Plan, mit dem gemeinsamen Freunde Eschen aus Eutin ein pädagogisches Institut zu gründen, verhinderte Herbart’s Abgang aus der Schweiz. Um so inniger schloß er sich nun an Eschen an, einen Schüler Vossens, der sich schon durch eine Uebersetzung des Horaz und eigene Dichtungen bekannt gemacht hatte. Mit diesem durchwanderte er das Chamounixthal und hatte das Unglück, denselben auf dem Gletscher des Bürt am Mont Blanc in eine Eisspalte stürzen zu sehen, aus welcher er nur als Leiche hervorgezogen werden konnte. Sein Gemüth ward durch diese Schreckensscene so tief erschüttert, daß er einer längeren Erholung auf dem Gurgniggel bei seinem Freunde Zehender bedurfte, dann trat er in die Stelle des Verunglückten als Hauslehrer beim Baron Frisching ein, der den Sommer über auf seinem Schlosse Rümlingen lebte. Hier, umgeben von den Reizen einer erhabenen Natur und einer angenehmen vom Reichthum verschönten Häuslichkeit, richtete er sich leiblich wie geistig auf. Von nachhaltiger Bedeutung für ihn und seine Entwicklung ward die enge Befreundung mit Pestalozzi, welcher aus Stanz 1799 durch die Revolutionskriege vertrieben, zu Burgdorf seine Lehrmethode wieder aufgenommen und 1801 hier ein selbständiges Institut gegründet hatte. Es entspann sich ein inniger für die Klärung und Befestigung der beiderseitigen Grundanschauungen fruchtbarer Umgang und wechselseitige Besuche in Bern und Burgdorf wiederholten sich bis 1803, auch ein brieflicher Verkehr ward andauernd unterhalten. Als auf Veranlassung des Ministers Stapfer eine Commission zur Prüfung von Pestalozzi’s Methode niedergesetzt ward, wurde auch Z., obwol Privatlehrer und Ausländer, hinzugezogen. Die politischen Interessen, welche damals in der Schweiz alles andere überwogen, berührten Z. wenig oder gar nicht; obwol zu Bern, dem Mittelpunkt der damaligen helvetischen Republik wohnhaft, hielt er sich doch von dem Parteigetriebe fern, wenn er auch persönlich den beiderseitigen Führern nahestand. Seinem Wunsche entsprechend, in der Schweiz für die Erziehung auch noch öffentlich zu wirken, gab er seine Stellung bei Frisching auf, nahm seine Wohnung zu Bern in Geßner’s Hause, der mit Wieland’s geistreicher Tochter verheirathet war, und hielt 1803 öffentliche Vorlesungen über Pädagogik und andere Gegenstände für ein gebildetes Publicum. Obwol ihm Anerbietungen zu Anstellungen in der Schweiz gemacht wurden, und Pestalozzi selbst ihm die Leitung seines Instituts zu übertragen wünschte, so trieb ihn doch der Wille des Vaters und eigene Sehnsucht in die Heimath zurück. Hier wendete er, zuvor in Jena zum Doctor der Philosophie [203] promovirt, seinen ganzen Eifer auf eine akademische Lehrthätigkeit, um in ihr seine pädagogischen Erfahrungen zu verwerthen und gab noch 1803 eine kleine Schrift: „Ueber die Entstehung des Gehorsams in der Erziehung, ein pädagogisches Fragment“ heraus. Ferner sandte er an die vaterländische Regierung seinen Bericht eines Augenzeugen über Pestalozzi’s Lehrart und schrieb dann für seine Habilitirung „Dissertatio paedagogica de Pestalozziana institutionis methodo“. Außer seinen pädagogischen Vorlesungen las er noch Encyklopädie und Methodologie des akademischen Studiums, Einleitung in die Philosophie, Logik, Anthropologie, Naturrecht, hielt auch Vorträge und Conversatorien in lateinischer und französischer Sprache und leitete zugleich das dortige Schullehrerseminar. Gedruckt wurde eine von ihm bei einer akademischen Feier gehaltene Rede „Die Verbesserung der Erziehung das dringendste Bedürfniß der Gegenwart“; auch schrieb er eine Darstellung und Beurtheilung der Pestalozzi’schen Lehrart und der gesammten darauf bezüglichen Litteratur, welche in der neuen Leipziger Literatur-Zeitung Mai 1804 erschien. Im unausgesetzten Geistesverkehr mit den bedeutendsten Pädagogen, besonders mit Gutsmuths und Tillich, wirkte er für Ausbreitung und bessere Würdigung der Pestalozzi’schen Lehrmethode in Deutschland, und seine Thätigkeit am Lehrerseminar bot ihm Anlaß, sie schon praktisch in den Elementarunterricht einzuführen. Nachdem er dann 1806 die ihm vom akademischen Senat angetragene Pfarre in Hanshagen angenommen und sich verheirathet hatte, verband er mit seiner pädagogischen Thätigkeit die praktische Wirksamkeit eines Landgeistlichen, die ihn um so mehr befriedigte, als die anmuthige Gegend des Pfarrdorfes seinen für Naturschönheiten empfänglichen Geist ansprach. Auch das Vertrauen seiner Gemeinde zu gewinnen, boten die Zeitverhältnisse bald eine besondere Gelegenheit, indem er bei dem Einbruch der Franzosen wegen seiner Kenntniß ihrer Landessprache häufig zwischen ihnen und seinen Pfarrkindern zu vermitteln hatte; nach und nach erwuchs aus solchen Anfängen für alle Folgezeit ein patriarchalisches Verhältniß. Auch litterarisch beschäftigte ihn sein Wirkungskreis, indem er eine aus zum Theil mühsam erforschten Quellen zusammengestellte Geschichte der Kirche und Prediger zu Hanshagen herausgab. Seine Predigten und Reden, von denen ein Paar Casualien gedruckt sind, zogen seine Gemeinde auch dadurch an, daß er nach genauer Meditation völlig frei sprach. Sein ländliches Pfarramt bot ihm zugleich Gelegenheit für seine pädagogische Richtung, indem er einerseits die Dorfschullehrer zum methodischen Unterricht anleitete, andererseits schon in den ersten Jahren seines Aufenthaltes ein nachher noch lange und gedeihlich bestehendes Erziehungsinstitut begründete, bei welchem ihm a. a. der später als Professor der Pädagogik in Greifswald wirkende Dr. A. Hasert zur Seite stand. Außer der Gesammtleitung und der Religion behielt er sich Mathematik, Naturlehre und griechische Sprache als eigene Lehrobjecte vor; besonders bot die reiche Flora in der Umgegend von Hanshagen Anlaß zu häufigen Ausflügen mit seinen Schülern. Gemeinsam mit dem eng befreundeten Professor Hornschuch in Greifswald schrieb er: „Botanische Bemerkungen über die Insel Rügen“ für die Flora der botanischen Gesellschaft zu Regensburg, die ihn zu ihrem Mitglied erwählte. Auch hatte er die Freude, öfter berühmte Botaniker, als Sprengel, Chamisso u. A. bei sich zu sehen. Für das körperliche Gedeihen seiner Schüler ward durch regelmäßige Uebungen auf einem dazu eingerichteten Turnplatz gesorgt. Mit Pestalozzi blieb er fortdauernd in brieflichem Verkehr, im gemeinsamen Interesse schrieb Z. eine zweite Abhandlung über Pestalozzi’s Lehrart, ihre Geschichte und Literatur für die Neue Leipziger Lit.-Ztg. (October 1819) und lieferte außerdem viele Recensionen über Pädagogik. Auch von der anthropologischen Gesellschaft zu Leipzig ward er zum ordentlichen Mitglied ernannt. Seine Studien [204] in der Theologie und Philosophie setzte er dabei ungestört fort; Arbeiten in der Patristik über Barnabas und in der Exegese über Jacobus und den Römerbrief blieben als Manuscript zurück. Im J. 1815 ward ihm von der Facultät zu Rostock auf Grund einer Abhandlung: „Das Christenthum im Verhältniß zum Zeitalter seiner Entstehung“ die theologische Doctorwürde ertheilt. Seitdem sein Vater 1812 zum Generalsuperintendenten von Schwedisch-Pommern ernannt worden war, stand ihm der Sohn hülfreich zur Seite, besonders bei der Umwandlung der kirchlichen Verfassung der Provinz durch die preußische Regierung. Zum Superintendenturadjuncten erwählt, begleitete er als Vertreter der Greifswalder Landsynode seinen Vater zu der ersten und einzigen pommerschen Provinzialsynode nach Stettin. Schon als Pastor hatte er unter den Synodalen die Bildung eines theologischen Vereins veranlaßt zur Belebung geistiger Interessen und auch eine Synodalbibliothek zu diesem Zwecke gegründet. Obwol ein Gegner der neu eingeführten Agende ward er, als zur Berathung über Modificationen derselben für Pommern in Stettin eine liturgische Commission versammelt wurde, zu derselben als Mitglied für Neuvorpommern berufen. Auch hielt er die meisten tentamina zur ersten theologischen und auch zur Schulprüfung der Candidaten ab. In der Folge fand er auch in Greifswald für seine pädagogische Wirksamkeit ein erwünschtes Feld, indem ihn die Landesregierung, welche schon 1819 sein Gutachten über die neuen Schulgesetze für den preußischen Staat und für Pommern eingefordert hatte, zum Director des dortigen Schullehrerseminars ernannte, bei welchem er den Unterricht über Methode und Disciplin, Schulzweck und Lehrerberuf übernahm. In den kirchlich administrativen Geschäften war er ein vorzüglicher Beamter durch musterhafte Ordnungsliebe und praktischen Takt ohne Pedanterie und Peinlichkeit, in den späteren Jahren nahm er dafür einen Secretär an. Noch in seinem höheren Alter beschäftigte er sich mit der Hegel’schen Philosophie, ohne darin volles Genüge zu finden. Seine Ansicht von den neueren philosophischen Systemen sprach er aus, indem er sie so charakterisirte: Kant reflectirt, Fichte speculirt, Schelling dichtet und Hegel rechnet. Nach allen Richtungen hin waltete er treu seines Amtes und stiftete in Kirche, Schule und Pfarre ein Denkmal seiner Wirksamkeit. Am 20. October 1843 erlag er während einer amtlichen Conferenz einer Herzlähmung und fand seine Grabstätte auf dem Friedhofe zu Hanshagen.

Th. Ziemssen. Eine Lebensskizze: Neuer Nekrolog d. Deutschen. 21. Jg. 1843, 2. Th., S. 894–915. – Biederstedt’s Nachrichten u. s. w., S. 165. – Geschichte d. Prediger II, 74. – Kosegarten, Geschichte d. Univ. Greifswald I, 316.