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Artikel „Sprengel, Konrad“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 293–296, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sprengel,_Konrad&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:16 Uhr UTC)
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Sprengel: Christian Konrad S., geb. zu Brandenburg 1750, † zu Berlin am 7. April 1816, wirkte von 1774 an als Lehrer an der Schule des Friedrichs-Hospitals in Berlin und gleichzeitig an der dortigen königlichen école militaire, um, nach sechsjähriger Thätigkeit, durch Professor Zierlein in Berlin empfohlen, die Stelle eines Rectors an der lutherischen großen Stadtschule in Spandau zu übernehmen, welche er bis 1794 innehatte, in welchem Jahre er, unter Verkürzung seines Gehaltes auf ungefähr ein Drittel, von seiner vorgesetzten [294] Behörde seines Amtes entsetzt wurde. Von dieser Zeit an lebte er als Privatgelehrter zurückgezogen in Berlin, woselbst er im Alter von 66 Jahren verstarb. Als Gelehrter wie als Mensch war S. eine ganz eigenartige Erscheinung. Während über seine erste Lehrthätigkeit nichts bekannt geworden ist, gibt über die nachherige Wirksamkeit als Rector eine Spandauer Stadtchronik aus dem Ende des 18. Jahrhunderts, niedergeschrieben vom damaligen Oberpfarrer und Superintendenten an St. Nicolai, Schulinspector Daniel Friedrich Schulze, eine umfangreiche, für den Besprochenen freilich wenig günstige Schilderung. Hiernach scheint einen großen Theil der dreizehnjährigen Amtsthätigkeit Sprengel’s eine ununterbrochene Kette von Unbotmäßigkeiten, Reibereien mit den Vorgesetzten und Unzuträglichkeiten im Umgange mit den Eltern der Zöglinge ausgefüllt zu haben, deren Abschluß schließlich die unfreiwillige Versetzung in den Ruhestand bildete. Offenbar war S. eine kraftvolle Natur, mit großen Geistesgaben und reichen Kenntnissen ausgerüstet, und dieser Vorzüge sich auch bewußt, die jedoch, in kleinliche Verhältnisse und in eine Umgebung versetzt, welche reformatorischen Ideen keinen Raum ließen, in herrische Unfügsamkeit und schließliche Gleichgültigkeit ausartete. Mögen auch die harten Urtheile des Chronisten, der S. „grausam in der Disciplin, willkührlich in seinen Lectionen, eigensinnig und wenig religiös“ nannte, nicht völlig objectiv sein, sicher muß er, da er erst während seiner Spandauer Amtszeit sich mit Botanik zu beschäftigen anfing und es während derselben zu einer außerordentlichen Detailkenntniß in dieser Wissenschaft brachte, einen großen Theil seiner Zeit seinen botanischen Studien gewidmet haben, so daß sich eine Versäumniß seiner Rectoratspflichten leicht begreifen läßt. In Berlin lebte S. in sehr bescheidenen, trotzdem nicht gerade dürftigen Verhältnissen, in einer Dachwohnung eines Hinterhauses, völlig zurückgezogen, das Leben eines Sonderlings. Sein, conventionellen Schmeicheleien abholder und rücksichtslos offener Character stieß die Menschen ab, sein völliger Mangel an Autoritätsglauben entfremdete ihm die Gelehrten. Zu seinem Unterhalte gab er Stunden in Sprachen und Botanik und hielt allsonntäglich Excursionen ab gegen geringes Entgelt. Bei diesen Gelegenheiten offenbarte sich dann der Reichthum seines Wissens und seines inneren geistigen Wesens. Für alles hatte und erweckte er Interesse. Er erklärte in solchen Stunden ebenso gut die Schrift auf einem Leichenstein, oder den Bau einer Windmühle, wie den Sternenlauf oder den Pflanzenkörper, und selbst witzige Bemerkungen entschlüpften dann wohl seinen sonst in strengem Ernst geschlossenen Lippen. Den zweiten Theil seines unten näher besprochenen botanischen Werkes gab er wegen mangelnder Unterstützung nicht heraus, zog sich auch aus diesem Grunde gegen Ende seines Lebens von der Botanik ganz zurück und trieb wieder alte Sprachen. Fünf Jahre vor seinem Tode verfaßte er noch ein Werk: „Die Nützlichkeit der Bienen und die Nothwendigkeit der Bienenzucht, von einer neuen Seite dargestellt“, das volle Würdigung verdient. Seine letzte Arbeit, die Frucht seiner sprachlichen Studien, „Neue Kritik der classischen römischen Dichter“, hat wenig Beifall gefunden. Nur ein größeres Werk botanischen Inhalts hat S. hinterlassen, aber es überragt durch den Reichthum an scharfsinnigen Beobachtungen und deren geniale Deutung so sehr die gesammten litterarischen Erscheinungen mehrerer Decennien auf dem Gebiete der pflanzlichen Sexualität, daß seiner epochemachenden Bedeutung in der Geschichte der Botanik für alle Zeiten die Anerkennung gesichert ist. Freilich mußten erst 70 Jahre vergehen, bis das von den Zeitgenossen theils unverstandene, theils bekämpfte, von den Epigonen lange Zeit vergessene Werk seine volle Würdigung erhielt. Unter dem Titel: „Das entdeckte Geheimniß der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen“ gab S. 1793 die Resultate seiner fünfjährigen Beobachtungen in Druck, einen [295] stattlichen Folioband mit 25 Tafeln, die hunderte correct ausgeführte Detaildarstellungen von Blüthen und Blüthentheilen enthalten. Der Text, ein Muster von schlichter und doch prägnanter Darstellungsweise, bietet auf den einleitenden 46 Seiten eine vollständig neue Theorie der Blüthenanpassung an die Thätigkeit der Insecten und schließt daran im speciellen Theil deren Begründung durch Erläuterung an zahlreichen Beispielen. Jahrtausende hindurch blieb es unbekannt, inwiefern die bunten Farben, die Wohlgerüche vieler Blumen und ihre mannichfaltigen Gestaltungen in Wechselbeziehung zum Leben der Pflanze selber stehen, und während am Ende des 17. Jahrhunderts Camerarius überhaupt erst Geschlechtsunterschiede der Pflanzen nachwies und ungefähr ein halbes Jahrhundert später Koelreuter (A. D. B. XVI, 493) durch künstliche Bastardirungen die Befruchtungsverhältnisse wissenschaftlich untersuchte, war es S. vorbehalten, in seinem berühmten Werke den Nachweis zu liefern, in wie engen Beziehungen mit der Sexualität auch die Structurverhältnisse der Blüthen stehen. Die Beobachtung der unscheinbaren Härchen an der Basis der Blumenblätter von Geranium silvaticum im Sommer 1787 und der Honigausscheidung unter denselben führten ihn auf die Entdeckung, daß die meisten Blumen, welche Saft enthalten, so eingerichtet sind, daß zwar Insecten leicht zu demselben gelangen können, Regen aber ihn nicht zu verderben vermag. Im folgenden Jahre untersuchte er Myosotis palustris, und kam bei der Betrachtung des gelben Ringes an der Oeffnung zur Kronenröhre auf die Vermuthung, daß hierin ein Merkmal für die Insecten liege, wo sie den Weg zum Nectar zu suchen hätten. Da ferner vielfache Beobachtungen an anderen Pflanzen ihm zeigten, daß besonders auffallend gefärbte Flecken, Linien oder Figuren stets am Eingange zu einem Nectarium sich finden, so schloß er, daß die Farbe der Blumen überhaupt ein Anlockungsmittel für die Insectenwelt sei. Ein noch wichtigeres Resultat folgte, als er im Sommer 1789 mehrere Iris-Arten untersuchte. Hierbei zeigte sich, daß die Narbe bei einer Art so lag, daß sie schlechterdings nicht anders befruchtet werden konnte, als durch Insecten, und weitere Untersuchungen in dieser Richtung überzeugten ihn bald, daß die Absonderung von Honig dadurch, daß sie Insecten herbeilocke, für die Pflanze zugleich das Mittel ihrer Befruchtung abgebe. Eine Beobachtung im Sommer 1790 an Epilobium angustifolium ließ ihn die Dichogamie entdecken, d. h. die ungleichzeitige Entwicklung der beiden Geschlechter innerhalb derselben Blüthe. Die erste Erscheinungungsform derselben, die Reife der Antheren vor derjenigen der Narbe, die er als männlich-weibliche Dichogamie (Dichogamia androgyna) bezeichnete, bot ihm die genannte Pflanze, während er später auch die zweite Form, Entwicklung der Narbe vor den Antheren, von ihm weiblich-männliche Dichogamie (Dichogamia gynandra) genannt, zunächst an der gemeinen Wolfsmilch nachwies. Mit diesen Entdeckungen war die Grundlage für seine Theorie gewonnen. Sie gipfelt in dem Satze, daß die ganze Structur der Saftblumen auf den Endzweck abziele, durch Insecten befruchtet zu werden und sich daraus vollständig erklären lasse, daß für viele Pflanzen – wie die Dichogamie lehre – durch ihre Blütheneinrichtungen die Selbstbestäubung direct ausgeschlossen sei, daß endlich ungefärbte, geruchlose oder sonst unscheinbare Blumenformen saftleer seien und auf mechanische Art, wie durch den Wind, befruchtet werden müßten. Die Beweise für seine Theorie im Einzelnen liefert der specielle Theil des Werkes, in welchem die in Frage kommenden Pflanzen, der Reihe nach, wie sie den Linné’schen Classen zugehören, in Bezug auf ihre Blüthenverhältnisse aufs eingehendste untersucht und beschrieben werden. Die letzten Consequenzen seiner Lehre hat S. selbst aber nicht gezogen. Von seinem streng teleologischen Standpunkte aus, daß jede noch so unscheinbare Einrichtung der Organismen als das wohlüberlegte Werk eines Schöpfers, in sich zweckentsprechend sei, begnügte er [296] sich mit dem Ausspruche: „die Natur scheine es nicht haben zu wollen, daß irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet werde“, ohne an die Beantwortung der gerade seiner Auffassung nahe liegenden Frage zu treten, welchen Zweck wohl die wechselseitige Kreuzung der Blüthen oder Individuen für diese selbst haben möge. Dieser Unterlassung ist es zum Theil wohl zuzuschreiben, daß Sprengel’s Entdeckungen im Kreise der Fachgenossen seiner Zeit keine oder nur abweisende Beachtung fanden. Aber mehr noch mag es die Kühnheit seiner Gedanken gewesen sein, welche den in trocknen Schematismus verfallenen Botanikern unverstanden blieben, die sich in Richtungen bewegten, die den biologischen und physiologischen Thatsachen des Pflanzenlebens ganz fern standen. Erst als am Ende der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts Darwin in seinem epochemachenden Werke „Die Entstehung der Arten“ der biologischen Forschung neue Bahnen wies, kamen auch Sprengel’s Entdeckungen wieder ans Tageslicht. Freilich, ihres teleologischen Charakters entkleidet, dienten sie viel mehr den Zwecken der Descendenz und Selection, worin Darwin die Beantwortung dafür fand, weshalb die Wechselbefruchtung im Pflanzenreich den Arten im Kampfe ums Dasein von Vortheil sei. Spätere Forschungen von Hildebrandt, Delpino und Fritz Müller haben Sprengel’s Lehre dann durch zahlreiche Einzelheiten bestätigt und erweitert. Dem genialen Entdecker der Befruchtungslehre aber, der, mit widrigen Lebensverhältnissen kämpfend, auf den Erfolg seines Werkes verzichten mußte, kann man es nicht verübeln, daß Mißmuth ihn daran hinderte, die von ihm geschaffene Lehre zum letzten Abschluß zu bringen. Seine hohe Stellung in der Entwicklungsgeschichte der botanischen Wissenschaft kann dadurch nicht geschmälert werden.

Sachs, Geschichte der Botanik. – Herm. Müller, Befruchtung der Blumen durch Insekten. – Flora 1819. – Gefällige persönliche Mittheilungen des Herrn Oberpfarrers Recke in Spandau aus Schulze’s Chronik der Stadt Spandau.