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Artikel „Spangenberg, Johannes“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 43–46, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spangenberg,_Johannes&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 17:34 Uhr UTC)
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Spangenberg: Johann S., protestantischer Prediger, † 1550. S. verdient in der Geschichte des Reformationszeitalters als Reformator im Südharz und als Erbauungs- und Schulschriftsteller besonders beachtet zu werden; gleichaltrig mit Luther hat er ganz im Geiste Luther’s gewirkt und dessen volles Vertrauen besessen. Geboren wurde S. in dem kleinen Städtchen Hardegsen im Fürstenthum Calenberg am 3. März 1484, weshalb er sich später Hardesius, Hardesianus, Herdesianus u. s. w. zu nennen pflegte; seine Vorbildung erhielt er auf den Schulen der beiden benachbarten Städte Göttingen und Einbeck; seine erste amtliche Anstellung wurde ihm in Gandersheim zu Theil, wo er die dortige Schule leitete. Aber der Drang, sich weiter zu bilden, zumal den neuen Geist des eben aufblühenden Humanismus auf sich wirken zu lassen, zog ihn 1509 auf die Universität und zwar auf diejenige Hochschule, auf welcher damals im mittleren Deutschland dieser Geist am kräftigsten wirkte, nach Erfurt. Hier promovirte S. zum Magister und beschäftigte sich selbst durch Unterrichtgeben, bis ihn eine Vocation des Grafen Botho zu Stolberg in die Gegend führte, in welcher er sein Lebenswerk vollführen sollte, zunächst nach Stolberg selbst, wo S. als Schulrector eintrat und darauf auch eine Predigerstelle erhielt. Mit großem Fleiße wirkte er schon hier auf der Kanzel und, wie sein Biograph Menzel, der seine Nachrichten von der Spangenberg’schen Familie selbst erhalten hat, uns berichtet, schon damals in evangelischer Gesinnung. Drei Jahre hindurch, sagt Menzel, habe S. in Stolberg als Prediger dem Volke eifrigst das Wort der heiligen Schrift in nichtgewohnter Weise (non consueto more) ausgelegt (Kindervater, s. unten, S. 275). Von Stolberg siedelte er 1524 nach der freien Reichsstadt Nordhausen als Pastor an der Kirche S. Blasii über. Es war die Zeit jener furchtbaren socialistischen Revolution, die als deutscher Bauernkrieg berüchtigt ist und deren schwere Noth auch Nordhausen fühlen mußte. Da die dortige Schule damals sehr darniederlag, sammelte S. Schüler aus Familien, die eine höhere Bildung erstrebten. in sein Haus und lehrte ihnen die Elemente classischer Bildung; auch ließ er sich auf Befehl des Rathes die Reorganisation der Stadtschule sorgsamst angelegen sein, indem er sich um Gewinnung tüchtiger Lehrer bemühte und zur Unterweisung der Jugend hervorragend brauchbare Lehrbücher verfaßte, so daß man ihn „Scholae Nordhusanae Episcopum“ zu nennen pflegte (aber „Rector“ der Schule daselbst ist er nicht gewesen). Eine ungemein reiche Thätigkeit hat S. so, erbauend und lehrend, von 1524 bis 1546 in [44] Nordhausen entfaltet, und in solchem Grade angesehen war er bei den regierenden Persönlichkeiten im Südharz, daß er im letztgenannten Jahre, als das berühmte Cistercienserkloster Walkenried am Harz reformirt werden sollte, auf Befehl des Grafen Ernst von Hohnstein in Gemeinschaft mit dem Hohnsteinschen Kanzler Heinrich Rosenberg die Reformation in demselben durchführte; am 31. März 1546 war dies für die Reformation im Südharz recht wichtige Werk beendet (Ecstormii Chronicon Walckenredense p. 221 und Leuckfeldi Antiquitates Walckenredenses, p. I, c. 21, p. 476; bei Kindervater S. 262). Daß auf einen so ehrwürdigen Mitarbeiter Luther’s sich die Augen auch anderer Kirchen- und Schulpatrone richteten, um ihn für amtliche Stellungen zu gewinnen, ist leicht erklärlich; selbst bis nach dem fernen Königsberg hin war sein Ruf gedrungen; als daher Herzog Albrecht dort im J. 1541 eine hohe Schule eingerichtet hatte, welche 1544 zur Universität ausgestaltet wurde, trug er in einem sehr ehrenvollen Berufungsschreiben vom 6. October 1543 das Rectorat derselben dem gelehrten Magister Johann S. zu Nordhausen an. Aber der Rath der Stadt wollte den hochgeachteten Mann nicht ziehen lassen; so lehnte S. diesen, wie alle anderen an ihn ergangenen Berufungen ab. (Die Urkunden der Berufung nach Königsberg aus Handschriften gedruckt bei P. Tschackert, Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogthums Preußen III. Bd. 1890, Nr. 1576, 1596 und 1597.) Dennoch stand ihm noch im hohen Alter ein Wechsel seiner Berufswirksamkeit bevor, den er nicht gesucht hatte, welchen er aber auch nicht verhindern mochte: kein Geringerer als Luther selbst drang 1546 (unmittelbar vor seinem Tode) in ihn, einem Rufe nach Eisleben zu folgen, um als Superintendent das ganze mansfeldsche Kirchenwesen zu leiten; für die Grafen von Mansfeld aber, zwischen denen Luther eben Einigkeit hergestellt hatte, sollte die ehrwürdige Persönlichkeit Spangenberg’s ein Ersatz für diesen selber werden. Schon 62jährig trat er dieses neue Amt an, das ihm wie durch ein Testament Luther’s übergeben war. Unter den jungen Geistlichen, welche S. hier ordinirt hat, ragte später Johann Wigand, der lutherische Streittheolog († 1587 als Bischof von Pomesanien) hervor, und zwar war diese Ordination, wie Wigand selbst erzählt, die erste, welche seit der Reformation in Mansfeld vorgenommen worden ist. (Herzog, Realencykl. 2. A. Bd. XVII (1886) S. 104.) Indeß nur vier Jahre war es S. vergönnt, hier zu wirken; am 13. Juni 1550 starb er im Alter von 66 Jahren. Auch hier hat er als Prediger unermüdlich gearbeitet, indem er manchmal an einem Tage viermal predigte (Menzel bei Kindervater S. 279). S. hatte 1527 in Nordhausen geheirathet, bei seinem Tode hinterließ er seine Wittwe und vier Söhne, von denen der erste, Jonas, Medicin studirte, die drei anderen aber, Konrad, Michael und Cyriacus, Theologen wurden. Sein Wahlspruch lautete „Doctrinam falsam vita cane peius et angue“, (Crügeri Catalogus virorum illustrium p. 167, bei Kindervater S. 262); die „wahre Lehre“ aber war ihm die der Wittenberger Reformatoren, daher er nicht bloß bei Luther, sondern auch bei Melanchthon hohes Ansehen genoß, wie aus zahlreichen brieflichen Aeußerungen beider ersichtlich ist. Vgl. Luther’s Briefe, hrsg. von de Wette, Bd. VI, hrsg. von Seidemann, S. 620, 696 und Corpus Reformatorum Vol. X, p. 411. Als Prediger zeigte er, wenn wir nach seiner gedruckten „Postille für junge Christen“ urtheilen, einen „milden, christlichen Geist, voll reifer evangelischer Erfahrung“, und in der Form waren seine Predigten „klar bis zur Durchsichtigkeit“ (Christlieb in Herzog’s Realencykl. 2. A. Bd. XVIII (1888) S. 520).

Die Schriften Spangenberg’s sind (von Klippel, s. unten) in vier Classen geordnet worden; sie zerfallen danach in Predigten, Kirchenlieder, Lehrschriften und Erbauungsschriften. Wir notiren aus denselben die wichtigsten.

[45] a. Spangenberg’s Predigten. In den Jahren 1542–1544 veröffentlichte S. eine Postille in vier Theilen für junge und einfältige Christen (gedruckt zu Magdeburg), Predigten mit Fragen und Antworten in edler Einfachheit, in Volksthümlichkeit und mit großem didaktischen Geschick. Der Erfolg dieses Werkes war ein geradezu bewunderungswürdiger; es erlebte eine Auflage nach der andern vom 16. bis in das 18. Jahrhundert hinein, wurde in das Lateinische und in das Plattdeutsche übersetzt und ist neben Luther’s beiden Postillen das verbreitetste Predigtbuch des Reformationszeitalters gewesen. (Die Abdrücke sind nicht zu zählen.)

b. Kirchenlied und Kirchengesang. Die Jugend zum Singen anzuleiten, bezweckte Spangenberg’s Schrift „Quaestiones musicae in usum scholae Northusanae, oder Wie man die Jugend leichtlich und recht im Singen unterweisen soll.“ Wittenberg 1542. Zum Zwecke gottesdienstlicher Erbauung veröffentlichte er ferner zwei Sammlungen von Kirchenliedern: „Alte und neue geistliche Lieder und Lobgesänge von der Geburt Christi etc.“ Erfurt 1543, 44 und „Cantiones ecclesiasticae oder Kirchengesänge deutsch, auf die Sonn- und Festtage durchs ganze Jahr.“ Magdeburg 1545 u. öfters. Heute dürften sich indeß diese Lieder nur noch selten in evangelischen Gesangbüchern finden. Bemerklich dagegen bleibt eine hymnologische Arbeit erklärender Art, indem er 1545 „Zwölf christliche Lobgesänge und Leisen erklärt und erbaulich ausgelegt“ (gedruckt zu Wittenberg) herausgab. „Er ist damit der Vorläufer eines vielbearbeiteten Zweiges der hymnologischen Litteratur, der erbaulichen Liedererklärung geworden.“ (Klippel-Wagenmann s. unten.)

c. Die Schul- und Lehrschriften Spangenberg’s fassen das für den damaligen Schulunterricht in Stadtschulen Nothwendige ins Auge. Da erklärte S. z. B. den Katechismus Luther’s lateinisch „Catech. Luth. per quaestiones explicatus“, überarbeitete den Psalter in „Psalterium carmine elegiaco redditum“, schrieb Fragestücke zum Trivium unter dem Titel „Erotemata Trivii s. grammaticae, rhetoricae, dialecticae quaestiones“ 1541 u. öfter. Die Perle unter seinen Lehrschriften dürfte aber die „Margarita theologica“ sein, welche im Anschluß an Melanchthon’s Loci theologici die vorzüglichsten Loci der christlichen Lehre in Fragestücken behandelte und der Geistlichkeit des Herzogthums Grubenhagen als Lehrbuch dienen sollte („omnibus pastoribus etc. summe utilis et necessaria“ steht auf dem Titel), daher es denn auch mit einer Dedication an Herzog Philipp von Braunschweig-Grubenhagen erschien. (Editio princeps 1540, seitdem öfter gedruckt.)

d. Zu den ascetischen und Erbauungsschriften von S., welche in der Neuzeit der um die Geschichte der reformatorischen Erbauungslitteratur sehr verdiente Pfarrer Beck (Geschichte der ev. Erbauungslitteratur I, 98 ff.) behandelt, gehören unter anderem ein „Neu Trostbüchlein für die Kranken und wie sich ein Mensch zum Sterben bereiten soll“, ferner „Vom christlichen Ritter, mit was Feinden er kämpfen muß“ (1543), Psalmen-Auslegungen u. a. m.

Quellen für Spangenberg’s Leben sind 1) seine Schriften; 2) seine Correspondenz, soweit sie sich in den Briefsammlungen der gleichzeitigen reformatorischen Persönlichkeiten findet; 3) eine dichterische Vita verfaßt (im J. 1550?) von seinem Nachfolger in Eisleben Hieronymus Menzel nach Angaben der Hinterbliebenen Spangenberg’s (vgl. Kindervater S. 266) gedruckt unter dem Titel „Epicedion in memoriam Jo. Spangenberg“ (Basel 1561), neugedruckt in Kindervater, Nordhusa illustris (Wolfenbüttel 1715, 8°) S. 266–285. Bearbeitungen des Lebens Spangenberg’s, auf Menzel’s Epicedion ruhend, lieferten Melchior Adam, Vitae theolog. Germ. p. 98. – Leuckfeld, Hist. Spangenb. 1712, 4°. – Kindervater, Nordhusa illustris (1715) S. 250 bis [46] 266, zum Theil mit Benutzung von Handschriften. – Förstemann, Mitth. zu einer Gesch. der Schule in Nordhausen. – Klippel, Deutsche Lebensbilder, Bremen 1853, S. 1 ff. – Koch, Kirchenlied I, 372 ff. – Beste, Kanzelredner I, 140. – Beck, Gesch. der ev. Erbauungslitteratur I, 98 ff. – Allg. ev.-luth. Kirchenzeitung, 1884, Nr. 13. – Artikel „Spangenberg, Joh.“ von (Klippel-)Wagenmann in Herzog’s Real-Encyklopädie. 2. Aufl. Bd. 14 (1884), S. 467 ff.