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Artikel „Schupp, Johann Balthasar“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 67–77, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schupp,_Balthasar&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 14:42 Uhr UTC)
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Schupp: Johann Balthasar S., vor allem als Satyriker bekannt, aber auch als praktischer Theologe und als Pädagoge von nicht geringer Bedeutung, wurde zu Gießen nach dem Eintrage im Kirchenbuche der dortigen evangelischen Gemeinde am 29. März 1610 getauft; mit diesem Datum ist die jetzt verbreitete Angabe, daß er am 1. März 1610 geboren sei, deren Ursprung nicht nachweisbar zu sein scheint, wohl sicher nicht zu vereinigen. Er stammte väterlicher- und mütterlicherseits aus angesehenen bürgerlichen Familien; sein Vater, Johann Eberhart (Ebert) Schupp, ward in den Jahren 1630 und 1640 erster Bürgermeister in Gießen; seine Mutter, Anna Elisabeth, war eine Tochter von Johannes Ruß, der in den Jahren 1601 und 1613 erster Bürgermeister war und am 1. Juli 1618 starb. Unser S. erhielt seinen ersten Unterricht in der Gießener Trivialschule und ward dann Schüler des dortigen „Paedagogium illustre“, welches auch, nachdem aus ihm im J. 1607 die Universität herausgebildet war, ein Theil derselben blieb. In seinem 16. Lebensjahre bezog S. die Universität in Marburg, mit welcher die Gießener damals vereinigt war; am 29. December 1625 wurde er hier inscribirt. Er studirte zunächst zwei Jahre Philosophie, wobei Rudolph Goclenius und privatim auch Conrad Greber seine Lehrer waren; Goclenius führte ihn in die scholastische Philosophie von Franz Suarez und Antonius Ruvio ein; hernach beschäftigte er sich besonders mit den philosophischen Schriften seines früheren Gießener Directors Christoph Scheibler, aus denen er ganze Abschnitte auswendig lernte; aber schon damals befriedigte ihn dieses Studium nicht, namentlich die damalige Logik mit ihren Subtilitäten sagte ihm nicht zu; später spottete er über diesen ganzen Betrieb der Philosophie und beklagte, seine Zeit nicht zu Besserem verwandt zu haben. Im dritten Studienjahre wandte er sich, dem Willen seiner Eltern gemäß, obschon er seiner Neigung nach lieber Jurist geworden wäre, der Theologie zu, in welcher besonders Johannes Steuber, seit 1625 in Marburg Professor der Theologie und Prediger an der Elisabethkirche, sein Lehrer wurde. Nach Vollendung des akademischen Trienniums, in seinem 19. (nicht 18.) Jahre, trat er der Sitte jener Zeit, aber auch eigenem Wissenstriebe folgend, eine akademische Reise an, die ihn meistens zu Fuß durch den größten Theil von Deutschland, nach Preußen, nach Livland, Esthland, Polen und Dänemark führte, und während welcher er auf den berühmtesten Universitäten länger oder kürzer verweilte; er lernte überall Land und Leute kennen, trat zu hervorragenden Gelehrten in persönliche Beziehung und sorgte für seine weitere Ausbildung überhaupt und namentlich auch in der Theologie. Mehrfach mußte er dabei der Kriegswirren wegen seinen Reiseplan ändern; auch sonst hatte er unter ihnen zu leiden und mancherlei Abenteuer zu bestehen; doch entging er glücklich allen Gefahren. Unter den Gelehrten, die einen nachhaltigeren Einfluß auf ihn gewannen, ist der berühmte Professor der Beredsamkeit Samuel Fuchs in Königsberg (vgl. Jöcher II, Sp. 793) zu nennen; S. selbst gedachte später ganz besonders auch seiner Rostocker Lehrer, namentlich des Professors der Poesie Petrus Lauremberg (s. A. D. B. XVIII, 59), des Theologen Johann Cothmann [68] (s. A. D. B. IV, 518) und des Juristen Thomas Lindemann (s. A. D. B. XVIII, 679), bei welchem er wohnte und seinen Tisch hatte; unter dem genannten Lauremberg promovirte er im J. 1631, 21 Jahre alt, zum Magister, wobei er „primum locum“ hatte, was ihn damals nicht wenig mit Stolz erfüllte. Er begann auch in Rostock Vorlesungen zu halten; als aber am 15. October 1631 die kaiserliche Besatzung in Rostock vor den Schweden und Mecklenburgern capitulirte, mußte er Rostock verlassen; und unter mancherlei Beschwerden reiste er nun über Lübeck, Hamburg und Bremen nach Gießen zurück. Gegen Ende des Jahres wird er hier nach ungefähr dreijähriger Abwesenheit wieder eingetroffen sein. Schon im J. 1632 erhielt er vom Landgrafen Georg II. die Erlaubniß, in Marburg Vorlesungen zu halten; zugleich bestellte ihn derselbe zum Director und stipendiarius maior des in Marburg eingerichteten collegium und exercitium oratorium. S. mag in diesen oratorischen Uebungen etwas zu viel Politik getrieben haben; denn im December 1632 läßt der Landgraf ihn durch den Professor und Pädagogiarchen Joh. Heinr. Tonsor ermahnen, er möge nur solche Themata behandeln lassen, die dem Verständnisse seiner Schüler gemäß wären, und sich hüten, Fragen zu stellen, die den Ständen des römischen Reiches präjudiciren möchten oder sich auf die Ursachen und Streitigkeiten des jetzigen Krieges bezögen. Im Wintersemester 1633 auf 1634 lehrte S. in Gießen, wohin die Universität damals zeitweilig wieder verlegt ward; aber er scheint an seiner Thätigkeit hier keine rechte Befriedigung gefunden zu haben, und so unternahm er denn im Frühjahr 1634 als Begleiter eines jungen hessischen Adligen Rudolph Wilhelm Rauw v. Holzhausen eine zweite Studienreise, die ihn über Köln nach den Niederlanden führte. Am 3. Juni 1634 ließ er sich mit dem genannten Holzhausen und dessen Famulus Rudolph Kebel in Leiden immatriculiren. Er hörte hier wieder Vorlesungen und verkehrte u. a. mit dem berühmten Claudius Salmasius und Marcus Zuerius Boxhorn, dem Professor der Beredsamkeit; hingegen konnte er Daniel Heinsius, der für den größten Gelehrten seiner Zeit galt, nicht zu sprechen bekommen, da dieser ihn für einen Verwandten des Caspar Scioppius in Italien hielt. In Amsterdam, wo sie auch länger verweilten, machte S. die Bekanntschaft von Johann Gerhard Voß und Caspar Barläus, den dortigen Gymnasialprofessoren. Mehr noch als dieser Umgang mit einzelnen hervorragenden Gelehrten wurde der ganze Aufenthalt in Holland für Schupp’s Urtheil über staatliche und kirchliche Verhältnisse von Bedeutung; seinen freien Blick und seine vorurtheilsfreie Auffassung aller Verhältnisse dankt er nicht zum mindesten dieser Reise. Als er nach etwa einem Jahre 1635 wieder in seine Heimath zurückkehrte, dachte er selbst zunächst an eine Wirksamkeit als praktischer Theologe; aber auf den entschiedenen Wunsch der Universität wurde er, obwohl erst 25 Jahre alt, da die Professur der Geschichte und Beredsamkeit in Marburg durch die Versetzung des Professors Theodor Höpingk als Syndicus nach Friedberg vacant geworden war, vom Landgrafen in diese Professur berufen. S. hat die nächsten elf Jahre seines Lebens (1635–1646) in dieser akademischen Thätigkeit zugebracht. Er wußte die Studenten durch sein persönliches Interesse für sie und durch die lebendige, aller Steifheit und Pedanterie abgewandte Weise seines Vortrags und seines Verkehrs mit ihnen auch mit Eifer für ihre Studien zu erfüllen, und das Verhältniß zwischen Lehrer und Schülern ward ein für beide Theile förderliches. Am 9. Mai 1636 verheirathete sich S. mit Anna Elisabeth, der einzigen Tochter des schon im J. 1617 verstorbenen Professors der Geschichte und Beredsamkeit in Gießen Christoph Helwig (s. A. D. B. XI, 715), mit welcher er in einer überaus glücklichen Ehe lebte, in welcher er Vater von fünf Kindern wurde. Im J. 1638 gab er das Theatrum historicum seines Schwiegervaters, [69] zuerst erschienen 1616, ein für den Unterricht in der Geschichte damals sehr nützliches Hülfsmittel, neu heraus; die pädagogischen Ansichten Helwig’s, in welchen dieser mit Ratich und Jungius dasselbe Ziel verfolgte, hat S. sich auch immer entschiedener angeeignet und weiter ausgebildet. Es trat das damals zunächst schon in der Art hervor, wie er seine Zuhörer zur Beredsamkeit anleitete, wobei er vom pedantischen Herkommen sich völlig lossagte; er wandte dabei eine neue Methode an, die er auch noch später, als er bedauerte, der Sitte gemäß alle diese Uebungen nur in der lateinischen Sprache gehalten zu haben, für besonders nützlich hielt. Oratorische Uebungen stellte er auch privatim auf seinem „Avellin“, seiner ländlich gelegenen Sommerwohnung vor Marburg, mit Studenten an. Von der Beliebtheit, deren er sich bei seinen Collegen erfreute, und dem Erfolge seiner Arbeit zeugt das Schreiben vom 12. December 1638, in welchem sich die gesammte Universität beim Landgrafen dafür verwandte, daß ihm sein bisheriges kleines Gehalt von 140 Gulden jährlich verbessert werde, und die Antwort des Landgrafen vom 17. Januar 1639, durch welche ihm vom Beginn des Jahres 1639 an jährlich eine persönliche Zulage von hundert Gulden und für die vergangene Zeit noch außerdem fünfzig Gulden angewiesen wurden; S. wird in dem Schreiben der Universität als ein rarum ingenium bezeichnet und in beiden Schreiben ist von seinem Fleiße und seinem Eifer in der anerkennendsten Weise die Rede. Im folgenden Jahr (1640) übertrug ihm der Landgraf die Ausarbeitung eines größeren lateinischen Geschichtswerkes über seine eigene Regierung und über die seines Vaters, des im J. 1626 verstorbenen Landgrafen Ludwig V. Damit S. für diese Arbeit Muße gewinne, verfügte der Landgraf in einem Schreiben vom 29. September 1641 an die Universität, daß S. zwar seine öffentlichen Vorlesungen beibehalten und dafür sorgen solle, daß die studirende Jugend in geeigneter Weise zum Studium der Beredsamkeit und Geschichte Gelegenheit habe, daß er aber während zweier Jahre nicht verbunden sein solle, seine ordentlichen Lectionen genau zu halten; in einem weitern Schreiben vom 29. October 1641 an S. selbst bewilligte er ihm einen besonderen Amanuensis für diese Arbeit und ordnete außerdem an, daß ihm eine für jene Zeit wohl nicht geringe „fürstliche Recompentz“ jährlich geliefert werden solle, nämlich zwölf Klafter Holz und zwei Stück Wild sammt einer Sau. Wie S. über seine Zeit und den Landgrafen Georg II. dachte, ersehen wir aus einer im Jahre 1638 öffentlich gehaltenen Rede, in welcher er den Landgrafen feierte, aber auch die Schrecken der Kriegszeit lebhaft schilderte; die Rede wurde von ihm unter dem Titel „Hercules togatus“ 1640 herausgegeben. Uebrigens kam er mit dem Geschichtswerk nicht zu Stande; vor allem die traurigen Zeitverhältnisse, – Krieg und Pest wütheten, es mangelte mitunter am Lebensunterhalt, mehrfach mußte er Marburg verlassen, – sodann aber auch seine vielfachen anderen Arbeiten werden neben der Schwierigkeit der Aufgabe selbst, eine Geschichte der eigenen Zeit zu schreiben, dabei in Betracht kommen. Mehrfach hatte er das Decanat zu verwalten, einmal auch das Prorectorat. Es kam hinzu, daß er gerade um diese Zeit aus der philosophischen in die theologische Facultät übertrat und ernsteren theologischen Studien, bei denen ihn aber die Richtung auf das Praktische immer mehr leitete, sich zuwandte; im J. 1641 ward er Licentiat der Theologie; nach dem Tode Steuber’s ernannte ihn der Comtur des Deutschen Ordens in Hessen im Jahre 1643 zum Prediger an der Elisabethkirche, welches Amt er nun neben seinem akademischen verwaltete; im J. 1645 promovirte er zum Doctor der Theologie. So wurden ihm denn die ihm zur Ausarbeitung des hessischen Geschichtswerkes übergebenen Acten wieder abgefordert, gerade rechtzeitig, um nicht bei der Eroberung Marburgs durch die Schweden am 2. November 1645 und die darauf folgende Plünderung der [70] Stadt mit verloren zu gehen. S. verlor damals seine ganze Habe; auch seine Bücher und Manuscripte und sein Gartenhaus verbrannten. Es ist begreiflich, daß er unter diesen Umständen der Berufung als Hofprediger und Consistorialrath nach Braubach, die von dem Bruder Georg’s, dem Landgrafen Johann von Hessen-Braubach, im J. 1646 an ihn erging, Folge leistete. Er hat auch hier viel Schweres zu erleben gehabt, aber als Hofprediger wußte er sich durch seine Freimüthigkeit und seine Tüchtigkeit das volle Vertrauen seines Fürsten zu erwerben. Dieser traute seiner Geschicklichkeit auch in politischen Dingen so viel zu, daß er ihn zu seinem Bevollmächtigten für die Friedensverhandlungen in Osnabrück und Münster ernannte. S. ging im April 1648 nach Osnabrück; sein Briefwechsel aus dieser Zeit mit dem Landgrafen Johann, der jetzt veröffentlicht ist, läßt die Schwierigkeit der ihm gestellten Aufgabe erkennen, zugleich aber auch, daß sich der Landgraf in ihm nicht geirrt hatte. S. wußte sich bei den hohen Diplomaten und namentlich bei dem Grafen Johann Oxenstierna, dem schwedischen Gesandten, eine geachtete Stellung zu verschaffen, ohne sich als Theologe etwas zu vergeben; Oxenstierna machte ihn sogar zum Prediger der schwedischen Gesandtschaft. Die Ansprüche des Landgrafen hat er siegreich verfochten und diesem dabei in seinen Briefen manchen Rath ertheilt und es offen ausgesprochen, wenn er das Verhalten des Landgrafen mißbilligte. Mehrfach hat er von Osnabrück aus in Angelegenheiten des Landgrafen und Oxenstierna’s Reisen unternommen; auf einer Reise nach Wismar kam er auch nach Hamburg, wo damals das Pastorat (Hauptpastorat) zu St. Jacobi durch den am 16. Juli erfolgten Tod des Severin Schlüter (s. A. D. B. XXXI, 616) erledigt war. Hier wünschte der Kirchenvorstand zu St. Jacobi ihn für diese Stelle zu gewinnen und wußte gegen die bestehende Sitte es dahin zu bringen, daß S. in Hamburg unter Zustimmung des Rathes am Dienstag, den 5. September 1648, zunächst einmal eine Probepredigt hielt; der Senior D. Johannes Müller, der ihm das Zeugniß gab, daß er orthodoxus in doctrina et religione sei, hat ihm seine eigene Kanzel dazu eingeräumt. S. dachte schon damals nicht mehr an Rückkehr in sein Amt in Braubach; doch hinderten ihn zunächst seine übernommenen Verpflichtungen für die Friedensverhandlungen und seine Stellung bei der schwedischen Gesandtschaft, ein anderes Amt anzunehmen. Als am Sonnabend, den 14. October 1648 (stili veteris, wie alle Daten in diesem Artikel), die Unterzeichnung der Friedensinstrumente endlich geschehen war, mußte S. auf Geheiß Oxenstierna’s sogleich am folgenden Tage die Dankespredigt halten. Er that es zu großer Befriedigung der protestantischen Fürsten und Stände. Da jedoch noch lange nicht alles bis ins Einzelne geregelt war, mußte er noch in Münster bleiben und seine Familie sehr gegen seinen Wunsch weiter in Braubach lassen, wo ihr allerlei Unannehmlichkeiten bereitet wurden. Die Verhandlungen mit Hamburg gingen inzwischen fort; auf Schupp’s Wunsch schrieb sogar der Landgraf Johann zu seiner Empfehlung dorthin, und Bürgermeister und Rath der Stadt Hamburg antworteten am 8. December 1648 dem Landgrafen, sie hätten sein Schreiben den Herren des Kirchspiels zu St. Jacobi zugestellt, die bei künftiger Wahl sich gebührend desselben zu erinnern wissen würden. Offenbar war in Hamburg die Verzögerung der Sache manchen unlieb, und Schupp’s Gönner hier hatten wohl deshalb keinen leichten Stand. Es ist dann auch bei Schupp’s schwedischen Freunden geplant worden, er solle als Domprediger und Superintendent der Landgemeinden nach Bremen gehen; andererseits begehrte ihn die geistliche und evangelische Ritterschaft des Hochstiftes Münster zum Generalsuperintendenten und stellte ihm eine höhere Einnahme in Aussicht, als in Hamburg seiner wartete. Er selbst sagt: „Wegen Education meiner Kinder und anderer Commoditäten halber deuchte mich, es sei [71] ein Pastorat zu Hamburg besser, als anderswo ein großer Titel“; doch stellt er den Ausgang der Sache Gott anheim. Als dann in Münster die Friedensinstrumente nach geschehener Ratification ausgetauscht waren, gestaltete sich die Predigt Schupp’s am darauffolgenden Sonntage – es war der Sonntag Quinquagesimä, der 4. Febr. 1649, an welchem er über das gewöhnliche Evangelium aus Lucä 18 predigte, – wieder zu einer Art Dankespredigt; er ermahnte in ihr die Fürsten, nachdem nun wieder die Eintracht unter ihnen hergestellt sei, sich gemeinsam gegen die Türken zu wenden, was den venetianischen Gesandten Contarini zu der Aeußerung über ihn veranlaßte: illum oportet esse hominem insigniter bonum, oportet habere cor vere catholicum. Zwei Tage vorher, am 2. Februar 1649, war S. zu Hamburg einstimmig gewählt worden; im Vocationsschreiben, das am 3. Februar an ihn abging, ward der Wunsch ausgesprochen, er möge sich am Freitag vor Palmarum, also am 16. März, in Hamburg einstellen; gleichzeitig schrieb der Senat zu Hamburg an die königlich schwedische Legation zu Münster und bat um seine Entlassung. S. nahm den Ruf an und erhielt die erbetene Entlassung. Er ging nun zunächst nach Braubach zu seiner Familie. Um diese Zeit ward ihm, als er von Darmstadt, wohin er gegangen war, um sich persönlich vom Landgrafen Georg zu verabschieden, wieder nach Braubach reiste, unterwegs in Frankfurt ein Berufungsschreiben an die evangelische Gemeinde zu Augsburg überbracht, dem eine Abschrift eines Schreibens an den Rath zu Hamburg beilag, in welchem dieser darum ersucht wurde, ihn den Augsburgern zu überlassen. Der Ruf nach Augsburg hatte für S. viel Verlockendes; vor allem wäre ihm lieb gewesen, dort die Arbeit seines Schwiegervaters Helwig zur Verbesserung des Schulwesens (vergl. über dieselbe A. D. B. XI, 717) wieder aufnehmen und fortführen zu können. Den Ausschlag gab für ihn schließlich, daß er den Hamburgern schon zugesagt habe, obschon eine „vornehme, gottesfürchtige gräfliche Dame“ (wahrscheinlich die seit 1627 verwittwete Gräfin zu Lippe, Marie Magdalene, geborne Gräfin zu Waldeck), die er um Rath gefragt hatte, ihm antwortete, sie befürchte, daß ihn die Rosenobel und Ducaten nach Hamburg zögen, „allein ich sorge, ihr werdet in eurer Hoffnung betrogen werden, und wenn ihr die Augsburger verlasset, so wird es euch an Kreuz und Trübsal nicht ermangeln“. Leider traf ihre Weissagung in Bezug auf Kreuz und Trübsal ein. Da in seiner Familie eine pestartige Krankheit ausgebrochen war, verzögerte sich seine Abreise nach Hamburg um einige Monate; erst im Juli siedelte er hierhin über; am Freitag, den 20. Juli 1649, ward er vom Senior Müller in sein neues Amt eingeführt. S. hat in Hamburg zwölf Jahre gewirkt, und diese Zeit ist die wichtigste seines Lebens; er trat in sie ein als ein Mann, der reiche Erfahrungen gemacht und mit dem Leben in der Welt bekannt war wie selten einer; dabei hatte er sich über alles, was die Zeit bewegte, seine bestimmten Ansichten gebildet, die durchweg gegründet waren auf seiner evangelischen Lebensanschauung, und es durchdrang ihn ein großer Eifer, dahin zu wirken, daß mit dem christlichen Glauben im Leben voller Ernst gemacht werde. Aus diesem Grunde hat man ihn nicht ganz mit Unrecht einen Vorläufer Spener’s genannt, so wenig diese Bezeichnung auch sonst auf ihn paßt. Er war nicht eigentlicher Gelehrter, obschon er ein reiches Wissen hatte, sehr belesen war und ein außerordentliches Gedächtniß hatte. Seine Gabe lag auf der Seite einer Wirksamkeit ins Große und auf das Volk. So war er ohne Frage der rechte Mann für das Amt, in welchem er stand. Ein Pastor (jetzt Hauptpastor genannt) in Hamburg zu sein galt für eine der angesehensten Stellungen, die ein lutherischer Theologe haben konnte; und S. war sich der Bedeutung und Verantwortlichkeit seiner Stellung voll bewußt. Sein Amt ließ ihm Zeit zu litterarischer Thätigkeit; und es ist nicht zufällig, daß er, der [72] früher mit geringfügigen Ausnahmen nur lateinische Schriften herausgegeben hatte, nun die deutschen Schriften erscheinen ließ, die ihm einen bleibenden Namen in der Geschichte der deutschen Litteratur sichern. Zunächst freilich beschränkte er sich auf seine amtliche Thätigkeit. Er hatte dreimal jede Woche zu predigen, am Sonntag, am Mittwoch und am Freitag; zeitweilig hielt er auch noch am Donnerstag eine Betstunde. In seinen Predigten griff er nicht, wie das vielfältig geschah, Juden, Katholiken, Calvinisten und Atheisten an, sondern er strafte die Sünden und Thorheiten der Hamburger; dabei war seine Rede keine steife und gelehrte Abhandlung, sondern frisch und volksmäßig, treuherzig und anpackend; er scheute sich nicht, auch auf der Kanzel durch Beispiele aus dem Leben, durch kleine Geschichten und Anekdoten, ja selbst durch Witze die Zuhörer zu fesseln und so sein Wort eindringlicher zu machen. Durch diese vom Herkömmlichen sehr abweichende Weise machte er großes Aufsehen; der Zulauf zu seinen Predigten nicht nur aus seiner eigenen Gemeinde, sondern auch aus den anderen Kirchspielen und theilweise von weither, war ein gewaltiger, so daß man für Vermehrung der Kirchstühle sorgen mußte, „dafür die Kirche viele Tausend einnahm“. Aber S. erweckte sich durch seine Predigtweise auch viele Feinde; da wollten solche, die sich durch seinen offenen Tadel ihrer Lebensweise getroffen fühlten, ihm das Recht, so auf das wirkliche Leben einzugehen, nicht zugestehen; andere, und unter diesen waren auch viele seiner Collegen, fanden die Form seiner Predigten ungehörig und mit dem Ernste einer Predigt unvereinbar. So zeigte sich schon bald, daß er nach links und nach rechts zu kämpfen haben werde. Dazu traf ihn schon im ersten Jahre in Hamburg der Verlust seiner Frau, die am 12. Juni 1650 starb; am 10. November 1651 schloß er eine zweite Ehe mit Sophie Eleonore Reincking, der Tochter des dänischen Kanzlers Theodor Reincking in Glückstadt. Daß Johann Rist in Wedel diese beiden Familienereignisse mit einem theilnehmenden Gedichte beehrte, zeigt uns, daß S. schon damals mit ihm in Verbindung stand. Von seiner zweiten Ehe wurde erzählt, daß sie keine glückliche sei; doch gehört das wahrscheinlich zu den vielen Verleumdungen, die seine Gegner bald über ihn verbreiteten und in denen sie auch sein häusliches Leben nicht schonten. Mit dem Jahre 1654 beginnt dann, so viel wir sehen Schupp’s deutsche schriftstellerische Thätigkeit; die erste Schrift, deren Entstehungszeit sicher bekannt ist, ist „Der lobwürdige Löw“, ein Glückwunschschreiben an seinen Freund Marcus Pensin in Stade zu dessen am 30. Januar 1654 erfolgten Vermählung mit der Tochter des Oberalten zu St. Jacobi in Hamburg Hinrich Schwelund. Es folgen „Der rachgierige Lucidor“, dann die am 4. Juli 1656 gehaltene Predigt über das dritte Gebot „Gedenk daran Hamburg“, die einzige Predigt, die S. als solche selbst hat drucken lassen, während sich werthvolle Auszüge aus seinen Predigten auch in andern Schriften von ihm befinden; sodann das „Sendschreiben an einen vornehmen Cavallier“, das er unter dem Pseudonym Ambrosius Mellilambius etwa Ende Mai 1657 schrieb, und „Ein holländisch Pratgen“ vom 21. Juni 1657. Außer diesen Schriften muß, wie sich aus den Verhandlungen des Ministeriums mit ihm ergibt, auch „Der geplagte Hiob“ schon vor Michaelis 1657 erschienen sein, obschon der erste bekannte Druck desselben aus dem Jahre 1659 (Nürnberg, gedruckt durch Michael Endter) stammt. Im Sommer 1657 hatte er auch zu Copenhagen eine kleine lateinische Schrift drucken lassen, in welcher er als Anhang den sogenannten 151. Psalm und den fälschlich dem Apostel Paulus zugeschriebenen Brief an die Laodicäer hatte abdrucken lassen. Diese Druckschriften von ihm lagen vor, als er Michaelis 1657 vor eine Commission des Ministeriums (der lutherischen Stadtgeistlichkeit) in Hamburg gefordert wurde, die ihn im Auftrag des Ministeriums ersuchte, er möge 1) keine theologischen Schriften [73] unter falschem Namen, 2) keine Apokryphen drucken lassen, 3) seine Schriften dem Senior zur Censur vorlegen und 4) nicht Fabeln, Scherze und lächerliche Geschichten unter Aussprüchen der heiligen Schrift anführen. Nach dem Bericht über diese Verhandlung, der sich von der Hand des Senior D. Müller, des Vorsitzenden der Commission, in den Protokollen des Ministeriums befindet, hat sich S. nur die beiden ersten dieser Forderungen gefallen lassen und sich im übrigen seine Freiheit gewahrt, so daß man ihn schließlich nur „freundlich“ bat, „intra terminos bleiben“ zu wollen. Wenige Wochen später erschienen Schupp’s „Salomo oder Regentenspiegel“ und „Freund in der Noth“, beide, auch der Salomo im ersten Druck, unter seinem Namen; beide Schriften waren, als jene Verhandlung stattfand, schon im Druck; der Freund ist am 16. August 1657 oder kurz nach diesem Tage geschrieben, der Salomo wohl schon früher; nur die „Nachschrift an den Leser“ beim Salomo ist nach jener Verhandlung hinzugefügt. Daß diese Schriften nun doch herausgegeben wurden, sah das Ministerium als eine offene Kriegserklärung an, und es begann nun einen Kampf gegen S., in welchem es sachlich zwar unterlag, aber doch S. manche bittere Stunde verursachte und ihm Kraft und Freudigkeit zu weiterem Wirken raubte. Auf den Inhalt der Schupp’schen Schriften einzugehen, ist hier nicht möglich; zu ihrer Charakterisirung mag Folgendes genügen. Es sind kleine „Tractätchen“, wie er sie selbst nennt, in kleinstem Format (Duodez) gedruckt, die offenbar begierig gelesen wurden, wie die vielen Drucke und Nachdrucke beweisen. Sie haben alle einen persönlichen Anlaß; S. behandelt in ihnen Fragen des öffentlichen und privaten Lebens in anziehender Weise; sie sind leicht geschrieben, ein strenger Gedankengang wird nicht immer eingehalten, allerhand Geschichten, zu einem großen Theil aus seinem eigenen Leben, werden eingefügt. Ein Unterschied ist zwischen den erbaulichen (wie die Predigt, der Hiob, später: die Krankenwärterin, die Litanei, Golgatha) und den anderen, die S. „politische Schriften“ nennt, d. h. solche, die sich auf das öffentliche Leben beziehen. In den Schriften letzterer Art ist namentlich Scherz und Ernst oft sehr ergötzlich gemischt; in ihnen wird die Geißel der Satyre über öffentliche Mißstände, z. B. über den Pennalismus, über den Gelehrtendünkel, über die Sucht nach Fremdem u. s. f., geschwungen; sie sind es, die ihm neben Moscherosch, Johann Lauremberg, Rachel u. a. einen eigenthümlichen Werth geben, namentlich wegen seiner kräftigen Volksthümlichkeit. – Nachdem der „Salomo“ und der „Freund“ erschienen waren, beschloß das Ministerium, das Gutachten zweier Universitäten über S. einzuholen; in Zuschriften vom 12. November 1657 legte es den theologischen Facultäten in Straßburg und in Wittenberg folgende beiden Fragen vor: 1) ob einem Doctor der Theologie und Pastor einer großen volkreichen Gemeinde anstehe, daß er facetias, fabulas, satyras, historias ridiculas predige und in Druck gebe, und 2) da ein solcher die Privatadmonitiones nicht admittire, sondern mit höhnischen Lästerworten seine Collegen angreife, wie man es dann anstelle, daß er von solchen Dingen abgehalten werde. Die Antworten der Facultäten wurden die Wittenberger am 15. Januar 1658 und die Straßburger am 22. im Ministerialconvent verlesen; sie äußern sich beide hinsichtlich der ersten Frage verneinend und rathen in Bezug auf die zweite, wenn anderes nicht helfe, sich an die staatliche Obrigkeit zu wenden. S. wurde nun wieder vor eine Ministerialdeputation geladen; als er aber bat, man möge ihm die Responsa der Facultäten vorher zustellen, daß er sie widerlegen könne, ward ihm das abgeschlagen, und das Ministerium wandte sich nun an den Senat, dem aber auch S. nun eine Klageschrift gegen das Ministerium zustellte. Deputirte des Senates hatten darauf am 27. Januar eine Unterredung mit S. und verlangten von ihm, 1) er solle auf der Kanzel dieses Streites nicht gedenken, [74] 2) keine satyrischen Schriften mehr in Hamburg drucken lassen, und 3) sich in der Sitzung des Ministeriums einfinden und sich in Güte mit ihm vertragen. Die beiden ersten Punkte nahm er an; betreffs des dritten verblieb er bei seiner Forderung, er wolle erst die Antworten der Universitäten sehen. Schon am folgenden Tage beschloß das Ministerium noch einmal, dieser Forderung nicht nachzugeben; zugleich ersuchte es den Senat um mündliche Besprechung in der Angelegenheit durch beiderseitige Deputirte. Eine solche fand am 10. Februar statt; der Senior ersuchte bei derselben den Senat, er möge dem Ministerium Abschrift von Schupp’s Klageschrift übergeben und S. gebieten, die Fabeln, Scherze, Satyren u. s. f. aus seinen Predigten und Schriften fortzulassen, und fragte sodann an, was geschehen solle, um das verursachte Aergerniß zu heben; es scheine das Beste, daß das Ministerium eine Schrift herausgebe, in welcher die Streitfrage zur Entscheidung gebracht werde. Der Vorsitzende der Senatsdeputation verweigerte die Mittheilung der Klageschrift und versprach, über die beiden anderen Punkte im Senat zu referiren. Am 26. Februar erschien S. darauf im Ministerialconvent, wahrscheinlich auf Wunsch des Senates; auf das Verlangen, die beim Senate eingereichte Klageschrift einzureichen, antwortete er, keine Abschrift derselben zu besitzen; und betreffs der Hauptsache, daß er anders predigen und schreiben solle, erklärte er, nach Müller’s Protokoll, daß er sich sein System nicht corrigiren lasse, er wolle nichts ändern, ob er gleich mit dem Bettelstabe solle davon gehen, „es wären seine Sachen supra nostram crepidam“. Jedenfalls einigte man sich in der Sache nicht, wie es auch wohl nicht möglich war; aber man scheint auch ziemlich erregt auseinander gegangen zu sein. Nicht lange danach endete der Senat diese Streitigkeiten durch ein Amnestiedecret, in welchem beiden Theilen Stillschweigen auferlegt ward; es war das eine nur äußere Beendigung des Streites, die den innerlichen Gegensatz nicht überwand. S. hat in dieser Zeit nur Schriften herausgegeben, an denen nicht leicht Jemand Anstoß nehmen konnte; „Die Krankenwärterin oder Auslegung des heiligen Vaterunser, wie man es mit armen, einfältigen kranken Leuten beten kann“, (geschrieben am 2. Advent 1657, erschienen 1658) und „Sieben böse Geister, welche heutiges Tages Knechte und Mägde regieren und verführen“ (geschrieben nach dem 8. Juni 1657 und vor dem 5. April 1658, zuerst gedruckt 1658), eine Schrift, in welcher er das Gesindewesen seiner Zeit bespricht und zu bessern sucht, die zwar nicht wie die Krankenwärterin rein erbaulich ist, sondern mehr den Charakter seiner politischen Schriften hat, aber schon um ihres Zweckes willen durchaus ernst gehalten ist, wenn es auch an Fabeln und Anekdoten nicht fehlt. S. hat in diesem Tractat mehrfach in freier Weise Peter Glaser’s Gesindeteufel (Leipzig 1564) benutzt, wie er auch in anderen Schriften sich manchmal die Benutzung von Arbeiten Anderer in ähnlicher Weise erlaubt hat ohne darum, wie ihm seine Gegner mitunter vorwarfen, unselbständig zu werden; vor diesem Tadel hätte ihn schon seine ganz eigenthümliche geistreiche Art schützen sollen. Noch unschuldiger, so sollte man meinen, hätte seinen Widersachern die dritte Schrift erscheinen müssen, die er in diesen Monaten herausgab, und doch wurde sie Anlaß zu einer litterarischen Befehdung, wie sie widerlicher kaum je vorgekommen ist. Diese Schrift ist: „Der Bücherdieb gewarnt und ermahnt durch J. B. Schuppium, D.“; die Widmung ist vom 14. März 1658, und da sie auf der Frankfurter Ostermesse vertheilt werden sollte, kann sie auch nur wenig später erschienen sein. S. wendet sich in ihr gegen die unbefugten Nachdrucker seiner Schriften und der von ihm wieder herausgegebenen chronologischen Arbeit Helwig’s in durchaus sachgemäßer, wenn auch deutlicher Weise; und vielleicht ist diese kleine Schrift (sie umfaßt nur einen Bogen Duodez, von den 23 kleinen Seiten werden fünf durch [75] den Abdruck des königlich schwedischen Privilegiums für die von ihm herausgegebenen Schriften vom 19. December 1657 ausgefüllt) gar nicht für den Handel, sondern nur zur Vertheilung in Buchhändlerkreisen bestimmt gewesen. Gegen den „Bücherdieb“ erschien nun im Sommer 1658 eine Streitschrift betitelt: „Der Bücherdieb Antenors, empfangen und wieder abgefertigt durch Nectarium Butyrolambium, Ambrosii Mellilambii consobrinum, der Arzneikunst Liebhabern“, angeblich gedruckt zu Amsterdam bei Pieter Jansoon. In dieser Schrift, die kurz nach einander in zwei Abdrucken erschien (ein Exemplar wahrscheinlich des ersten Druckes befindet sich in der Berliner Bibliothek Bm 8530, Titel und 58 S. 12°), wird S. auf eine Weise behandelt, die geradezu unerhört ist; ihr wesentlicher Inhalt läuft auf rohes und im Grunde sinnloses Geschimpf heraus. Der Verfasser ist nicht bekannt geworden; man meint jetzt fast allgemein, daß der Senior Müller sie geschrieben habe, und daß auch S. dieser Ansicht gewesen sei. Auch das Letztere ist keineswegs sicher; S. sagt selbst (im Calender S. 94 f. des ersten Druckes), es sei nicht nothwendig, daß Butyrolambius ein Geistlicher sei, und in einer späteren Schrift vom December 1660 (in der Litanei) citirt er einen Ausspruch Müller’s in einer Weise, die doch wohl nicht zu der Verachtung stimmt, mit der er gegen diesen Butyrolambius erfüllt war. Vielleicht hat S. seine Ansicht hierüber geändert; jedenfalls hat Butyrolambius von den Verhandlungen im Ministerium gewußt, doch sind seine Mittheilungen über sie eigentlich nicht zutreffend genug, als daß sie direct von Müller stammen könnten. Man wird sagen müssen, daß die Sache nicht ausgemacht sei; was für Müller als Verfasser vorgebracht wird, ist keineswegs von zwingender Beweiskraft. Nach einer alten handschriftlich vorliegenden Angabe in einer Chronik soll S. die Schrift des Butyrolambius am 31. October 1658 mit auf die Kanzel genommen und sich vor seiner Gemeinde über die ihm gewordene Behandlung beklagt haben. Im December desselben Jahres reiste er nach Wolfenbüttel; hier fand er die Muße, zwei Schriften gegen dieses Pasquill zu schreiben, eine kleinere: „Relation aus dem Parnasso“ (Vorrede vom 14. December 1658, erschienen Wolfenbüttel 1658) und eine etwas ausführlichere: „J. B. Schuppii Calender“ (unterschrieben am 20. December 1658, erschienen Wolfenbüttel 1659); in der letzteren, die er seinem Sohne Anton Meno, der damals in Gießen studirte, zuschreibt, wendet er sich auch vorzüglich gegen die Vorwürfe, die Butyrolambius ihm wegen seines Privatlebens gemacht hatte. Eine dritte Schrift in dieser Sache, die er in diesen beiden ankündigte und welche „Prüfung des Geistes Nectarii Butyrolambii“ betitelt werden sollte, ist nicht erschienen. Die Predigt, welche er darauf am 1. Jan. 1659 hielt, war dem Ministerium wieder besonders anstößig; aber auch der Senat war der ewigen Zänkereien satt und ließ S. warnen. Als dann Schupp’s Calender etwa um die Mitte Januar 1659 in Hamburg bekannt wurde, fand sich das Ministerium veranlaßt, in einer ausführlichen Eingabe vom 27. Januar, in welcher wieder alles aufgeführt wird, was es an S. auszusetzen hat, den Senat zu bitten, „solchem ärgerlichen Wesen und großer Zerrüttung unserer Kirche, wie auch dem betrübten Zustande des Ministerii nicht länger zuzusehen“; es ist nicht bekannt, welche Folgen diese Eingabe hatte; doch blieben S. weitere Unannehmlichkeiten nicht erspart. Er ließ etwa ein halbes Jahr nach jener Eingabe seine „Abgenöthigte Ehrenrettung“ erscheinen, die er den sämmtlichen Mitgliedern des Senats widmete (die Widmung ist nach dem 25. Juli 1659 geschrieben; anhangsweise ist dem Buche ein Brief Schupp’s an Pastor Riese in Augsburg vom 10. Januar 1659 hinzugefügt), und in welcher er die ihm gemachten Vorwürfe noch einmal eingehend widerlegte. Inzwischen war auch ein zweiter litterarischer Gegner gegen ihn aufgestanden; M. Bernhard Schmid ließ einen Discurs de republica [76] academica drucken (Leipzig 1659), in welchem er die Universitäten gegen die Vorwürfe vertheidigen wollte, die S. ihnen in seinem „Freund in der Noth“ gemacht haben sollte; und um dieselbe Zeit, im Frühling 1659, hatte S. gehört, daß in Leipzig sich ein dritter Gegner gegen ihn erheben wolle mit einer Schrift gegen seinen Calender. Gegen den letzten, dessen Namen wir nicht wissen, wandte sich S. in der Schrift „Eilfertiges Sendschreiben an den Calenderschreiber zu Leipzig“ (Altona 1659); gegen Schmid ließ er zunächst seine „Erste und eilfertige Antwort auf M. Bernhard Schmid’s Discurs“ (Altona 1659) ausgehen; erst im folgenden Jahre kam er dazu, seine Gedanken über Schulen und Universitäten ausführlicher aufzusetzen in seinem „Ambassadeur Zipphusius“, einer Schrift, die erst nach seinem Tode von seinem Sohne Jost Burchard in Schupp’s gesammelten Schriften veröffentlicht ward. Die übrigen Schriften, welche S. noch selbst herausgegeben hat, sind „Der deutsche Lucianus“ (Leipzig 1659), „Corinna oder die ehrbare und scheinheilige Hure“ (von S. herausgegeben 1660, als handschriftlich vorhanden schon erwähnt in der Eingabe des Ministeriums vom 27. Januar 1659, und dann 1659 ohne Schupp’s Wissen gedruckt), „Einfältige Erklärung der Litanei“ (Lübeck 1661) und „Golgatha“ (Lübeck 1661); unter ihnen ist die Corinna die bedeutendste; sie gibt ein ungemein zutreffendes Sittenbild aus dem großstädtischen Leben jener Zeit. Die Schriften zu nennen, welche aus seinem Nachlasse von seinen Söhnen theils in der Ausgabe seiner Werke, theils einzeln herausgegeben sind, würde hier zu weit führen. Nur der Vollständigkeit wegen sei noch angeführt, daß S. auch geistliche Lieder hat drucken lassen; sie befinden sich in zwei Sammlungen, die er schon in Marburg erscheinen ließ, „Passion und Buß, auch Trost-, Bitt- und Danklieder“, Marburg 1643, und „Morgen- und Abendlieder“, Marburg s. a.; die erstere dieser Sammlungen, die 10 Lieder enthält, erschien Hamburg 1650 wieder, und dann wurden beide (zusammen 14 Lieder) Hamburg 1655 wieder abgedruckt. Einige dieser Lieder sind in die Frankfurter Praxis pietatis vom Jahre 1666 aufgenommen, einzelne dann auch in Gemeindegesangbücher; im übrigen sind sie ziemlich unbeachtet geblieben und können auf dichterischen Werth nicht gerade großen Anspruch machen. – Die vielen Widerwärtigkeiten, die ihm zu Theil wurden, blieben nicht ohne Folgen; er starb frühzeitig an einer heftigen Krankheit in seinem 52. Jahre am 26. October 1661 „mit großer und unglaublicher Freudigkeit seines Gemüthes“; seine letzten Worte waren: „Ich glaube eine Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben.“ Lange Zeit ist er dann vergessen gewesen, bis in diesem Jahrhundert erst Wachler (1819) und dann Ebert (1826 und 1834) wieder die Aufmerksamkeit auf ihn lenkten; heutigen Tages gilt er allgemein für einen der bedeutendsten Männer seiner Zeit.

Die wichtigste Quelle für Schupp’s Leben sind seine deutschen Schriften, welche von seinem zweiten Sohne Justus Burchard zuerst Hanau 1663 herausgegeben wurden und dann in neuen Auflagen noch viermal bis zum Jahre 1719 in Frankfurt erschienen. Mehrere seiner lateinischen, aus seiner Marburger Zeit stammenden Schriften sind in deutscher Uebersetzung in diese Sammlung aufgenommen; doch rühren diese Uebersetzungen theilweise nicht von S. selbst her und dürfen deshalb nicht zur Beurtheilung seines Stiles verwandt werden. Außerdem sind in die Sammlung einige Schriften aus seinem Nachlaß aufgenommen worden. – Die Originalausgaben seiner deutschen Schriften, kleine Hefte in kleinstem Format, sind sehr selten geworden; von manchen ist der erste Druck nicht mehr nachzuweisen. Neugedruckt erschienen die Predigt „Gedenk daran Hamburg“, Berlin 1842; der „Freund in der Noth“, in den Neudrucken deutscher Litteraturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts, [77] Nr. 9, Halle 1878 (nicht nach der ersten Ausgabe und ohne die in dieser vorangehende Widmung); und „Der deutsche Lehrmeister“, eine aus seinem Nachlaß zuerst 1667 veröffentlichte Schrift, als drittes Heft der „Neudrucke pädagogischer Schriften“, herausgegeb. von Paul Stötzner, Leipzig 1891.

Molleri Cimbria literata II, 790–804. – Ziegra, Sammlung von Urkunden zur Hamb. Kirchengesch., II, 249–338, Hamburg (1764). – Nicolaus Wilckens, Hamb. Ehrentempel, S. 417–435, Hamburg 1770. – Jördens, Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten, IV, 673–682. – Alexander Vial, Johann Balthasar Schuppius, ein Vorläufer Spener’s, Mainz 1857. – Hölting, im Programm der Casseler Realschule von 1860 und 1861. – Ernst Oelze, Balthasar Schuppe, Hamburg (1863). – K. E. Bloch im Programm der Realschule, Vorschule u. Elisabethschule zu Berlin, 1863. – E. E. Koch, Geschichte des Kirchenliedes u. s. f., 3. Aufl., III, 451–461. – Curt Hentschel im Programm der Realschule zu Döbeln, 1876. – Lexikon der hamburgischen Schriftsteller VII, 119 ff. – Theologische Realencyclopädie von Herzog u. Plitt, XIII, 723 ff. (vom Unterzeichneten). – Bindewald im dritten Jahresbericht des Oberhessischen Vereins für Localgeschichte, Gießen 1883, S. 101–113. – Goedeke²III, 234 ff. – Blätter für Hymnologie 1887, S. 18 ff. und S. 62. – Gustav Baur, Johann Balthasar Schupp als Prediger. Leipziger Universitätsprogramm 1888. – Mittheilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in Gießen; neue Folge, 2. Bd., S. 49–93, Gießen 1890. – Theodor Bischoff, Johann Balthasar Schupp, Nürnberg 1890. (Auch als Beilage zum Jahresbericht des Realgymnasiums.) – Paul Stötzner, Beiträge zur Würdigung von Johann Balthasar Schupp’s lehrreichen Schriften, Leipzig 1891. Abweichungen von den Resultaten dieser tüchtigen und beachtenswerthen Arbeit Stötzner’s im obigen Artikel, namentlich auch in der Datirung einzelner Schriften Schupp’s, hofft der Unterzeichnete demnächst an einem anderen Orte rechtfertigen zu können. – Eine populäre Darstellung von Schupp’s Leben und Wirken veröffentlichte Gustav Baur im Hamburger „Gemeinnützigen Almanach“ auf das Jahr 1863; sie wäre werth, durch erneuten Abdruck weiteren Kreisen unseres Volkes zugänglich gemacht zu werden.