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Artikel „Helwig, Christoph“ von Heinrich Julius Kämmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 715–718, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Helwig,_Christoph&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 23:23 Uhr UTC)
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Helwig: Christoph H. (Helvicus), neben Ratichius in den Anfängen des 17. Jahrhunderts der für eine durchgreifende Reform des Unterrichtswesens thätigste Mann, geb. den 26. December 1581 zu Sprendlingen, einem Dorfe des hessen-darmstädtischen Landes, † zu Gießen den 10. September 1617. Reich begabt wurde er von seinem Vater, dem Pfarrer des Geburtsorts, früh zu eifrigem Lernen angeleitet. Er machte dann seine Studien in Frankfurt und Marburg, wurde im Alter von 14 Jahren bereits Baccalaureus, im Alter von [716] 18 Jahren Magister, wie er denn als Knabe schon eine seltene Fertigkeit in lateinischer und griechischer Versification an den Tag gelegt, bald auch durch eine ungewöhnliche Bekanntschaft mit dem Hebräischen Aufmerksamkeit erregt hatte. Seit 1601 unterrichtete er an der Universität Marburg im Griechischen und Lateinischen, wie in der Philosophie, und trieb zugleich medicinische Studien. 1605 wurde er vom Landgrafen Ludwig V. an die vor Kurzem im Gegensatze zu Marburg gegründete Universität Gießen als Professor des Hebräischen und Griechischen berufen, 1610 Professor der Theologie geworden, erhielt er auch den theologischen Doctorhut. Außer einer 1608 erschienenen „Poetica“ veröffentlichte er 1610 die kleine Schrift „De ratione conficiendi facile et artificiose graeca carmina“, worin er in anziehender Weise die Grundsätze der Behandlung darlegt. Es folgte 1613 das „Compendium hebraeae grammaticae“, hervorgegangen aus dem Unterrichte, welchen er den Söhnen Polycarp Lyser’s ertheilt hatte. Die um dieselbe Zeit erschienenen „Familiaria colloquia“ (noch 1646 zu Marburg in fünfter Auflage wiederholt und 1687 zu Nürnberg noch einmal herausgegeben) brachten eine Zusammenstellung aus den verwandten Büchern von Erasmus, Vives u. A. Für den geschichtlichen Unterricht waren bestimmt: „Synopsis historiae universalis“ (1612), welche durch Konrad Bachmann 1618 auch eine deutsche Bearbeitung erfuhr, und „Theatrum historicum s. Chronologiae systema novum“ (1616), in verkürzter deutscher Bearbeitung 1618 und vollständig noch 1666 wieder erschienen. In allen diesen Schriften ist H. besonders auf Vereinfachung und Uebersichtlichkeit bedacht, und die tabellarische Form kommt zu entschiedener Anwendung. Die „Panegyris super obitum Rudolfi II imp. (1612) war nicht bloße Prunkrede, sondern sie galt einem Fürsten, der durch Ertheilung von Privilegien der neuen Universität besonders gnädig sich erwiesen hatte. – In eben dieser Zeit war es nun, wo H. in jene Verbindung mit Wolfgang Ratichius trat, die an Hoffnungen und an Enttäuschungen so reich sein sollte. Der mit der umfassendsten Reform sich tragende Ratichius traf mit H. zum ersten Male im Sommer 1612 zu Gießen zusammen, wo zugleich die Professoren Mentzerus und Jungius seinen Entwürfen und Vorarbeiten lebhafte Theilnahme zuwandten. H. scheint damals mit besonderer Freude den Gedanken, Luther’s Bibelübersetzung einer Revision zu unterziehen, erfaßt und die Aussicht, daß durch die neue Lehrkunst jedem Christen das Lesen der Bibel in der Ursprache sehr erleichtert werden könnte, ganz in Uebereinstimmung mit seinen bisher schon genährten didactischen Bestrebungen gefunden zu haben. Nach Verhandlungen mit einigen Professoren zu Jena, die auf Betrieb der Herzogin Dorothea Maria von Weimar in Erfurt stattfanden, ging dann H. mit Jungius, einem Auftrage des Landgrafen Ludwig V. entsprechend, im August 1613 nach Frankfurt, um hier längere Zeit das Werk der neuen Lehrkunst mit Ratichius zu fördern. Obwol nun aber auch aus Pommern, Mecklenburg, Schwarzburg, Augsburg Gelehrte herbeikamen, um mit dem seltsamen Didactiker in Verbindung zu treten, so wollte die Sache doch nicht vorwärts gehen, und Ratichius strebte bald ungeduldig hinweg. Dies hinderte indeß die beiden Professoren aus Gießen nicht, ihrerseits die Ausführung mit höchstem Ernste zu betreiben, wobei H. seinen ganzen Fleiß auf das Hebräische und Chaldäische, Jungius auf die Mathematik, Physik, Astronomie, Dialectik und Rhetorik richtete. Als gegen Ende des September die Compendien der deutschen, griechischen, lateinischen und hebräischen Grammatik fertig waren, da zeigte sich, daß H. mit besonderer Ausdauer gearbeitet hatte. Und bereits im October erschien von den beiden Gießenern der „Kurze Bericht von der Didactica oder Lehrkunst Wolfg. Ratichii“, der in der Hauptsache wol auf H. zurückzuführen war. Der Bericht wurde hierauf an die bekanntesten Gelehrten, [717] sowie an die theologischen Facultäten in Wittenberg und Rostock gesendet, und wieder war es vorzugsweise H., der in den Zuschriften um Empfehlung der Sache bei Fürsten und Obrigkeiten und um litterarische Mitarbeit dringend bat. Um Weihnachten kam dann noch ein „Nachbericht“ heraus. Als nun Ratichius 1614 nach Augsburg sich gewendet hatte, folgten ihm H. und Jungius auch dorthin, und zunächst regte sich auf allen Seiten Theilnahme für die neue Lehrkunst, in Augsburg selbst aber wandte David Höschel der Sache die größte Aufmerksamkeit zu. Freilich regten sich dann in der Stadt auch Mißtrauen und Spott gegen den Neuerer, und ärgerliche Nachrichten von außen wirkten störend ein; indeß erbat sich H. von seinem Landgrafen verlängerten Urlaub und ordnete sich dem eigenwilligen, argwöhnischen, zurückhaltenden Didactiker so lange als möglich unter, obwol er ihm in wissenschaftlicher Tüchtigkeit unstreitig überlegen war. Da kam es endlich doch zum Bruche. In derselben Zeit, wo der Senat von Augsburg, ohne Rücksicht auf unleugbare Erfolge der neuen Methode, seine Abneigung aussprach, mit Ratichius weiter sich einzulassen, trennten sich auch die Gießener von ihm, erst H., dann Jungius. Der Erstere zog hierauf, wahrscheinlich im April, nach Ulm; Versuche, ihn mit Ratichius auszusöhnen, mißlangen, und nur dazu verstand er sich, den Scandal, der durch Veröffentlichung der Gründe zur Trennung wahrscheinlich entstehen würde, zu vermeiden. Nichtsdestoweniger kam es bald zu leidenschaftlichen Erklärungen von beiden Seiten. Ratichius und die ihm treu gebliebenen Freunde warfen dem Professor von Gießen Treulosigkeit vor, der, sobald er die Geheimnisse der Didactik kennen gelernt habe, darauf bedacht gewesen sei, ihre Früchte sich anzueignen und den Ruhm der Erfindung davon zu tragen; H. dagegen beklagte sich darüber, daß Ratichius allein den Meister und Herrn spielen wolle, das Versprechen, sich ganz zu entdecken, nicht gehalten habe, vielmehr über die erstrebten Ziele in Unklarheit lasse, überdies aber gegen alle Theologen voll „Beißigkeit“ sei, fortwährend auf Fürsten und Obrigkeiten schmähe, daß somit auch der von ihm gegebene Revers hinfällig geworden. Leugnen läßt sich nun kaum, daß auch H. die Grenze der Billigkeit weit überschritten hat und nicht ohne Neigung gewesen ist, ein selbständiges Verdienst in Bezug auf die neue Lehrart für sich in Anspruch zu nehmen, was den ohnehin mißtrauischen Didactiker tief kränken mußte; aber auf die Dauer konnte in der That ein so talentvoller und gelehrter Mann wie H. in Unterordnung unter Ratichius nicht bleiben. Wie dann doch Jungius, von Augsburg geschieden, namentlich in Lübeck seine didactischen Bestrebungen zunächst noch fortsetzte, so hat auch H. in seiner Weise nach gleicher Richtung weiter gearbeitet. Beide blieben in freundschaftlicher Verbindung mit einander. Jungius hat freilich bald, verstimmt durch die Theilnahmelosigkeit, auf welche er in Lübeck stieß, seine didactischen Versuche ganz eingestellt; dagegen sicherte sich H. besonders beim Unterrichte im Hebräischen und Chaldäischen glänzende Erfolge, und die Thatsache, daß seine Studenten in diesen Sprachen fertig disputiren lernten, brachte seine Widersacher an der Universität zum Schweigen. Allein schon im Spätsommer 1617 starb er. Auf seiner Grabschrift war er als novae didacticae auctor et informator felicissimus bezeichnet. Die erst nach seinem Tode erschienenen und dem Landgrafen Georg dedicirten „Libri didactici, grammaticae universalis, latinae, graecae, hebraicae, chaldaicae, una cum generalis didacticae delineatione“ enthalten in den allgemeinen Bemerkungen sehr verständige Grundsätze über Methodik, und als einen klaren, das Wesentliche und Unwesentliche mit sicherer Hand scheidenden und bei durchaus tabellarischer Behandlung das Lernen vielfach erleichternden Methodiker zeigen ihn auch die speciellen Ausführungen. In deutscher Sprache erschien ebenfalls 1619 das Buch „Sprachkünste: 1. allgemeine, 2. lateinische, 3. hebräische“, [718] wobei er die Ausbildung einer deutschen Terminologie nicht ohne Kühnheit versucht hat. Seine Arbeiten für historischen Unterricht haben mit den 1618 erschienenen Schriften einen Abschluß gefunden: „Chronologia universalis“, herausgegeben von Steuber, „Chronica oder Allgemeine Historien der Geschichte“, bearbeitet von Bachmann, „Teutsche Chronologie, d. i. Zeit-Register und Historien-Ordnung“, besorgt von seiner Witwe. – Wiefern H. seinem Schwiegersohne, dem berühmten Balthasar Schuppius, zu dessen pädagogischen Reformgedanken Anregung gegeben, ist nicht hier zu erörtern. Im J. 1639 ließ Schuppius die „Chronologia universalis“ in neuer Auflage erscheinen.

Ueber H. s. Guhrauer, Joachim Jungius und sein Zeitalter (1850), 14 f., 23 ff., 220 ff., 226 f., Gideon Vogt, Das Leben und die pädagogischen Bestrebungen des Wolfg. Rat. (1876), und Störl, Wolfg. Ratke (Ratichius), ein Beitrag zur Gesch. der Pädagogik des XVII. Jahrhunderts (1876). Außerdem K. v. Raumer’s Gesch. der Pädagogik, II.