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Artikel „Rachel, Joachim“ von August Sach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 99–104, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rachel,_Joachim&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 23:10 Uhr UTC)
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Rachel: Joachim R., der Satiriker, stammt aus einer ursprünglich in Mecklenburg ansässigen und später in Ditmarschen weit verbreiteten Beamtenfamilie. Sein Vater Mauritius R., Sohn eines Senators in Malchow, war durch Verwendung des damaligen schleswiger Dompropsten, des Rostockers Sledanus, im J. 1614 Cantor an der gelehrten Schule zu Husum geworden und zwei Jahre darauf als Diakonus nach Lunden in Norderditmarschen berufen, wo er später Hauptpastor wurde. Er nahm thätigen Antheil an den damaligen litterarischen Bestrebungen, war strenger Anhänger der Opitzischen Schule und stand als gekrönter Dichter bis an seinen Tod mit Rist in freundschaftlichen Beziehungen. In Lunden vermählte er sich mit Margaretha Tetens aus Husum, und hier ward sein ältester Sohn Joachim am 28. Februar 1618 geboren. In dem einsam gelegenen Lunden, wo die Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit des ditmarsischen Freistaats noch besonders rege war und nur niederdeutsche Laute ertönten, verlebte der Knabe seine Jugendzeit; er lernte die alten Lieder von den Siegen und Kämpfen der Ditmarsen und nahm mit der ländlichen Jugend theil an den Reigen und Tänzen des Volkes. Noch in seinem späteren Leben erinnert er sich gern seiner frohverlebten Knabenzeit, der schönen Eiermilch, die er getrunken, der Klüttchen, die er gegessen, und all der lustigen und fröhlichen Hochzeiten und Kindtaufen, wohin sein Vater ihn mitgenommen habe; aber ebenso unvergeßlich ist ihm die Angst und Noth geblieben, die über seine engere Heimath hereinbrach, als die Schaaren Waldsteins die Schutzwehren Ditmarschens erstürmt hatten.

Mit guten Vorkenntnissen ausgerüstet, bezog der vierzehnjährige Knabe die neugeordnete Landesschule zu Husum, wo sein Vater als Cantor gewirkt, versuchte sich auch damals schon unter der Leitung des Rectors Becker in hochdeutschen Versen, um dann das akademische Gymnasium in Hamburg zu beziehen, welches damals J. A. Tasse, J. Junge und H. Vagetius unter seinen Professoren zählte. Am 11. November 1635 ward sein Name in die akademische Matrikel [100] eingetragen. Kaum hatte er hier zwei Jahre den Studien obgelegen, als sein Vater starb (1637); von der Mutter und seinen Vatersbrüdern, die in Ditmarschen gleichfalls als Geistliche eine Stellung gefunden hatten, nach Kräften ausgerüstet, bezog er dann die Universität Rostock, wo er im October 1637 unter die akademischen Bürger aufgenommen ward. Im Verein mit seinen Landsleuten, die damals zahlreich in Rostock studirten, kostete er mit Behagen die „naße akademische Freundschaft und Bruderschaft“, wovon er später in seiner Satire „der Freundt“ eine drastische Schilderung gibt, trieb daneben das Studium der alten Sprachen, Philosophie und Litteratur, las mit Vorliebe Juvenal und Persius und versuchte sich vielfach in hochdeutschen und lateinischen Versen nach der Sitte der Zeit, wofür ihm der Sinn durch seinen verstorbenen Vater und seine Husumer Lehrer schon früh geweckt worden war. Ein lateinisches Epigramm auf den Tod eines seiner Freunde, des Flensburger Brandes, erwarb ihm auch die besondere Gunst seines vortrefflichen Lehrers, Peter Laurembergs, des Professors der Poesie. Nach etwa dreijährigem Studium in Rostock wurde er dann durch Familienverhältnisse und kriegerische Unruhen bewogen nach Dorpat zu ziehen, wo er in dem Hause eines befreundeten Landsmanns, des Professors Laurentius Luden, eine Reihe von Jahren Aufnahme fand, um später die Erziehung der Söhne eines livländischen Edelmanns, Leonard Titinghofs, zu übernehmen. In dieser behaglichen Stellung fand er reiche Muße sein poetisches Talent zu üben; er dichtete eine Anzahl lateinischer Epigramme (centuria epigrammatum), die er zweien hochgestellten Beamten der Stadt Reval, Phil. Crusius und Bernhard Rosenbach, widmete, verfaßte „epigrammata evangelica latino-germanica“ (1648), die später wiederholt gedruckt wurden, studirte daneben mit Vorliebe Sitten, Gebräuche und Eigenheiten des livischen Volkes, wovon er später eine bezeichnende Schilderung gibt. Erst im Frühling des Jahres 1652 schied er aus seiner Stellung, um dem Wunsche der Mutter gemäß in die Heimath zurückzukehren. Der Seeweg führte ihn über Kopenhagen, wo er die Sommermonate verweilte und Verbindungen anknüpfte, die für seine spätere Dichterlaufbahn bedeutungsvoll werden sollten. Unter der Regierung des Königs Friedrich III. war Kopenhagen fast eine deutsche Stadt; R. fand hier manchen Landsmann und Freund von Rostock wieder, manche Verwandte und Bekannte seiner rostockschen Gönner, die durch die Königin Sophia, eine mecklenburgische Prinzessin, herbeigezogen waren, in hoher und einflußreicher Stellung, dieselben Interessen und dieselben litterarischen Bestrebungen, da die Opitzische Richtung in der Poesie selbst an den Nationaldänen gelehrige Schüler gefunden hatte. Der Dichter Zacharias Lundt aus dem schleswigschen Nübel war Secretär des Königs; Paul Tscherning, ein Verwandter des berühmten Rostocker Dichters Andreas Tscherning, hatte als Generalauditeur und Kriegsrath am Hofe eine einflußreiche Stellung inne. Die Professoren der Akademie Thomas Bartholinus und Christian Ostenfeldt, die dänischen Dichter Vitus Biering und der jugendliche Andreas Bording, der Begründer der dänischen Lyrik, sahen in R. einen der ihrigen: Opitzische Grundsätze vereinten sie alle zu gemeinsamem Streben und vertrauter Freundschaft. Um so auffälliger muß der Einfluß erscheinen, den die eben erschienenen vier berühmten Scherzgedichte Joh. Willmsen Laurembergs, des Professors an der Soröer Ritterakademie, und Bruders seines Rostocker Lehrers, mit ihren energischen Angriffen auf die neue hochdeutsche Kunstrichtung auf R. machten. Während seines Rectorats in Heide in Ditmarschen, das er gleich nach seiner Rückkehr in die Heimath übernommen hatte, in angenehmer Häuslichkeit, die er sich durch Vermählung mit der Ditmarserin Dorothea Twachtmanns gegründet, finden wir ihn, den Spuren Laurembergs folgend, mit niederdeutscher Litteratur, mit Reineke Vos und ditmarsischen Volksliedern beschäftigt. In diese Zeit fällt jenes berühmte (von Sach p. 46 u. ff. [101] mitgetheilte und kritisch behandelte) Lied „Nu, min dochter, segg van harten“, das wenig umgedichtet noch heute im Volksmunde lebt und sich ganz dem Tone der alten sächsischen Hochzeitslieder anschließt. Wenn R. nun auch später den Einfluß, den das Studium der niederdeutschen Litteratur auf ihn ausgeübt, in seinen Satiren nicht ganz verleugnet, so hat er doch bald die alten Bahnen wieder eingeschlagen und die strengen Grundsätze der schlesischen Schule wieder aufgenommen. Fast ausschließlich wandte er sich der Ausbildung der kunstmäßigen hochdeutschen Satire zu, die bis dahin in der Opitzischen Schule nur wenig Vertreter gefunden hatte. Die bezeichnenden Züge der neuen Satire, die in Juvenal und Persius ihre Vorbilder sah, aber statt zu individualisiren sich in bloßen Allgemeinheiten erging und allem, was die Mächtigen und Großen hätte verletzen können, ängstlich aus dem Wege ging, treten auch in den ersten hochdeutschen Versuchen Rachel’s in auffälligem Gegensatze zu seinem niederdeutschen Gedichte hervor. Auch darin folgte er, wie in dem letzteren, dem Zuge der Zeit, wo die verschiedensten Formen der Poesie zu Gelegenheitsgedichten benutzt wurden, daß er seine Satiren anfangs in die Form von Hochzeitsgedichten kleidete, wie er selbst von den drei ersten bekennt. In der ersten, die um 1659 entstand und uns in einer etwas umgearbeiteten Form vorliegt, „das poetische Frauenzimmer“ oder „die böse Sieben“, werden die Schwächen und Gebrechen des weiblichen Geschlechts mit wenig Witz und viel Behagen in breiten Alexandrinern ausgeführt. Wie steif und farblos nun auch im ganzen die Darstellung, wie wenig von dichterischer Wärme auch in dem Gedichte zu spüren ist, so wurde es doch von seinen Freunden in Kopenhagen mit großem Beifall aufgenommen. In der ersten Begeisterung für das „neuerstandene Genie“ machte Paul Tscherning Friedrich III. auf das Hochzeitsgedicht aufmerksam und konnte bald dem Dichter melden, mit wie großem Wohlgefallen der König dasselbe aufgenommen habe. Trotz aller Gunstbezeugungen aus so hohem Munde ward der Dichter indeß nicht im Lande festgehalten. Im J. 1660 gab er sein Rectorat in Heide auf, um einem Rufe an die Ulrichsschule im ostfriesischen Norden zu folgen. Unter mancherlei Mühen und Sorgen suchte er hier Trost in angestrengter dichterischer Thätigkeit und konnte nach einigen Jahren seinem Freund und Gönner Tscherning „eine recht poetische d. h. armselige Gabe“, fünf neue hochdeutsche Satiren zu Füßen legen. Derselbe übernahm bereitwillig auch die Druckkosten seiner „sechs poetischen Kinder“. In der vom 3. Januar 1664 datirten Widmung an Tscherning spricht R. sich über seine Stellung zu den Schlesiern und über die Grundsätze, die ihn bei der Abfassung geleitet, ausführlich aus. In der opitzischen Schule sieht er die höchste Vollendung der „teutschen Tichterkunst“; ihre Vorschriften und Gesetze gelten ihm maßgebend für alle Zeiten. Wenn er zuerst von allen Deutschen mit hochdeutschen satirischen Gedichten vor das Publicum trete, so hält er den „genausichtigen Aristarchen“ gegenüber ein Wort der Entschuldigung für nöthig; offen will er auf scharfen Tadel bestimmter Persönlichkeiten verzichten und nur allerhand im Schwange gehende Laster, jedoch ohne Verletzung eines Menschen Ehren, guten Namen und Leumund durchziehen und mit lachendem Mund die dürre Wahrheit sagen. Er hebt wiederholt seine gute Absicht hervor und hält seine Satire für ein Werk der allerbesten und getreuesten Liebe. Gemäß der ganzen Richtung der Poesie seiner Zeit, die vorwiegend didaktisch war, ist auch für ihn zu belehren und zu bessern der eigentliche Zweck seiner Satire. In dem „vortheiligen Mangel“ und der „gewünschten Hausmutter“ führt er das schon früher behandelte Thema in hausbackenem Sinne wieder aus; die drei folgenden sind nach seiner eigenen Angabe Bearbeitungen römischer Muster. Der „Kinderzucht“ liegt die 14. Satire Juvenals zu Grunde, die fünfte (Vom Gebet) hat die Motive der 2. Satire des Persius, die sechste (Gut und böse) [102] der 10. Satire des Juvenal in sehr freier Weise entlehnt. Die letztere ist gegen die herrschenden Unsitten seiner Zeit gerichtet. Es sind gute, der Beherzigung werthe Gedanken, die den verständigen, hin und wieder etwas pedantischen R. erfüllen; ein ernster und würdiger Geist leuchtet uns aus ihnen entgegen. Diese Gedichte sind es denn auch, die seinen Namen über ganz Deutschland getragen haben und ihn in den Augen seiner Zeitgenossen als den Begründer einer neuen Kunstrichtung erscheinen ließen; er war seitdem in der kunstmäßig versificirten Satire der berühmteste Dichter seines Jahrhunderts. Groß war die Anerkennung, die er bei seinen Freunden in Kopenhagen fand. Paul Tscherning sandte ihm 30 gedruckte Exemplare seiner Satiren nebst einem großen silbernen Pokal zum Geschenke, meldete ihm auch die Absicht des Königs, ihn an seinen Hof zu ziehen und mit einem Jahresgehalt auszuzeichnen. Um so eifriger war der Dichter bemüht, die hohen Erwartungen seiner Gönner durch neue Schöpfungen seiner Muse zu befriedigen. Die beiden letzten Satiren, die gleichfalls auf Tschernings Kosten gesondert in Kopenhagen 1666 gedruckt sind, zeigen ihn auf der Höhe seiner Dichterlaufbahn. Während er in der ersten (der Freundt) die Gefahren der Freundschaft und der Liebe an Beispielen erläutert, legt er in der anderen (der Poet) seinen Standpunkt zu den verschiedenartigsten poetischen Bestrebungen seiner Zeit klar und bündig dar. Als ein eifriger Schüler Opitzens, für den Poesie ohne Gelehrsamkeit nicht denkbar ist, polemisirt er gegen die ungelehrten Dichter und ihre elenden Reimereien, gegen die Feilheit der Lohn- und Bettelpoeten und den argen Unfug, der mit der Gelegenheitspoesie getrieben wurde. Ebenso scharf wendet er sich gegen die Puristen und Sprachverderber; er ist ebenso ein Feind der puristischen Worterfindungen wie des maßlosen Einmischens fremder Wörter in die deutsche „Haupt- und Heldensprache“. Selbst das Eindringen niederdeutscher Wörter erscheint ihm von Uebel, wie sehr seine eigenen Dichtungen auch seine niederdeutsche Herkunft und ein Studium Laurembergs verrathen. Merkwürdig ist es, wie R. auch in Norden das Volksleben und die Sprache der Friesen und Holländer, die ihm anfangs böotisch klang, mit Interesse verfolgt, sich selbst in holländischen Versen versucht (Sach p. 27) und über die Aehnlichkeit der niederdeutschen Wörter mit dem Griechischen Vergleiche anstellt.

Mit seiner litterarischen Thätigkeit ging seine pädagogische Wirksamkeit in Norden Hand in Hand; ein nach dem Lateinischen des Hugo Grotius entworfener neuer Leitfaden für den Religionsunterricht, der in diese Zeit fällt, brachte ihm freilich mancherlei Widerwärtigkeiten mit dem Consistorium. Zu allem Streit kam noch seine üble pecuniäre Lage, die ihn nach einer besseren Stellung suchen ließ. Vergeblich bemühte sich jedoch sein als Staatsrechtslehrer berühmter Bruder Samuel ihn zu überreden, an der Kieler Universität, deren Eröffnungsfeier er durch zwei Gedichte verherrlicht hatte, eine gering dotirte Professur der Poesie und Eloquenz anzunehmen; ebensowenig war er geneigt, das ihm angebotene, wenig einträgliche Rectorat der Schleswiger Domschule anzutreten. Noch ein Jahr weilte er im Norden, als eine Pest ihn mit den Seinen aus dem Lande zu seinen Verwandten nach Holstein trieb. Seinem Freunde Tscherning schüttete er sein Herz aus und schilderte ihm lebhaft in einem (bei Sach p. 29 mitgetheilten) Gedichte die Gefahren, denen er durch Flucht entronnen war. Von neuem begannen mit ihm Unterhandlungen wegen Uebernahme des Schleswiger Rectorats, die indes an der Gehaltfrage scheiterten. So kehrte er im Frühling des Jahres 1667 in das verödete Norden zurück. Damit begann die trübste Zeit seines Lebens. Hab und Gut war aufgezehrt, sein hülfreicher Gönner Tscherning 1666 gestorben. Vergeblich war er bemüht, durch litterarische Thätigkeit sich und den Seinen Unterhalt zu verschaffen; seine lateinischen Epigramme, die er während des letzten Jahres verfaßt hatte, konnte er nicht unter [103] das gelehrte Publicum bringen, da ihn ein Buchhändler unter höhnenden Worten abwies, als er von Honorar zu sprechen wagte. Unterdeß ruhte sein Bruder Samuel nicht, ihn in die Heimath zu ziehen. Er hatte den Gedanken gefaßt die gelehrten Schulen des Landes zu reorganisiren und dabei sollte ihm sein Bruder zur Seite stehen. Endlich willfahrte der am Hofe des Gottorper Herzogs einflußreiche Präsident Kielmann v. Kielmannsegge seinen Wünschen. Am 3. October 1667 langte Joachim R. in Schleswig an, um in der Hauptstadt der Gottorper mit 500 Thaler Gehalt die Leitung der gänzlich verkommenen Domschule zu übernehmen. Ueber seine Thätigkeit als Schulmann, von der aus seinen früheren Stellungen wenig bekannt ist, geben die Acten der Domschule ein bezeichnendes Bild. Insbesondere gibt ein von ihm verfaßtes Programm über seine reorganisirende Thätigkeit an derselben genauen Aufschluß. Vor allem will er die Winkelschulen beseitigen, die zeitraubenden Leichenaufzüge einschränken, den Sängerchor neu organisiren, von dem nach seiner Meinung der Ruf und die Frequenz einer Domschule abhänge; dann alle halbjährigen Examina abschaffen, nur jährlich Prüfungen und Versetzungen vornehmen. Der Lectionsplan, den er entwirft, zeigt ihn als einen energischen Reformator. Wir finden zum erstenmale eigene Stunden für Geschichte, Geographie und deutsche Poetik angesetzt, worin bis dahin hier wie anderswo nur Privatunterricht ertheilt war. Universalgeschichte und Chronologie wurde in wöchentlich 2, deutsche Poetik in 1 Stunde vorgetragen, politische und mathematische Geographie in den beiden oberen Classen einstündig behandelt. R. ist daneben auch der erste Rector der Domschule, der mit dem öffentlichen Examen auch einen sogenannten Redeactus verband. Seine neue Thätigkeit ließ ihm wenig Zeit seiner dichterischen Neigung nachzugehen, wie sehr auch seine Freunde am Gottorper Hofe, Kielmann, der Historienmaler Ovens, Olearius u. a. ihn mahnen mochten. Der erstere erbot sich auch seine lateinischen Epigramme (Panegiris Menippea), die in Norden entstanden waren, drucken zu lassen; dieselben erschienen erst kurz vor seinem Tode. Doch konnte ihm alles nicht hinweghelfen über die widerwärtigen Streitigkeiten, worin er wegen seiner Neuerungen an der Schule mit dem Dompropsten und Inspector scholae Martini und dem Publicum verwickelt wurde. Sein Programm, welches er nach der Sitte der Zeit an die Thür des Domes hatte heften lassen, wurde auf Befehl des Propsten wieder entfernt. Bei dem öffentlichen Examen kam es zu einem förmlichen Tumult in der Schule. Aus Aerger über alle Anfeindungen erkrankte R. und starb schon am 3. Mai 1669. Er hinterließ vier Söhne und eine Tochter, eine zweite ward erst nach seinem Tode geboren.

Wie seine Schulbücher sein Andenken in den gelehrten Schulen noch lange erhielten, so zeigen die vielen Auflagen, die seine Satiren erlebten und zwei gefälschte Gedichte, „die Jungfern-Anatomie“ und „das Jungfern-Lob“, die, wie es scheint, schon bei seinen Lebzeiten unter seinem Namen verbreitet wurden (vgl. Sach, Joach. Rachel, p. 62), wie viel sie gelesen und wie hoch sie von seinen Zeitgenossen und der nächsten Nachwelt geschätzt wurden. Man sah in seinen zahmen Sittenschilderungen juvenalische Satire, nannte ihn den „londinischen teutschen Juvenal“, den neuen Opitz Deutschlands. Und doch erscheint er uns, wenn wir die Litteratur des 17. Jahrhunderts überblicken und die Erfolge seiner Bestrebungen nach dem heutigen Maßstabe messen, nur als ein unscheinbares Glied in der langen Reihe der Männer, die in den Bahnen, die Opitz eingeschlagen hatte, fast ohne jegliche Selbständigkeit fortschritten.

J. Melch. Krafft, 200jähriges Jubelgedächtniß. Hamburg 1723. Dasselbe enthält die Genealogie der Rachelschen Familie. – Moller, Cimbria literata s. v.H. Schröder, J. Rachels deutsche satyrische Gedichte. Neue [104] verbesserte und mit dem Leben des Dichters vermehrte Ausgabe. Altona 1828. – Nasser, Vorlesungen 2, 339 ff. – Ant. Viethens ditmarsische Landesbeschreibung. Hamburg 1733. – P. Mohr, Zur Verfassung Ditmarschens. Altona 1820. – Sach, Joachim Rachel, ein Dichter und Schulmann des 17. Jahrhunderts. Schleswig 1869. Der Anhang enthält das niederdeutsche Lied Rachel’s, kritisch behandelt, sowie ein genaues Verzeichniß von Rachel’s Schriften. Am Schluß stehen wenig bekannte Notizen zum Leben des Dichters Lauremberg. – Ueber ein zweites niederdeutsches Gedicht, das R. zugeschrieben wird, vgl. Sach p. 49 und Lappenberg’s Ausgabe der Laurembergschen Scherzgedichte.