ADB:Schneegaß, Cyriacus
August von Sachsen, die Wegführung des Herzogs Johann Friedrich des Mittleren und die Flacianischen Händel fallen in die Jahre seiner ersten Kindheit und seiner wissenschaftlichen Ausbildung. Er besuchte die Landesschule in Gotha und hierauf die Universität Jena, wo er 1565, im ersten Halbjahre, als M. Joh. Rosa von Hellingen bei Coburg zum zweiten Male Rector war, in die Zahl der akademischen Bürger aufgenommen wurde. Von seinen Lehrern haben, wie sich aus verschiedenen Umständen ergibt, der gothaische Rector und tüchtige Schulmann Cyriacus Lindemann (s. A. D. B. XIX, 807 ff.) und der als Dichter geistlicher Lieder, Musikkenner und Freund Melanchthon’s bekannte jenaische Professor Nik. Selnekker [93] am meisten auf ihn eingewirkt. Wo er die Zeit zwischen der Hochschule und dem geistlichen Amte (1568–1573) verbracht hat, läßt sich nicht nachweisen; möglich ist, daß er sich damals im Lehrfache versuchte. Seit 1573 wirkte er als fünfter evangelischer Pfarrer an der St. Blasiuskirche des Waldortes Friedrichroda und verband mit dieser Stelle noch diejenige eines Adjuncten der weimarischen Superintendentur. Wie es scheint, vermählte er sich erst jetzt und zwar mit Dorothea Lindemann, der einzigen Tochter seines 1568 gestorbenen Lehrers. Sie gebar ihm acht Töchter, deren vier der Vater im Vorworte zu seinen „Geistlichen Liedern und Psalmen“ mit Namen nennt, und zwei früh dahingeschiedene Söhne. Von jenen vier heirathete Eva einen Böttcher und Gemeindebürger in Friedrichroda; eine fünfte, Dorothea, wurde dem dortigen sechsten Pfarrer Joh. Salzmann († 1636) angetraut und pflanzte in ihrem Sohne Christoph († 1654), dem siebenten Geistlichen seines Geburtsortes, und in ihrem Enkel Joh. Christoph, Pfarrer in Mühlberg, wenigstens in der weiblichen Linie die pastorale Erbfolge des Hauses fort. – Als Seelsorger hat S. eine stille, aber für seine Gemeinde nicht unfruchtbare Thätigkeit entfaltet. Wie man aus seinen noch vorhandenen Casualreden ersieht, verfolgte er aufmerksam und mit gemüthlichem Antheil die Schicksale der Gemeindegenossen und suchte Befriedigung in der Weckung und Pflege christlichen Sinnes und Lebens. Daß er dafür des Dankes und der Anerkennung nicht entbehrte, bezeugen die während seiner Amtsführung ausgesetzten Legate. Eine Frau oder Jungfrau bestimmt ihr halbes Haus für unbemittelte Schulknaben, ein Bürger 24 Schock Groschen für die Armen, ein anderer 45 Gulden für die studirende Jugend. Neben seinen Berufspflichten beschäftigte er sich gern mit Wissenschaft, Musik und Dichtkunst. Seine Heirath mit einer geb. Lindemann, die überdies eine Enkelin des gothaischen Superintendenten Friedr. Myconius und eine Großnichte Luther’s war, hatte ihm handschriftliche und gedruckte Werke der genannten und anderer bedeutender Männer als Erbe zugeführt, sodaß in ihm der Wunsch entstand, ihr Andenken durch Herausgeben ihres geistigen Nachlasses zu ehren und zu erneuern. Den Anfang machte er mit den ihm schon aus seiner Schulzeit bekannten und 1563 in die Feder dictirten Lindemannschen „Periochae sive Explicationes summariae et perspicuae tam Epistolarum quam Evangeliorum, quae diebus dominicis et festis diebus in Ecclesia proponi solent“ (Erfurt 1589). Daran schloß sich die Veröffentlichung der 1592 von dem Coburger Superintendenten Joh. Dinkel auf seinen ehemaligen Lehrer gehaltenen Lobrede: „De M. Cyriaco Lindemanno, Scholae Gothanae quondam Praeceptore, Oratio“ (Erfurt 1593; wiederholt bei W. E. Tenzel, Supplementum Historiae Gothanae III., Jena 1716, S. 17–29), der zugleich Lindemann’s „Epistolae quaedam paraeneticae, in quibus etiam instituendorum studiorum aliqua ratio monstratur“ anhangsweise beigegeben sind. Schon vorher fällt die Herausgabe der kleinen, dem Superintendenten Johann Wolfram in Gotha von ihm zugeeigneten Schrift: „D. Frid. Myconii, Theologi, de aureo illo reuerendi patris D. Mart. Lutheri in Epistolam ad Galatas commentario Judicium“ (Schmalkalden 1592; auch abgedruckt bei Tenzel a. a. O., S. 108–112). Die Reihe dieser Nachlaßveröffentlichungen endete mit Briefen hervorragender Männer der Reformationszeit an den Großvater seiner Gattin: einmal mit den „XVI. selectiores vereque theologicae clarorum virorum … ad D. Frid. Myconium, magni nominis Theologum, conscriptae quondam Epistolae“ (Schmalkalden 1593, 4°; Wiederabdruck bei Tenzel a. a. O., S. 85 bis 107), einem jetzt höchst seltenen Buche, das je einen Brief Luther’s, Justus Menius’, Joh. Marcellus’ von Königsberg, Matthäus Ratzeberger’s, Caspar Cruciger’s, Joh. Lange’s und Aegidius Mechler’s, sowie vier Briefe Melanchthon’s und fünf Basilius Monner’s enthält (sieben andere Persönlichkeiten, welche [94] Thilo a. u. a. O., S. 270 a noch nennt, sind zwar bei Tenzel, aber nicht in der Urschrift vertreten), und sodann mit den „LXVI. selectiores Phil. Melanchthonis ad D. Frid. Myconium … conscriptae quondam Epistolae. Annexa est oratio funebris de Myconio a Pancratio Sussenbachio habita“ (Jena 1596, 4°). In einer zweiten Classe von Schriften erweist sich S. als theoretischer und praktischer Kenner der Musik, zu deren Studium ihn wohl vornehmlich Selnekker angeleitet hatte: nämlich in der „Nova et exquisita Monochordi Dimensio ad usum τῶν φιλομούσων omniumque sonorum et intervallorum rationem exacte adeoque ex ipso fundamento cognoscere cupientium“ (Erfurt 1590; 15 Bll. in kl. 8°), welche dem Cantor Joh. Lindemann (s. A. D. B. XIX, 809), dem Vetter der Dorothea S., gewidmet ist, – in den „Isagoges musicae libri duo“ (Erfurt 1591; 7½ Bogen in 8°), in den beiden zum Bedarf der studirenden Jugend mehr elementar gehaltenen Tractaten: der „Isagoges musicae non tam pridem in lucem editae Methodus“ (1591; vermuthlich ebenda gedruckt) und der „Deutsch Musica für die Kinder, vnd andere, so nicht sonderlich Latein verstehen, vnd doch gerne wollten nach der Kunst singen lernen. In Frag und Antwort gestellet, vnd mit auserlesenen Exempeln erkläret“ (Erfurt 1592; 48 S. in kl. 8°), sowie endlich in den „XXXX. Weyhenacht- vnd Neujahrsmotetten von 4 Stimmen“ (2 Thle.; Erfurt 1595), einem Werke, das neben Schneegaß’ eigenen Compositionen auch solche von Joachim a Burgk (Müller), Joh. Steuerlein und Phil. Avenarius enthält. – Mehr aber als durch die genannten Schriften hat er sich durch seine 73 geistlichen Lieder ein ehrenvolles Andenken bei der Nachwelt gestiftet. „Zu unterschiedenen Zeiten gemacht“, sind ihrer manche auf dem Wolfsstiege, einer bei Friedrichroda gelegenen anmuthigen Höhe, entstanden, welche einst die von Graf Ludwig dem Bärtigen erbaute Schauenburg trug.
Schneegaß: Cyriacus S., latinisirt Snegassius, Kirchenliederdichter, Verfasser musikwissenschaftlicher Werke und geistlicher Componist, geb. am 5. October 1546 in dem Dorfe Bufleben, eine Stunde nördlich von Gotha, und vermuthlich aus einem bäuerlichen Geschlechte hervorgegangen, erlebte eine durch kriegerische und theologische Wirren vielfach bewegte Jugend. Der schmalkaldische Krieg mit seinen für die thüringischen Länder bedeutsamen Folgen, die Belagerung und Einnahme Gothas durch den Kurfürsten„Auf Berg und Thal
Schallt es zu Gottes Preise,“ –
diesen seinen eigenen Worten nachlebend, hat er dort „gar oft sein Sängeramt geführt“. Ob er dasselbe auch schon vor seinem Amtsantritte (1573) geübt oder sich ihm erst in dem schönen Waldthale zugewandt hat, läßt sich bei dem Mangel einer genaueren Zeitangabe nicht erkennen; gewiß ist nur, daß vor 1589 kein derartiger Versuch im Drucke vorliegt. In dem angegebenen Jahre erschienen nämlich als erste poetische Gaben: die Umdichtung des 101. Psalmes „Von milder Hand und ernstem Recht | Ein neu Lied will ich singen“ (6 siebenzeilige Strophen) und diejenige des 82. Psalms: „Gott selbst im Rath und im Gericht | Unter den Göttern stehet“ (4 neunzeil. Str.) in „Christliche vnd einfeltige Predigt vom Gericht Ampt“ (Schmalkalden 1589, 4°). Zwei Jahre später folgten: das Lied „O Jesu Christ, du Siegesmann, | Laß uns nicht unten liegen“ (3 siebenzeil. Str.) in „Neue Teütsche Geistliche Lieder, Durch Adamum Gumpelzhaimerum“ (Augsburg 1591, 4°) und die achtzeilige Zusatzstrophe: „Wenn ich dich hab, du edle Gab, | Wie sollt ich denn verzagen?“ zu dem ursprünglich einstrophigen, neuerlich dem Joachim Magdeburg zugeschriebenen Liede: „Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut | Im Himmel und auf Erden“ in „Kurtze Leychpredigt: Bey dem Begrebnuß der frommen tugenthafften Jungfrawen Agneß, des … Liborij Hoffmanns zu Fridrichroda, leiblichen lieben Tochter“ (Schmalkalden 1591, 4°), wo ihm die Bemerkung vorangeht: (Ein) „Gesänglein, so nach gehaltener Predigt Figural gesungen worden, welches von mir mit dem andern Gesetzlein vermehret“. – Den angeführten einzelnen Liedern schlossen sich dann während seiner letzten Lebensjahre in rascher Folge vier ganze Sammlungen an: zunächst die „XV. PSALMI GRADVVM. Das ist: Die XV. Lieder im Höhern Chor. Sampt andern zweyen Psalmen, vn̄ sonst Dreyen Liedern. Rheim vn̄ [95] Gesangweise“ (Erfurt 1595; 3 Bogen in 8°), im ganzen 20 Nrn. mit vierstimmigem Tonsatze von dem Mühlhauser Cantor und Organisten Joachim a Burgk: die sog. Stufenpsalmen (120–134), die Psalmen 82 (s. o.) und 85 und die drei Lieder: „Frisch auf, ihr Christen alle“, „Gib Fried, o frommer, treuer Gott, | Du Vater aller Gnaden“ (3 zehnzeil. Str.) und: „Christus, der Herr, mein Schild und Lohn“, von denen namentlich das vorletzte, sowie die Psalmen: „Herr, der du vormals große Gnad | Erzeigt hast deinem Lande“ (Psm. 85; 5 neunzeil. Str.) und: „Ich seh’ mich auf den Bergen um, | Such Hülf in meinen Nöthen“ (Psm. 121; 3 siebenzeil. Str.) in der evangelischen Kirche Verbreitung gefunden haben. – Die zweite Liedersammlung sind die „Weyhenacht und Neujahrs Gesänge“ (Erfurt 1595, 8°), 9 Nrn., darunter die drei in kirchlichen Gebrauch übergegangenen Lieder: „Das neugeborne Kindelein, | Das herzenliebe Jesulein“ (4 vierzeil. Str.), „Das liebe neue Jahr geht an, | Das alte hat ein Ende“ (ebenso) und: „Herr Gott, Vater, wir preisen dich | Im lieben, neuen Jahre“ (4 siebenzeil. Str.), während die dritte den Titel trägt: „Geistliche Lieder vnd Psalmen Für Einfeltige frome Hertzen zugerichtet“ (Erfurt 1597, 11 Bogen in 8°; 1854 neu hrsg. von F. C. Fulda – s. u. – und zwar nach dem vom Verfasser selbst verbesserten und dem Leipziger Cantor Seth Calvisius geschenkten Exemplare). Das Buch umfaßt im ganzen 72 Lieder und ist gleichsam eine Gesammtausgabe von Schneegaß’ geistlichen Dichtungen; 29 derselben sind aus den früheren Drucken wiederholt, sodaß also die Zahl der neuen Lieder 43 beträgt. Der Inhalt ist unter folgende Ueberschriften geordnet: Weihenacht- und Neujahrs-Lieder (Nr. 1–9), Danklieder nach Essens (10–14), Mancherlei Bete- und Danklieder (15–36), Die Sieben Bußpsalmen gesangweise (37–43), Die Funfzehn Psalmi Graduum, oder Lieder im höhern Chor, gesangweise (44–58), Andere Psalmen, gesangweise (59–70), Zum Beschluß (71 „Freu dich, o Friedrichroda, sehr“) und Zugabe (72: „Gott Vater in des Himmels Thron“). Von den 43 neuen Liedern haben in anderen Gesangbüchern eine Stelle gefunden: „Ach Herr, mich armen Sünder | Nicht straf in deinem Zorn“ (Psm. 6; 5 achtzeil. Str.), „Der wahre Gott und Herre | Ist mein getreuer Hirt“ (Psm. 23; 4 siebenzeil. Str.), „Herr Gott, wir sagn dir Lob und Dank | Für itzt gebrauchte Speis und Trank“ (4 vierzeil. Str.) und „Jesu wollst uns weisen, | Deine Werk zu preisen“ (3 achtzehnzeil. Str.), ein Lied, dem Joh. Lindemann die Weise eines von Giovanni Gastaldo da Caravaggio 1591 gesetzten Ballettes untergelegt hat. – Die vierte und letzte Sammlung endlich, die „Zwey vnd Zwäntzig Christliche Vierstimmige Bete vnd Trost, Gesänglein: In jetziger fehrlicher Zeit, Sonderlich wider den Erbfeindt, den Türcken, in Kirchen, Schulen vnd Heusern wol zu gebrauchen“ (Erfurt 1597; 3 Bog. 8°), mit einer Vorrede vom 1. September 1597 und den Pfarrherren M. Melchior Steinbrück in Großfahner und M. Joh. Fahner in Gierstedt zugeeignet, enthält 22 Lieder: 14 von Luther, Justus Jonas, Ludw. Helmbold und David Günther und 8 aus den früheren Sammlungen wieder abgedruckte von S.; der Tonsatz rührt von Joachim a Burgk, Adam Gumpelzhaimer, David Palladius, David Thusius, Gallus Dresler, Johannes Joseph und Orlando di Lasso her. – Außerdem gab er noch Joh. Steuerlein’s „Sieben vnd Zwentzig Newe Geistliche Gesennge“ (Erfurt 1588, qu. 4°) mit einer Vorrede und eine „Kinder Postill“ (Magdeburg 1591, 8°) heraus und gedachte auch noch „etliche Schulgesänglein und Epithalamia oder Lieder vom Ehestande“ zu veröffentlichen, eine Absicht, welche der am 23. October 1597 im 51. Lebensjahre erfolgte Tod vereitelte. In der Voraussicht eines baldigen Sterbens, welches ihm eine schwächliche Gesundheit nahelegte, hatte er sich die bezeichnende Grabschrift verfaßt:
[96] „Te didici, docui, te sum confessus, Jesu,
Donec in hoc fragili corpore vita fuit.
Nunc a corporea bene tandem mole solutus,
Te nunc in supera spiritus arce canit.“
- Wetzel, Hymnopoeogr., 3. Thl. (1724), S. 116 f. – Jöcher. – (J. G. Brückner,) Kirchen- und Schulenstaat im Herzogth. Gotha, II. Thl., 2. Stück, Gotha 1758, S. 64 f. – Des weil. M. Cyriacus Schneegaß Geistliche Lieder u. Psalmen. Neue Ausg., vorbereitet von Fürchteg. Chrn. Fulda und in Druck gegeben von dessen Söhnen. Eckartshaus bei Eckartsberga in Thüringen. 1854. Vorwort S. VII–XII. – W. Thilo, Cyriacus Schneegaß – in: Deutsche Zeitschrift f. christl. Wissenschaft u. christl. Leben. Hrsg. von Lic. K. F. Th. Schneider. 8. Jahrg. 1857. Berlin 1857. Nr. 34, S. 267 a bis 273 a und Nr. 35, S. 281 b–282 b; R. Baxmann, Nachträgliches über Cyr. Schneegaß: ebda., Nr. 44, S. 353 a–354 b. – Wackernagel, Kirchenlied, 1. Bd. (1864), S. 555 b–556 a, 586 b–587 a, 599 b–601 a; 5. Bd. (1877), S. 129–155. – E. Koch, Geschichte d. Kirchenliedes, 2. Bd. 3. Aufl. (1867), S. 252– 255. – C. Kehr, Der christl. Religions-Unterricht in der Volksschule, 2. Bd., 2. Aufl., Gotha 1870, S. 357, bezw. 358. – Herm. Mendel, Musikalisches Conversations-Lexikon, fortges. von Aug. Reißmann, 9. Bd., Berlin 1878, S. 136. – Fischer, Kirchenlieder-Lexion, 2. Hälfte (1879), S. 473 b u. unter den einzelnen Liederanfängen. – Hugo Riemann, Musik-Lexikon, Leipzig 1882, S. 819 b. – Goedeke, Grundriß, 2. Aufl., 2. Bd. (1886), S. 197.