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Artikel „Schneegans, Ludwig“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 90–92, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schneegans,_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 10:28 Uhr UTC)
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Band 32 (1891), S. 90–92 (Quelle).
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Schneegans: Ludwig S., geboren am 21. August 1812 zu Straßburg, † ebendaselbst am 1. April 1858, elsässischer Archäolog und Historiker. Er entstammte einer geachteten, aus den Rheinlanden eingewanderten Familie, sein Vater war als Gerichtsanwalt in Straßburg thätig und führte den Sohn nicht bloß in die juristische Praxis ein, er vererbte ihm auch den empfänglichen Sinn für die Schönheiten der Kunst. Nachdem S. seine erste Ausbildung auf der altberühmten Schule seiner Vaterstadt, auf dem protestantischen Gymnasium erhalten hatte, ließ er sich 1831 an der juristischen Facultät in Straßburg einschreiben, wandte sich aber neben dem Betrieb seiner Fachwissenschaft schon von Anfang an archäologischen und geschichtlichen Studien zu. Sehr bald concentrirten sich dieselben, wohl unter der Anregung von Golbery’s und Schweighäuser’s großer Arbeit über die elsässischen Alterthümer, um einen Mittelpunkt, um die Vergangenheit seines elsässischen Heimathslandes und innerhalb desselben alles überragend, um das erhabene Bauwerk seiner Vaterstadt, das Münster. Die Geschichte desselben betrachtete er als die Hauptaufgabe seines Lebens, und [91] ihr diente schon sein erster litterarischer Versuch, der 1836 in der Revue d’Alsace erschienene „Essai historique sur la cathédrale de Strasbourg“, der auch jenseit des Rheins die verdiente Beachtung fand und von Tischendorf ins Deutsche übertragen wurde. Inzwischen war S. zum Licentiaten der Rechte promovirt, hatte sich unter die Zahl der Advocaten am Straßburger Gericht aufnehmen lassen und nahezu zwei Jahre hindurch war er dann auch auf politischem Gebiete thätig, als Redacteur des Niederrheinischen Couriers, einer vielgelesenen liberalen Localzeitung. Die oppositionelle Richtung, die er hier vertrat, und die er namentlich auch gegen die dynastische Politik Louis Philipp’s zum Ausdruck brachte, führte ihn einmal, im Juni 1836, vors Schwurgericht, wo er durch seine eigene beredte Vertheidigung sich die Freisprechung erwirkte. Im August 1837 trat er von seiner journalistischen Stellung zurück, die seiner gründlichen Art zu arbeiten wenig zusagte, und warf sich mit erneutem Eifer auf juristische Studien, vorzugsweise auf Kirchengeschichte und kanonisches Recht, in der Hoffnung, den für diese letztere Disciplin von der französischen Unterrichtsverwaltung projectirten Lehrstuhl an der Straßburger protestantisch-theologischen Facultät zu erhalten. Zu diesem Zwecke veröffentlichte er 1840 seine „Vues générales sur l’enseignement du droit ecclésiastique protestant en France“ und erwarb 1841 mit seiner auf breiter historischer Basis ruhenden Dissertation „Du serment comme servant de preuve des obligations conventionelles et du paiement“ die juristische Doctorwürde. Daß seine akademische Bewerbung erfolglos blieb, war für ihn um so schmerzlicher, als er durch Ueberanstrengung bei der Arbeit – er hatte neben seinen Studien auch die Anwaltsgeschäfte seines alternden Vaters vertreten – sich den Keim eines schweren körperlichen Leidens zugezogen hatte, das ihn frühzeitig nach langen Qualen auch ins Grab führen sollte. Einen geringen Ersatz bot ihm seine Anstellung als städtischer Unterbibliothekar, der 1843 seine Ernennung zum Stadtarchivar folgte. Damit war ihm freilich ein Feld reicher, seiner Neigung zusagender wissenschaftlicher Arbeit eröffnet, allerdings aber daneben die praktische Aufgabe der Sichtung und Ordnung eines gewaltigen, seit der Revolution verwahrlosten archivalischen Materials gestellt. Wenn ihm auch die Bewältigung desselben, die zunächst jahrelange grobe Handlangerarbeit erforderte, nicht gelang, so darf doch nicht verkannt werden, daß er in den ihm anvertrauten Schätzen sich bald heimisch fühlte und sie nicht bloß für wissenschaftliche Zwecke, sondern auch für die geschäftlichen Interessen der Stadt nutzbar zu machen wußte. Die Besitztitel derselben geschichtlich zu begründen, ließ er sich mit großem Eifer und Erfolg angelegen sein und noch heute zeugen davon im Stadtarchiv zahlreiche Denkschriften von seiner Hand. Nicht weniger fruchtbar wurde seine rein wissenschaftliche Arbeit. Für die schon im Plan verfehlte Ausgabe eines Straßburger „Code historique et diplomatique“ lieferte er die noch heute werthvolle Einleitung über Leben und Schriften der beiden Straßburger Chronisten Closener und Königshofen, vor allem aber veröffentlichte er zur Geschichte des Münsters in der Revue d’Alsace und in der Stöber’schen Alsatia eine Reihe von Aufsätzen, welche eine neue Epoche in der Münsterlitteratur einleiteten. Er unternahm es zuerst, das Chaos von Fabeln, Sagen, mißverstandener und schlechtbegründeter Tradition, das sich seit dem 16. Jahrhundert, namentlich an Specklin’s Collectaneen anknüpfend, über die Baugeschichte gelagert hatte, mit kritischem Sinn und künstlerischem Verständniß zu beleuchten. Ueber die einzelnen Epochen des Münsterbaus, über die Reihe der Baumeister, die daran thätig gewesen, vor allem über Erwin und seine Familie, über den Sculpturenschmuck der Portale und die Arbeiten der Sabina sind seine Untersuchungen grundlegend geworden. Wenn die Resultate derselben auch theilweise durch die neuere Forschung überholt worden sind, so erkennt sie doch das Verdienst von [92] S. noch heute an und seine große Notizensammlung, die zu einer umfassenden Geschichte des Münsters in deutscher Sprache auszugestalten ihm nicht vergönnt war, wird noch immer benutzt. Eine besondere Freude war es für ihn, als er die lang vermißte kleine Münsterchronik wiederfand und dieselbe eine Reihe seiner Combinationen, namentlich über den Umfang der Thätigkeit des Baumeisters Hans Meiger genannt Hammer bestätigte. Daneben behandelte er kritisch die Münstersagen für Stöber’s großes elsässisches Sagenwerk, ferner verschiedene volksthümliche Gebräuche und Feste, wie z. B. das Pfingstfest und den Roraffen im Straßburger Münster, außerdem wirkte er durch seine Berichte an das Ministerium für die Erhaltung und Wiederherstellung mehrerer alter elsässischer Kirchenbauten u. A. in Andlau, Neuweiler und Niederhaslach. Mit welchem berufenen Eifer er diese großen Zeugen heimischer Geschichte und Kunst hütete, bewies noch ein Jahr vor seinem Tode seine scharfe Verwahrung gegen die Verstümmelung der Heidenmauer auf dem Odilienberg. Es war nicht bloß die Freude wissenschaftlicher Erkenntniß, die ihn antrieb, für die Vergangenheit seines Heimathlandes Partei zu ergreifen, es war lebendige innere Antheilnahme, das stolze Bewußtsein innigen unzerstörbaren Zusammenhangs mit dem echten alten elsässischen Volksthum. Mündlicher und brieflicher Verkehr mit gleichgesinnten Männern wie Sulpiz Boisserée, Böhmer, Stöber, Uhland, mußte ihm über manche peinliche Enttäuschung des Tages hinweghelfen, doch die bittern Erfahrungen, die er an seinen Stammesgenossen, besonders der jüngern Generation, machte, drückten sich ihm tief in die Seele. Er war einer der verschwindend Wenigen im Lande, die „mit schwerem Herzen all die unsäglichen Gebrechen und Nachtheile des sprachlichen Zwitterzustandes im Elsaß erkannten, die es für eine edle und ehrenvolle That hielten, dem reißenden Strome sich entgegenzustellen, der allmählich unsere ganze Vergangenheit unterwühlt und unser altes ehrwürdiges Nationalelement mit sich fortspült“. So seine eigenen Worte. „Mich wenigstens“, fährt er in einem Briefe fort, „soll die täglich wachsende Strömung dennoch nie zum Weichen bringen. Attinghausen’s Wahlspruch und Zuruf soll der meine bleiben bis zum letzten Athemzug: Ans Vaterland, ans theure, schließ dich an, das halte fest im Innern deines Herzens,“ Und in der That sank mit S. einer der letzten Bannerträger altelsässischen Geistes.

Gustav Mühl, Ludwig Schneegans, eine biographische Skizze in der Alsatia 1862–67, S. 1 ff. und 225 mit einem vollständigen Verzeichniß seiner Aufsätze und einem guten Bildniß in Stahlstich.