Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Erwin, genannt Erwin von Steinbach“ von Alfred Woltmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 332–334, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Erwin_von_Steinbach&oldid=- (Version vom 26. April 2024, 01:15 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 6 (1877), S. 332–334 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Erwin von Steinbach in der Wikipedia
Erwin von Steinbach in Wikidata
GND-Nummer 118685376
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|6|332|334|Erwin, genannt Erwin von Steinbach|Alfred Woltmann|ADB:Erwin von Steinbach}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118685376}}    

Erwin, genannt Erwin von Steinbach, Architekt, der berühmte Werkmeister des Straßburger Münsters, gestorben zu Straßburg am 17. Januar 1318. Mit dem Beinamen v. Steinbach kommt er nur ein einziges Mal vor, in der Inschrift, die bis zum vorigen Jahrhundert am Hauptportal bestanden haben soll, sonst heißt er in Urkunden und Inschriften nur Meister E. Die einzige Urkunde, in welcher E. ausdrücklich als Werkmeister erwähnt wird, von 1284, ist erst kürzlich publicirt worden, aber auch hier steht sein Name in einer Rasur. Die Portalinschrift besagte, daß im J. 1277 am 25. Mai Meister E. v. St. dies glorreiche Werk (das heißt den Façaden- und Thurmbau des Münsters) begonnen. Der Wortlaut der Inschrift gibt noch keinen Grund an ihrer Echtheit oder selbst an ihrer Gleichzeitigkeit zu zweifeln; nicht der Meister, sondern die bauende Commune würde die stolzen Worte über den Bau zu verantworten haben. Italienische Stadtgemeinden haben in Inschriften häufig ähnlich gesprochen. Der Ortsname Steinbach kommt so häufig vor, daß die Frage, aus welchem Steinbach E. stammen könne, müßig ist. Ueber Herkunft und Schule des Meisters wissen wir nichts, nur beweist der Straßburger Frontbau durch seine Formen, daß sein Urheber in französischen Bauhütten seine Schule durchgemacht. Wahrscheinlich war er schon einige Zeit vor 1277 in der Straßburger Bauhütte und vielleicht schon in leitender Stellung, als das Langhaus 1275 vollendet wurde. Mit Glück ist vermuthet worden, sein früheres Werk sei der 1274 unter dem Straßburger Bischof Konrad III. von Lichtenberg begonnene Bau der Stiftskirche zu Niederhaßlach in den Vogesen. Dann würde der edelgothische Chor, der bei einem Brande von 1287 allein übrig blieb, auf ihn zurückgehen. Bei dem Wiederaufbau nach dem Brande leitete ein Sohn Erwins das Werk. Die Straßburger Façade zeigt eine Handhabung des französischen Stils in höchster Eleganz, zugleich aber noch in voller Reinheit der Formen, [333] ferner glückliche Verhältnisse und eine merkwürdige Neuerung in dem kühnen Versuche, vor die geschlossene Front eine zweite durchbrochene zu setzen. Die plastischen Figuren und Reliefs an den drei Portalen, Arbeiten derselben Werkstatt, stehen, soweit sie erhalten sind, auf der vollen Höhe der Epoche. Im J. 1298 machte ein verheerender Brand zunächst die Herstellung des Langhauses nöthig, was das schnellere Fortschreiten des Frontbaues hemmte. Wieweit die Restauration des Langhauses zu durchgreifenden Neuerungen führte, ob der gesammte Oberbau nebst Triforien und Fenstern erst dieser Zeit zuzuschreiben, wie einige neuere Forscher meinen, ist strittig. An der Front sind die beiden unteren Stockwerke noch wesentlich von dem ersten Plane bestimmt; dann sollte die Façade über der Rose schließen und das symmetrische Thurmpaar in die Höhe steigen, dessen einst freistehende Hauptstockwerke jetzt durch einen plumpen Zwischenbau verbunden sind. Nach der Inschrift baute E. 1316 die Mariencapelle, die sich im Innern an den bereits bestehenden Lettner lehnte und mit diesem im Jahre 1682 abgebrochen wurde. Ihm oder seiner Werkstatt ist endlich das Grabmal des 1299 gestorbenen Bischofs Konrad III. zuzuschreiben (Johannescapelle des Münsters), das mit den Formen des Frontbaues übereinstimmt. Gegen Ende seines Lebens scheint E. aus der praktischen Thätigkeit geschieden zu sein und das Ehrenamt eines der vom Rathe ernannten Baupfleger, welche der Verwaltung vorstanden, übernommen zu haben, denn in seiner Grabschrift heißt er nicht Magister operis sondern Gubernator fabricae. Seine Gattin Husa starb vor ihm am 21. Juli 1316. Drei Söhne Erwins sind nachweisbar: 1) der am 18. März 1329 gestorbene Werkmeister der Kirche zu Niederhaßlach, dessen Name auf der Grabschrift nicht mehr zu erkennen ist; 2) Johannes E., wahrscheinlich identisch mit einem Sohne, der auch schlechtweg als E. vorkommt; 3) Johannes E. genannt Winlin. Zwei Söhne hatten also die gleichen Namen, der eine wurde nur durch die Koseform von seinem Bruder unterschieden. Johannes Winlin war 1342 bereits verstorben. Johannes E. war damals noch am Leben. Beide waren Werkmeister des Münsters. Ein 1339 verstorbener Magister Johannes, dessen Grabschrift auf die des berühmten E. und der Husa folgt, war, wie Schneegans wahrscheinlich gemacht hat, nicht der Sohn, sondern der Enkel desselben, der Sohn des damals noch lebenden Werkmeisters E. Vollkommen mythisch ist die sogenannte „Sabina von Steinbach“. Gab es wirklich eine Bildhauerin Savina, so hatte sie jedenfalls mit E. nichts zu thun, sondern gehörte einer weit früheren Periode an. Aber es ist noch zweifelhaft, ob die Inschrift auf dem Schriftbande eines jetzt zerstörten Apostels am Südquerhausportal des Münsters, welche diese Savina als Urheberin der Statue nannte, überhaupt echt war. Die Bildwerke dieses Bautheils gehören jedenfalls in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts.

Was wir oben über Meister E. ausgeführt, ist das, was uns nach Maßgabe des vorhandenen Materials wahrscheinlich ist, kann aber nicht als völlig gesichert gelten. Wenn, wie neuerdings geschehen ist, die Inschrift von 1277 als unecht angesehen wird, ebenso die am Lettner von 1316, wenn ferner selbst in der Urkunde von 1284 der Name nicht feststeht, so würde nicht nur die Benennung E. „von Steinbach“ zweifelhaft, sondern es wäre auch fraglich, ob E. überhaupt Werkmeister gewesen, nicht etwa bloß Pfleger des Baues, wie zur Zeit seines Todes. Daß er gelegentlich, im Wohlthäterbuche des Münsters, magister operis genannt wird, wäre kein eigentliches Hinderniß, da mitunter die Bezeichnung magister operis in der That auch für die Baupfleger gebraucht worden zu sein scheint. In diesem Falle wären erst seine Söhne für Architekten zu halten. Bis jetzt liegt kein Material vor, welches eine völlig sichere Entscheidung möglich machte. Als das Wahrscheinlichere ist freilich immer noch [334] anzusehen, daß E., den Jahrhunderte als einen der größten deutschen Baumeister feierten, wirklich ein Architekt war. Im Großen und Ganzen aber treten bei den architektonischen Schöpfungen des Mittelalters die Persönlichkeiten der Baumeister hinter das Werk selbst zurück. Die Zeit, das Volk und die Schule, nicht aber der Einzelne bestimmen den künstlerischen Charakter. In streng wissenschaftlicher Beziehung ist also die Frage ohne tiefere Bedeutung.

Woltmann, Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß, Leipzig 1876, Kap. V, VI und Nachtrag. – Derselbe, Das Wohlthäterbuch des Frauenwerkes in Straßburg, Repertorium für Kunstwissenschaft, I. (1876) Heft 3 u. 4. – F. X. Kraus, ebenda. Heft 4, Urkunden zur Baugeschichte des Straßb. Münsters. – Ders., Kunstchronik, XI. Nr. 4 (Versuch, eine abweichende Genealogie der Familie aufzustellen). Ders., „Kunst und Alterth. in E.-L.“, Straßb. 1877 (Regesten z. Geschichte des Münsters; Angabe der älteren Litteratur).