ADB:Scherffer von Scherffenstein, Wenzel

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Artikel „Scherffer von Scherffenstein, Wenzel“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 116–118, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scherffer_von_Scherffenstein,_Wenzel&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 13:33 Uhr UTC)
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Scherffer: Wenzel S. v. Scherffenstein, Dichter, aus einem 1561 geadelten Geschlecht, das schon im 16. Jahrhundert einen Poeten Martin Kinner v. Scherffenstein hervorbrachte, wurde um 1603 zu Leobschütz geboren, widmete sich der Musik, erwarb eine ausgedehnte Belesenheit, war des Lateinischen und Polnischen mächtig, ging patriotisch und voll warmer Liebe zu seiner heimathlichen Mundart auf die sprachlichen und orthographischen Bestrebungen des Palmenordens ein, dem auch er angehörte, stand in Verbindung mit Logau, Colerus, Major, Harsdörffer, Brehme, schrieb eine Genealogie der Piasten und lebte nach mancherlei unserer näheren Kenntniß entzogenen Kriegsnöthen im Schutze des letzten Piastenzweigs, etwa seit 1630, als Organist der Schloßkirche und als treu ergebener, aber nicht bedientenhafter Hofdichter zu Brieg, wo er seine Verwandte Anna Arnold heirathete, die ihm außer kurzlebigen Zwillingen mehrere zu seiner Lust aufwachsende Kinder gebar. Sein „Opitziren“ verschaffte ihm die schon lang entwerthete Dichterkrönung. Langes Siechthum bedrückte sein Alter. Er starb am 27. August 1674.

Eine große Sammlung „Geistlicher und weltlicher Gedichte eilf Bücher“ ist in Brieg 1652 erschienen. Die Vorrede entwirft in langen trefflichen Perioden ein sehr lebendiges Gemälde kriegerischer Verwüstung. Er handelt über verschiedene orthographische Fragen, z. B. die Verwendung von kk bei „härterem Ausspruch“, mit historischem Rückblicke bis in Melanchthon’s Zeit, huldigt der fruchtbringenden Gesellschaft, geht wie in seiner gesammten Poeterei als Verehrer „unserer Heroischen und in wahrheit mit der natur gleich redenden Spraache“ wacker für den Purismus und eine „Teutsche Reimkunst ohne eintzige fremde und angeflickte bunte lappen“ in’s Zeug und verherrlicht in hergebrachter Weise gegenüber dem „ungeheuren Joch der allen Pritsch-Reimen“ hier und sonst Opitz [117] als eigentlichen „urheber der Hoch-Deutschen Dichterey“: „daß keiner unsrer Spraach ist mächtiger gewesen“ als dieser neue Maro, bleibt sein Credo, das eine Anerkennung Lobwasser’s und Ernst Schwabe’s von der Heide nicht ausschließt. Sogar das Echo bemüht er einmal, nach der spielerigen Weise der Zeit: „ô Teutscher Spraachen-Mann! ô Himmelskind! ô Plitz!“ – Echo „Opitz“. Ihm hat er gewidmet: „Poetische Thränen“ Brieg 1640 4° (Kgl. Bibliothek, Berlin) und einmal nach der Ausgabe von 1629 mit treufleißigen Randnoten ein langes Hochzeitscarmen „in lauter opitianischen halben und gantzen Reimen (Cento zu Latein genannt) gesetzet“. Aber die große Masse seiner gehobenen Gelegenheitsgedichte auf Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle ist handwerksmäßig gereimt, breit, geschwätzig, wo nicht mitten in schablonenhafter Naturschilderung doch die gesunde Einfachheit des Mannes durchlugt und sein Realismus mit einer frischen Dorfscene die Bande sprengt. Er, der die deutsche Sprache nicht „unedel und tölpisch“ schelten lassen will, macht trotzdem den dichterischen Herold einer dreibeinigen Bache, eines von einem Schwein angefressenen Kindes. Er wetteifert mit den Pegnitzern in Onomatopoiien und Worthäufung; der Cantor veranstaltet ein Froschconcert und läßt die liebe Nachtigall „ihr Kybbutz, ihr darit, kitzeách, ihr zir zir, merikód“ singen. Aber aus wackerer Freude am Beruf heraus ist „der Music Lob“ gedichtet (Buch 11); S. 750 f. zeigt er auch eine genaue Kenntniß der neueren Meister. Seine Begabung liegt im Derben, heiter Realistischen. Ihm ist wohler, wenn er die antike Götterwelt, Saturns „Kindel-fraaß“ etwa, ohne steifen Pomp lachend herbeiholen und, leider nicht ohne in ermüdende Breite oder in’s Läppische zu fallen, zur Hochzeit des edlen M. Apelles von Löwenstern die Olympier halbparodistisch gratuliren lassen kann. Er weiß trotz seinen Schäfermaskeraden, wie es Bauern zu Muthe ist, und läßt sie im unverfälschten Dialekte sprechen, greift auch in die österreichische Mundart hinüber. S. 420 ff. „Martis Teutsche Ordonnantz vermischt mit gewöhnlicher Feld- oder Rotwälschen Sprache“. Er spielt auf volksthümliche Lieder an (S. 593, 607). Er setzt ein Gedicht aus lauter Sprichwörtern zusammen und bringt in seinen z. Th. dem unvermeidlichen Owen nachgeahmten Epigrammen, denen freilich der lyrische Hauch vieler Logauscher abgeht, manche schlagende Wirkung hervor. Der Dichter der Grabschriften sammelt auch seltsame Epitaphia (S. 715 f.). Er schätzt Reineke Fuchs und Froschmäuseler, rühmt Philander’s Gesichte, kennt B. Waldis’ Bearbeitung des Theuerdank und weiß ihr sprachliches Verdienst Pfinzing gegenüber zu würdigen. Wie der einsame ältere Lyriker Th. Höck liefert er deutschthümelnd, auf Grund des Tacitus u. a., zu Ehren einstiger Sittenreinheit und Schlichtheit, die sich mit Holzäpfeln und Schlickermilch begnügte, „Ein Gedichte von der Alten Teutschen Ankunft, Leben, Stärke, Sitten und Gottesdienst“ (Buch 5), voll etymologischer und genealogischer Schrullen, doch aus ehrenfester Begeisterung. Von dem Schwall öder Nachdichtungen in jenem alexandrinischen Zeitalter heben sich seine Uebertragungen munterer Scherzreime des Polen Jan Kochanowsky erfreulich ab. Der Feind des verkünstelten undeutschen Mummenschanzes der Mode holt ein Hauptwerk des 16. Jahrhunderts, „des Dedekindi altes Sittenbuch Grobianus genannt“, hervor, das ihm doch noch besser lag als die berühmten und so einflußreichen Pia desideria des holländischen Jesuiten Hugo (Buch 4, Vorw. S. 172 ff.). „Der Grobianer und die Grobianin Das ist Drey Bücher Von Einfalt der Sitten: zu gefallen Allen denen die grobheit lieb haben, vor vielen Jahren in Lateinischen Versen beschrieben Durch Fridericum Dedekindum. An jetzo aber der Teutschen Poeterey vernünfftigen Liebhabern in Alexandrinische Reime nach anweisung H. Opitij gegebenen reguln genaw vnd vleissig gebracht, an vielen orten vermehret, vnd mit einem zu ende beygefügten auszführlichen Register heraus gegeben“ [118] Brieg 1640 (Titelauflage 1654, neugedruckt 1708 als „Der unhöffliche Mrs. Klotz“, s. o. Scherer’s Artikel „Dedekind“ V 14, Milchsack’s Hallenser Neudruck des Scheidt S. XXX f., Drechsler S. 36 ff., besonders Hauffen, C. Scheidt, Quellen und Forschungen LXVI, 1889, S. 83 ff.). S. verdeutscht im neuen streng gebildeten Versmaß den erweiterten Dedekind (von 1552), ohne eine Berührung mit Scheidt oder Hellbach, mit eigenen und entlehnten Einschüben, zeitgemäßen Ausfällen gegen Mode, Sprachverderber, Tabacktrinker, sittengeschichtlich lehrreich, das Original oft mildernd, aber wiederum das Grobianische im Alexandriner stillos aufnehmend, durchweg verbreiternd, so daß der „Teutschen Muttersprache Weitschweiffung“ die 4600 Hexameter der Vorlage auf 8400 Alexandriner gebracht hat. – S. ist da genießbar und erfreulich, wo er nicht „opitziret“, sondern sein eigen Gesicht, die frischen Züge eines populären Schlesiers zeigt. Er hat Individualität, was wenigen seiner reimenden Zeitgenossen nachgesagt werden kann.

Eine Breslauer Dissertation von Paul Drechsler, 1886, ist besonders genealogisch und bibliographisch werthvoll.