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Artikel „Pfintzing, Melchior“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 664–666, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pfinzing,_Melchior&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 20:34 Uhr UTC)
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Pfinzing: Melchior P. wurde am 25. November 1481 (schwerlich 1488, wie eine Medaille angiebt) zu Nürnberg geboren, wo sein Vater Senator und Baumeister war. Seine Familie gehörte zu den ältesten und vornehmsten Patriciergeschlechtern der Stadt. In Wien fand er an dem tirolischen Hofkanzler Cyprian von Northeim genannt Serntein einen Gönner, auf dessen Empfehlung er in die Zahl der unmittelbaren Secretäre Kaiser Maximilians aufgenommen wurde. Schnell und dauernd erwarb er sich das volle Vertrauen seines Herrn, wie das noch Karl V. lange nach Pfintzing’s Tode rückhaltlos anerkannt hat: diesem Vertrauen dankte er Lebensstellung und litterarischen Ruhm. Auf Maximilians Wunsch setzte der Nürnberger Senat ihn um so lieber 1512 in die erledigte Propstei von St. Sebald ein, als dadurch Vorschläge des Bischofs von Bamberg, der ein Besetzungsrecht für die Stelle beanspruchte, am leichtesten zu beseitigen waren. Doch machte ihn das neue Amt, das ihm Nürnberg zum regelmäßigen Wohnsitz anwies, dem Dienste des Kaisers nicht untreu. Er begleitet ihn 1512 auf den Reichstag zu Köln und wird 1513 von ihm zur Wahlbestätigung des Bischofs von Speier, Philipp I. von Rosenberg, entsendet. Der Titel eines kaiserlichen Raths lohnt ihm im selben Jahre die neuen Dienste: ferner wird er 1517 Propst des Ritterstiftes St. Alban zu Mainz; auch mit Canonicaten zu Trient, zu St. Stephan in Bamberg und zu U. L. F. ad Gradus in Mainz, sowie mit dem Decanat zu St. Victor ebendort begabte ihn das Wohlwollen des Kaisers. Erst seit dem Tode Maximilians scheint P. den Hofdienst aufgegeben und nur noch seinen geistlichen Aemtern gelebt zu haben; daß er jemals Hofcaplan Karls V. war, wie man aus der Widmung des Theuerdank erschloß, ist ganz unwahrscheinlich. Der Sieg der Reformation in Nürnberg veranlaßte ihn 1521, seine dortige Stellung gegen eine geringe Pension zu quittiren und nach Mainz zu ziehen, wo er am 24. November 1535 gestorben ist. – Vom 1. März 1517 und aus Nürnberg datirte P. die Widmung des vielbewunderten epischen Gedichtes „Die geuerlicheiten vnd eines tails der geschichten des loblichen streitbaren vnd hochberümbten Helds vnd Ritters Tewrdannckhs.“ Das Werk schildert eine große Zahl von Abenteuern und Gefahren, die Kaiser Maximilian auf Jagden, bei Kämpfen und sonst durchgemacht hatte: in steifer und ungeschickter Allegorie werden sie dargestellt als entsprungen der Bosheit dreier Hauptleute, Fürwittig (jugendlicher Vorwitz), Unfalo (Unfälle) und Neidelhart (Nachstellungen der Neider und Feinde), die den edlen Ritter Teuerdank vergeblich hindern wollen, zur Königin Ehrenreich, seiner bestimmten Braut, zu gelangen. Daß P. mit Wissen und Willen des Kaisers sich die Autorschaft des Gedichtes beilegte, ist außer Zweifel. Aber schon ein wohlunterrichteter Zeitgenosse, Cuspinian, nennt den Kaiser selbst als Verfasser, und seitdem ist es lange Zeit eine vielerwogene Streitfrage gewesen, ob P. von Maximilian nur vorgeschoben wurde, um ein dem eignen Ruhme gewidmetes Werk nicht mit eignem Namen decken zu müssen, oder ob jener wirklich Autor war. Die Frage wird entschieden durch drei Handschriften der Wiener Hofbibliothek, die das Gedicht in einer von der gedruckten Gestalt wesentlich abweichenden Form enthalten, theils von der Hand und mit dem Namen des kaiserlichen Secretärs Marx Treitzsaurwein, theils, wie es [665] scheint, vom Kaiser selbst geschrieben. Dem Kaiser also und jenem andern Helfer dankt das Gedicht Idee, Anlage und erste Rohausführung. Was P. daran gethan hat, lehrt die Vergleichung jenes handschriftlichen Textes mit der definitiven Gestalt. Leider waren mir die Handschriften nicht zugänglich, und ich muß Pfintzing’s Thätigkeit nach wenigen Proben beurtheilen, die Haltaus in seiner Ausgabe des Teuerdank mittheilt. P. legt den Hauptwerth auf die didaktische und religiöse Seite der Dichtung. Hatte schon Maximilian in dem Streben, seine Darstellung nach dem Muster mittelalterlicher Rittersagen zu modeln, die Erzählung der einzelnen Abenteuer so farblos und allgemein gehalten, wie möglich, so erhöht P. diesen unerfreulichen Eindruck dadurch, daß er am Anfang und Schluß der Capitel breiter moralisirt, daß er dort die Gedanken und Reden der Handelnden umständlicher und dabei in ermüdender, stets sich wiederholender Einförmigkeit ausführt. Die ans Alberne streifende Arglosigkeit, mit der der Held immer wieder auf die plumpen Anschläge seiner Gegner hereinfällt, wird durch die beflissenere Motivirung doppelt fühlbar. Der böse Geist, der unter der Maske eines theologischen Doctors den Teuerdank in eine so überaus durchsichtige Versuchung führt, daß selbst dieser sie durchschaut, ist Pfintzing’s Erfindung: er hat den englischen Geist eingeführt, der den Helden zu einem Zuge gegen die Ungläubigen mahnt, er hat die Rolle des Ehrenholds, des treuen Begleiters, reicher gemacht; den drei zum Tode verurtheilten Hauptleuten legt er lange reuevolle, moralische Reden in den Mund, die den verhärteten Bösewichtern übel genug anstehen. Aus eigner Kenntniß der Erlebnisse Maximilians hat er manches, namentlich Gemsenjagden, hinzugefügt, fast durchweg geringe und uninteressante Variationen von bereits erzählten Abenteuern. Dabei wird so manches gedankenlos dem Unfalo zugewiesen, das dem Wesen der Allegorie nach an den Paß des Fürwittig gehört: doch hatte in dieser Beziehung schon Maximilian sich vieles zu Schulden kommen lassen. So erzählt P. das Abenteuer auf der Martinswand im 20. Cap. als Werk des Fürwittig, im 62. ganz ähnlich als Anschlag des Unfalo. Die Gefahren, in die ungeschickte Aerzte den Kaiser bringen, hat erst P., wie es scheint, eingefügt. Die böse Wasserfahrt, die P. Cap. 72 berichtet, ist den andern (32, 43, 64) so ähnlich, daß selbst die Weigerung der Schiffleute, bei dem voraussichtlich schlimmen Wetter zu fahren, nicht fehlt. Gelang es schon Maximilian nicht immer, wirkliche Unfälle so darzustellen, als wären sie das Werk der bösen Hauptleute, so stellt P. an den Hörer Cap. 52 eine besonders starke Zumuthung: dort schickt Unfalo den Helden auf ein freies Feld in der Voraussicht, daß ein Unwetter losbrechen und ebenda der Blitz einschlagen werde. Auch der Kaiser hatte, wieder durch das Vorbild der mhd. Romane verführt, dialektische und volksthümliche Wendungen möglichst fern gehalten: P. schreitet auf der abschüssigen Bahn dieser steifen Langeweile, die er wol für vornehm hielt, munter fort. Besonders aber nahm er sich der metrischen Form des Gedichts an. Die Wiener Handschriften weisen gut lesbare vierhebige Verse auf, die unbedenklich mehrsilbige Senkungen zulassen. Mit pedantischer Gewissenhaftigkeit regelt P. die Silbenzahl: in der großen Mehrzahl der Capitel haben die Verse je 8 Silben erhalten: nur in den vorderen Partien des Gedichts hat er zuweilen 6- oder 7silbige Verse in größeren Gruppen angewandt. Nach dem Princip der Silbenzählung beurtheilt sind Pfintzing’s Verse wol ausnahmslos correct, nur daß nicht jede Synkope und Verschleifung in der Schrift ausgedrückt ist. Lesbarer aber sind Maximilians Verse bei weitem. P. zählt die Silben ab ohne jede Rücksicht auf die Wort- und Satzbetonung: Reime wie Herr: leider, Klaftér: mer, Wasser: Heer sind in seinen Augen durchaus unanstößig: so mechanisch und stubenmäßig, so ohne jeden Sinn für Klang und Rhythmus haben wenige deutsche Dichter [666] ihre Verse gebaut: aber der neunjährige Hoffmannswaldau konnte wohl im Teuerdank lernen, Silben zu zählen. Wäre es nicht ein offenes Geheimniß gewesen, daß der Kaiser selbst Verfasser und Held des Teuerdank sei, wäre nicht die prachtvolle, auch künstlerisch nicht werthlose Ausstattung des Werkes hinzugekommen, – Pfintzing’s Verdienst ist es gewiß nicht, daß das langweilige und steifleinene Machwerk seiner Zeit so unbegreiflichen Beifall gefunden hat. – Schon der ersten Ausgabe, aber nicht allen Exemplaren, hat P. einen dürftigen Schlüssel beigegeben, der die Allegorie erklärt und ganz kurz mittheilt, wo sich die einzelnen Begebenheiten zugetragen haben.

Titz, Disquisitio de inclyto libro poetico Theuerdanck, Altdorf 1737. – v. Khautz, Versuch einer Geschichte der österreichischen Gelehrten, Frankfurt 1755, S. 90 fg. – Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexikon III, 152. – Mit ausführlicher und gelehrter Einleitung ist der Theuerdank herausgegeben von Karl Haltaus, Quedlinburg 1836; Karl Goedeke hat ihn in den 10. Bd. seiner deutschen Dichter des sechzehnten Jahrhunderts aufgenommen; vgl. auch Uhlands Schriften II, 255 fg. Die oben mehrfach citirten Handschriften der Wiener Hofbibliothek sind die Codd. hist. prof. 148 (jetzt 2806), 149 (jetzt 2867), 488 (jetzt 2889).