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Artikel „Scharfenberg, von“ von Konrad Burdach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 774–777, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scharfenberg,_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:44 Uhr UTC)
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Scharfenberg *): von S., Minnesänger. Die landschaftlich ordnende große Heidelberger (früher Pariser) Liederhandschrift, welche allein seine Gedichte überliefert, ertheilt ihm hinter zwei steirischen Minnesängern das Wort und seine Lieder erscheinen als Früchte der im Südosten blühenden höfischen Dorfpoesie: man hat daher ein Recht, unter den verschiedenen nachweisbaren Burgen und Familien gleichen Namens das begüterte und mächtige Geschlecht der freien Herren von Scharfenberg mit ihm in Verbindung zu bringen, dessen Stammburg in Unterkrain bei Ratschach lag, welches aber verflochten ist mit der Geschichte Steiermarks und Kärntens wie mit deren ersten Familien. Damit bleibt freilich für Datierung und nähere Bestimmung seiner Person noch ein weiter Spielraum: von Neidhart’s Auftreten in Oesterreich bis zur Vollendung der Handschrift, d. h. von 1231/32 bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts. Kummer entscheidet sich für die seit 1250 (vielleicht schon seit 1244) auftretende Generation der Scharfenberger, wobei man die Wahl hat zwischen vier Brüdern: Heinrich (bis 1276), Leopold (bis 1279), Wilhelm (bis 1292), Ulrich (bis 1279); Grimme (Germania 32, 422) zweifelnd für den Vater derselben, Heinrich [775] v. S., den er in einer Grazer Urkunde Herzog Leopold’s VI. von Oesterreich vom 17. November 1227 zusammen mit Ulrich v. Liechtenstein (s. A. D. B. XVIII, 620) nachweist, den ich aber schon am 31. März 1208 als Zeuge einer Urkunde des Erzbischofs Eberhard II. von Salzburg finde; Weinhold (Steiermarks Antheil an der deutschen Dichtkunst des 13. Jahrhunderts, Wien 1860, S. 223) für Leopold v. S., der nach Otacker’s Reimchronik (Cap. 52, Pez, Scriptores rerum Austriacarum. Ratisb. 1745, III, 65 ff.) in der Fehde um das Erzstift Salzburg die Kärntner gegen die Steirer unter Ulrich v. Liechtenstein befehligt und zum Siege führt und von dem Berichterstatter das Zeugniß erhält: der an worten und an werch witze het. Die letzte ansprechende Beziehung wird wieder unsicher, wenn man sieht, wie Otacker später auch einen Rudolf v. S. genau mit derselben, dem Reim zu lieb gewählten Formel einführt (Cap. 813, S. 822). Nur litterarhistorische Erwägungen können, wie so oft in ähnlichen Fällen, weiter helfen. Und auch sie führen hier leider nicht zu völliger Gewißheit. – Das erste der Gedichte Scharfenberg’s, ein Frühlingslied, ist ganz und gar aus der Schule Neidhart’s entsprungen. Natureingang in der gewöhnlichen Dreigliederung (Gruß an den Mai; das Winterleid zu Ende; im Walde singen die Vögel), Dialog zwischen der verliebten tanzlustigen Tochter und der Mutter: diese sucht vergeblich zurückzuhalten, warnt vor den Lügen der Männer und vor der Wiege; jene kann nicht rasch genug für den Reigen einen Blumenkranz gewinnen und gibt dafür gern das eigene Kränzlein preis; kurzer epischer Schluß: hin spranc diu junge drâte. Alles völlig wie bei Neidhart, und wie bei Neidhart auch sowol die volksthümliche Reienform, d. h. Zweitheiligkeit der Strophe bei Ungleichheit der Theile, als die einzelnen lyrischen Epitheta und Formeln. Das zweite Gedicht ist eine volksthümliche Ballade, eines der verbreiteten ‚Lieder von zwei Gespielen‘ (Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage 3, 405 ff.). Auch hier liegt ein Reie Neidhart’s zu Grunde, und zwar ein offenbar sehr beliebter, der umgearbeitet, am Anfang und Ende verkürzt, in der Form der Nibelungenstrophe mehr genähert, von den beiden Heidelberger Liederhandschriften unter dem Spielmannsnamen Waltram von Gresten und ‚der junge Spervogel‘ überliefert ist. Auf diese aus dem Kreise der Fahrenden stammende Umgestaltung seines Musters weist die Anfangsstrophe von Scharfenberg’s Lied, eine Art wörtliches Citat der dritten Strophe des Vorbildes. Das Motiv des Originals wird dann aber umgebildet, indem zwei unglücklich liebende Mädchen, die sich in Klagen ergehen, contrastirt werden mit einer dritten, die jene, weil sie glücklicher ist, fortweisen. – Der Minnesang in Steiermark und Kärnten läßt sich, den politischen Verhältnissen gemäß, von dem reicheren Oesterreichs, den er wie ein Spiegel zurück strahlt, nicht trennen. Wie weit er etwa auch von Einflüssen des angrenzenden Italien, mit dem in jenen Ländern wie in Tirol ein lebhafter Verkehr herrschte, und der dort blühenden provencalischen Poesie betroffen ist, worauf Uhland (Schriften 5, 242) hinwies, müßte erst genauer untersucht werden. Genug, hier wie in Oesterreich sind zwei Strömungen der Lyrik zu sondern: die höfische und die parodistisch-volksthümliche. Für jene sind Reinmar, Walther, Wolfram, von denen jeder wieder seine besonders nahen Schüler hat, für diese Neidhart Führer. Der Freundeskreis Ulrich’s v. Liechtenstein, der Hof Friedrich’s des Streitbaren sind die tonangebenden Mittelpunkte, woneben die Höfe der Erzbischöfe von Salzburg, des Grafen Meinhard v. Görz, des Patriarchen von Aquileja, des Herzogs von Kärnten zurückstehen.– Ulrich v. Liechtenstein, der selbst völlig der höfischen Schule folgt und zwischen Reinmar und Walther hin und her schwankt, sind durch persönliche Beziehungen und zum Theil durch Abhängigkeit ihrer Poesie verbunden: Herrand v. Wildonie [776] (s. unten), Rudolf von Stadeck (s. unten), Konrad von Suneck (s. unten). Sie repräsentiren den rein höfischen Minnesang der Steiermark: die beiden Ersten mit einer erfreulichen Beimischung realistischer, volksthümlicher Züge, die am stärksten und liebenswürdigsten, fast im Tone des Volkslieds, bei Wildonie hetvortreten und ein Erbtheil Walther’s sind. Als ein Schüler Wolfram’s und Ulrich’s v. Liechtenstein muß der Burggraf Heinrich v. Lienz (s. A. D. B. XIX, 617), der Ministeriale des Grafen Meinhard v. Görz bezeichnet werden: gleich Liechtenstein lebt er in der Welt der Artusromane; er nimmt im Mai 1224 Theil an dem von ihm zu Friesach abgehaltenen Turnier; er begleitet ihn 1227 auf seiner Fahrt als Frau Venus; er gehört bei dessen Umzug als König Artus 1240 zu der phantastischen Tafelrunde und nennt sich da Parzival. Und sein erstes Tagelied, das neben dem Wächter wie Liechtenstein die Zofe der Frau einführt, strebt ganz den Bahnen Wolfram’s nach: auch die originelle allegorische Deutung auf den eigenen Abschied von den Freunden bei der Kreuzfahrt (unsicher, bei welcher) faßt man am besten, wenn man sich einerseits Wolfram’s allegorische Verabschiedung des Wächters in seinem letzten Tageliede (Lachmann 5, 34) wie überhaupt seine Neigung zum Symbolischen und anderseits Lichtensteins rationalistisch motivirende Behandlung dieser poetischen Gattung vergegenwärtigt. Auch der 1282 bezeugte (Karajan zu Liechtenstein’s Frauendienst 458, 28) Heinrich von der Mauer aus dem Mürzthal, mit dessen Geschlechtsgenossen Dietmar Liechtenstein 1240 turnirt, wandelt auf den Pfaden der guten österreichischen Hofpoesie, wenn er auch später seinem Uebertritt ins Kloster einen wortspielend manierirten Spruch widmet. Ihnen allen gegenüber steht Scharfenberg. Er scheint als Einziger zu lehren, daß auch in Steiermark ‚der Gegensang‘, die natürliche Reaction gegen die Verstiegenheiten der höfischen Modedichtung seine Vertreter fand. Aber man muß ihm zur Seite stellen Zachäus von Himelberg, den Liechtenstein (Frauendienst 199, 9 ff.) als berühmten Dichter anführt. Wenn dieser nämlich den guten Ulrich auf seinem Maskenzug als Frau Venus in Mönchsverkleidung zur Tjost herausfordert, parodirt er im Grunde nur die höfisch-minnigliche Lebensanschauung, die höfischen Ideale: Frau Minne soll durch den Mönch verjagt werden. Aber es liegt in diesem Mummenschanz zugleich ein frivoler Spott auch gegen die Waffen der Religion, und wir werden nicht fehlen, wenn wir für die verlorenen Gedichte des Himelbergers den travestirenden, leichtfertigen Ton Tannhäuser’s (s. daselbst) voraussetzen. Dem durch von der Hagen (Minnesinger IV, 342 Anm. 6; 343, Anm. 2) bekannten urkundlichen Nachweis von 1239 (jetzt: Urkundenbuch der Steiermark II, Nr. 377, S. 490) kann ich einen interessanteren gesellen: Zachäus v. Himelberg bezeugt am 10. Januar 1256 zu St. Paul eine Urkunde des Herzogs Ulrich v. Kärnten. Dieser, der Bruder des erwählten Salzburger Erzbischofs Philipp, des früheren päpstlichen Bevollmächtigten und Gegners des kaiserlichen Landesverwesers Grafen Meinhard v. Görz, war es, der 1258 zusammen mit Leopold v. Scharfenberg der steirischen Partei, d. h. den Anhängern des vom Domcapitel und den bajuvarischen Bischöfen aufgestellten Gegenbischofs Ulrich’s v. Seckau, dem steirischen Adel unter Ulrich v. Liechtenstein, der für die Autonomie des Landes und die eigene stritt, und den verbündeten Ungarn, die erwähnte Niederlage beibrachte. Wir dürfen, diesen Zusammenhang betrachtend, wol wagen, in Leopold v. S. den Minnesänger zu erkennen: gleich Zachäus v. Himelberg gehört er zu den persönlichen Feinden Liechtenstein’s und zu den Antipoden von dessen Dichtung. Charakteristisch, daß der Scharfenberger wie der Himelberger dem weltlich gesinnten kampflustigen Philipp v. Salzburg nahe stehen, der sich weigerte, die höheren Weihen zu empfangen, gegen das Capitel allerlei Eigenmächtigkeiten und Unredlichkeiten [777] beging, herzogliche Neigungen an den Tag legte und, wie man sagte, sich um Ritter und Pferde mehr als um Kirche und Predigt kümmerte, auch durch seinen Lebenswandel Anstoß erregte: ihm mochte am wenigsten der Hyperidealismus der Poesie Liechtenstein’s behagen, wenn dieser auch eine Zeit lang sein Anhänger gewesen war. Philipp war eine Friedrich dem Streitbaren verwandte Natur: auch dieser scheint von Liechtenstein’s Kunstrichtung nicht gerade erbaut gewesen zu sein: darauf deutet die grobe Art, wie er 1240 der Maskenfahrt des Königs Artus und dessen Turnieren ein jähes Ende bereitete (Frauendienst 500, 9 ff.; 503, 13 ff.). Es gab offenbar im Adel Oesterreichs und der Steiermark eine nicht kleine Partei, die nicht bloß die Auswüchse der höfischen Cultur, jene Ueberzierlichkeit und Sentimentalität, jene spielende Nachäffung der Romanhelden, jenes ganze phantastische Brimborium, sondern höfische Bildung und Sitte überhaupt, auch in ihrem edlen Kern, verachtete: Herr Ebran (Frauend. 472, 14), ein Ministeriale Friedrich’s des Streitbaren, der österreichische dichtende Raubritter Rapot v. Falkenberg (Frauend. 474, 25 ff., 498, 9 f., Helbling XIII, 42 ff.), der von Liechtenstein von Sahsen mîn her Leidegast Genannte (Frauend. 473, 19 ff.), die durch ungeschlachtes Wesen dem Dichter des Frauendienstes hellen Zorn erwecken, sind dafür typische Beispiele. Im Kreise dieser Leute mag allein die Poesie Gnade gefunden haben, welche Walther v. der Vogelweide unmuthig von den Bauern herleitete und zu den Bauern wünschte: die Poesie der Neidhartischen Schule, der Tannhäuser. Nach Steiermark war die litterarische Strömung erst spät gekommen. Als Neidhart in seinen letzten Lebensjahren, gegen Ablauf des vierten Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts, mit dem Erzbischof Eberhard II. von Salzburg (1200–1246) in Steiermark weilte, fühlte er sich wie seine Genossen dort als ‚Fläming‘, als ein Mann der Mode, sehr unbehaglich und vermißte die tiutschiu büechel seiner bairischen Heimath (Haupt 102, 32 ff.) Dem oben genannten Heinrich v. Scharfenberg könnte in der Umgebung des Salzburger Erzbischofs, eines geborenen Schwaben, die höfische Bildung und Litteratur, vielleicht auch Neidhart’s Poesie bekannt geworden sein: sein Sohn Leopold v. Scharfenberg wird dann Neidhart’s Nachahmer, und er wie der Himelberger stehn wieder dem Salzburger Hochstift nahe. – Verschieden von dem Minnesänger v. S. ist jedesfalls der Albrecht v. S., den frühere Forscher fälschlich für den Dichter des jüngeren Titurel gehalten haben und der ein Epos Merlin nach dem französischen Prosaromane sowie einen wie es scheint unter Anlehnung an Gedichte der deutschen Heldensage frei erfundenen Abenteuerroman Seifried de Ardemont verfaßte, die dann beide im 15. Jahrhundert von dem Baiern Ulrich Füetrer bearbeitet wurden (Spiller, Zeitschrift für deutsches Alterthum 27, 158 ff.).

v. d. Hagen, Minnesinger I, 349 f.; III, 644a; IV, 302 ff. – Bartsch, Liederdichter Nr. 54. – Kummer, Herrand v. Wildonie. Wien 1880, S. 76 ff., 86, 95, 112 ff., 123, 125 f., 181 ff. – Die bekannten urkundlichen Belege lassen sich vermehren aus dem Urkunden- und Regestenbuch des Herzogthums Krain. Herausgegeben von F. Schumi. II. Laibach 1884. 1887 (s. Register s. v. Scharfenberg). Darauf fußen auch meine obigen Angaben und ebendaher stammt der neue Nachweis des Zachäus v. Himelberg. – Für den Streit um das Erzstift Salzburg vgl. O. Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. u. 14. Jahrhundert I, 175 ff. und Huber, Geschichte Oesterreichs. Gotha 1885, I, 534 ff.

[774] *) Zu S. 583.