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Artikel „Spervogel“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 139–144, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spervogel&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 17:16 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 139–144 (Quelle).
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Spervogel: S., unter diesem Namen vereinigen die Heidelberger Liederhandschriften A und C Strophen von zwei oder mehr mhd. Spruchdichtern, die nach Zeit, poetischem Charakter und Technik scharf gesondert zu haben Scherer’s unbestreitbares Verdienst ist. Nicht nur ein sinnloser Zufall der Ueberlieferung hat die Sprüche der verschiedenen Sänger hier zusammen und durcheinander gebracht, sondern es spiegelt sich in der handschriftlichen Verwirrung zugleich die starke Verwandtschaft der Dichter, die neben ebenso starken Unterschieden einher geht. Die Sprüche der Spervogelgruppe sind zumal in ihren ältesten Bestandtheilen für uns unschätzbare Documente der reinen volksthümlich-spielmännischen Spruchdichtung, wie sie war, ehe höfische Einflüsse sie zu der Spruchpoesie Walther’s umformten, ehe gelehrte Kunst sie auf den abschüssigen Weg zum Meistergesang brachte. Als Zeugen einer unlitterarischen gesungenen Volksdidaktik haben sie für uns einen historischen Werth, der außer Verhältniß zu ihrem rein poetischen Gehalt steht.

Das gilt vornehmlich von den Dichtungen des ältesten Sängers der Sippe, für den der Name S. in keiner Weise feststeht und der daher kurzweg als der [140] Anonymus S. bezeichnet zu werden pflegt; die Vermuthung, er habe Heriger geheißen, beruht auf einer sehr zweifelhaften Interpretation. Seine Sprache erweist ihn mit Sicherheit als Oberdeutschen; die sprachlichen Kriterien dagegen, durch die man ihn genauer entweder in Baiern oder auf schwäbischem Boden zu fixiren suchte, halten nicht Stich. Seine poetische Art deutet entschieden auf Baiern hin, nicht auf das modern höfischen Einflüssen früher und stärker ausgesetzte alemannische Gebiet. Bei der Berechnung seiner Zeit pflegt man auszugehn von den Anhaltspunkten, die eine Todtenklage auf verstorbene adliche Gönner darbietet; daraus scheint sich zu ergeben, daß der Anonymus nach 1173 dichtete: andre wollen, gewiß mit Unrecht, sogar über 1185 hinausgehn; leider sind jene chronologischen Anhaltspunkte theils zweideutig, theils reichen unsre Kenntnisse von der damaligen Geschichte des niedern Adels nicht aus, um sie auszunützen; so bleibt auch jenes Datum „nach 1173“ immerhin anfechtbar, und die archaische Verstechnik des Dichters weist mit ihren unreinen Reimen, ihrer gleichmäßigen Verwendung stumpfer und klingender Ausgänge, ihren fehlenden Senkungen jedesfalls ebenso in eine erheblich frühere Zeit hin, wie der von den modernen Strömungen des Jahrhunderts unberührte Gedankenkreis. Der Anonymus wird eben, 1173 ein betagter Mann, wie in seinen geistigen Interessen so auch in seiner formalen Schulung wesentlich dem Standpunkte seiner Jugend treu geblieben sein, wie er denn alle seine Sprüche in ein und dieselbe einfache und kurze Strophenform kleidete: drei Reimpaare, in deren letztem die Schlußzeile sowohl durch eine vorgeschobene Waise wie durch sonstige Verlängerung angeschwellt wird.

Die Sprüche des Anonymus zeigen ein so stark persönliches Element, wie es bei mhd. Spruchdichtern nicht wieder begegnet. So erfahren wir manches über sein Leben. Bäurischen Standes, hat er doch als junger Bursche den Pflug verschmäht und den Reizen des aufregenden Spielmannstreibens nicht widerstanden; er hat zumal am Mittelrhein, aber bis nach Niederdeutschland (Giebichenstein) und wohl auch in Baiern vagirt und Gönner gefunden, unter denen ihm Wernhart v. Steinsberg (bei Hilsbach) überschwengliches Lob entlockt. Er hats soweit gebracht, daß er von Schusters Rappen zum eignen Pferde avancirt ist. Aber Schätze hat er nicht gesammelt, auch eine bleibende Stätte der Ruhe, eine „gewisse Herberge“ hat er nicht gefunden, und als das Alter naht, die frühern Gönner geschieden, seine Sprüche und Lieder, in denen die Heldensage eine Rolle gespielt haben wird, außer Mode gekommen sind, da empfindet er schmerzlich gleich Walther den Gegensatz von Gast und Wirth, da bekümmerts ihn, den Söhnen nichts hinterlassen zu können, und dem Genossen Kerling räth er, anknüpfend an die Fabel vom Igel und der Füchsin: „zimber ein hûs, Kerlinc! darinne schaffe dîniu dinc!“[WS 1] Auch andre Spielmannsfiguren tauchen in des Anonymus Versen auf. In Kerling und seinem Freunde Gebhard, die ein heftiger aber nicht unsühnbarer Streit scheidet, nicht wirkliche lebendige Gestalten, sondern nur Typen des Spielmanns und des „gebenden“ Gönners zu sehn, liegt nicht ein Schatten von Grund vor, ja, es widerspricht das der stilistischen Art des Anonymus ganz entschieden, wenn man auch zweifeln mag, ob jener Gebhard mit einem in Regensburger Urkunden der achtziger Jahre erwiesenen histrio oder cytarista dieses Namens identisch ist.

Die Leiden des unheimischen Spielmannslebens, wie der Dichter sie am eignen Leibe erfährt und an Andern erschaut, bilden den Hauptstoff seiner Strophen. Er jammert nicht und schimpft nicht, wie so viele seiner Collegen; er besitzt Würde und Fassung; er trägt seine Erfahrungen resignirt und ruhig, in einer der kurzen Strophe angemessenen Knappheit vor, entweder sie zur Lehre verdichtend oder in ein Bild sie hüllend. Diese seine Bilder weisen noch deutlich auf die bäurische Sphäre hin. Vergebliche Bemühungen um Lohn vergleicht er [141] den tantalischen Qualen, die er hungernd in einem Obstgarten erlitt; der Spielmann, dessen Lobe der Lohn versagt wird, ist ihm ein Bauer, der künftig den unergiebigen Acker brach liegen lassen wird; die grollenden Feinde ziehen einen Zaun zwischen ihren Höfen, lassen aber doch noch eine Lücke zum Uebersteigen; daß von concurrirenden Spielleuten stets der unverträgliche und vordringliche den Lohn erringe, erläutert eine Anspielung auf die Fabel von zwei Hunden. Aehnlich veranschaulicht er Lehren aus andern Gebieten: daß böse Gesellschaft die Guten verdirbt, beweist der Obstbaum mit unreifen und überreifen Früchten; der ehebrecherische Mann ist ein Schwein, das den trüben Pfuhl dem lautern Quell vorzieht. Daß der Wolf nicht von seiner Art läßt, lehren 3 kurze Fabelstrophen. Es handelt sich hier nirgend um originelle Gleichnisse; im Gegentheil, das kurz Andeutende der Behandlung erklärt sich eben daher, daß sie als bekannt vorausgesetzt werden, und es ist recht lehrreich zu vergleichen, wie die Fabel vom schachspielenden Wolf, die in den Kreis der Moroltgeschichten hinweist, und die von den beiden Hunden späterhin in Reimpaaren von Benutzern des Anonymus breitest aufgeschwellt werden, wie der Guter die Parabel von den zwei Obstarten mit umständlicher Lehrhaftigkeit auseinanderwickelt. Zu ähnlichen Vergleichen laden auch die religiösen Strophen des Anonymus ein: auch hier kein lyrisches Ausströmen, keine redselige Didaktik; auch hier wies die kurze Strophenform den Dichter darauf hin, jedesmal nur einen Gedanken, eine Anschauung, ein Bild reinlich und scharf, aber in sehr karger Ausführung hinzustellen. Daran wird nichts durch die Thatsache geändert, daß manche seiner Strophen als eine Art Lied zusammengefaßt werden können und daß gewisse Wortanklänge dazu sogar auffordern; alle Strophen des Anonymus waren doch zunächst ausnahmslos so angelegt, daß eine jede für sich vorgetragen werden konnte. Die religiösen Sprüche wurzeln besonders deutlich in den Vorstellungskreisen der entschwindenden oder entschwundenen geistlichen Dichtung: kurze Skizzen von Hölle und Himmel, jene traditionell in Negationen, diese mit märchenhaftem Glanz geschildert; eine nüchterne aber entschiedene Sündenklage: ein Lob der nie auszulobenden göttlichen Allmacht und Allwissenheit; eine Empfehlung des regen Kirchenbesuchs klingt denn auch wörtlich mit einem älteren Denkspruch gleichen Inhalts zusammen. Und sogar die Abwehr der neuen Ideale der Zeit versucht der Dichter, da er von übertriebenem Streben nach Ehre für das Seelenheil fürchtet, ersichtlich nicht aus pfäffischer, sondern aus conservativ bäurischer Gesinnung heraus, die über einen altgewohnten engen Kreis überkommener Weisheit und Moral nicht hinweg kann und mag. So wird sich in den gesammten Sprüchen des Anonymus außer dem rein Persönlichen kaum ein Gedanke finden, der nicht auch sonst litterarisch oder aus dem Volksmunde nachzuweisen wäre; trotzdem verleiht die schlichte Natürlichkeit, der kernige gedrungene Ton dieser Strophen, der Effecte und Pointen verschmähend, der ungesuchte Ausdruck einer klaren und starken Persönlichkeit ist, diesen Erstlingen unserer Spruchdichtung eine frische Herbigkeit, die ihren ganz eigenen Reiz hat.

Eine trotz verwandten Zügen doch im Grunde recht abweichende Physiognomie zeigt der Dichter, dem der Name Spervogel (d. i. jedenfalls Sperling; nach Laßberg u. A. vielmehr = Mauerschwalbe) allein mit Sicherheit zukommt. Auch er ein armer gehrender Spielmann unadlicher Herkunft (die Hs. C. und die Zimmerische Chronik nennen ihn Meister), das ist sicher: aber weit zurückhaltender in der Besprechung persönlicher Noth, ja in jeder Betonung seiner Persönlichkeit. Wohl klagt er einmal, ähnlich dem Anonymus, daß er seinen Durst aus kühlem Quell stillen wollte, aber Pechvogel genug war, nichts abzubekommen; ein ander Mal verweist er die, die ihm seine Armuth vorwerfen, auf den Rhein, der auch klein anfängt; sonst faßt er seine Klagen so allgemein, andeutend und unpersönlich wie möglich und versichert wohl gar in ängstlichem Zartgefühl, daß er nicht an [142] seine Interessen denke, sondern Alle lehren wolle. Seßhafter als der Anonymus und social etwas höherstehend, mag er zeitweilig eine festere Stellung im höfischen Ingesinde angenommen haben. Wo aber, wissen wir nicht. Namen kommen bei ihm nicht vor; eine Strophe scheint am Mittelrhein verfaßt zu sein; sonst fehlt jeder directe Anhalt zur Feststellung seiner Heimath; er schreibt ein Mittelhochdeutsch ohne charakteristische Züge, und nur seine Berührungen mit dem Anonymus haben Anlaß gegeben, ihn gleichfalls nach Baiern zu versetzen; die urkundlichen Belege für den Geschlechtsnamen Spervogel, ein bei diesem Namen ganz unsichres Kriterium, deuten eher, aber nicht nur nach Alemannien. Die archaischen Gewohnheiten des Anonymus fehlen Spervogel’s Technik, deren Glätte mindestens in die beiden letzten Decennien des 12. Jahrhunderts führt; möglich, doch unwahrscheinlich, daß er gar ins 13. Jahrhundert hereinragt. Auch Spervogel gebraucht nur eine Strophenform, die gleich der des Anonymus im dreifachen Reimpaar wurzelt; aber sie ist sehr viel reicher und in jüngerer Art ausgestaltet; ihre Melodie ist in der Jenaer Handschrift erhalten, wo sie neben dem hübschen Volksliede, das unter dem Namen des wilden Alexanders geht, die einzige nicht dreitheilige Weise bildet. Von der anspruchslosen Einfachheit, dem ländlichen Erdgeruch, den die Strophen des Anonymus athmen, ist Spervogel weit entfernt. Schon meldet sich bei ihm das viel mißbrauchte Stichwort „Kunst“; schon deutet er den kargen Herren an, daß ihre Ehre leide, wenn sie sich des Sängers Lob nicht durch Gaben erwerben; er macht ihnen fühlbar, wie sehr sie den braven Mann in der Noth brauchen und wie nach dem Bibelwort ganze Geschlechter zu Grunde gehn, die guten Rath verschmähn. Dieser Rath, exclusiver auf ein höfisches Publicum gemünzt, das er einmal vil stolze helde anredet, ist nicht mehr von der naiven Schlichtheit des Anonymus, rechnet schon mit complicirteren Verhältnissen und mit feinerem Takt: Man soll sich nach der Decke strecken, da das Glück wechselt; um das Verlorne soll man sich nicht härmen, sondern vorwärts sehen; man soll den Freund nur im stillen Kämmerlein, nicht vor den Leuten tadeln; wer klug ist, der ist wohlgeboren; nicht schöne Kleider sondern Tugend ziert die Frau; bei ihm ist es nicht mehr der roh sinnliche Mann, wie beim Anonymus, sondern schon die verwöhnte Frau, die die Ehe gefährdet. Auch ein höfisches Compliment für die edle Dame entschlüpft ihm einmal. Religiöse Gedichte hat er gar nicht, die Fabel fehlt ihm ganz, die ausgeführte Parabel mit einer Ausnahme; doch benutzt er gerne ein frappantes Bild als wirkungsvolle Schlußpointe. Eins aber vor allem hebt ihn scharf vom Anonymus ab: dieser denkt und sieht einfach, langsam, aber sehr deutlich; bei Spervogel jagen und häufen sich Bilder und Gedanken unruhig und jäh. Er ist nicht leicht zu verstehn, reiht Sätze verbindungslos an einander, deren Zusammenhang der Hörer errathen mag, ist von der Neigung zu preciösen gesuchten Wendungen nicht frei zu sprechen. Für einen Mann dieser Geistesanlage war die Priamel die glücklichste Form; bot sie doch die beste Gelegenheit, wechselnde disparate Vorstellungen überraschend zu verknüpfen. Das bewußte Streben nach Geist und Wirkung stellt die Sprüche Spervogel’s schon unzweideutig zu einer mehr litterarischen Kunstgattung, und es mag seine litterarischen Ansprüche, die dem Anonymus noch ganz fern lagen, bestätigen, daß ein Genosse eine bestimmte Strophe Spervogel’s mit Namennennung citirt.

Bestrittener und bestreitbarer ist endlich ein dritter Dichter der Gruppe, der junge S. Diesen Namen bringt die Hs. A an der Spitze eines zwischen die Sprüche des Anonymus gerathenen Liederbuchs, das ganz unzweifelhaft nicht von einem Dichter herrührt. Man kann nun schwanken, ob jener Name ein aus der Luft gegriffener ist, ob er nur den Sammler und Besitzer des Liederbüchleins meint oder endlich, ob so der Dichter des an seinem Anfang stehenden Tones hieß. [143] Für diese letzte Auffassung spricht der Umstand, daß in der Colmarer Meisterliederhs. die zwei ersten Sprüche dieses Tons nebst einem in A fehlenden, formell bedenklichen und inhaltlich undeutlichen Spruche als eigne Dichtung des „jungen Stolle“ ausdrücklich bezeugt sind; der den Meistern geläufigere Name „Stolle“ hat den des alten Sängers verdrängt, das Epitheton „der junge“ ist geblieben. Weitere Strophen desselben Tons, vielleicht desselben Verfassers, wie ich trotz gewissen technischen Ungleichmäßigkeiten für möglich halte, steuert die von Freidank so stark geplünderte Heidelberger Spruchsammlung bei, die uns auch durch ihren übrigen Inhalt lehrt, daß es damals ungelehrte Sänger dieses lehrhaften Genres in Hülle und Fülle gab. Damit bestimmt sich als die Zeit des jungen Spervogel etwa: vor 1230; das im Reim stehende erworgen deutet nach Mitteldeutschland hin; doch lebte er jedenfalls dem oberdeutschen Sprachgebiete sehr nahe. War er ein Sohn des ältern Spervogel? Seine noch künstlichere Weise hat die ganze Spervogelstrophe mit Ausnahme des Eingangreimpaares als Abgesang einverleibt; auch den einen oder andern Anklang sonst könnte man so auffassen, daß der Sohn da nâch künne lîhte tæte. Die Verwandtschaft der poetischen Gattung und darüber hinaus des poetischen Charakters ist augenfällig: nur ist der Zusammenhang mit dem höfischen Leben hier wieder gelöst, und die Persönlichkeit des Dichters ist hier noch mehr verschwunden; sein Ich verwendet er vorwiegend paradigmatisch, so in der Parabel von dem wegemüden Mann, dem der falsche Freund den Weg auf jede Weise verlegt, und nur einmal verstärkt er die Wirkung seiner Lehre dadurch, daß er versichert, er sage beachtenswerthes, „swie lützel ich der künste kan“. Diese seine Lehre ist recht trivial; mit Vorliebe bringt sie falsche Freunde, den Gegensatz von Schein und Kern, die Weisheit, daß Gold nicht allein glücklich mache, zur Sprache; ungewöhnlich ist ein Lob der Kritik, allerdings nur auf die Malerei angewendet. Die Personification von Tugenden stellt sich bereits ein; ein leisester Anflug von Gelehrsamkeit mag in der wiederholten Verwendung des Adjectivs „griechisch“ liegen. Sonst bleibt der jüngere S. in gut bürgerlicher Sphäre. Wie sein älterer Namensvetter neigt er dazu, Lehren in sehr losem Zusammenhang an einander zu reihen, ohne doch Priameln zu versuchen: durchgängig sorgt er, und das mit einer sichtlichen Beflissenheit, die Spervogel’s gleichartige Neigung überbietet, für einen frappanten und effectvollen Abschluß, sei es durch ein Bild (z. B. aus der Bierbereitung), sei es durch eine Anspielung auf eine Fabel oder Sage, sei es durch einen zusammenfassenden oder deutenden Denkspruch. Das verstärkt nur den Eindruck platter genügsamer Selbstgefälligkeit, den dieser prononcirt philisterhafte Didaktiker einer sinkenden Zeit macht: die drei Dichter der Spervogelgruppe spiegeln, so fern ihre Gattung den geistigen und künstlerischen Hauptströmungen liegt, doch in abgeschwächten Farben die Wandlung des Geschmacks von 1150 über 1190 bis etwa 1225 ganz gut wieder.

Die beste Ausgabe der Sprüche des Anonymus befindet sich in des Minnesangs Frühling, hsg. von Lachmann u. Haupt 25, 13–30, 33; der Strophen Spervogels ebda. 20, 1–25, 12; des jüngeren Spervogel’s ebda. 245, 1–247, 60, dazu Pfeiffer, Freie Forschung S. 210–214 und Meisterlieder der Colmarer Liederhs. hsg. v. Bartsch S. 523 f. – Aus der sehr umfänglichen, aber meist werthlosen und untergeordneten Litteratur hebe ich hier hervor als grundlegend: Scherer, Deutsche Studien I, (2. Aufl. Prag u. Wien 1891). – Ueber die Handschriftenfrage handelt etwas anders Wisser, Zu Spervogel (Progr. v. Jever 1882). – Zum Anonymus vgl. Henrici, Zur Geschichte der mhd. Lyrik (Berl. 1876); Wilmanns, Leben und Dichten Walthers v. d. Vogelweide (Bonn 1882) S. 32 ff.; Edw. Schröder, Zeitschr. f. d. Alterth. XXXIII, 101 ff.; Pfaff, Zeitschr. f. [144] d. Gesch. d. Oberrheins, XLIV, 75 ff.; John Meier, Beitr. z. Gesch. d. d. Sp. u. Litt. XV, 307 ff. – Die Melodie der Spervogelschen Weise steht im 4. Bde. der Minnesinger, hsg. von v. d. Hagen, vierstimmig bearbeitet in v. Liliencron’s und Stade’s Liedern und Sprüchen aus der letzten Zeit des Minnesangs (Weimar 1854) Nr. XII. – Ueber den jüngern Spervogel argumentirt anders, aber mir in keiner Hinsicht überzeugend: Paul, Beitr. II, 427 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Öffnendes Anführungszeichen fehlt.