ADB:Quantz, Johann Joachim
Friedrichs II. von Preußen. Er stammte aus einer Handwerkerfamilie, der Vater war Hufschmied in Oberscheden im Hannöverschen, einem Dorfe zwischen Göttingen und Münden und dort wurde auch Q. am 30. Januar 1697 geboren. Der Vater scheint zur Musik keine Neigung gefühlt zu haben; auch die Anverwandten waren zum Theil Schmiede, doch Quantz’ ältester Bruder trieb Musik zum Zeitvertreib und verdiente sich auch gelegentlich bei Hochzeiten und Tanzvergnügungen ein Stück Geld damit. Der kleine Joachim war des Bruders treuer Begleiter und hatte es mit acht Jahren schon so weit gebracht, die kleine Baßgeige spielen zu können. Nach des Vaters Wunsch sollte er Schmied werden und mußte bereits trotz seiner Jugend schon fleißig in der Schmiede helfen. 1702 starb seine Mutter und 1707 sein Vater und der zehnjährige Knabe stand als Waise da und sollte nun, ein Hercules am Scheidewege, wählen, ob er bei seinem Ohm, einem Schneider in Merseburg, dessen Handwerk erlernen, oder nach dem Wunsche einer Tante, einer Predigersfrau in Lautereck in der Pfalz, studieren sollte, oder aber in Merseburg bei einem anderen Onkel, der dort Stadtmusikus war, dessen Handwerk erlernen. Q. erzählt nun in seiner Autobiographie (gedruckt in Marpurg’s Historisch-kritischen Beyträgen zur Aufnahme der Musik. Berlin 1754, Bd. 1 p. 197), daß er ohne langes Besinnen sich zu letzterem entschloß und in Gemeinschaft seiner Schwester zum Onkel Justus Quantz nach Merseburg übersiedelte, um ein rechtschaffener Musikus zu werden. Justus Quantz oder Quantus, wie er sich nannte, war seit 1690 vom Magistrat der Stadt Merseburg zum Stadt- und Kunstpfeifermeister ernannt worden. In damaliger Zeit war die öffentliche Ausübung der Musik noch an genaue Gesetze gebunden und wer diese überschritt, wurde bestraft. Die Instrumentisten bildeten an jedem größeren Orte eine geschlossene Gilde mit ihrem Meister an der Spitze, der unter Aufsicht der Stadtverwaltung stand und von ihr einen geringen Jahressold erhielt, wofür er an bestimmten Festtagen vom Thurme einen Choral blasen mußte. Alle übrige Musik, bei Festlichkeiten, beim Tanz, bei Aufzügen wurde ihm besonders honorirt und er allein hatte das Recht, mit seinen Gesellen überhaupt öffentlich Musik zu machen. Wer ihm in das Recht eingriff, wurde verklagt und bestraft. Die Cantoren, Organisten und Musikdirectoren dagegen waren akademisch gebildete Philologen und Theologen, die als ersten Posten gern eines dieser Aemter annahmen, um dann später als Rector, Prediger oder anderweitig eine höhere Stellung einzunehmen. Sehr oft war der Cantor zugleich Organist und hatte an der lateinischen Schule außerdem noch als 4. [16] Lehrer zu wirken, wo er im Latein, Gesang und in anderen Fächern zu unterrichten hatte. Die bürgerliche Stellung trennte schon von selbst diese beiden Kategorien von Musikern und vereinten sie sich einmal, so geschah es zum Behufe der Aufführung eines größeren Gesangswerkes. In anderem Verhältniß befand sich eine Hofcapelle, oder eine Operntruppe, doch war auch hier jedes Amt gesetzlich geschieden. – Q. wurde also Stadtpfeifer und erlernte sämmtliche damals gebräuchlichen Instrumente in handwerksmäßiger Weise. Trompete und Oboe waren seine Hauptinstrumente, auf denen er nach eigener Aussage sich eine tüchtige Fertigkeit erworben hatte und bei Aufführungen oft als Solobläser auftrat. Ein unermüdlicher Drang, sich zu vervollkommnen und in die Geheimnisse der eigentlichen Kunst zu dringen, ließ ihn keine Gelegenheit versäumen, sich dieselben zu erschließen. Der Schwiegersohn seines Onkels, Johann Friedrich Kiesewetter, hatte sich durch Fleiß und Geschicklichkeit bis zum Stadtorganisten in Merseburg heraufgearbeitet und bei ihm erlangte Q. die ersten Kenntnisse des Generalbasses und der Musiktheorie, so daß er schon in seinen Lehrlingsjahren, die damals sechs Jahre währten, kleine Compositionen aufsetzte. Noch anderthalb Jahre dem Stadtpfeifer als Geselle verpflichtet, wurde er endlich im Jahre 1714 frei. In Merseburg residirte damals Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen, der sich eine Kapelle hielt und zur Verstärkung derselben oft einige Stadtpfeifer hinzuzog. Hier lernte Q. die damals berühmten Werke von Italienern, Franzosen und Deutschen kennen, und da sein Meister, ein gewisser Fleischhack, der nach dem Tode des Justus Q. (1708) sein Nachfolger wurde, ein guter Violinist war und sich stets die neuesten Compositionen für sein Instrument schicken ließ, wie die von Biber, Walther, Albicastro, Corelli, Telemann u. a., so hatte Q. vollauf Gelegenheit, sich nach allen Seiten hin auszubilden. Sein nächstes Streben ging nun dahin, in Dresden eine Stellung zu erlangen, da Dresden damals durch seine Kurfürsten-Könige das gelobte Land der Künste geworden war. In Dresden vereinten sich die ersten Künstler der ganzen Welt und der Fremdenzufluß machte es zu einer Stadt ersten Ranges. Die Festlichkeiten wetteiferten an Pracht und Mannigfaltigkeit mit denen des Kaiserlichen Hofes. Q. schnürte also 1714 sein Ränzchen und kam nach Dresden, fand aber keine Stellung, und da das Reisegeld wohl knapp war, ging er bis Radeberg, wo ihn der Stadtmusikus Knoll in Dienst nahm; doch schon zu Johanni mußte er weiter wandern, denn eine Feuersbrunst hatte das Städtchen in wenigen Stunden in einen Schutthaufen verwandelt. Er kam nun nach Pirna zum Stadtmusikus Schalle, einem intelligenten Manne, der sich mit dem Dresdener Stadtmusikus Heine in Verbindung gesetzt hatte und demselben mit seinen Gesellen bei großem Andrange von Festlichkeiten aushalf. Q., als geschickter Instrumentist, der auf Streich- und Blasinstrumenten Tüchtiges leistete, wurde von Heine oft begehrt und so entspann sich, durch ein gütiges Geschick begünstigt, die Verbindung mit Dresden, und das Ziel seiner Wünsche schien in nicht allzuweiter Ferne zu liegen. Bei Heine lernte er auch die Violinconcerte von Vivaldi kennen, die damals ihren Weg durch die Welt machten und als das Höchste und Bedeutendste in der damaligen Kunst geschätzt wurden. Die Instrumentalmusik hatte lange zu kämpfen, ehe sie zu einer einheitlich periodisch gegliederten Satzform gelangte und bis sie aus dem Wechsel von Motiv zu Motiv endlich ein Hauptmotiv oder Thema an die Spitze stellte und dies in strenger oder freierer Weise als Fuge behandelte. Das Streben, ein inneres Seelenleben dabei zum Ausdrucke zu bringen, ging in der kunstvollen Form meistens völlig unter, ebenso kam nur selten das melodische Element zur Geltung. Der Verstand ergötzte sich dabei mehr als das Gefühl. In diesem Stadium befand sich die Instrumentalmusik, als Vivaldi, der größte Violinvirtuose seiner Zeit, auftrat. Bestrebt, die [17] Klangwirkung und technische Seite der Violine zur Hauptsache zu machen, löste er in seinen Compositionen die strenge Form in ein leichteres, gefälligeres Spiel auf, welches sich durch ein ungemein frisches und lebhaftes Temperament auszeichnete. Der Eindruck auf das Publicum war ein ungeheurer, dem sich selbst die Künstler nicht entziehen konnten. Wissen wir doch von Seb. Bach, daß er einige 20 Concerte Vivaldi’s, um sich mit dem Stile bekannt zu machen, für Clavier arrangirte und dann selbst ein „italienisches Concert“ für Clavier schrieb, welches in Form und Ausführung sich mit den Vivaldi’schen deckte. Wenn sich schon ein Bach der Wirkung des neuen Stiles nicht entziehen konnte und wollte, wie berückend muß er dann erst auf die Geister geringeren Werthes gewirkt haben! Q. ward, wie er in seiner Selbstbiographie schreibt, von den Vivaldi’schen Concerten dermaßen gefesselt, daß er sich viele davon abschrieb und dann Vivaldi’s Manier nachzuahmen sich bemühte. – Obgleich er dem erwünschten Ziele nun so nahe war, denn der Dresdener Stadtpfeifer Heine hatte ihm erklärt, er werde ihn in Dienst nehmen, mußte er dennoch infolge eines früher gegebenen Versprechens noch anderthalb Jahre seinem ersten Dienstherrn in Merseburg dienen, ehe er endlich im März 1716 seinen höchsten Wunsch erfüllt sah. Er war von dem Gedanken, nur in Dresden könne er etwas Tüchtiges lernen, so durchdrungen, daß er zwei vortheilhafte Anerbietungen von kleinen Fürstenhöfen ausschlug. Hier hatte er nun endlich Gelegenheit, die damaligen Virtuosen an der Hofcapelle zu hören und dieser einstmals selbst anzugehören, wurde nun sein innigstes Bestreben. Eine dreimonatliche Hoftrauer 1717, in der jede öffentliche Musik verboten war, benutzte er zu einer Reise nach Wien, wo er von dem jungen Zelenka, der bei Fux studirte, Anweisung im Contrapunkte in der Octave erhielt. In der Weise mußte er sich sein Wissen zusammenbetteln. Beim Reformationsjubelfeste in Dresden hatte er in der Kirche eine Arie mit concertirender Trompete zu begleiten und erregte damit ein solches Aufsehen bei den Hofcapellmitgliedern, daß der Hofcapellmeister Schmidt seine Anstellung in der kurfürstlichen Capelle beantragte. Da man damals (1718) gerade mit der Bildung der polnischen Capelle in Warschau beschäftigt war – seit 1709 nach der Schlacht bei Pultawa war der Kurfürst August II. wieder in den Besitz Polens gelangt und residirte zeitweise in Warschau – so erhielt Q. dort die Stelle eines Oboisten mit 150 Thlr. Gehalt und freier Wohnung und war abwechselnd in Warschau und Dresden, je nach dem Aufenthaltsorte des Kurfürsten-Königs. Da er hier aber sehr bald bemerkte, daß er sich weder als Oboist noch als Violinist unter so tüchtigen Virtuosen auszeichnen könne, da diese beiden Instrumente gerade vorzüglich besetzt waren, so nahm er die bis dahin nur nebenbei behandelte Flûte traversière vor, die zwar damals an der Hofcapelle durch den berühmten Buffardin vertreten war, im Uebrigen aber noch keine so allgemeine Verbreitung gefunden hatte. Buffardin ließ sich herbei, ihm während vier Monaten Unterricht zu ertheilen, in denen er besonders dessen Art, geschwinde Sachen zu spielen, sich aneignete. – Die Flûte traversière, Flauto traverso oder Querflöte, heute kurzweg Flöte genannt, unterschied sich damals von der älteren und gebräuchlicheren Schnabelflöte, kurzweg Flauto oder Flûte à bec, auch Block- oder Plochflöte genannt. Die Querflöte, Flûte traversière, ist die alte Schweizerpfeife, die in Frankreich verbessert und ins Orchester eingeführt, etwa um 1700 in Deutschland bekannt wurde. Ihre Stimmung stand in d und reichte vom eingestrichenen d bis 4 Octaven herauf mit allen Halbtönen. Sie hatte 6 Tonlöcher und eine Klappe. Q. führte noch eine zweite Klappe um 1726 ein, um den enharmonischen Unterschied zwischen ♭ und ♯ hervorzubringen, doch klagt er noch 1752 in seinem Versuch einer Anweisung, die Flûte traversière zu spielen, daß man von der zweiten Klappe noch selten Gebrauch [18] mache. Heute hat die Flöte sieben Tonlöcher und eine größere Anzahl Klappen, die je nach dem Fabrikanten und dem Systeme variiren. – Q. fand an dem Capellmitgliede J. G. Pisendel (s. A. D. B. XXVI, 182), einem Schüler Vivaldi’s und einem der bedeutendsten damaligen Violinisten, einen väterlichen Freund, der ihm besonders in musikalischer Hinsicht von großem Nutzen war. Die deutschen Künstler suchten in damaliger Zeit ihre Bildung von Paris und Italien zu holen und es bildete sich dadurch unter den deutschen Componisten der sogenannte gemischte Stil aus, d. h. man nahm Lully’s Manier in seiner Balletmusik und suchte sie mit der Vivaldi’schen Compositionsweise zu vereinigen. Georg Muffat in seinem Drucke von 1701 „Auserlesene mit Ernst und Lust gemengte Instrumentalmusik“ giebt uns über diesen gemischten Stil im Vorwort die gewünschte Auskunft und auch Q. spricht in seiner Flötenschule noch 1752 davon, indem er Seite 332 sagt: „Wenn man aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik mit gehöriger Beurtheilung das Beste zu wählen weiß, so fließt daraus ein vermischter Geschmack, welchen man, ohne die Grenzen der Bescheidenheit zu überschreiten, nunmehr sehr wohl den deutschen Geschmack nennen könnte: nicht allein weil die Deutschen zuerst darauf gefallen sind, sondern auch, weil er schon an verschiedenen Orten Deutschlands eingeführt worden ist und noch blühet, auch weder in Italien, noch in Frankreich, noch in anderen Ländern mißfällt.“ – Quantz’ eifriges Bestreben war von den leitenden Persönlichkeiten der Hofcapelle nicht unbeachtet geblieben und man stellte ihm bereits 1722 in Aussicht, daß er auf Kosten des Kurfürsten nach Italien zur weiteren Ausbildung geschickt werden würde, sobald sich eine günstige Gelegenheit biete; auch seinen Gehalt erhöhte man von 150 auf 216 Thlr. – Keine Gelegenheit versäumend, seinen künstlerischen Gesichtskreis zu erweitern, unternahm er im Juli 1723 in Gesellschaft des sächsischen Lautenisten Weiß und des späteren preußischen Capellmeisters Graun eine Wanderung nach Prag, wo bei der Krönung Karl’s VI. unter freiem Himmel eine Oper von Fux aufgeführt werden sollte. Um die Oper recht genau kennen zu lernen, ließen sich alle drei als Orchestermitglieder anwerben und machten in der Weise alle Proben mit. Auch den berühmten Violinisten Tartini hörte er in Prag. Ob dieser und Vivaldi unter den beiden Violinisten gemeint sind, die er in seiner Anweisung Seite 309 in so scharfer Weise vornimmt, ist schwer zu entscheiden, da er aber Torelli, Corelli und Albinoni mit Namen nennt, so bleiben eigentlich nur die beiden obigen übrig, denen er zwar als Virtuosen volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, im Uebrigen aber sie einer scharfen Kritik unterzieht. Von Vivaldi sagt er z. B., „zuletzt aber verfiel er durch allzuvieles und tägliches Componiren und besonders da er anfing, theatralische Singmusiken zu verfertigen (Vivaldi componirte Opern allerdings erst im späteren Lebensalter) in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit, sowohl im Setzen als Spielen, weswegen auch seine letzteren Concerte nicht mehr so viel Beifall verdienten als die ersten.“
Quantz: Johann Joachim Q., Flötenvirtuos und LehrerEndlich im J. 1724 erhielt er vom Kurfürsten-König die Erlaubniß, in dem Gefolge des polnischen Gesandten am römischen Hofe, des Generals Grafen von Lagnasco, nach Italien zu gehen. Am 11. Juli langte er in Rom an, und die Begierde, alles in sich aufzunehmen, nichts zu versäumen, überstieg schließlich seine physischen Kräfte und warf ihn auf Wochen auf’s Krankenbett. Q. war von großer und starker Statur, doch er hatte sich hier in den heißen Monaten zu viel zugemuthet. Wieder genesen, war es seine nächste Sorge, bei dem berühmten Francesco Gasparini Unterricht im Contrapunkt zu nehmen. Gasparini war ein vielseitig gebildeter Mann und genoß einen großen Ruf. Sein 1683 erschienenes theoretisches Werk: L’armonico prattico erlebte bis 1802 sieben Auflagen, außerdem war er als Opern- und Kirchencomponist geschätzt [19] und außerordentlich fruchtbar. Nach einem halbjährigen Cursus bei ihm erklärte der Meister, daß er ihn nichts mehr zu lehren habe, „es wäre denn, daß er sich auf die Singcomposition legen wolle“ (wie Q. in seiner Selbstbiographie schreibt), „wozu ich aber keinen Beruf in mir fühlte“. Q. fährt dann fort: „ich setzte nun fleißig Soli, Trios und Concerto und suchte darinnen jene Steifigkeit, die bisher meinen Schularbeiten angeklebt hatte, zu vermeiden, und mehr für die Ohren als für die Augen zu setzen“. Es ist bewundernswerth an Q., mit welcher Klarheit und Ueberlegung er seinen Lebensweg geht, der durch äußere Umstände bedingt, doch so mühsam und krumm war. Ohne Schulbildung, ohne Geldmittel, zeigt er eine Geduld und ein Ausharren, biegt nie vom eingeschlagenen Wege ab, läßt sich durch keine Anstellung an kleinen Hofkapellen verlocken, wo er sich sobald eine angesehene Stellung verschaffen konnte, da er sich sagte: hier kannst du nichts hinzulernen. Der Drang nach Letzterem ließ ihn jede Schwierigkeit überwinden und kein Opfer war ihm zu groß für diesen Zweck. – Von Rom reiste er 1725 nach Neapel, woselbst er den späteren sächs. Hofcapellmeister Hasse kennen lernte, der bei Alessandro Scarlatti Contrapunct studierte. Q. zog auf die Stube des deutschen Kunstgenossen, der wenige Jahre später sein Oberhaupt werden sollte und hielt gute Kameradschaft mit ihm. Hasse wollte sich gegen den um wenige Jahre älteren Commilitonen auch verdient machen und fragte bei seinem Lehrer an, ob er ihm einen deutschen tüchtigen Flötisten und Componisten vorstellen dürfe. Die Antwort von Scarlatti ist für den Italiener sehr charakterisirend: „Mein Sohn, sagte er, ihr wisset, daß ich die blasenden Instrumentisten nicht leiden kann, denn sie blasen alle falsch.“ Demohngeachtet ließ Hasse nicht ab, bis er die Erlaubniß erhielt, ihn einzuführen. Und nun gewann Q. durch seinen Vortrag die Gunst des großen Componisten in so hohem Grade, daß derselbe nicht allein ein paar Flötensoli für ihn componirte, sondern ihn auch in mehreren vornehmen Häusern bekannt machte. Ich lasse nun Q. selbst die folgende Episode seines Lebens erzählen, die so echt neapolitanisch ist. „Unter diesen Häusern befand sich auch dasjenige der Marchesa, zu welcher ich in jeder Woche einige festgesetzte Stunden kommen mußte, um ihr einige Sonaten vorzuspielen, wozu sie auf dem Flügel accompagnirte, um sich im Generalbasse zu üben. Eines Tages wurden wir während dieser musikalischen Uebungen von dem spanischen Gesandten überrascht, der sich aber während einem kurzen Gespräche mit mir, gar nichts von Eifersucht merken ließ, außer daß er mich von Kopf bis auf die Füße betrachtete. Ich argwöhnte auch nichts, bis ich nach einigen Tagen Abends in einem Miethwagen aus einem Concerte fuhr und eine Kugel quer durch den Wagen sauste. Auf einmal fiel mir der spanische Gesandte ein. Ich packte in Eile ein und verließ am 23. März Neapel, ohne von der schönen Marchesa Abschied zu nehmen.“ Er ging wieder nach Rom, um dort die Feierlichkeiten der Charwoche kennen zu lernen, hielt sich bis October daselbst auf und erbat sich vom Gesandten Graf von Lagnasco dann auf längere Zeit Urlaub, um die Welt kennen zu lernen. Er ging nun über Florenz nach Bologna, Ferrara, Padua nach Venedig, überall Bildungsstoff in sich aufnehmend, von da über Modena, Reggio, Parma nach Mailand und Turin und endlich über Lyon nach Paris, wo er am 15. August 1726 eintraf. Er fand das dortige Orchester nach seiner Meinung schlecht und die Operncompositionen armselig. Nur wenige Virtuosen, wie Fortcroix, Marais, Guignon, Battiste, Blavet und Naudot schienen ihm bemerkenswerth. Dennoch hielt er sich das Jahr über dort auf und in diese Zeit fällt auch seine erste Verbesserung der Flöte, indem er eine zweite Klappe hinzufügte (siehe oben). Eine spätere Verbesserung betrifft den Ein- und Ausschiebekopf, auch Pfropfschraube genannt, vermittelst dessen man dieselbe ohne Wechsel der [20] Mittelstücke und ohne der Stimmung Eintrag zu thun, um eine kleine Secunde höher oder tiefer stellen kann. Obgleich er von seiner vorgesetzten Behörde Anfang 1727 Befehl erhielt, nach Dresden zurückzukehren, konnte er es doch nicht unterlassen, als Schlußstein der Reise auch England zu besuchen und den großen Händel zu hören und zu sehen. Am 20. März kam er in London an und hatte die Freude, unter Händel’s Leitung ein meist aus Deutschen bestehendes, vortrefflich geschultes Orchester anzutreffen, nebst der berühmten Faustina, der Cuzzoni und dem Castraten Senefino. Wenn wir heute über die Leistungen und die Art der Stimme der damaligen bedeutenden Sänger und Sängerinnen in ganz Europa so gut Bescheid wissen, als wenn es Sänger der heutigen Periode wären, so haben wir dies ganz allein der Reise von Q. zu danken. Q. war ein trefflicher Beobachter und mit einem gesunden klaren Verstande begabt, der auch die Gabe besaß, seine Beobachtungen in guter Rede wiederzugeben. Wäre Q. in Dresden geblieben, so wären seine Tagebuchnotizen wohl nie ans Licht gezogen, doch das kritische, unternehmungslustige Berlin, das bald seine nächste Heimath werden sollte, mit seinem Marpurg an der Spitze, lockte auch Q. an, sich als Schriftsteller zu zeigen und seine Erfahrungen in dessen periodischen Schriften niederzulegen. Vieles ist dann in Werken unserer Zeit wieder abgedruckt, so die Charakteristiken der damaligen Berühmtheiten in der Gesangskunst, die Dr. Gust. Engel in Mendels Musikalischem Conversations-Lexikon, unter dem Artikel Gesang wörtlich wiedergiebt. – Am 23. Juli langte er wieder in Dresden an und nun begann eine Zeit strenger Arbeit. An jedem Orte seiner Reise, wo er neue Eindrücke empfangen, hatte er versucht, in dem eben gehörten Stile etwas Aehnliches zu schaffen. All diese Versuche wurden nun unter Leitung seines Freundes Pisendel geprüft und wie Q. sagt, daraus der gemischte Geschmack gezogen, in dem nun Compositionsversuche gemacht wurden. Auch seine Vorgesetzten erkannten seine erworbenen Kenntnisse an und am 23. Febr. 1728 wurde er als Flötist an der Hofcapelle in Dresden mit einem Gehalt von 466 Thlr. angestellt. Jetzt erst legt er die Oboe ganz bei Seite und ist mit Leib und Seele Flötist und Componist. Noch in demselben Jahre begleitete er und andere Capellmitglieder den Kurfürsten auf einem Besuche am Berliner Hofe und fand bei der Königin von Preußen soviel Gefallen, daß sie ihn mit 800 Thlr. Gehalt engagieren wollte. Besonders seine Compositionen scheinen tiefen Eindruck hervorgerufen zu haben, denn in den Mémoires der Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth (Tom. I p. 120) wird Q. besonders als grand compositeur erwähnt, dessen Geschmack und ausgezeichnete Kunst die Flöte der menschlichen Stimme nähert. Der Kurfürst schlug zwar die Bewilligung des Abschieds ab, erlaubte aber, daß Q. jährlich zweimal nach Berlin komme, um dem Kronprinzen (Friedrich II.) Unterricht im Flötenspiele zu ertheilen. Dieses Arrangement mußte natürlich ganz heimlich geschehen, da Friedrich Wilhelm I. nie dem Sohne eine so weichliche und in seinen Augen unnütze Beschäftigung erlaubt hätte. Noch in Rheinsberg, als bereits die Aussöhnung stattgefunden hatte, durften die engagirten Musiker: Graun, Benda u. a. nur in der Liste der Lakaien verzeichnet werden und der König war so gnädig zu erlauben, daß sie nebenbei auch etwas Musik treiben konnten (!). Auch nach Bayreuth mußte Q. öfter, um den Markgrafen, den Schwager Friedrich II., im Flötenspiel zu unterrichten. Es läßt sich daraus am besten erkennen, wie wenig wirklich tüchtige Flötenspieler es damals gab und wie die Flöte mit ihrer weichen Klangfülle dem Gemüthsleben dieser Zeit so entsprach, daß binnen wenigen Jahrzehnten das Flötenspiel ganz Europa überschwemmte. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde jedes epochemachende Werk für Flöte eingerichtet. So wurde der ganze Freischütz von Weber (mit Ouverture und Wolfsschluchtscene) für 2 Flöten arrangirt! [21] Das Flötenspiel hatte so um sich gegriffen, daß es bereits zur Plage wurde und Cherubini zu dem bekannten Ausspruche verleitete, als er gefragt wurde, was schlimmer sei als eine Flöte: zwei Flöten! – Friedrich August I. starb am 1. Februar 1733 und sein Nachfolger bestätigte die Gehalte der Hofcapelle. Damit war aber Q. nicht einverstanden. Er sah sich umworben von Hoch und Niedrig und glaubte berechtigt zu sein, denselben Gehalt wie Buffardin beanspruchen zu können. Q. richtete am 27. März 1733 deshalb an den neuen Kurfürsten eine Eingabe. Er giebt darin seinen Gehalt erstens auf 216 Thlr. an, die er als einstiges Mitglied der polnischen Capelle als Pension erhält und zweitens 300 Thlr. als Gehalt für die Dresdener Stellung; das wären 516 Thlr., während die Listen von 1728 nur 466 Thlr. verzeichnen. Dann fährt er fort: „Wie ich nun um solche Huldt und Gnade einen so allergnädigsten Herrn mir einigermaßen zu verdienen, alle meine Kräffte und Vermögen angewendet, und alle mir angebothene Gelegenheit zu anderer Herren profitabeln Diensten, obwohl bey ehemaligem sehr wenigen Soldt, freudigst hindan gesetzt, so geht auch jetzo mein eintziger Wunsch und Verlangen dahin, daß Ew. Königl. Hoheit mich in hohen Gnaden würdigen möchten, meine Lebens-Zeit in Dero gnädigen hohen Diensten zubringen zu lassen; unterwinde mich also Ew. Königl. Hoheit in tiefster Unterthänigkeit anzugeben: Nachdem die 216 Rthlr. jährliche pension, so ich wegen Pohlen genossen, cessiren, mich bei Dero hiesigen Capelle meinem Cameraden, Dero Cammer Musico Buffardin, in der demselben seither allergnädigst destinirt gewesenen jährlichen Besoldung gleich setzen zu lassen“ … Buffardin erhielt 800 Thll. Quantz’ Eingabe blieb unberücksichtigt und dies legte wohl den Grund zu der Mißstimmung, die ihn einige Jahre später bewog, den Dienst zu kündigen. Dennoch widmete er im nächsten Jahre dem Kurfürsten sein im Druck erschienenes Opus 1, „Sei Sonate a Flauto Traversiere solo, e Cembalo, dedicate alla Maestà d’Augusto III. Opera prima. Dresda“ (Exemplar in der Kgl. Musikalien-Sammlung in Dresden). Sie geben Zeugniß von dem sogenannten gemischten Stile, den er sich aus den Kunsterzeugnissen der Italiener, Franzosen und Deutschen anzueignen strebte. Die Form ist den Vivaldischen Concerten nachgebildet und lehnt sich schon zum Teil an die spätere Sonatenform, doch tritt ein zweites Thema noch zu unbestimmt auf und die Wiederholung als 3. Theil ist noch nicht zum festen Gesetz geworden. Die Fugenform ist noch nicht ausgeschlossen, doch nur in leichter flüssiger Weise benützt. Seine Erfindung ist ansprechend, aber klein in den Themen. Im 2. Satze wiegt das Gesangreiche vor und nähert sich der zweimal zweitheiligen Form. Hierin besteht eigentlich der Hauptfortschritt, denn bei den Italienern und Franzosen wurde gerade diesem Satze die geringste Aufmerksamkeit gewidmet. Er war mehr ein Zwischenspiel, um dem letzten Satze alle Kraft zu verleihen. Man könnte daher Q. als den Erfinder der langathmigen Adagiosätze bezeichnen, deren Aufgabe in einem gefühlvollen Gesange bestand. Auch in seinen späteren Werken entwickelt er in den Adagiosätzen stets denselben zarten, innigen, gesangreichen Ausdruck. Von seinem Hauptschüler, König Friedrich II., sagt man, daß er diese langsamen Sätze ganz besonders schön geblasen haben soll und einen großen Werth darauf legte. Bezeichnend für Quantz’ Charakter ist es, daß er mit seinem Opus 1 nicht eher hervortrat, als er mit sich selbst im Reinen war und abgeschlossen hatte. Auf seine Zeitgenossen übte er deshalb auch einen bedeutenden Einfluß und die hohe Achtung, in der er stand, schreibt sich allein diesem fertig abgeschlossenen Auftreten zu. Er hat auch in seinen späteren Werken nichts hinzu gethan, nichts weggelassen. Er blieb sich stets derselbe und da er das recht wohl einsah, veröffentlichte er nur noch ein Opus 2, einige Lieder und schloß damit für die Oeffentlichkeit ab. Nur für seinen Königl. Schüler schrieb [22] er auf dessen Wunsch ein Flötenconcert um das andre, so daß er es bis zum dreihundertsten brachte. Für die Oeffentlichkeit waren sie nicht bestimmt und wenn sie sich dennoch durch Handschriften verbreiteten, so kann man Q. wohl nur geringe Schuld dabei zumessen, denn er wußte sehr wohl, wie seine Freunde über die Concerte dachten. Kirnberger, der echte kritische Musicus an der Spree, mit scharfer Zunge, soll nach Dulon’s Selbstbiographie gelegentlich ausgerufen haben, als ihm ein anonymes Flötenconcert vorgelegt wurde: „Ha, ha, das ist von Quantz, ich sehe es an den Zuckerhüten!“ Der König liebte nämlich besondere Figuren, die ihm Q. stets anbringen mußte und theils aus Gutmüthigkeit, theils als gehorsamer Hofcomponist erfüllte er gern den Wunsch des Königs. – Schon als Kronprinz lernte Friedrich II. von Preußen Q. kennen, nicht nur oberflächlich, sondern gewiß von allen Seiten, denn Q. hielt sich bei den halbjährigen Besuchen in Rheinsberg mehrere Tage dort auf und bei seiner geraden biederen Natur *), gab er sich und sein Wissen in einfacher vielleicht sogar unhofmäßiger Weise. Friedrich II. ließ sich das nicht anfechten und gewann den Mann mit dem offnen Charakter, der Menschen wie Kunst so trefflich zu beurtheilen verstand, in einer Weise lieb, daß er, sobald er unumschränkter Herrscher war, ihn nach Berlin zu ziehen trachtete. Die Zeit seines Eintreffens in Berlin ist nicht mehr bestimmbar, da keine Acten darüber vorhanden sind. Q. selbst giebt den December 1741 an, und am 13. December ist er bereits unter den Orchestermitgliedern genannt, die in dem improvisirten Theater im kgl. Schlosse die Oper Rodelinde aufführten (Schneider, Geschichte der Oper in Berlin. 1842 S. 72). Friedrich II. scheint auch erst im December aus Schlesien gekommen zu sein, so daß die von A. Quantz in seiner Biographie J. J. Quantz (Berlin 1877 S. 20) gegebene Darstellung, als wenn Q. im November wie gewöhnlich nach Berlin gekommen sei, um dem Könige im Flötenspiel Unterricht zu ertheilen, nicht zutreffend ist. Q. wurde mit 2000 Thlr. Gehalt auf Lebenszeit angestellt. erhielt für jede Composition ein besonderes Honorar und für jede Flöte, die er lieferte, 100 Ducaten. Q. hatte nämlich schon seit 1739 begonnen, bei dem Mangel an guten Flöten, selbst welche zu bohren und abzustimmen und er bekennt in seiner Selbstbiographie, daß er dabei nicht zu Schaden gekommen sei. Auch über die Verhandlungen in Dresden in betreff der Bewilligung des Abschiedes fehlen alle Documente, oder sind noch nicht veröffentlicht. Q. hatte die Verpflichtung, den König bei seinen Flötenstudien zu unterstützen, bei den musikalischen Abendunterhaltungen mitzuwirken und für Flötencompositionen zu sorgen. Er hatte mit dem Opernorchester nichts zu thun, hing überhaupt nur von den Befehlen des Königs ab und wenn er ihm auch oft auf seinen Feldherrnzügen folgen mußte, so war er im Uebrigen ein freier Mann. Was aber die Hauptsache war, er genoß das höchste Vertrauen seines Königs, so daß Q. bei Anstellung irgend eines Musikers oder Sängers stets erst seine Meinung äußern mußte, ehe der König seine Bestimmung traf. Die Berliner bösen Zungen waren zwar beflissen ihm nachzureden, daß er sich die Empfehlung eines Musikers gut bezahlen ließe, doch ging dasselbe Gerede auch über Emanuel Bach um, der seit 1738 Cembalist beim König war. Der Charakter beider Männer widerlegt das Gerücht am wirksamsten und läßt es nur als einen Ausfluß von Neid und Mißgunst erscheinen. – In Berlin entwickelte sich unter König Friedrich’s II. Regierung bald ein reges künstlerisches Musikleben. Der König zog nicht nur die besten Kräfte an seine Hof- und Privatcapelle, sondern auch unter den Privatmusikern und dem Publicum regte [23] sich eine Thätigkeit und ein Interesse an der Musik, welche Berlin bald in den Ruf einer kunstgebildeten Stadt brachten. Wenn der König die Oper und Kammermusik zu neuen Anstrengungen anfeuerte, so trachtete seine kunstgebildete Schwester Prinzessin Anna Amalia danach, die ältere classische Periode des 16. Jahrhunderts wie überhaupt den Sinn für Kirchenmusik zu erwecken und zugleich den in Deutschland so wenig beachteten Zeitgenossen Bach und Händel in Berlin das Verständniß für ihre Werke zu ebnen. Diese verschiedenen Bestrebungen schufen auch verschiedene Parteien, deren Reibungen ganz Deutschland in Mitleidenschaft zogen. Die letztere Partei, als die gelehrtere und federgewandte trug den Sieg davon und gipfelte in dem Erfolge, den sogenannten gemischten Geschmack Quantz’ zum allein in Deutschland gültigen erhoben zu sehen. Die Koryphäen der sogenannten Berliner Schule oder Richtung, der Kirnberger, Emanuel Bach, Quantz, Marpurg, die beiden Benda, Agricola und andere angehörten, waren zugleich gewandte Schriftsteller, die mit Humor und beißendem Spotte, der freilich oft genug in Grobheit und Zänkerei überging, ihre Ansichten und Lehrsätze vertheidigten. Marpurg, preußischer Kriegsrath und Director der kgl. Lotterie in Berlin, trug besonders durch seine periodischen Schriften, wie Der kritische Musicus an der Spree, Historisch-kritische Beiträge zur Aufnahme der Musik, kritische Briefe über die Tonkunst, die in den Jahren 1749–1763 erschienen, an denen sich jene oben genannten Musiker durch litterarische Beiträge fleißig betheiligten, viel zur Verbreitung ihrer Ansichten bei. Q. veröffentlichte hierin seinen Lebenslauf, seine Antwort auf Moldenit’s Schreiben (Beiträge 4. Bd. p. 153–191 u. 319) die Verbesserung der Flöte betreffend und Briefe an Em. Bach, J. G. Hofmann, L. Cochius und Riedt (in den kritischen Briefen 1. Bd.). Es werden darin theils Streitfragen, theils theoretische Ansichten behandelt und Q. entwickelt besonders in den oben erwähnten Briefen, die 1759 erschienen, einen so scharfen Witz und eine Gewandtheit im Ausdrucke, verbunden mit einem tüchtigen theoretischen Wissen, daß er uns wahrhaft in Erstaunen setzt. (Die Musikzeitung Echo in Berlin, 1875, Nr. 2–4, bringt einen Abdruck davon.) Neben seinen Verpflichtungen am Hofe Friedrich’s II. scheint er auch noch zahlreiche Schüler um sich versammelt zu haben, unter denen uns heute noch die Namen Lindner, Liebeskind, Kottowsky und Neuff besonders genannt werden. Doch auch als Theoretiker wurde er in Anspruch genommen, so von Agricola, Franz Benda, Nichelmann, Kannegießer u. a. Diese Lehrthätigkeit mag ihn wohl besonders bewogen haben, seine Flötenschule abzufassen, die aber weit den Kreis des ursprünglichen Planes überschreitet, denn Q. schüttete in ihr all sein Wissen und seine Erfahrungen über die ganze Musikausübung aus und gab dadurch seinem Buche einen Werth, der es hoch über jedes andere Schulwerk erhebt, denn es ist heute die sicherste und beste Quelle, ein Urtheil über die Zeit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu erlangen. Das Buch trägt den Titel: „Versuch einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen; mit verschiedenen, zur Beförderung des guten Geschmackes in der praktischen Musik dienlichen Anmerkungen begleitet, und mit Exempeln erläutert.“ Berlin bey Joh. Fr. Voß 1752. 4°. (Exemplare fast auf allen öffentlichen Bibliotheken.) Eine zweite und dritte Auflage erschien 1780 und 1789 in Breslau bei Korn. Zugleich mit der ersten deutschen Ausgabe erschien eine in französischer Sprache bei demselben Verleger. 1765 erschienen die 24 Beispiele besonders. Der Organist Jac. Wilh. Lustig gab in Amsterdam 1754 eine Ausgabe in holländischer Sprache heraus. Eine englische Ausgabe besitzt das britische Museum in London, deren Titel mir aber unbekannt ist. Quantz’ Flötenschule war die erste über dies Instrument, sowie Leopold Mozart’s Violinschule von 1756 und Em. Bach’s Wahre Art das Clavier zu spielen von 1759 die ersten in ihrer Art. Die [24] Deutschen haben darin den andern Nationen zuerst den Weg gewiesen und damit zugleich Zeugniß abgelegt, daß sie stets beflissen waren, die Kunst von der ernsten Seite zu erfassen. 1759 ließ Q. noch „Sei Duetti a due Flauti traversi. Opera seconda. Berlino, G. L. Winter“, in Hochfolio erscheinen. (Exemplar in der Bibliothek des Joachimsthal’schen Gymnasiums zu Berlin. Walsh in London gab sie unter dem Titel: 6 Sonatas for 2 germain Flutes or 2 Violins, op. 2 heraus. Exemplar auf der Universitäts-Bibliothek in Upsala.) Sie schließen sich in Form, Ausdruck und Behandlung eng den Soli opus 1 an, zeigen aber Quantz’ contrapunctische Geschicklichkeit und leichte Erfindungsgabe in noch hellerem Lichte, da ihm hier nur das dürftige Material von 2 Flöten geboten war (ohne Baß) und er dennoch das Interesse des Hörers und Spielers stets zu fesseln weiß. Auch eine Anzahl Lieder sind von ihm in Berliner Liedersammlungen in den Jahren 1753–56 erschienen, welche mir zum Theil durch Vermittelung des Herrn A. Quantz in Göttingen in Copien vorliegen. Q. zeichnet sich zwar auch hier als der denkende Künstler aus, der gegen die richtige Declamation keinen Verstoß begeht – eine Eigenschaft, welche die meisten seiner Zeitgenossen in Deutschland nicht besaßen – doch seine Melodien sind nicht für Gesang gedacht, sondern für ein Instrument, es fehlt ihnen daher der innige Zusammenhang zwischen Wort und Ton. Es ist ihnen etwas Holperiges eigen, was er mit seinen deutschen Zeitgenossen gemein hat. Der Ausdruck ist dabei simpel und ohne tiefes Gefühl. Am besten ist das zweistimmige Trinklied für Sopran (oder Tenor) und Baß: „Ach! ich verschmachte! schenket ein!“ Sowohl das lebendige contrapunctische Zusammengreifen der Stimmen, als die melodische Erfindung ist ganz trefflich, verliert sich aber am Ende in die damals herrschende sentimentale Ausdrucksweise und verdirbt den Eindruck des charakteristischen Anfangs. Ebenso setzte er eine Anzahl Kirchenlieder zu Gellert’schen Texten, die als eine Nachbildung unserer gebräuchlichen Kirchenmelodien gelten können, doch sonst nichts Neues, nichts Besonderes bieten. Noch liegen mir zwei italienische Arien für Sopran und Bassus generalis: „Padre perdona“ und „sembra che il rascelletto“ vor. Die Erfindung ist leicht und gefällig, doch ganz in der colorirten Weise geschrieben, wie man damals in der Oper zu singen pflegte. Von seinen Instrumentalwerken kenne ich noch ein Trio für Flöte, Violine und Baß (in (G-dur), welches ganz besonders verdient ausgezeichnet zu werden. In der Form weicht es gegen seine opus 1 und 2 völlig ab und geht auf die ältere Corelli’sche Behandlung zurück, doch die Themen, wie die Durcharbeitung sind so lebendig und trefflich erfunden, besonders das mittelste Adagio so gesangreich, wie in damaliger Zeit wohl selten ein Satz geschrieben worden ist. Die schnellen Sätze sind alle in leichter Fugenform gehalten, machen aber einen frischen und guten Eindruck. Von den zahlreichen Flötenconcerten mit kleinem Orchester liegt mir nur dasjenige in G-dur vor, welches 1885 in neuer Ausgabe bei Breitkopf u. Härtel erschienen ist. Es ist mit Sorgfalt unter dem großen Vorrath ausgesucht und jedenfalls das Beste, was unseren heutigen Ansprüchen noch am ehesten Genüge thut. Die Anlage ist breit und prächtig, ungefähr wie Händel die Aufgabe eines Concertes auffaßte. Sehr bedacht war der Componist, die Fertigkeit des Solisten ins beste Licht zu setzen und Q. ging darin seiner Zeit um ein Beträchtliches voraus, denn es macht in der Hinsicht weit mehr den Eindruck eines Concertstückes aus dem Ende dieses Jahrhunderts als aus der Mitte desselben. Die ausgeschriebenen Cadenzen sind ganz in der späteren Behandlung gehalten. Die Bibliotheken in Göttingen, Dresden, Berlin und Darmstadt sind im Besitze noch zahlreicher Handschriften von Q. und das Neue Palais und Stadtschloß in Potsdam bewahren die Concerte auf, die er einstmals für seinen König componirte. Er beschloß sein bewegtes Leben im [25] Vollgenuß irdischen Glückes durch einen Schlagfluß am 12. Juli 1773 in Potsdam. Der König selbst vertrat Arztes Stelle bei ihm und ließ ihm die größte Pflege zu Theil werden. Nach seinem Tode ließ er ihm auf der Grabstätte in Potsdam (vor dem Teltower Thore) ein Denkmal von Sandstein errichten, was sich bis heute erhalten hat.
[22] *) Die Schwester Friedrich des Großen, die Markgräfin Wilhelmine, fand das Wesen Quantz’ sogar unerträglich hochmüthig. (Brief Friedrichs II. vom 12. Jan. 1736.)